Eines der letzten großen Geheimnisse der Erde erforschen
ICH war Tiefseetaucher, als uns der Ruf erreichte. Ein großer Katamaran war bei starkem Seegang vor der Küste Floridas gekentert. Unsere Aufgabe? Das Boot für den Besitzer zu bergen.
Gegen 2 Uhr nachmittags gelangten wir an die Stelle vor Mayport. Dort trieb das Segelboot kieloben im Wasser. Das Meer hatte eine leichte Dünung von etwa einem Meter, und schaukelnd trieb das Boot mit dem Golfstrom allmählich in Richtung Norden. Der Wind und der Wellengang wurden langsam stärker. Und auf dem Weg nach draußen war der andere Taucher auf unserem Schiff leicht seekrank geworden.
So mußte ich allein tauchen. Ich schwamm mit einem Atemgerät, aber ohne Signalleine zu dem Segelboot. Der Plan bestand darin, daß ich die ganze Takelage lösen und nur den Doppelrumpf und die Kajüte unverändert lassen sollte. Dann sollte ich auftauchen und ein Schleppseil anbringen.
Im Wasser glitt ich langsam etwa drei Meter hinab und schwamm ruhig auf das Segelboot zu. Welch ein Anblick! Die Segel flatterten in der Strömung, und Hunderte von Fischen schwammen um sie herum. Der Meeresgrund — weit unten — war kaum wahrnehmbar. All das fesselte meine Aufmerksamkeit. Doch blitzartig kehrte ich wieder in die Realität zurück!
Rechts und links von mir tauchten plötzlich mindestens ein Dutzend Haie auf. Sie waren ungefähr 10 Meter entfernt und bewegten sich langsam, aber sicher auf mich zu. Unser Schiff war viel zu weit weg. Was konnte ich nur tun? Gerade vor mir befand sich die mit Wasser vollgelaufene Kajüte des Bootes. Die Kajütentür schwang auf und zu, während es in der Dünung schaukelte. Die Kajüte war mein Ziel!
Ich widerstand dem heftigen Drang, wie wild zu schwimmen, doch trotzdem brachte mich jede Bewegung geschwind dieser Öffnung näher. Wachsam behielt ich jeden Hai in meiner Nähe im Auge, bis ich das Boot erreicht hatte. Und da sah ich ihn! Dort, unter der Kajüte, lauerte ein riesiger Hai von ungefähr vier Meter Länge. Dieses Ungeheuer hätte mit Leichtigkeit einen der anderen Haie — und mich dazu — verspeisen können.
Aber es gab kein Zurück. Aus irgendeinem Grund bewegte sich der Hai nicht, als ich näher kam. Schnell war ich in der Kajüte und schloß die Tür. Dann schob ich den Griff einer Zange durch die Haspe und lehnte mich zurück, um zu beobachten, was geschehen würde. Alle Haie kamen auf ein bis zwei Meter Entfernung heran und blieben dort. Da war ich nun — eingeschlossen in dem gekenterten Segelboot, ungefähr 100 Kilometer von der Küste entfernt — und wünschte mir, ich wäre woanders, irgendwo, nur nicht hier!
Ich untersuchte den Doppelrumpf und den Innenraum der Kajüte. In dem gegossenen Doppelrumpf war viel Luft eingeschlossen, so daß ich genügend Sauerstoff zum Atmen hatte. Nach etwa einer Stunde bewegte ich mich wieder auf die Tür zu. Die Haie waren fast außer Sicht. Der Kapitän kreiste mit unserem Schiff unruhig umher. Aber wo war der große Hai geblieben?
Ich öffnete die Tür und sah nach unten. Tatsächlich, er war immer noch da — wir sahen uns direkt in die Augen! Sofort zog ich mich in die Kajüte zurück, und Sekunden später schnellte der Hai unter dem Boot hervor und machte vor der Tür halt. Wahrscheinlich hätte er sich gefreut, wenn ich meine Nase noch einmal hinausgesteckt hätte. Aber ich gab ihm keine weitere Chance. Ich war froh, daß er so träge war.
Während ich vom Innern der Kajüte aus die Lage beobachtete und wartete, machten sich die Haie, auch der große, schließlich davon. Welch eine Erleichterung! Das war wohl das aufregendste Tauchabenteuer, das ich in den über 20 Jahren erlebt habe, in denen ich eines der letzten großen Geheimnisse der Erde erforschte — die Tiefsee.
Berufstaucher in der Tiefsee
Ich begann 1957 im Süden Floridas mit dem Sporttauchen und brachte, mit Flossen, Tauchermaske und Schnorchel ausgerüstet, Stunden im Ozean zu. Zu dieser Zeit wimmelte es in den Riffen nahe der Küste von Leben — Hunderte von Barrakudas schwammen über den Korallen, Hummer waren überall, und es gab Tausende von schönen, bunt schillernden Fischen.
