Ich mußte erst kennenlernen, was Liebe eigentlich ist
Erzählt von einem Familienvater in Japan
DIE Umstände, unter denen ich aufwuchs, behinderten bei mir die Entwicklung einer tiefen Liebe zu anderen Menschen. Mein Vater starb, als ich zwei Monate alt war. Meine Mutter zog zu einem Mann und lebte mit ihm, doch mich gab sie in Pflege. Im Alter von 10 Jahren wurde ich ihr wieder zurückgegeben, dennoch bin ich ohne Nestwärme aufgewachsen. Meine Mutter war spielsüchtig und nahm mich mit in die Spielhöllen.
Mit 25 Jahren heiratete ich. Schon zu diesem Zeitpunkt war auch ich spielsüchtig. Jeder Tag verlief gleich. Am Tag arbeitete ich als Verkäufer; aufgrund dieser Tätigkeit war ich oft bei Pferderennen und Bootsrennen zugegen. Am Abend spielte ich Mah-Jongg (ein Glücksspiel) und kehrte erst um Mitternacht nach Hause zurück. Durch meine Spielleidenschaft geriet ich in ernste Schwierigkeiten; ich verlor meine Arbeit, und sowohl für meine als auch für die Familie meiner Frau entstanden schwere finanzielle Lasten.
Immer wieder versuchte ich, mit Spielen aufzuhören, aber es gelang mir nicht. Ich glaubte, meine Spielleidenschaft sei Schicksal oder ich hätte sie von meiner Mutter geerbt. Der Gedanke, daß ich mein Leben lang nicht fähig sei, mit Spielen aufzuhören, erschreckte mich. Deprimiert wegen meiner Zukunft, beschloß ich, mir das Leben zu nehmen. Mit dieser Absicht stieg ich auf das Dach eines Hauses. Doch dann sah ich plötzlich im Geiste die Gesichter meiner beiden Söhne vor mir, und ich konnte nicht springen.
Obschon ich verheiratet war, wußte ich nicht, daß eine Familie durch das Band der Liebe zusammengehalten wird, daß die Liebe eine Familie psychisch gesund erhält und sie glücklich macht. Da mir von meiner Mutter keine Liebe entgegengebracht worden war, wußte ich nicht, was Liebe eigentlich ist. Zufolge meiner Erziehung verstand ich auch die Liebe meiner Frau nicht — ihren Wunsch, unser Familienleben glücklich zu gestalten, und ihr Ausharren, obschon ich sie immer wieder betrog. Doch später lernte ich nicht nur die Liebe meiner Frau verstehen, sondern auch eine viel größere Liebe.
Meine Frau erkannte, wie gefährlich es für mich war, außerhalb des Hauses zu arbeiten. Deshalb drang sie in mich, in unserem Haus ein Geschäft zu eröffnen. Ich nahm ein Darlehen auf und baute unser Haus um, damit ich ein Mah-Jongg-Geschäft eröffnen konnte. Mir gefiel dieses Glücksspiel, und ich ging in diesem Geschäft völlig auf. Es florierte, was es mir ermöglichte, das Darlehen abzuzahlen. Aber meine Frau war sehr unglücklich, denn wir hatten Familienprobleme. Außerdem glaubte sie — sie war manchmal etwas hysterisch —, ich müßte überwacht werden, damit ich nicht in meine alten Gewohnheiten zurückfiele. Diese Lebensbedingungen laugten mich geistig und körperlich vollkommen aus.
In der Zeit, in der zwischen uns ein sehr gespanntes Verhältnis bestand, griff meine Frau einmal nach einem Buch im Bücherregal und erwischte zufällig das Buch „Hat sich der Mensch entwickelt, oder ist er erschaffen worden?“ Ich hatte das Buch sechs Jahre zuvor von einem Zeugen Jehovas erworben. Meine Frau neigte der materialistischen Philosophie von Marx und Lenin zu und glaubte absolut nicht an einen Gott. Aber das Buch bewegte sie sehr. Sie erkannte, daß es unlogisch war, die Existenz eines allmächtigen und weisen Schöpfers zu leugnen. Sie empfand eine undeutliche Furcht. Kurz darauf sprach eine Zeugin Jehovas bei uns vor. Sie vereinbarte mit meiner Frau ein regelmäßiges Bibelstudium anhand des Buches „Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt“. Begonnen wurde mit dem Kapitel „Das Familienleben glücklich gestalten“. Als mir meine Frau von dem Studium erzählte, beschloß ich, ebenfalls daran teilzunehmen.
Je mehr ich in der Bibel las, desto deutlicher erkannte ich, daß es die Wahrheit war. Obschon ich von Natur aus etwas träge bin, beeindruckten mich die Worte in Hebräer 4:12: „Das Wort Gottes ist lebendig und übt Macht aus und ist schärfer als jedes zweischneidige Schwert.“ Das Ergebnis war, daß ich mich ernsthaft bemühte, stets die Wahrheit zu sagen. Demütig beherzigte ich den Rat: „Schwört überhaupt nicht ... Euer Wort Ja bedeute einfach ja, euer Nein nein“ (Matth. 5:34, 37). Das Vertrauen meiner Frau war schnell wiederhergestellt, und sie war gern bereit, sich mir unterzuordnen. Zwei Monate nach Beginn des Bibelstudiums hörte ich auf, zu rauchen und zu spielen. Ich machte einfach Schluß damit. Nun brauchte mich niemand mehr zu überwachen. Jehova hatte meine flehentlichen Gebete erhört und mir die Kraft gegeben, entsprechend zu handeln.
Meine Frau, unsere beiden Söhne und ich bilden eine glückliche Familie, und ich weiß jetzt, was Liebe ist. Wir haben die alles überragende Liebe Jehovas und Jesu Christi kennengelernt, und wir sind überzeugt, daß wir nur wirklich glücklich sind, wenn wir sie erwidern.