Sollte der gottesfürchtige Mensch vegetarisch leben?
„VEGETARISMUS: IMMER MEHR LEUTE, BESONDERS JUNGE, LEBEN VEGETARISCH“. So lautete eine Balkenüberschrift der New York Times vom 21. März 1975. In dem Artikel wurde berichtet, daß heutzutage einflußreiche Personen auf der Seite der Vegetarier stehen, zum Beispiel Dr. Jean Mayer, Professor für Ernährungswissenschaft an der Harvarduniversität. Ferner wurde in diesem Aufsatz erwähnt, daß ein Teil der Vegetarier „religiösen Gruppen angehört wie den Adventisten vom Siebenten Tag und Hare Krishna, die den Fleischgenuß ablehnen“.
Manch einer mag sich deshalb fragen: Sollte der gottesfürchtige Mensch vegetarisch leben? Wenn ja, für welche Richtung des Vegetarismus sollte er sich entscheiden? Daß es unter den Vegetariern verschiedene Richtungen gibt, zeigte sich besonders auf dem internationalen Vegetarierkongreß, der im August letzten Jahres in Orono (Maine, USA) stattfand. Unter den Anwesenden befanden sich „Rohköstler ..., die ausschließlich Früchte essen; Laktovegetarier, die sich außer von pflanzlicher Kost auch von Eiern, Milch und Milcherzeugnissen ernähren; Vegetarier ..., die überhaupt keine tierischen Produkte essen oder zur Kleidung verwenden; Vegetarier, die kein Kochsalz, keinen Zucker, kein Weißmehl und keine Gewürze verwenden und bei einer Mahlzeit niemals Früchte und Gemüse zusammen essen; die Dschainvegetarier aus Indien, die nichts essen, was im Erdreich wächst — zum Beispiel Kartoffeln und Möhren —“, sowie andere (New York Times vom 22. August 1975). In dem Bericht hieß es noch, daß „die Vegetarier sich gelegentlich — allerdings in gutartiger Weise — darüber ereiferten, welches das beste Ernährungssystem sei“.
Obschon es im Vegetarismus viele verschiedene Richtungen gibt, ist er, wie Dr. Jean Mayer sagte, eine Idee, zu deren Gunsten dreierlei Gründe sprechen: ökonomische bzw. wirtschaftliche, gesundheitliche und ethische Gründe. Dr. Mayer hätte noch religiöse Gründe hinzufügen können.
Der ökonomische Faktor
Der ökonomische Grund, der zwei Aspekte hat, darf nicht ohne weiteres in den Wind geschlagen werden. Ein Aspekt sind die Kosten. Die vegetarische Lebensweise ist nicht so teuer wie eine Kost, die Fleisch einschließt; und je mehr Fleisch gegessen wird, desto teurer wird es. Das kann als stichhaltiges Argument zugunsten einer vegetarischen Ernährung angesehen werden, denn wir leben ja nicht, um zu essen, sondern wir essen, um zu leben. Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß die vegetarische Lebensweise nicht überall praktisch ist. So müßten die Menschen, die in der Arktis leben, auswandern und sich in gemäßigten Gebieten ansiedeln, wollten sie Vegetarier werden. Eine weitere Erwägung wäre der Genuß, den einem das Fleischessen bereiten kann.
Der zweite Aspekt des ökonomischen Faktors ist noch gewichtiger als der erste. Er hängt mit der Nahrungserzeugung selbst zusammen. So wird berichtet, daß die Jahresernte von einem ganzen Hektar Land notwendig ist, um 225 Kilogramm Fleisch zu erzeugen. Dieses Land könnte aber das Zehnfache an Getreide und das Hundertfache an Kartoffeln hervorbringen. Doch diese Situation hängt mit der gegenwärtigen Ordnung zusammen. Wohl könnten sich alle Menschen satt essen, wenn die ganze Weltbevölkerung vegetarisch leben würde. Wieviel Gutes könnten indessen Anbeter des wahren Gottes, die doch nur einen kleinen Bruchteil der Weltbevölkerung ausmachen, dadurch erreichen, daß sie fleischlos lebten? Solange die Welt von selbstsüchtigen Menschen regiert wird, die unter der Leitung und dem Einfluß Satans, des Teufels, des Gottes dieser Welt, stehen, ist die Wahrscheinlichkeit gering, daß die Nahrungsmittel gleichmäßig verteilt werden (2. Kor. 4:4).
