Wie kommt der Herbst zu diesen bezaubernden Farben?
DIE Indianer Nordamerikas versuchten die geheimnisvolle Schönheit der Herbstblätter zu erklären. Gemäß ihrer Sage wurde in jedem Herbst am Himmelszelt der Große Bär von Jägern getötet. Das Blut, das dabei floß, so sagten sie, färbte viele Blätter rot, während andere durch das Fett, das aus dem Kessel der Jäger spritzte, gelb wurden.
Wahrscheinlich trägt diese Erklärung wenig dazu bei, deine Neugierde über das Farbenspiel des Herbstes zu befriedigen. Was geht in diesen farbenprächtigen Blättern in Wirklichkeit vor sich? Wieso werden einige rot, andere gelb, orange oder purpurn und wiederum andere lediglich braun? Wie kommt es, daß die Blätter des gleichen Baumes die unterschiedlichsten Farben annehmen? Wieso ist dieses imposante herbstliche Schauspiel nur einigen Gebieten der Erde vorbehalten?
Vielleicht überrascht es dich, zu erfahren, daß ein Großteil der Farbe bereits den ganzen Sommer über in den Blättern vorhanden ist. Wir können sie lediglich nicht sehen. Die überreichliche Fülle grünen Chlorophylls, das sich während des Sommers in den Blättern befindet, überdeckt die anderen Farben. Im Herbst dagegen geht in Bäumen mit breitflächigen Blättern mit dem Chlorophyll etwas ganz Bestimmtes vor sich. Das zu verstehen ist wesentlich, damit man weiß, warum die Blätter in der ihnen eigenen Weise die Farbe verändern.
Im Gegensatz zu den immergrünen Bäumen verlieren die Laubbäume jedes Jahr ihre Blätter. Die jährliche prachtvolle Entfaltung der Herbstfärbung ist lediglich eine Auswirkung der physikalischen und chemischen Veränderungen, die sich während dieses Vorgangs abspielen. Die Farben verraten dem Betrachter, daß die Blätter allmählich isoliert werden. Wieso das?
Das Chlorophyll der Blätter stellt während des ganzen Sommers mit Hilfe des Sonnenlichts in einer noch wenig verstandenen chemischen Reaktion aus Wasser und dem Kohlendioxyd der Luft Nahrungsmittel (Zucker) her. Um das bewerkstelligen zu können, erhalten die Blätter Wasser aus dem Erdboden, und ein Großteil davon verdampft in die Atmosphäre.
Nun steht aber während des Winters wenig Wasser zur Verfügung. Oft ist es im Boden gefroren. Daher muß dafür gesorgt werden, daß nichts von dem unentbehrlichen Wasser durch die Blätter verlorengeht. Der Baumstamm und die Äste müssen vor der winterlichen Kälte geschützt werden. Es ist zum Vorteil des Baumes, daß die Blätter fallen. Während also das Sonnenlicht in der Zeit vor dem Winter abnimmt, beginnen die Bäume mit breitflächigen Blättern, ihren „Nahrungsmittel erzeugenden Betrieb“ zu schließen.
Eine Isolierung, die etwas verrät
Wenn die Tage kürzer werden, beginnt sich zwischen dem Blattstiel und dem Zweig, an dem er sitzt, eine besondere Zellschicht zu bilden. Diese korkartige Abscheidung riegelt allmählich die Wasserzufuhr von unten her ab und verhindert, daß von den Blättern Zucker in den Baum transportiert wird. Ist die Isolierung abgeschlossen, braucht der Wind das Blatt nur etwas zu bewegen, und schon fällt es zufolge seines Eigengewichts zu Boden. Allerdings spielen sich in der Zwischenzeit bemerkenswerte Vorgänge ab.
Da dieses emsig tätige chemische Laboratorium seine reichhaltige Wasserversorgung und das Sonnenlicht des Sommers verliert, ist es seiner Rohstoffe beraubt. Deswegen beginnt sich das unbeständige Chlorophyll in den Blättern abzubauen und aufzulösen, wobei die bereits vorhandenen vielfältigen Farbstoffe sichtbar werden. Hauptbeteiligte sind die Karotinoide, Farbstoffe, die von einem blassen Gelb (Xanthophyll) bis zur Farbe der Karotte (Karotin) reichen. Die Karotinoide sind weit beständiger als Chlorophyll und bleiben daher in den Blättern der Pappeln, Birken, Espen und anderer Bäume zurück, wodurch sie die Landschaft mit goldfarbenen Schattierungen bereichern.
Wie steht es jedoch mit den lebhaften Rot-, Purpur- und sogar Blautönen, die das herbstliche Schauspiel in einigen Teilen der Welt so imposant erscheinen lassen? Dafür sind die Anthocyane verantwortlich. Sie verleihen auch den Äpfeln ihre rote Färbung, dem Kohl den Purpur, dem Veilchen das Blau usw. In einigen Bäumen sind derart viele Anthocyane vorhanden, wie zum Beispiel im Japanahorn (rot) und in einem bestimmten Pflaumenbaum, daß man sie den ganzen Sommer über sieht. In den meisten Pflanzen dagegen bildet sich dieser Farbstoff nur im Herbst.
