Die Glaubensfreiheit triumphiert
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Brasilien
WIE wäre dir zumute, wenn du mit deinen Glaubensbrüdern versammelt wärst und die Polizei plötzlich auftauchte mit dem Befehl, die Anbetungsstätte zu schließen? Genau das erlebten Jehovas Zeugen in Cachoeiras de Macacu und Japuíba im Staate Rio de Janeiro (Brasilien) am Sonntag, den 13. Juni 1976.
Was führte zu diesem Vorfall? Der Grund bestand darin, daß gewisse Zeugen von ihrem biblischen und gesetzlichen Recht Gebrauch gemacht hatten, eine Bluttransfusion für ihren verletzten Sohn abzulehnen.
Was war geschehen?
Am Freitag, den 11. Juni verletzte sich der 17jährige César de Souza Corrêa durch einen Schuß aus einem Jagdgewehr. Seine Eltern brachten ihn gegen 8 Uhr morgens zur ärztlichen Behandlung in das Krankenhaus in Cachoeiras de Macacu.
Die Krankenschwestern und der diensthabende Arzt stellten fest, daß der Junge durch innere Blutungen sehr viel Blut verloren hatte. Césars Vater, Octávio Luiz Corrêa, bat einen Chirurgen — einen persönlichen Freund, den er hinzugezogen hatte —, alles zu tun, was er könnte, um seinen Sohn zu retten. Aus Gewissensgründen lehnte es der Vater jedoch ab, zur Verlängerung des Lebens seines Sohnes Bluttransfusionen vornehmen zu lassen, während er nichts gegen eine gewissenhafte ärztliche Behandlung einzuwenden hatte. Auch betrat er nicht den Operationssaal. Traurigerweise starb César während der Operation, obwohl ihm trotz der Einwände seines Vaters Blut verabreicht worden war.
Wie es in solchen Fällen häufig geschieht, regte sich die Öffentlichkeit auf, und es wurden Anklagen laut, die von Beschränktheit, Fanatismus und dergleichen sprachen. Richter Celso F. Panza fällte daraufhin — möglicherweise von der öffentlichen Meinung und seiner hohen Achtung vor dem menschlichen Leben beeinflußt, das in seinen Augen mißachtet worden war — ein Urteil (Erlaß Nr. 5/76), aufgrund dessen er zwei Königreichssäle der Zeugen Jehovas schließen ließ und das Königreichspredigtwerk im Stadtgebiet verbot.
Schon bald wurde in der Presse darauf hingewiesen, daß das Vorgehen des Richters der Verfassung widersprach. Dr. Benjamim de Moraes, Professor für Strafrecht an der Bundesuniversität in Rio de Janeiro, erklärte beispielsweise in einer Mitteilung an die Zeitung O Globo, der Richter sei „vom Standpunkt der Verfassung aus zu weit gegangen“. Nachdem er Artikel 153 der brasilianischen Verfassung zitiert hatte, in der die Gewissensfreiheit garantiert wird, versicherte der Professor: „Dieses richterliche Vorgehen wird in einer höheren Instanz ganz sicher umgestoßen werden.“
Dr. José H. Dutra, Kriminologe und Professor für Strafrecht, erklärte: „Indem Richter [Celso] Felício Panza seine Befugnis überschritt ..., schob er allem Anschein nach die beiden anderen Gewalten, die Legislative und die Exekutive, beiseite und widersprach der vor langer Zeit von Montesquieu definierten Position. ... Offensichtlich sollte man eine gerichtliche Verfügung erlassen, da Jehovas Zeugen eindeutig und absolut auf dem Boden ihrer Rechte stehen.“
Neben anderen Rechtsanwälten brachte auch Dr. Themístocles Cavalcanti seine Überzeugung zum Ausdruck, daß die Frage, wenn man sie einem höheren Gericht unterbreite, zugunsten der Zeugen Jehovas entschieden werde (O Globo, 15. und 21. Juni 1976). Und das geschah auch — zur Freude aller, die Freiheit und Gerechtigkeit lieben.
Die Glaubensfreiheit triumphiert
Jehovas Zeugen machten von ihrem Recht Gebrauch, ‘die gute Botschaft zu verteidigen und gesetzlich zu befestigen’ (Phil. 1:7). Durch L. Lehký, einen Aufseher am Ort, beantragten sie eine gerichtliche Verfügung (Nr. 188/76). Der Antrag wurde von vier Rechtsanwälten unterzeichnet.