Der gesundheitliche Faktor
Viele sind aus gesundheitlichen Gründen Vegetarier geworden. Dr. Mayer schrieb in einem Artikel, der in der Zeitung New York Daily News (14. Mai 1975) erschien, daß sein vorhergehender Artikel über die wachsende Popularität des Vegetarismus ein starkes Echo gefunden habe, und er versicherte seinen Lesern, daß die „vegetarische Kost dem Körper sehr zuträglich“ sei. Die Ärzte sind sich im allgemeinen darin einig, daß besonders die Argentinier, Amerikaner und Kanadier zuviel Fleisch essen. Es ist jedoch umstritten, ob es jedem bessergehen würde, wenn er fleischlos lebte. Außerdem fragt es sich, ob es praktisch wäre, wenn man bedenkt, wie sich der größte Teil der Bevölkerung ernährt. Dr. Mayer wies darauf hin, daß die vegetarische Lebensweise vielen geholfen hat abzunehmen. Sie mögen nun mehr Kohlehydrate zu sich nehmen, essen aber dafür weniger Fett. (Der Kaloriengehalt des Fetts ist doppelt so hoch wie der der Kohlehydrate.)
Einer streng vegetarischen Kost fehlt es jedoch häufig an Vitamin B12. Dieses Vitamin ist „wichtig, um die bösartige Blutarmut (Anaemia perniciosa) zu verhindern, die schließlich zu einer Degeneration bestimmter Gehirnteile und der Wirbelsäule führt“. „Eine vegetarische Kost kann auch arm an Vitamin D sein ... Ferner kann in einer solchen Kost das Eisen fehlen, weil Fleisch — besonders Leber, Muscheln, Schnecken usw. — der beste Eisenlieferant ist.“ Dr. Jean Mayer erklärte abschließend: „Je strenger die Kostform, desto größer die Wahrscheinlichkeit, daß sie einseitig ist und daß ihr der eine oder andere Nährstoff fehlt. Diese Regel trifft sowohl auf die vegetarische Ernährung als auch auf verschiedene Arten von ausgefallener Schlankheitskost zu.“
Die ethischen und religiösen Faktoren
Nach der Auffassung vieler Vegetarier wiegt der ethische Faktor — die Überzeugung, daß der Mensch kein Recht habe, ein Tier zu töten — am schwersten. Solche Vegetarier stellen Autoaufkleber her mit der Aufschrift „Liebt die Tiere — eßt sie nicht“ sowie Ansteckknöpfe mit der Aufschrift „Seid freundlich gegen die Tiere — eßt sie nicht“ und verteilen sie. Um ihren Standpunkt zu stützen, weisen sie nicht nur auf Männer wie Buddha, Plato, Sokrates, Pythagoras, Ovid, Voltaire, Shaw und Schweitzer hin, sondern auch auf berühmte Männer von hohem militärischem Rang wie auf den britischen Feldmarschall Montgomery und den General der Luftwaffe Lord Dowding (RAF, „Battle of Britain“).
Der ethische Faktor, der gegen das Essen von Fleisch ins Feld geführt wird, wiegt zweifellos am schwersten. Ist er aber wirklich stichhaltig? Oder beruht er auf Sentimentalität? Vor allem aber ist die Frage wichtig: Wird dieser Standpunkt in Gottes Wort, der Bibel, gestützt?
Offenbar gelten auch in dieser Hinsicht die unter dem Einfluß des Geistes Gottes niedergeschriebenen weisen Worte, die in Jeremia 10:23 und 8:9 zu finden sind: „Ich weiß wohl, o Jehova, daß nicht beim Erdenmenschen sein Weg steht. Es steht nicht bei dem Manne, der da wandelt, auch nur seinen Schritt zu richten.“ „Die Weisen [dieser Welt] ... haben sogar das Wort Jehovas verworfen, und welche Weisheit haben sie?“ Gottes Wort vermittelt uns eine vernünftige Ansicht über dieses Thema, denn es enthält göttliche Weisheit. Was erfahren wir also, wenn wir uns dieser Quelle zuwenden?
Als erstes sei erwähnt, daß darin gesagt wird, daß das Menschenleben heilig ist und daß jeder Mensch, der absichtlich einen anderen Menschen umbringt, dadurch sein eigenes Leben verwirkt. Als Gott nach der Sintflut Noah und seiner Familie — den damaligen Vertretern der Menschheit — dieses Gebot gab, erlaubte er ihnen gleichzeitig den Fleischgenuß (1. Mose 9:3-5). In anderen Worten: Sozusagen in einem Atemzug verbot er streng das Töten eines Menschen und setzte dafür die Todesstrafe fest, erlaubte aber das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken.
Diese Unterscheidung zwischen Mensch und Tier finden wir überall in der Heiligen Schrift. Schon von frühester Zeit an wurden Tiere mit Gottes Billigung geopfert (1. Mose 4:2-5; 8:20, 21). Bei den vielen Opfern, die das mosaische Gesetz forderte, mußten nicht wenige Tiere ihr Leben lassen. Verlangte Gott außerdem nicht, daß die Israeliten wenigstens einmal im Jahr, bei der Passahfeier, Fleisch aßen, das Fleisch von einem Lamm oder Zicklein? Und mußten sie nicht jedesmal, wenn sie ein Gemeinschafts-Schlachtopfer darbrachten, Fleisch essen? Besonders die Priester waren Fleischesser, denn sie erhielten etwas von jedem Gemeinschafts-Schlachtopfer, ja sogar von Gott wird gesagt, daß er in symbolischem Sinn Fleisch aß, denn das, was auf dem Altar verbrannt wurde, galt als sein Anteil (2. Mose 12:3-9; 34:25; 3. Mose 7:11-15).
