St. Helens bluffte nicht!
Bericht einer Zeugin Jehovas, die den Ausbruch des St. Helens in Spokane erlebte
AM Sonntag, dem 18. Mai, gingen wir morgens alle nichtsahnend in die Zusammenkunft im Königreichssaal. Am Nachmittag verdunkelte sich der Himmel. Wir dachten, es gebe ein Gewitter, weil es so schwül war und dunkle Wolken am Himmel hingen. Doch bald merkten wir, daß es kein gewöhnliches Gewitter war. Um zwei Uhr verfinsterte sich die Sonne, und man hatte das Gefühl, es sei mitten in der Nacht. Die Vögel flogen zu ihren Schlafplätzen, Hunde und Katzen wollten ins Haus gelassen werden, und eine unheimliche Stille legte sich über die ganze Stadt.
Dann, ohne Vorwarnung, begann es, Asche zu regnen, hellgraue Vulkanasche, die dem Mondstaub, den die Astronauten zurückbrachten, ähneln soll. Bald war alles mit diesem merkwürdigen Staub bedeckt. Der Staub, der wegen der Glasteilchen darin funkelte, wurde vom Wind in jeden Winkel und jede Ritze geweht. Es war schrecklich, aber auch eigentümlich faszinierend. Der Verkehr in Spokane und den umliegenden Orten brach zusammen.
Man konnte mit dem Auto höchstens ein paar Kilometer weit fahren, und schon war der Luftfilter verstopft und mußte gesäubert oder ersetzt werden. Schon nach wenigen hundert Kilometern mußte man regelmäßig Ölwechsel machen. Manchmal war die Sicht gleich Null, und an den Straßenrändern sah man viele Autos, die entweder eine Panne oder einen Unfall hatten. Wir alle trugen Masken; dennoch war das Atmen schwierig. Besonders Personen, die an einer Erkrankung der Atmungsorgane litten, ging es übel.
Zwei Tage und zwei Nächte lang wagte sich außer den Bediensteten der Stadt niemand aus dem Haus, so schlimm waren die Verhältnisse. Mutter hatte Tim und Donna besucht und war bei ihnen geblieben. Glücklicherweise hatten wir, David und ich, am Vortag genügend eingekauft, so daß wir nicht in Schwierigkeiten gerieten. Andere dagegen, die das nicht getan hatten, mußten ohne Brot, Milch und andere Grundnahrungsmittel auskommen. In einigen Dörfern, deren Lebensmittelgeschäfte von Großhändlern in Spokane beliefert werden, gingen die Nahrungsmittel aus.
Jetzt, fünf Tage nach dem Ausbruch des St. Helens, weiß noch niemand, wie sich der Vulkanausbruch auf die Viehherden und die bebauten Felder auswirkt. Soweit mir bekannt ist, ist das Vieh nicht zu Schaden gekommen. Ein großes Problem sind die entzündeten Augen sowohl des Viehes als auch der Haustiere. Das Glas in der Vulkanasche scheuert und brennt in den Augen.
Das ist die merkwürdigste Erfahrung, die wir je gemacht haben. Als die Katastrophe hereinbrach, riefen die Zeugen Jehovas einander an, um zu erfahren, ob der eine oder andere Hilfe brauchte. Manchmal dauerte es zehn Minuten oder noch länger, bis man durchkam.
Alle Straßen in und außerhalb der Stadt waren gesperrt. Sämtliche öffentliche Verkehrsmittel fielen aus: Es verkehrten keine Züge, keine Autobusse und keine Flugzeuge mehr.
Die Asche zu beseitigen ist schwierig, denn sie fliegt schneller fort, als man sie wegschaufeln oder wegkehren kann. Liegt eine Schicht von nur wenigen Zentimetern auf dem Hausdach, muß man damit rechnen, daß es einstürzt. Die Asche ist unglaublich schwer. Beim kleinsten Windstoß fliegt sie einem in Augen, Nase und Hals und bedeckt Rasen und Gartenbeete.
Wir werden noch eine Zeitlang nicht wissen, ob wir das Schlimmste hinter uns haben. Im Berg rumpelt es wieder, und es besteht die Gefahr eines weiteren Ausbruches. Wenn vorher von einem möglichen Ausbruch gesprochen wurde, dachte niemand im Traum an eine solche Katastrophe. Bis zum vergangenen Sonntag, dem 18. Mai, sagten sogar die meisten Leute, der Berg bluffe.
Jetzt traut dem Vulkan St. Helens keiner mehr. (Eingesandt.)
[Diagramm auf Seite 16]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
fliegende Vulkanasche
Vulkan St. Helens Spokane
390 km