In seiner beachtenswerten Zusammenfassung erklärte Rechtsanwalt Dr. Antônio Augusto de Vasconcelos Neto: „Das Urteil [mit dem die Schließung der Königreichssäle angeordnet wurde] ging über die Grenzen der dem Richter erteilten Befugnis, nämlich besondere Fälle im Interesse von Jugendlichen zu behandeln, hinaus. Ich kenne kein Gesetz, das den Richter ermächtigte, der Polizei gerichtlich zu befehlen, alle Säle zu schließen, in denen eine religiöse Sekte tätig ist, deren Aktivitäten von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß genehmigt worden sind. ... Der Befehl, alle Versammlungsstätten der Zeugen Jehovas zu schließen, verletzt den in der Verfassung verankerten Grundsatz der Religionsfreiheit und die Zuständigkeitsgrenzen des Richters.“
Bemerkenswert war auch das Dokument Nr. 274/76, weil es eindeutig die Religionsfreiheit verteidigte. Es wurde von Dr. José Antonio Marques im Auftrag der Justizverwaltung im Justizministerium herausgegeben und lautete:
„Erstens — wie es der erlauchte Leiter des Amtes des Trägers dieses Portefeuilles in seinem Schreiben andeutet — besteht die Kirche, die für ungesetzlich erklärt werden soll, auf der ganzen Erde und in ganz Brasilien.
Zweitens ist zu beachten, daß die Schließung der Kirchen nicht die Beseitigung dieses Glaubens, das Ende der von Jehovas Zeugen beobachteten religiösen Regeln, bedeutet. Der christliche Glaube wurde selbst in den römischen Katakomben praktiziert, und je mehr seine Anhänger verfolgt wurden, desto mehr breitete er sich in der ganzen Welt aus.
Vom Standpunkt der Verfassung ist das von Dr. Celso Felício Panza herausgegebene Dokument Nr. 5/76 unhaltbar, da es dem Artikel 153 § 5 der Bundesverfassung widerspricht.“
Das entscheidende Urteil wurde am Nachmittag des 26. Oktober 1976 gefällt. Die düstere Stimmung im Gerichtssaal der Ersten Zivilkammer des Gerichtshofs im Justizpalast in Rio de Janeiro gab zu ernsten Überlegungen Anlaß. Die Verhandlung begann etwa um 16 Uhr. Anwesend waren einige Vertreter der Zeugen Jehovas, darunter zwei Rechtsanwälte: H. S. Silva und O. do N. Paula.
Als der Gerichtsvorsitzende fragte, ob ein Rechtsanwalt anwesend sei, der Jehovas Zeugen vertrete, bat O. do N. Paula um Gehör und hielt eine kurze Verteidigungsrede, gestützt auf das Plädoyer des Verteidigers. Dann entschieden die Richter der Ehrwürdigen Ersten Zivilkammer einstimmig zugunsten der Berufung und erklärten das von Dr. Panza erlassene Urteil für nichtig, wobei sie gleichzeitig die Erlaubnis erteilten, die Königreichssäle wieder zu benutzen und das Predigen der Königreichsbotschaft im Stadtgebiet von Cachoeiras de Macacu fortzusetzen. Wieder einmal hatte die Glaubensfreiheit triumphiert. (Siehe Diário Oficial des Staates Rio de Janeiro, 11. November 1976, Teil III.)
Damit zusammenhängende wichtige Fragen
Zum Nutzen aufrichtiger Personen, die sich von solchen Vorfällen ein vernünftiges Bild machen möchten, führen wir hier einige wichtige Fragen an, die mit diesem Fall zusammenhängen.
F.: Wie sind Jehovas Zeugen zum Leben eingestellt?
A.: „Als der Quell des Lebens hat Jehova das Menschenleben für kostbar, heilig erklärt (1. Mose 9:5; Ps. 36:9). ... Wir selbst lieben das Leben und halten es jeden Tag heilig, indem wir uns bemühen, so zu handeln und einen solchen Umgang zu pflegen, daß wir die Anerkennung desjenigen verdienen, der den Menschen das Leben gegeben hat“ (Der Wachtturm, 15. Oktober 1975, S. 640).
Für Jehovas Zeugen ist der Tod kein Segen. Er ist ein „Feind“, der von Gott bald hinweggetan werden wird (1. Kor. 15:26, 54; Offb. 21:4).
F.: Von welchen Überlegungen ging Octávio Corrêa, ein Zeuge Jehovas, aus, als er eine Bluttransfusion für seinen Sohn ablehnte, wenn es doch dabei nicht um sein eigenes Leben, sondern um das eines anderen Menschen ging?
