Bricht das amerikanische Schulsystem zusammen?
Eine New Yorker Oberschullehrerin mit langjähriger Berufserfahrung berichtet über besorgniserregende Schulprobleme
DIE Probleme in unseren Schulen sind wahrscheinlich ernsterer Natur, als man gemeinhin annimmt. Ich habe immer wieder beobachtet, wie Schulleiter über Probleme hinweggingen oder sie bewußt verbargen. Und weshalb? Weil sie den Eindruck erwecken wollten, sie leisteten gute Arbeit und hätten alles im Griff. Ehrlichere Beamte jedoch nennen die Dinge beim Namen.
Der Leiter der Schulbehörde in Massachusetts, Neil V. Sullivan, sagte: „Unsere öffentlichen Schulen funktionieren nicht. ... Das ganze System selbst fällt buchstäblich auseinander.“ Und der ehemalige Schulinspektor von Philadelphia, Mark Shedd, sagte warnend: „Das Bildungswesen in den Städten steht überall kurz vor dem Zusammenbruch.“
Diese Äußerungen mögen sich ziemlich extrem anhören, doch ich kann sie nur bestätigen. Ich habe in den vergangenen fünfzehn Jahren an etwa einem Dutzend Oberschulen in New York gelehrt. Die Situation spottet wirklich jeder Beschreibung. Man muß es selbst gesehen haben, um die Lage richtig zu verstehen.
Probleme im Unterricht
Ordnung im Klassenzimmer gibt es fast überhaupt nicht mehr. Damit meine ich nicht bloß, daß hinter dem Rücken des Lehrers mit Papierkügelchen, Kreide und allen möglichen anderen Geschossen geworfen wird. Es handelt sich um eine offene Rebellion gegen die Autorität. Die Kinder tun im allgemeinen alles, was sie wollen, und die Lehrer wissen oft nicht mehr, wie sie die Ordnung aufrechterhalten sollen. Der Lärm und das Durcheinander in manchen Klassenzimmern sind entsetzlich.
In einer Klasse an einer Mädchenoberschule, von der ich weiß, erfand der Lehrer in seiner Verzweiflung einen Trick, um die Aufmerksamkeit zu erlangen. Die Mädchen saßen herum und waren mit Maniküre beschäftigt, kämmten einander die Haare oder zeigten sich gegenseitig Bilder von ihren Freunden. Der Trick, den der Lehrer sich ausgedacht hatte, bestand darin, die längsten Wörter, die ihm einfielen, an die Tafel zu schreiben und dann jedem Mädchen zu versprechen, versetzt zu werden, das sie später richtig schreiben könne. Das wurde seine tägliche Beschäftigung in der Klasse.
Da die meisten Schüler an den Unterrichtsfächern wenig oder gar kein Interesse haben, schwänzen sie oft für einige Stunden. Häufig fehlt ein Drittel oder mehr von einer Klasse unentschuldigt. Viele Schüler sind nur ein oder zwei Tage im halben Jahr da. Man zählt sie aber noch, damit die Schule weiterhin ihre Steuergelder bekommt, die nach der Zahl der gemeldeten Schüler zugewiesen werden.
Da es sich eingebürgert hat, die Schüler ungeachtet ihrer schulischen Leistungen zu versetzen, können viele Schulabgänger kaum lesen und schreiben. Buchstäblich Tausende von Schülern werden Jahr für Jahr versetzt und bestehen schließlich auch die Abschlußprüfung, obwohl sie praktisch Analphabeten sind. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, diesen Schülern Unterricht erteilen zu wollen und zur selben Zeit den anderen zu helfen.
Ein weiteres Problem beim Unterrichten sind die Schulgebäude, die oft verwahrlost und baufällig und dem Lehren oder Lernen überhaupt nicht förderlich sind.
Dies sind aber nur einige der Gegebenheiten, die dazu beitragen, daß ein großer Teil der Schulen in den Großstädten vor dem Zusammenbruch steht.
Verbrechen und Gewalttaten
Banden von Jugendlichen ziehen durch die Korridore und zwingen den Lehrer, bei verschlossener Tür zu unterrichten. Die Schüler haben Pistolen und Messer dabei. Mutwillige Zerstörung von Schuleigentum, bewaffnete Raubüberfälle, Rauchen und Drogen„schießen“ auf den Toiletten und in den Treppenhäusern sowie viele weitere Dinge sind in den Schulen der Großstädte unter den Schülern gang und gäbe.