Damit in Übereinstimmung ist auch das Beispiel, das Jesus Christus, der Sohn Gottes, gab. Daß er die Menschheit liebte und mit ihr fühlte, steht außer jedem Zweifel (Phil. 2:5-8). Er offenbarte uns den Willen Gottes und diente uns gleichzeitig als Vorbild (1. Petr. 2:21). War er gegen den Fleischgenuß? Nein, als gläubiger Jude aß er mindestens an jedem Passahfest Fleisch. Außerdem machte er sich kein Gewissen daraus, Fische zu fangen und zu essen, denn bei zwei Gelegenheiten verhalf er seinen Jüngern dazu, ein großes Netz voll Fische zu fangen. Außerdem veranlaßte er bei mindestens zwei Gelegenheiten, daß sich einige wenige Fische auf übernatürliche Weise vermehrten, so daß Tausende von Männern, Frauen und Kindern damit gespeist werden konnten (Mark. 8:18-20; Luk. 5:4-6; Joh. 21:6-11).
Auch unter den ersten Christen kam die Frage des Fleischgenusses auf, aber nicht weil einige glaubten, der Mensch habe kein Recht, Tiere zu töten. Den Juden war das Essen bestimmter Fleischsorten verboten. Es wurde daher notwendig, den Judenchristen klarzumachen, daß diese Bestimmungen zum Gesetz Mose gehörten und daß dieses für sie keine Gültigkeit mehr besaß (Apg. 15:19, 20). Auch bestand das Problem des Essens von Fleisch, das Götzen geopfert worden war. Der Apostel Paulus zeigte deutlich, daß gottesfürchtige Personen nicht danach beurteilt werden durften, ob sie Fleisch aßen oder nicht: „Der eine hat den Glauben, alles essen zu können, der Schwache aber ißt vegetarische Kost. Der Essende blicke nicht auf den Nichtessenden herab, und der Nichtessende richte den nicht, der ißt.“ Es gilt zu beachten, daß dieser biblische Rat und auch die erwähnten Beispiele die Ansicht der Personen, die aus religiösen Gründen kein Fleisch essen, einwandfrei widerlegen (Röm. 14:2, 3).
Die bisherigen Darlegungen zeigen deutlich, daß der Mensch nicht gegen den Willen Gottes verstößt, wenn er Tiere tötet, um seine Bedürfnisse zu stillen. Gottes Wort spornt uns indessen an, tierliebend zu sein (Spr. 12:10). Aber es fordert keine Tierliebe, die das Tier dem Menschen gleichsetzt. Als Adam und Eva noch im Garten Eden waren, sorgte Gott anscheinend dafür, daß Tiere getötet wurden, um die beiden Menschen mit Gewändern aus Fell zu bekleiden (1. Mose 3:21-23). Sehr unlogisch denken offenbar Personen, die sich energisch gegen das Töten von Tieren zu Nahrungszwecken einsetzen, gleichzeitig aber nichts gegen die blutigen Kriege einzuwenden haben, in denen durch Kanonen, Torpedos und Bomben Millionen Männer, Frauen und Kinder in unendliches Elend und in große Not gestürzt werden, viel Leid erdulden müssen oder gar ihr Leben verlieren.
Die Antwort auf die Frage „Sollte der gottesfürchtige Mensch vegetarisch leben?“ lautet somit: Es ist eine persönliche Angelegenheit, die jeder selbst entscheiden muß. Wenn jemand aus wirtschaftlichen oder aus gesundheitlichen Gründen die vegetarische Lebensweise für besser hält und sie praktisch findet, mag er ruhig vegetarisch leben. Aber der ethische Vegetarismus findet in der Bibel keine Stütze. Setzt sich der gottesfürchtige Mensch indessen für diesen Aspekt des Vegetarismus ein, hört er auf, die Dinge so zu betrachten, wie Gott sie sieht.
Heute geht es nicht darum, ob man Fleisch ißt oder nicht, sondern ob man den wahren Gott, Jehova, mit Geist und Wahrheit anbetet, das heißt, ob man ihn so anbetet, wie er es gemäß seinem Wort, der Heiligen Schrift, wünscht. Jesus Christus ging uns darin mit gutem Beispiel voran. Er diente den Menschen, indem er sowohl ihre materiellen als auch ihre geistigen Bedürfnisse stillte, besonders jedoch die geistigen, denn er sagte: „Nicht von Brot allein soll der Mensch leben, sondern von jeder Äußerung, die durch den Mund Jehovas ausgeht.“ Alle, die den wahren Gott anbeten, sollten sich Jesus Christus zum Vorbild nehmen (Matth. 4:4; Joh. 4:24).