A.: Jeder Zeuge liebt seine Kinder. In dem vorliegenden Fall haben Octávio und seine Frau stets gut für ihre acht Kinder und für eine Adoptivtochter gesorgt. Als Octávio seine Entscheidung traf, zog er daher folgendes in Betracht: 1. seine elterliche Verantwortung vor Gott, die in der Bibel und durch die Gesetze dieses Landes festgelegt ist; 2. die Wünsche seines Sohnes als Person.
Dr. Jean Chazal, Ehrenpräsident der Internationalen Jugendrichtervereinigung, sagte: „Da das Kind eine Person ist, sollte es stets als ein Individuum und nicht als ein Objekt behandelt werden“ (Les droits de l’enfant, zitiert in Rights of Juveniles von A. Cavallieri, S. 20). Bestimmt trifft das auf den vorliegenden Fall eines Minderjährigen zu, der ein Zeuge Jehovas war. Ein Richter, der hohe Achtung vor der Person eines Minderjährigen hat, würde nie gegen den Willen und das Gewissen dieser Person eine Bluttransfusion erzwingen.
F.: Weshalb lehnte Octávio Corrêa die Bluttransfusion ab?
A.: Hauptsächlich deshalb, weil die Bibel die Verwendung von Blut zu Nahrungszwecken oder zur Verlängerung des Lebens verbietet. In der Großen Enzyklopädie Delta Larousse (portugiesisch) heißt es: „Blut ist lebendes Gewebe, das im Kreislaufsystem fließt und dessen Hauptfunktionen folgende sind: 1. die erforderlichen Nährstoffe und den nötigen Sauerstoff allen Geweben des Körpers zuzuführen, 2. die Abfallstoffe, die für die Zelltätigkeit nutzlos oder gefährlich sind, aufzunehmen und sie den Ausscheidungsorganen (den Nieren, der Lunge, der Haut usw.) zuzuführen“ (S. 6079). Durch das Blut wird der Körper somit ernährt und gereinigt.
Jehova Gott, der mehr über das Blut weiß als irgend jemand anders, hat den Blutgenuß verboten. In seinem Wort, der Bibel, ist zu lesen: „Nur eßt nicht Fleisch mit seinem Leben darin, das heißt das Blut“ (1. Mose 9:4, Bischöfliches Bibelinstitut, Rom, Paulinische Ausgaben, Brasilien).
Die Apostel Jesu Christi und die ersten christlichen Ältesten gehorchten diesem göttlichen Gebot. Unter der Leitung des heiligen Geistes Gottes verlangte man, daß sich Christen „enthalten von Fleisch, das Götzen dargebracht worden ist, Blut, erwürgtem Fleisch und ungesetzlichen Beziehungen“ (Apg. 15:20; 21:25, Jerusalemer Bibel, brasilianische Ausgabe).
F.: Beschnitt Octávio Corrêa durch die Ablehnung einer Bluttransfusion nicht die berufliche Freiheit des Chirurgen, die beste Behandlung für seinen Patienten zu wählen?
A.: Wie aus dem Kodex der ärztlichen Berufsethik Artikel 48 hervorgeht, ist es das Vorrecht des Arztes, die Behandlung für seinen Patienten zu wählen. Doch in Artikel 31 wird darauf hingewiesen, daß der Arzt die Pflicht hat, den Patienten über seine Diagnose und Prognose sowie über den Sinn der Behandlung zu unterrichten. Diese Information dient offensichtlich dem Zweck, das Einverständnis des Patienten einzuholen. Wer wird die Behandlung letzten Endes bezahlen? Wer entscheidet in Wirklichkeit über die Person und ihr Wohl?
Artikel 32 § f des Kodex der ärztlichen Berufsethik macht folgende Einschränkung: „Dem Arzt ist nicht gestattet, seine Autorität auf eine Weise auszuüben, durch die die Rechte des Patienten, über seine Person oder sein Wohl zu entscheiden, beschnitten werden.“ Dieser Grundsatz der ärztlichen Berufsethik wird durch Bestimmungen des Zivil- und Strafrechts bestätigt, und er zeigt, daß der Arzt nur für den Schaden verantwortlich ist, den er seinen Patienten zufügt.
Nehmen wir an, ein Arzt läßt sich von einem Kollegen behandeln, vielleicht von einem Spezialisten. Wird er nicht auf den „Rechten des Patienten“ bestehen und entscheiden, ob er eine vorgeschlagene Behandlung annehmen möchte?