Viele Jugendliche werden — so unglaublich es klingen mag — direkt vom Gefängnis oder von der Nervenheilanstalt ins Klassenzimmer gebracht, so auch in meines. Jedes Jahr werden in New York mehr als 20 000 Kinder im Alter von fünfzehn Jahren und darunter festgenommen. Die Lehrer der Oberstufe zu denen ich gehöre, aber unterrichten Schüler, die älter sind und deren Verbrechen oft ausgeklügelter sind.
Im Jahre 1973 wurden in New York fast 10 000 Verbrechen gemeldet, die in den Schulen oder auf dem Schulgelände begangen wurden. Viele weitere Verbrechen, selbst schwere, werden nicht gemeldet. Über 900 Lehrer wurden 1973 tätlich angegriffen, die Hälfte davon direkt im Klassenzimmer! Vor nur einigen Wochen wurde ein Jugendlicher, der in einer anderen Schule ein Mädchen vergewaltigt hatte, auf unsere Schule überwiesen, und die Lehrerschaft wurde noch nicht einmal darüber informiert. Es ist kein Wunder, daß man für die Lehrer in den Schulen der Stadt New York Handbücher zur Selbstverteidigung herausgegeben hat.
Zur Aufrechterhaltung der Ordnung patrouillieren über 950 Wachposten in den Oberschulen der Stadt, das sind etwa zehn in jeder Schule. Sie werden zusätzlich zu Unterrichtshelfern und vielen regulären Polizeibeamten eingesetzt. Vergewaltigungen, Überfälle und andere Straftaten nehmen aber weiter zu. Darum hieß es, daß jetzt zusätzlich 8,4 Millionen Dollar für mehr als tausend weitere Wachposten an Volks- und Oberschulen beantragt wurden.
Erschütternd sind auch die Fälle von Brandstiftung. In vielen Schulen kommt es regelmäßig zu Bränden, die meistens in den Korridoren gelegt werden. In einer Schule aber, in der ich unterrichtete, schien es fast jeden Tag auf der Eingangstreppe zu Freudenfeuern zu kommen, in denen Schulbücher verbrannt wurden.
Unsittlichkeit
Die Moralbegriffe der Schüler und die Art und Weise, wie Schüler und Schülerinnen angezogen (manchmal müßte man sagen: ausgezogen) sind, mögen vielen Leuten normal erscheinen, doch meines Erachtens tragen sie zu dem heutigen Zustand unserer Schulen bei. Im letzten Jahr flitzte sogar ein Schüler vollständig nackt um die Schule, in der ich zur Zeit unterrichte, und im Flur kommt es in aller Öffentlichkeit zu Knutschen und wildem Petting. Auch wenn andere nicht derselben Ansicht sind, meine ich doch, daß ungezügelte sexuelle Leidenschaft unseren Schulen schadet.
Ich sehe dies deutlich an den ledigen schwangeren Schülerinnen, die kein Interesse mehr an der Schule haben, an den verstörten, unruhigen Mädchen, die nicht wissen, ob sie eine Abtreibung an sich vornehmen lassen sollen oder nicht, und an den Niedergedrückten, die bereits eine Abtreibung hinter sich haben. Weniger sichtbar, doch weiter verbreitet ist die Epidemie der Geschlechtskrankheiten. Nach Aussage eines Beamten der Gesundheitsbehörde stehen 50 Prozent der Jugendlichen in den USA in Gefahr, innerhalb von nur fünf Jahren mit Tripper angesteckt zu werden.
Hätte ich mir vor fünfzehn Jahren ausmalen können, was es bedeuten würde, Jugendliche in der Innenstadt zu unterrichten, dann hätte ich diesen Beruf vielleicht nie ergriffen. Doch damals schien der Lehrberuf für mich als Mutter, die ein Kind zu versorgen hatte, eine naheliegende Wahl zu sein. Da ich die notwendige akademische Ausbildung hatte, erhielt ich die Zulassung als Lehrerin und nahm eine Anstellung in Brooklyn an.
Die Einstellung der Lehrer
Als ich im Herbst 1959 begann, in den oberen Klassen Englisch zu unterrichten, tat ich dies mit Vertrauen und Optimismus. Doch zu meiner Überraschung dachten meine erfahreneren Kollegen nicht so wie ich; sie sprachen oft von der „guten alten Zeit“. Bald begriff ich, warum.
