Die schreckliche Inquisition
ES WAR im 13. Jahrhundert. Ganz Südfrankreich war angeblich von Häretikern verseucht. Dem Bischof einer Region gelang es nicht, das Unkraut aus seiner Diözese auszurotten, einem angeblich ausschließlich katholischen Bereich. Drastischere Maßnahmen wurden für notwendig erachtet. Die Sonderbeauftragten des Papstes „in Sachen Häresie“ hielten Einzug. Die Inquisition war da.
Die Wurzeln der Inquisition reichen bis ins 11. und 12. Jahrhundert zurück, als sich im katholischen Europa verschiedene Gruppen von Glaubensabtrünnigen zu bilden begannen. Doch die eigentliche Inquisition wurde erst 1184 von Papst Lucius III. auf der Synode von Verona (Italien) eingeläutet. Er kam mit Kaiser Friedrich I. Barbarossa überein, jeden, der in Wort oder auch nur in Gedanken gegen die katholische Lehre verstieß, zu exkommunizieren und dem weltlichen Gericht zur Bestrafung zu übergeben. Die Bischöfe wurden angewiesen, Ketzer aufzuspüren (lateinisch: inquirere). Damit begann die sogenannte bischöfliche Inquisition, das heißt, die katholischen Bischöfe wurden zur Inquisition ermächtigt.
Strengere Maßnahmen
Es stellte sich jedoch heraus, daß die Bischöfe in den Augen Roms beim Aufstöbern von Abtrünnigen zu zaghaft vorgingen. Deshalb sandten mehrere Päpste Päpstliche Legaten aus, die ermächtigt waren, mit der Unterstützung von Zisterziensermönchen ihre eigenen „Nachforschungen“ nach Häretikern anzustellen. Daher gab es eine Zeitlang zwei Arten von Inquisitoren, die bischöflichen und die päpstlichen, wobei die letzteren die schlimmeren waren.
Selbst diese strengere Inquisition war Papst Innozenz III. nicht streng genug. Im Jahre 1209 rief er zum Kreuzzug gegen die Häretiker in Südfrankreich auf. Dabei handelte es sich hauptsächlich um die Katharer, eine Gruppe, die manichäisches Gedankengut mit dem Gnostizismus abtrünniger Christen vermischte.a In der Region, in der die Katharer stark vertreten waren, lag die Stadt Albi, deshalb wurden sie als Albigenser bekannt.
Der „heilige Krieg“ gegen die Albigenser endete im Jahre 1229, aber man hatte nicht alle Abtrünnigen ausgerottet. Daher verhalf Papst Gregor IX. im selben Jahr auf dem Konzil von Toulouse (Südfrankreich) der Inquisition erneut zum Aufschwung. Er ordnete an, daß in jeder Pfarrei ständige Inquisitoren eingesetzt wurden, darunter jeweils ein Priester. Im Jahre 1231 erließ er ein Gesetz, wonach hartnäckigen Ketzern die Todesstrafe (Verbrennung) drohte und reumütigen Personen eine lebenslange Kerkerstrafe.
Zwei Jahre später, im Jahre 1233, enthob Gregor IX. die Bischöfe ihrer Verpflichtung, Häretiker aufzuspüren. Er führte die monastische Inquisition ein, eine Bezeichnung, die sich davon ableitet, daß man als offizielle Inquisitoren Mönche einsetzte. Diese wurden hauptsächlich aus den Reihen des neugegründeten Dominikanerordens ausgewählt, aber auch aus den Franziskanern.
Das Inquisitionsverfahren
Die Inquisitoren, Dominikaner- oder Franziskanermönche, versammelten die Bewohner eines Ortes jeweils in der Kirche. Dort forderte man sie auf, falls sie der Glaubensabtrünnigkeit schuldig waren, diese zu bekennen oder andere Glaubensabtrünnige zu denunzieren. Selbst wenn jemand nur der Häresie verdächtig war, sollte er denunziert werden.
Jeder — Mann, Frau, Kind und Knecht — konnte andere der Häresie beschuldigen, ohne befürchten zu müssen, dem Beschuldigten gegenübergestellt zu werden oder daß dieser erfahren würde, wer ihn denunziert hatte. Der Beschuldigte hatte selten jemanden, der ihn verteidigte, da jeder Anwalt und jeder Zeuge, der für ihn Partei ergriffen hätte, selbst wegen Unterstützung und Begünstigung eines Ketzers angeklagt worden wäre. So stand der Angeklagte im allgemeinen allein vor den Inquisitoren, die gleichzeitig als Ankläger und Richter amteten.
Den Angeklagten wurde meistens ein Zeitraum von einem Monat eingeräumt, in dem sie sich schuldig bekennen konnten. Unabhängig davon, ob sie gestanden oder nicht, wurde das Inquisitionsverfahren eingeleitet. Die Angeklagten wurden in Verwahrung gehalten, viele in Einzelhaft und unter Nahrungsentzug. Wenn das bischöfliche Gefängnis voll war, wich man auf das weltliche aus. War dieses überfüllt, wandelte man ältere Gebäude in Gefängnisse um.
Die Beschuldigten wurden schon vor Beginn des Gerichtsverfahrens für schuldig gehalten; deshalb versuchten die Inquisitoren, sie dazu zu bewegen, ihre Glaubensabtrünnigkeit zu bekennen. Sie wandten dabei vier Methoden an: erstens Androhung des Todes am Pfahl, zweitens Gefangenschaft in Ketten in einem dunklen, feuchten Kerkerloch, drittens Ausübung psychologischen Drucks durch Gefängnisbesucher und viertens Anwendung der Folter, darunter die Streckfolter, der Flaschenzug oder die Wippe und Feuerqualen. Es waren jeweils Mönche anwesend, um irgendein Schuldbekenntnis aufzuzeichnen. Freispruch war im Grunde genommen unmöglich.
