Bist du ein Käsekenner?
Von unserem Korrespondenten in Frankreich
„EIN wenig Käse vor dem Dessert?“ fragt die Gastgeberin und hält uns eine appetitliche, reichhaltige Käseplatte hin. Hier in Frankreich gehört „laut Vorschrift“ immer Käse zum Essen.
In Frankreich werden jährlich 18 kg Käse pro Kopf verzehrt — der Weltrekord. Es stehen viele Sorten zur Auswahl. Wer in Frankreich lebt, kann, wie man sagt, theoretisch das ganze Jahr über jeden Tag eine andere Sorte Käse essen.
Hast du dich je gefragt, wie aus einem relativ neutral schmeckenden Produkt wie Milch eine solche Vielfalt an Farbe, Aroma und Geschmack entstehen kann? Bei der Herstellung unterscheidet man drei Vorgänge: Gerinnung, Abtropfen und Salzen. Zunächst zur Gerinnung.
Von der Milch zur Käsemasse
Hast du schon einmal Milch außerhalb des Kühlschranks aufbewahrt und später feststellen müssen, daß sie zu Dickmilch geworden war? Was war geschehen? Ungekochte Milch enthält Mikroorganismen, darunter Milchbakterien, die die Laktose, das heißt den Milchzucker, aufspalten, so daß Milchsäure entsteht. Wenn ein bestimmter Säuregrad erreicht worden ist, gerinnt das Kasein, der wichtigste Eiweißbestandteil der Milch, und es entsteht Dickmilch. Wenn man diesen Vorgang sehen möchte, muß man nur einige Teelöffel Essig in ein halbes Glas Milch geben. Natürlich erhält man auf diese Weise keinen Käse, aber man kann die Gerinnung beobachten.
Allerdings ist es gefährlich, Käse aus Milch herzustellen, die von selbst sauer geworden ist. Sie könnte aufgrund mangelnder Hygiene beim Melken oder weil eine Kuh nicht gesund ist, Krankheitserreger enthalten. Um unerwünschte Bakterien abzutöten, pasteurisiert der Käser die Milch und fügt dann mitunter bestimmte gerinnungsfördernde Bakterien hinzu.
Oft wird Lab für die Gerinnung verwendet. Dieses Enzym befindet sich im Magen junger Kälber, die noch gesäugt werden. Lab läßt die etwa 40 °C warme Milch gerinnen. Warum ist das von Vorteil? Die Aufgabe des Labs im Kälbermagen besteht darin, die Muttermilch gerinnen zu lassen, die die einzige Nahrung des Kalbes ist. Dies ist der erste Verdauungsvorgang beim Jungtier. So könnte man Käse in gewisser Hinsicht als eine Art vorverdaute Milch bezeichnen. Aber was geschieht anschließend mit der Käsemasse, die durch Lab, Milchbakterien oder durch beides entstanden ist?
Nun ist der nächste Vorgang an der Reihe: das Abtropfen. Nach der Gerinnung wird ein Großteil der Flüssigkeit, die Molke (die Milchzucker, Eiweiß und Mineralstoffe enthält), von der Käsemasse getrennt und für Nahrungszwecke oder für das Vieh verwendet. Die feste Masse ist nun ungereifter, weicher Frischkäse mit säuerlichem Geschmack. Er kann — je nach Belieben — ohne Zusätze, mit Salz, Zucker oder mit Kräutern gegessen werden. Manchmal wird Rahm hinzugefügt, damit er cremiger ist. Diese Käsemasse kann auch zu anderen Käsesorten weiterverarbeitet werden.
Festigkeit und Aroma
Der Käse muß einen Reifungsprozeß durchmachen. Je nachdem, welche Käsesorte gewünscht wird, läßt man die Käsemasse abtropfen oder preßt sie aus. Es werden Bakterien hinzugefügt, die das Kasein, das Milchfett und den Milchzucker aufspalten. Dabei entstehen verschiedene Substanzen, die den charakteristischen Geruch und Geschmack einiger Käsesorten ergeben. Die Wahl der Bakterien, die entsprechende Reifezeit sowie die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit in den Reiferäumen sind sehr wichtig, um bestimmte Sorten herzustellen.
Manchmal muß die Säure in der Käsemasse neutralisiert werden, damit der Käse fermentiert. Dies kann man auf verschiedene Weise erreichen. Beim Münsterkäse, der aus Munster stammt, einer kleinen Stadt im Elsaß, reicht der Ammoniak der Luft im Reiferaum aus. Beim Cendré (übersetzt: „mit Asche bedeckt“), der aus der Gegend von Orleans kommt, neutralisiert man die Säure mit Pottasche.