Ich hatte schon damit gerechnet, daß man wenig Achtung vor Autorität haben würde, ebenso war ich auf Streiche vorbereitet, wie zum Beispiel Kaugummi oder Reißnägel auf dem Lehrerstuhl zu finden. Die Augen wurden mir aber erst geöffnet, als mir zwei Jungen vor der ganzen Klasse mein Geldtäschchen vom Lehrertisch stahlen. Draußen im Gang entwendeten sie dessen gesamten Inhalt und steckten es hinter einen Heizkörper. Doch ich wurde dann als der Schuldige hingestellt, weil ich den Vorfall meldete. Manche Schulleiter wollen nämlich solche Vergehen vertuschen, wie dies selbst Albert Shanker, Präsident der United Federation of Teachers, eines Lehrerverbandes, zugegeben hat.
Ungefähr zur selben Zeit würgte ein Schüler meiner Klasse einen anderen. Da ich seinen Griff nicht lockern konnte, rief ich um Hilfe, doch vergeblich. So flehte ich, daß doch jemand Hilfe holen sollte, aber keiner rührte sich. In diesem Augenblick begriff ich, daß ich mit Menschen zu tun hatte, die in einer Gesellschaft groß geworden waren, deren Wertvorstellungen und Verhaltensregeln sich vollständig von allem unterschieden, was ich je gehört hatte. Ich begann auch zu verstehen, weshalb meine Kollegen so demoralisiert waren.
Das waren meine ersten Wochen als Lehrerin. Weil ich aber arbeiten mußte, hielt ich durch. Ich hoffte, es würde sich bessern. Die Verhältnisse in den Schulen sind indessen schlimmer geworden, was nur dazu beigetragen hat, die Lehrer noch mehr zu entmutigen, und dies ist ganz offensichtlich auch ein Hauptgrund dafür, daß viele Schulen in den Städten kurz vor dem Zusammenbruch stehen.
Die Misere der Lehrer
Ich weiß, daß Lehrer oft heftig kritisiert worden sind, besonders deswegen, weil sie für höhere Bezahlung gestreikt haben. Ein typisches Beispiel dafür war die Äußerung der New Yorker Geheimagentin Kathleen Conlon, die in den Schulen der Stadt tätig war, um Drogenhändlern auf die Spur zu kommen. Sie sagte: „Die Lehrer sind nur dort, weil sie das Geld dafür bekommen.“
Wenn dies auch nicht auf alle Lehrer zutrifft, so doch auf viele. Ist es aber so schwer, zu begreifen, weshalb? Schließlich steht fest, daß es nicht immer so war. Weshalb jetzt?
Ein Grund ist, daß sehr viele gute Lehrer aufgegeben haben. Sie konnten es nicht länger aushalten. Äußerungen wie die folgende hört man oft: „Bevor ich an den Problemen kaputtgehe, sehe ich mich lieber woanders nach Arbeit um.“ Die Nerven so manchen Lehrers sind durch das, was er im Klassenzimmer miterleben mußte, zerrüttet worden. Ich kenne einen Kollegen, der buchstäblich von der Schule in eine Nervenheilanstalt gebracht wurde.
Die übrigen Lehrer, die sich täglich einer solchen Beanspruchung ausgesetzt sehen, sind der Ansicht, daß sie dafür besser entschädigt werden sollten. Die Detektivin Kathleen Conlon deutete selbst an, in welcher Lage wir uns befinden, als sie sagte, daß in einer Schule in der Stadt die Hälfte der Schüler heroinsüchtig seien (New York Times, 22. Juni 1972). Nur wenige begreifen, was das heißt.
Ich möchte nur eine einzige persönliche Erfahrung erzählen: Eines Tages, als ich bei verschlossener Tür Unterricht erteilte, drohte mir eine Bande Jugendlicher vom Flur aus hinter der Scheibe mit einem Messer. Ich ignorierte sie und versuchte, den Unterricht fortzusetzen. Ein Mädchen, das für sein flegelhaftes Benehmen bekannt war und nur selten zum Unterricht erschien, erhob sich betont langsam und öffnete die hintere Tür. Im selben Augenblick lief ich aus der vorderen Tür zum Büro des Schulleiters, zwei Türen weiter. Ich konnte die Tür gerade noch fest zumachen, unmittelbar bevor die Jugendlichen mich eingeholt hatten. Die meisten meiner Kollegen geben lachend zu, daß sie sich von einem freien Tag zum anderen retten. Viele meinen, sie könnten ohne Sommerferien nicht überleben. So kommt es, daß viele Lehrer vollständig zermürbt sind und es nur noch aushalten, weil sie ihr Gehalt bekommen. In vielen Schulen der Stadt haben sie es schwer, der Gruppe lernwilliger Schüler zu helfen, die allen Gefahren zum Trotz um eine Ausbildung bemüht ist. Das Ergebnis ist, daß der Unterricht im wesentlichen zu einer Art Babysitting geworden ist. Man versucht, die Ordnung im Klassenzimmer wenigstens einigermaßen aufrechtzuerhalten, bis der Schultag vorbei ist.