Die Anthocyane reagieren auf Außeneinflüsse wesentlich empfindlicher als andere Blattfarbstoffe. Sind die Blattsäfte säurehaltig, erscheinen sie rot, im neutralen Zustand violett; sind sie alkalisch, erscheinen sie blau. Auf diese Weise sorgt jede Schwankung in der chemischen Zusammensetzung der Anthocyane oder des Säuregehalts im Blatt für eine große Farbenpalette.
Da diese Farbstoffe aus Zucker gebildet werden und helle, sonnige Tage die Zuckerproduktion steigern, können Schwankungen des Herbstwetters ebenfalls Unterschiede in der Blattfärbung hervorrufen. Wenn auf strahlende Tage kühle, frische Nächte folgen, wird nachts durch die Kälte der Transport des Zuckers aus den Blättern in den Baum verlangsamt. Es bilden sich Zuckerkonzentrationen, die die Farbenerzeugung anregen. Ist es dagegen im Herbst bewölkt oder sind die Nächte warm, dann wird der Farbenreichtum unterdrückt.
Bei einigen Pflanzen ist die Produktion von Anthocyanen derart lichtabhängig, daß der Schatten, den ein Blatt auf einem tiefer gelegenen Blatt abbildet, grün oder gelb wird, während die übrige Fläche, die von der Sonne beschienen wird, rot erscheint. Das erklärt auch, warum die Teile eines Baumes, die der Sonnenbestrahlung mehr ausgesetzt sind, eine auffallendere Farbentfaltung zeigen, während andere Teile des gleichen Baumes eine geringere Rotfärbung aufweisen.
Schließlich sind da noch die Brauntöne, die vielfach zusammen mit Gelbtönen die schönen Goldgelbfärbungen und Goldbraunfärbungen ergeben, die das herbstliche Schauspiel noch zusätzlich bereichern. Die Brauntöne treten im allgemeinen in alternden Zellen auf. Der dabei ablaufende Vorgang ähnelt der Braunfärbung, die eintritt, wenn ein angeschnittener Apfel der Luft ausgesetzt wird. Bei der Buche und bei einigen Eichen handelt es sich dabei um ein kräftiges Braun, da die Blattzellen noch ziemlich funktionsfähig sind, obwohl sie in dem Maße altern, wie sich das Braun bildet.
Andererseits gibt es einige Blätter, die erst dann braun werden, wenn sie fast abgestorben sind oder bereits auf dem Boden liegen. Dieses Braun und einige Gelbtöne bilden in den meisten Teilen der Welt, in denen nur wenige Laubbäume wachsen, den einzigen Beitrag zur herbstlichen Blattfärbung. Wie kommt es, daß dieses brillante herbstliche Schauspiel mit seiner großen Farbenpracht nur in so wenigen Gebieten geboten wird?
Schauspiel für wenige
Nur begrenzte Gebiete der Erde weisen die Bedingungen auf, unter denen diese bezaubernden Schauspiele entstehen. Erstens müssen die laubtragenden Bäume in einer großen Anzahl und Vielfalt auftreten. Sie müssen die Erbanlagen haben, die die Produktion der entsprechenden Farbstoffe und damit des Farbenreichtums der Blätter veranlassen. Viele Arten stellen einfach keine Anthocyane her. Ein anderer wesentlicher Faktor ist das strahlende, frische Herbstwetter. In einigen wenigen Teilen der Welt werden diese Bedingungen erfüllt; sie befinden sich meist auf der nördlichen Halbkugel.
Auf den Britischen Inseln und im Westen Mitteleuropas gibt es große Laubwälder, ebenso im Osten Chinas, in Korea und teilweise in Japan. In diesen Wäldern entfaltet sich eine sehr schöne Herbstfärbung. Einige glauben jedoch, daß die interessantesten Farbschauspiele im Osten der Vereinigten Staaten und im Südosten Kanadas zu bewundern sind. Sowohl die größere Vielfalt von Baumarten, die rote Farben bilden können, als auch die idealen Herbstwetterbedingungen scheinen für wirklich atemberaubende Ergebnisse zu sorgen.
In einigen Staaten der USA ist das herbstliche Farbschauspiel schon zur Touristenattraktion geworden und lockt von überall her Leute an. Es werden Tagesberichte herausgegeben, die beschreiben, welchen Stand die Färbung in einzelnen Gebieten erreicht hat. Auf den einsamen Straßen sonst verträumter Landstriche bilden sich Verkehrsstauungen, und die Einheimischen bezeichnen diese Besucher vielfach als „Blatt-Spinner“ (leaf freaks).
Aber diese Bewunderer sind mit Recht über das erstaunt, was sie sehen. Nur ein unübertroffener Chemiker, nämlich der Schöpfer selbst, kann etwas, was eigentlich im Leben der Bäume eine Routineübung bildet, zu einer derartigen Pracht entfalten.