Strafen
Die Urteile wurden sonntags in der Kirche oder auf einem öffentlichen Platz in Anwesenheit des Geistlichen verkündet. Bußen waren die Mindeststrafen. Doch dazu gehörte es, Kleidung mit aufgenähten gelben Filzkreuzen zu tragen, wodurch es geradezu unmöglich war, Arbeit zu finden. Andere mögliche Strafen waren die Prügelstrafe, Gefängnis oder die Auslieferung an die weltliche Gewalt zum Feuertod.
Die schwereren Strafen schlossen die Einziehung des Besitztums des Verurteilten ein, das sich die Kirche und der Staat teilten. Die Hinterbliebenen des Ketzers wurden dadurch ins Elend gestürzt. Die Häuser von Ketzern und von denen, die ihnen Unterkunft gewährt hatten, wurden niedergerissen.
Sogar gegen bereits Verstorbene wurden Verfahren angestrengt. Wenn man sie für schuldig befand, grub man ihren Leichnam aus und verbrannte diesen, ihren Besitz zog man ein. Auch das brachte unsagbares Leid für die unschuldigen Hinterbliebenen mit sich.
So liefen im Mittelalter die Inquisitionsverfahren im allgemeinen ab, bis auf einige Änderungen, je nach Ort und Zeit.
Päpstlich sanktionierte Folter
Im Jahre 1252 erließ Papst Innozenz IV. die Konstitution Ad exstirpanda, wodurch die kirchlichen Inquisitionsgerichte ermächtigt wurden, Foltermittel einzusetzen. Weitere Anweisungen hinsichtlich der Art der Folter wurden von den Päpsten Alexander IV., Urban IV. und Clemens IV. gegeben.
Anfangs durften die kirchlichen Inquisitoren den Folterungen nicht beiwohnen, doch diese Einschränkung wurde von den Päpsten Alexander IV. und Urban IV. aufgehoben. Dadurch wurde die Fortsetzung des „Verhörs“ in der Folterkammer möglich. So wurde auch die ursprüngliche Ermächtigung, die Folter nur einmal anzuwenden, von den päpstlichen Inquisitoren durch die Behauptung unterlaufen, erneute Folterungen seien nichts anderes als „eine Fortsetzung“ der ersten Sitzung.
Es dauerte nicht lange, und man folterte sogar die Zeugen, und zwar weil man sichergehen wollte, daß sie alle ihnen bekannten Ketzer denunziert hatten. Manchmal wurde ein Beschuldigter, der sich zur Ketzerei bekannte, noch nach seinem Geständnis gefoltert. Wie in der Catholic Encyclopedia erklärt wird, wollte man „den Betreffenden dadurch dazu zwingen, gegen seine Freunde und Mitangeklagten auszusagen“ (Band VIII, Seite 32).
Sechs Jahrhunderte des Terrors
So kam in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Inquisitionsmaschinerie in Gang, und man zwang mit ihrer Hilfe im Verlauf mehrerer Jahrhunderte jeden in die Knie, der sich gegen die katholische Kirche äußerte oder auch nur geringfügig anders dachte. Dadurch wurde in allen katholischen Regionen Europas Schrecken verbreitet. Als sich die Inquisition gegen Ende des 15. Jahrhunderts in Frankreich und in anderen Ländern West- und Mitteleuropas beruhigte, flackerte sie in Spanien auf.
Die Inquisition in Spanien, die 1478 von Papst Sixtus IV. eingeleitet wurde, war gegen die Marranen (spanische Juden) und die Morisken (spanische Moslems) gerichtet. Viele, die aus Furcht zum katholischen Glauben übergetreten waren, wurden verdächtigt, ihre ursprüngliche Religion weiterhin heimlich auszuüben. Im Laufe der Zeit wurde die Inquisition auch als ein Schreckmittel gegen Protestanten und andere Glaubensabtrünnige eingesetzt.
Die Inquisition breitete sich von Spanien und Portugal auf die Kolonien dieser beiden katholischen Monarchien in Mittel- und Südamerika und anderswohin aus. Sie endete erst, als Napoleon Anfang des 19. Jahrhunderts in Spanien einfiel. Nach der Entmachtung Napoleons lebte sie vorübergehend wieder auf, wurde aber schließlich 1834, also erst vor eineinhalb Jahrhunderten, unterdrückt.
[Fußnote]
a Die mittelalterlichen Ketzer werden von katholischen Historikern oft unterschiedslos unter die „manichäischen Sekten“ eingereiht. Mani oder Mane lebte im 3. Jahrhundert u. Z. Er war der Gründer einer Mischreligion, deren Gedankengut aus dem persischen Zoroastrismus, dem Buddhismus und dem Gnostizismus abtrünniger Christen entlehnt war. Abweichler wie die Katharer griffen vermutlich auf die Lehren Manis zurück. Das trifft aber nicht auf Gruppen Andersdenkender zu, die sich mehr an der Bibel orientierten, wie zum Beispiel die Waldenser.
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Verschiedene Foltermethoden, die vom Inquisitor auferlegt wurden
[Bildnachweis]
Foto: Bibliothéque Nationale, Paris
[Bild auf Seite 22]
Papst Innozenz IV. gab die Ermächtigung zur Anwendung der Folter