Jehovas Zeugen beschneiden nicht die Berufsfreiheit des Arztes, wenn sie ihn bitten, sich nach dem Kodex seiner Berufsethik zu richten und weder die Schwere eines Falls zu übertreiben noch eine Bluttransfusion als eine unfehlbare Lösung zu preisen, was sie in Wirklichkeit gar nicht ist. (Siehe Artikel 32 § d und Artikel 5 § e.)
F.: Handelte Octávio Corrêa nicht im Widerspruch zur Wissenschaft oder aus Unwissenheit, als er die Bluttransfusion für seinen Sohn ablehnte?
A.: Dr. Arthur D. Kelly, früherer Sekretär der Medizinischen Gesellschaft Kanadas, erklärte: „Kein Arzt kann mit Sicherheit sagen, ob ein Patient ohne Transfusion sterben oder durch eine Übertragung gerettet wird. ... Bedauerlicherweise gibt es Methoden, nach denen man versucht, jemandem eine Transfusion oder sonst eine Behandlungsart aufzuzwingen. Auf diese Weise setzt man sich selbst an die Stelle Gottes“ (Religion, Medicine and Law).
Kein sachkundiger Arzt bestreitet, daß in guten medizinischen Lehrbüchern eindringlich auf die Gefahren von Bluttransfusionen hingewiesen wird. Einige Krankenhäuser veranstalten sogar Diskussionen über die Gefahren einer Transfusion. (Siehe die Zeitschrift HED vom Ernesto-Dornelles-Hospital, Ausgabe für März 1972, S. 87—108 und das Ärztejournal Iamspe, Oktober—Dezember 1975, S. 28.)
Sind die folgenden Erklärungen unwissenschaftlich?
Dr. Almeida Machado, brasilianischer Gesundheitsminister, sagte: „Der Patient muß ein Minimum von Sicherheit genießen, wenn er eine Bluttransfusion erhält. ... Er sollte nicht der Gefahr ausgesetzt sein, daß ihm auch Malaria, Hepatitis, Syphilis oder die Chagas-Krankheit übertragen wird“ (Veja, 31. März 1976, S. 54). Dr. Machado erklärte als Sachverständiger, daß verseuchtes Blut „nachteiligere Auswirkungen hervorruft als alle verbotenen Arzneimittel zusammen“ (O Estado de São Paulo, 26. November 1976).
Dr. Baruch Blumberg, Nobelpreisträger für Medizin im Jahre 1976, erklärte: „Besonders in Brasilien sollte der Verkauf von Blut verboten werden, weil nicht nur Hepatitis, sondern auch viele andere Krankheiten wie die Chagas-Krankheit und die Malaria durch Transfusionen übertragen werden können“ (Jornal do Brasil, 20. September 1976, S. 4).
F.: Welche anderen Behandlungsmethoden haben Jehovas Zeugen an Stelle von Bluttransfusionen zu empfehlen?
A.: Jehovas Zeugen sind den Wissenschaftlern dankbar, die die sogenannten Plasmaersatzstoffe entdeckt haben, und auch den Ärzten, die bereit sind, diese Stoffe besonders als Plasmaexpander zu verwenden. Octávio Corrêa erklärte dem Chirurgen, daß er mit dem Einsatz von Plasmavolumenexpandern wie einer Kochsalzlösung, Laktat-Ringer-Lösung, Haemaccel, Dextran und PVP einverstanden sei.
Nicht fanatisch, doch standhaft
Diese kurze Betrachtung unterstreicht folgendes: Jehovas Zeugen sind keine Fanatiker, sondern ihr Standpunkt bezüglich der Verwendung von Blut beruht eindeutig auf Gottes unfehlbarem Wort. Sie halten es für absolut wichtig, ihrem christlichen Gewissen, das aufgrund des Wortes Gottes geschult ist, selbst dann zu gehorchen, wenn ihr Leben auf dem Spiele steht. Sie schätzen die Bemühungen von Ärzten und Wissenschaftlern, Leben zu verlängern, sofern diese Bemühungen nicht die einem Christen auferlegte biblische Verpflichtung, ‘sich des Blutes zu enthalten’ verletzen (Apg. 15:20, 29).
Wir als Zeugen Jehovas sind jedoch fest entschlossen, dem allmächtigen Gott und seinem Wort zu gehorchen. Wir werden uns daher ständig des Blutes enthalten. Auch werden wir uns weiterhin bemühen, für die Religionsfreiheit einzutreten. Deshalb befolgen wir als wahre Christen den biblischen Rat, „in bezug auf Könige und alle, die in hoher Stellung sind, [zu beten,] damit wir weiterhin ein ruhiges und stilles Leben führen können in völliger Gottergebenheit und Ernsthaftigkeit“ (1. Tim. 2:1-5).