„Die armen Kinder!“ mag man sagen. Es ist wirklich wahr. Ich empfinde tiefes Mitleid, wenn ich an die vielen hübschen jungen Gesichter denke, die ich täglich zu sehen bekomme, manche sind traurig, einige voller Qualen und wieder andere voller Erwartungen und Hoffnungen. Mit Schmerzen frage ich mich oft: „Was tun solche Schulen unseren Kindern an?“ Ich weiß, daß es anderen ebenso geht wie mir.
Vor kurzem las ich, daß Lehrer in San Francisco einer Mutter freiheraus empfahlen, ihre Tochter von der Schule zu nehmen, da die Schule zu sehr verwahrlost sei. Die Mutter schrieb: „Man könnte nicht verzweifelter sein. Die Lehrer haben es schon aufgegeben.“ Leider trifft das nur zu oft zu. Kann man die Schuld aber den Lehrern zuschieben, wenn man sieht, was für Zustände in vielen Schulen in den Großstädten herrschen?
„Woran soll es aber dann liegen?“ mag man einwenden. „Wer soll denn für diese Zustände, die viele Schulen an den Rand des Zusammenbruchs zu treiben drohen, verantwortlich sein?“
Ein Spiegelbild der Gesellschaft
Man möchte meinen, das Rassenproblem sei einer der Hauptgründe. Man hört heute ständig, daß Schulen wegen dieses Problems geschlossen werden, sogar auch in kleineren Städten. Sind aber die Kinder dafür verantwortlich? Oder sind es nicht vielmehr die Erwachsenen, die rassische Vorurteile und die sich daraus ergebenden Konflikte schüren? Die Probleme greifen dann auf die Schulen über und führen oft dazu, daß diese funktionsunfähig werden.
Viele Eltern werden einwenden, sie hätten keine Vorurteile, fürchteten sich aber einfach, ihre Kinder in bestimmte Schulen gehen zu lassen, weil es zu gefährlich sei. Das ist oft der Grund, weshalb viele Eltern, sowohl weiße wie schwarze, dagegen sind, daß ihre Kinder mit Bussen in andere Stadtviertel gefahren werden, um so die Rassentrennung aufzuheben. Ihre Besorgnis kann ich verstehen. Es ist oft einfach zu gefährlich, weiße Kinder in schwarze Viertel zu schicken oder schwarze Kinder in Schulen, die überwiegend weiße Kinder besuchen. Was ist die Ursache dieses Problems? Sind es die Schulen?
Nein, die ganze Gesellschaft trägt die Schuld. Die Schulen spiegeln nur die Probleme wider, die es dort bereits gibt. Auch die meisten anderen Probleme in den Schulen lassen sich auf Probleme in der Gemeinde und in den Familien zurückführen. Dazu zählen mangelnde Achtung vor Autorität, schwache Leistungen, Vandalismus, Rauschgift, Kriminalität, Gewalttaten und Unsittlichkeit. Man darf deshalb nicht erwarten, daß diese Probleme plötzlich verschwinden, sobald ein Kind in die Schule geht. Die Kräfte, die die Jugendlichen dazu verleiten, Rauschgift zu nehmen, Fensterscheiben einzuwerfen, Brände zu legen, Lehrer anzugreifen usw., haben ihren Ursprung nicht in der Schule!
Auch die Schulen sind schuld
Ich möchte nicht, daß man mich falsch versteht. Ich will nicht behaupten, die Schulen oder die Lehrer hätten überhaupt keine Schuld. Sie tragen auch einen Teil der Schuld, doch das ist nicht anders zu erwarten, da Lehrer, Schulleiter und Schulbehörden selbst das Produkt einer Gesellschaft sind, die voller Vorurteile, Dummheit und Selbstsucht ist.