Weichkäse sind von der Käseplatte nicht wegzudenken. Der weltberühmte Camembert zum Beispiel wurde ursprünglich in dem gleichnamigen Ort in der Normandie hergestellt. Sein weißer Schimmel wird von dem Pilz Penicillium erzeugt, der mit dem bekannten Penicillin verwandt ist. Einen guten Camembert auszusuchen ist nicht leicht. In großen Supermärkten kann man beobachten, daß der Kenner die Schachtel öffnet und den verpackten Käse mit dem Daumen in der Mitte leicht eindrückt. Er prüft mehrere, bevor er schließlich eine Wahl trifft.
Vielleicht befindet sich ein Blauschimmelkäse unter dem Angebot auf der Käseplatte. Einige lassen sich eine Ecke Auvergne bleu aus Kuhmilch munden, andere ziehen ein Stück Roquefort aus Schafmilch vor. Beide werden in der rauhen Gegend des Zentralmassivs im mittleren Süden Frankreichs hergestellt. Die blaue oder grünlichblaue Maserung dieser Käsesorten rührt von einem speziellen Schimmelpilz her, der sich während des Reifeprozesses bildet.
Hartkäse wie Greyerzer und Emmentaler sind altbekannte Favoriten. Bei der Herstellung dieser Sorten muß die Käsemasse auf etwa 55 °C erhitzt werden. Dadurch trocknet sie, und es bleiben nur die Bakterien erhalten, die sich auch bei höheren Temperaturen vermehren. Während der Reifung erzeugen bestimmte Bakterien, die Propionsäurebakterien, Kohlendioxyd. Dadurch entstehen Blasen, die die bekannten Löcher bilden — kleine und wenige beim Greyerzer, große und zahlreiche beim Emmentaler.
Zum Schluß kommen wir zum Cantal, einem Halbhartkäse ähnlich dem englischen Cheddar, der nach einer bergigen Gegend im französischen Zentralmassiv benannt ist. Die Käsemasse muß nach dem Abtropfen acht bis zehn Stunden gepreßt werden, was dem Käse den typischen scharfen Geschmack verleiht.
Hoher Nährwert
Milch ist ein Nahrungsmittel, das viele Nährstoffe enthält, die der Körper braucht. Wie steht es aber mit Käse? Er ist ein hervorragender Eiweißträger. Beispielsweise enthält ein 35-g-Stück Saint-Paulin (ein Halbhartkäse ähnlich dem holländischen Edamer) so viel Eiweiß wie 50 g Fleisch, ein Viertelliter Milch oder eineindrittel Eier. Auch nach dem Abtropfen enthält der Käse noch Mineralstoffe und vor allem reichlich Kalzium und Phosphor. Eine stillende Mutter kann mit einem 35-g-Stück Saint-Paulin fast ihren Tagesbedarf an Kalzium decken.
Käse wird außerdem zum großen Teil dem Bedarf an Fett gerecht. Wenn man die Aufschrift auf der Verpackung liest, sollte man aber bedenken, daß sich der angegebene Fettgehalt oft auf die Trockenmasse bezieht, da Käse auch Wasser enthält.
Sind im Käse Kohlehydrate enthalten? Die Kohlehydrate in der Milch, wie Laktose (Milchzucker), gehen entweder beim Abtropfen verloren oder werden bei der Reifung von Bakterien verzehrt. Allerdings ist das günstig, da viele Afrikaner, Asiaten und Europäer Milch wegen ihres Gehalts an Laktose schwer verdauen können. Daher ist das bekannte, wenn auch abgegriffene Bild des Franzosen mit einem Stück Weißbrot in der einen und einer Ecke Camembert in der anderen Hand ein Paradebeispiel der ausgewogenen Ernährung, da das Brot die Kohlehydrate liefert, die im Käse fehlen.
Wenn du also das nächste Mal ein schmackhaftes Essen genießt, zu dem Käse gereicht wird, dann denke daran, wieviel Zeit und Mühe bei der Herstellung dieses köstlichen Nahrungsmittels aufgewandt wird — von dem Tag, an dem die Kuh gemolken wird, bis zu dem Zeitpunkt, wo der Käse auf deinem Teller liegt. Und vergiß nicht die unermüdlichen kleinen Arbeiter, die Bakterien, ohne deren Mühe es keinen Käse gäbe. Vielleicht bist du kein Käsekenner. Trotzdem kannst du dieses schmackhafte Nahrungsmittel schätzenlernen, und vielleicht hilft dir der dargelegte Aufschluß, Käse mit noch größerem Genuß zu essen.