So kommt es, daß manche Schulleiter unehrlich sind, indem sie Probleme beschönigen oder sogar vertuschen — was ich anfangs schon erwähnte —, weil es ihnen mehr darum geht, ihr Prestige zu wahren oder ihren Arbeitsplatz zu behalten, als für das geistige Wohl der Kinder zu sorgen. Viele Lehrer denken und handeln ähnlich. Doch das Schulsystem selbst ist zu einem großen Teil dafür verantwortlich.
Es stellt oft zu hohe Anforderungen an den Lehrer. Manchmal wird von ihm gefordert, mehr als zweimal so viele Schüler zu unterrichten, als man normalerweise verkraften kann. Der Lehrer reagiert dann darauf, indem er sich das Leben einfach macht, und die Kinder haben darunter zu leiden.
Es gibt auch nicht genügend Schulgebäude. In einer Untersuchung wurde festgestellt, daß in New York 200 000 Schüler in überfüllte Schulen gehen müssen; 40 000 sind in Behelfsräumen untergebracht. Es treibt mich zur Verzweiflung, zu sehen, daß man genügend Geld hat, um zum Mond zu fliegen und Vernichtungswaffen zu produzieren, doch keines für die Erziehung der Jugend!
Darüber hinaus sind die Lehrpläne oft schlecht aufgebaut und kaum durchdacht. Besondere Aufmerksamkeit erregte die sogenannte „neue Mathematik“. Die Lehrer haben oft zuerst selbst nicht verstanden, wie sie sie richtig lehren sollten. Und die Eltern wissen nicht, wie sie ihren Kindern bei den Aufgaben helfen sollen. Ähnlich schwierig ist es mit dem Leseunterricht. Es kann vorkommen, daß die Lehrer einer Volksschule mit mehreren verschiedenen Lehrmethoden experimentieren, wodurch die Kinder vollständig durcheinandergebracht werden, wenn sie von einer Klasse in die andere versetzt werden. Viele lernen gar nicht richtig lesen.
Man versteht, daß Decker F. Walker, außerordentlicher Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Stanford, klagt: „Die Bildungspolitik wird heute von allen Seiten heftig angegriffen. Die herrschende Lehrmeinung ändert sich laufend. Die Schulen bleiben nur durch ihre eigene Trägheit vom völligen Zusammenbruch verschont.“
Doch meines Erachtens gibt es eine noch tiefer liegende Ursache für die entsetzlichen Zustände in den Schulen der Großstädte.
Die Wirkung des Vorbildes
Ich bin davon überzeugt, daß besonders das schlechte Verhalten der Erwachsenen die Schuld am schlechten Verhalten der Jugendlichen trägt. Wenn Lehrerinnen ohne Büstenhalter und mit durchsichtigen Blusen in die Schule kommen, sehen Schülerinnen sicher keinen Anlaß, sich weniger auffällig zu kleiden. Als die Miniröcke Mode waren, trugen einige Lehrerinnen die kürzesten von allen. Derartige Vorbilder tragen bestimmt zu den sittlichen Problemen an unseren Schulen bei.
Erwachsene waren es auch, die den Film „Lovemaking“, in dem mehrere Arten des oralen (homosexuellen) Verkehrs gezeigt wurden, empfahlen und an den Schulen vorführten. Aufgrund von Beschwerden begann man eine Untersuchung, doch sie wurde bald eingestellt, denn, so sagte der Bezirksstaatsanwalt Mario Merola, „es ist legal, in einer Schule [Filme zu zeigen], für deren Vorführung vor jugendlichem Publikum in einem öffentlichen Kino man eingesperrt werden würde“. Wenn die Erwachsenen derartig unmoralisch sind und die Unsittlichkeit sogar noch auf solche Weise fördern, überrascht es dann, daß die Kinder ebenso sind?
Die Erwachsenen geben aber nicht nur auf dem Gebiet der Sexualität ein schlechtes Vorbild in moralischen Dingen. Die Titelseite der New York Times vom 31. Oktober 1974 trug die Überschrift „SCHULBEHÖRDE DER VERDUNKELUNG ANGEKLAGT“. In dem Artikel konnte man von „hemmungsloser Veruntreuung von Geldern“ und „weitverbreiteter Korruption“ lesen. Verwundert es da, daß die Kinder in den Schulen in offenerer Weise Schaden anrichten?
Lehrer und Schulbehörden sind aber nicht die einzigen, die in sittlicher Hinsicht ein schlechtes Beispiel gegeben haben. Dasselbe trifft auch auf viele Beamte in hohen Regierungsstellen zu. Harriet Van Horne hat dies, so meine ich, in ihrem Leitartikel in der New York Post sehr deutlich zum Ausdruck gebracht. Sie schrieb: „Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ein Lehrer in unserer Zeit des bissigen Spottes es überhaupt anfangen soll, Moralbegriffe zu lehren. ... ,Guckt euch doch an, was sie in Washington machen!‘ werden selbst die Kleinsten rufen. Sie wissen ..., daß die schmutzigsten Betrügereien der Geschichte unter dem Dach jenes großen weißen Hauses vorgekommen sind“ (17. Juni 1974).
In Wirklichkeit wird es als Überschreitung unserer Kompetenz angesehen, wenn wir an der Schule sittliche Wertvorstellungen lehren. Im Gegensatz zu früher kümmern sich Lehrer heute nicht mehr um die Heranbildung innerlich gefestigter Menschen.
Ich hoffe, daß bis hierher deutlich geworden ist, warum an den Schulen der Großstädte so schlechte Zustände herrschen und warum viele Schulen kurz vor dem Zusammenbruch stehen.
Was man tun kann
Die Pädagogen versuchen mit aller Macht, etwas zur Lösung der Probleme zu unternehmen, doch herrscht unter ihnen wenig Einmütigkeit darüber, was getan werden soll. Die meisten Lehrer harren einfach inmitten einer ständig hoffnungsloser werdenden Situation aus.
Ich weiß, viele Eltern meinen, daß Lehrer in der Lage sein sollten, ihre Schüler zu erziehen, da sie ja schließlich dafür bezahlt würden. Wie gut ein Kind erzogen wird, hängt aber, so überraschend es sich anhören mag, mehr von den Eltern als von den Lehrern oder der Schule ab. Die Praxis zeigt, daß es so ist.
Ich habe beobachtet, daß Kinder von Eltern, die ihnen den Wunsch zu lernen einflößen und ihnen beibringen, still zu sitzen und aufzupassen, viel besser lernen als Kinder, denen dies nicht beigebracht wird. „Es kommt ganz auf die Familie an“, so faßte ein Harvardprofessor die umfangreichen Ergebnisse eines Erziehungsgutachtens zusammen. In unserer Zeit, in der viele Schulen in den Großstädten vor dem Zusammenbruch stehen, trifft dies besonders zu.
Wenn Eltern daher wollen, daß ihre Kinder im Lernen gute Fortschritte machen, müssen sie selbst ein starkes Interesse an deren Erziehung und Bildung haben. Dazu gehört mehr, als nur dafür zu sorgen, daß die Kinder sicher zur Schule und wieder zurück gelangen. Sie müssen sich auch für den Fortschritt, den ihre Kinder in der Schule machen, wirklich interessieren. Ich habe festgestellt, daß Kinder, deren Eltern nicht reagieren, wenn der Lehrer sie darum bittet, zu ihm in die Sprechstunde zu kommen, fast stets die ungezogensten und schlechtesten Schüler der Klasse sind.
Eltern haben viele Möglichkeiten, ihren Kindern zu helfen. Die erste Möglichkeit wäre, ihnen vorzulesen, wenn sie noch sehr klein sind. Wenn die Kinder dann etwas älter sind, können sie die Wörter zusammen mit dem Vater oder der Mutter aussprechen. Die Fähigkeit zu lesen ist sehr wichtig für das Lernen, und viele Vier- und Fünfjährige haben auf diese Weise lesen gelernt.
Während die Kinder älter werden, sollte man zu Hause eine Atmosphäre der Achtung vor dem Wissen schaffen, in der das Lernen einen wichtigen Platz einnimmt. Wenn man Kindern beisteht, Lexika, Wörterbücher und besonders die Bibel und Bibelstudienhilfsmittel gebrauchen und schätzenzulernen, werden sie meistens gute Schüler.
Ich weiß, daß dies hohe Anforderungen an die Eltern stellt. Es ist nicht einfach, anderen etwas beizubringen. Wer aber seine Kinder wirklich liebt, wird alles tun, was er kann, um ihnen das Lernen leichtzumachen. Angesichts der Lage an den heutigen Schulen ist dies wichtiger als je zuvor. (Eingesandt.)