Als ich im Sommer 1958 mit zwei Freunden vor der Küste Floridas tauchte, entdeckten wir ein versunkenes spanisches Schiff; das Wrack war relativ unberührt. Es lag an einem Korallenriff. Der mit Korallen überkrustete Anker des Schiffes befand sich noch dort, wohin er gefallen war. In der Nähe lagen eine Kanone, Teile von Musketen und andere Geräte. Davon war ich so fasziniert, daß ich schließlich Berufstaucher wurde.
Suche nach manövrierunfähigen U-Booten
Nachdem ich einige Zeit freiberuflich als Taucher gearbeitet hatte, ging ich im Jahre 1960 zur US-Marine und besuchte die Taucherschule der Marine in Key West (Florida). Als ich meine Ausbildung beendet hatte, wurde ich nach New London (Connecticut) beordert, um auf einem U-Boot-Bergungsfahrzeug zu dienen. Unser Schiff hieß USS Sunbird ASR-15. Wir fuhren in Richtung Norden bis nach Neufundland und in Richtung Süden bis zu den Bermudainseln. Von Zeit zu Zeit machten wir auch eine Mittelmeertour. Schiffe wie das unsrige sollten Besatzungen retten, die in untergetauchten, manövrierunfähigen U-Booten gefangen waren.
Mit unserer Taucherglocke konnten wir U-Boote in 250 Meter Tiefe erreichen. Wir hatten eine vollzählige Besatzung von Tauchern, die mit Tiefseegeräten ausgerüstet waren. Mit Sauerstoff und Helium als Atemgasen konnten wir tiefer als 120 Meter tauchen. Die Besatzung übte mit dem Schiff sorgfältig alle Phasen der U-Boot-Bergung bei verschiedenstem Wetter. Ich dachte, daß sich eines Tages meine Liebe zum Tauchen bezahlt machen würde. Doch ich sollte enttäuscht werden.
Zum Beispiel erhielten wir im April 1963 die Meldung, das Atom-U-Boot USS Thresher SSN-593 vor der Küste von Neuengland sei von Tauchübungen in großer Tiefe noch nicht aufgetaucht. Da wir nicht weit davon entfernt operierten, gelangten wir innerhalb weniger Stunden an die Stelle. Aber USS Thresher war viel zu tief für die Geräte, die wir hatten — das U-Boot in 2 500 Meter Tiefe mußte aufgegeben werden. Die See war ungewöhnlich ruhig, als ein tief fliegendes Flugzeug einen Blumenkranz abwarf. Das war alles, was für die 129 Seelen getan werden konnte, die tief unten in der See verloren waren. Ich fühlte mich so hilflos.
Für diese Männer wurden Gebete gesprochen, die mich zum Nachdenken veranlaßten. Durch das, was geschehen war, erkannte ich, daß Atom-U-Boote für unser Bergungssystem zu tief tauchten. Im November 1963 verließ ich daher frustriert und enttäuscht die Marine.
„Das Meer gab die Toten heraus“
Darauf arbeitete ich als Berufstaucher für eine kleine Firma in Jacksonville (Florida). Es gab immer Unterwasserarbeiten zu tun. Taucher wurden für die Abnahme von Eisenbahnbrücken benötigt. Fernmeldekabel mußten, wenn sie sich mit Schiffahrtswegen überschnitten, in Gräben gelegt werden, die mit Wasserstrahlgeräten gezogen wurden. Unter Wasser mußte Stahl zersägt und geschweißt werden.
Besonders interessant waren die Unterwasserbergungsarbeiten, zum Beispiel gesunkene Lastkähne, Schlepper und verschiedene kleine Wasserfahrzeuge hochzuziehen. Wir durchgruben den Schlamm unter dem gesunkenen Fahrzeug und schlangen dicke Kabel um den Rumpf, worauf es mit einem schweren Kran hochgezogen wurde.
Auf einer langen Fahrt, bei der wir Unterwasserpipelines prüften, lernte ich etwas kennen, was mich aufgrund meiner Liebe zur See und meiner Gefühle gegenüber denjenigen, die auf See ihr Leben lassen mußten, sehr ansprach. Ich machte die Bekanntschaft eines Zeugen Jehovas, und bald stimmten meine Frau und ich einem Bibelstudium zu.
Ich war erleichtert, zu erfahren, daß die wunderschöne Erde mit ihren Ozeanen nicht verbrannt werden würde, wie ich es als Baptist gelehrt worden war (Psalm 104:5; Prediger 1:4). Mich faszinierte der Gedanke, daß die Toten, sogar die Toten im Meer, auferweckt werden. Bibeltexte, wie zum Beispiel Offenbarung 20:13, gingen mir sehr zu Herzen. Dort heißt es: „Das Meer gab die Toten heraus, die darin waren, und der Tod und der Hades gaben die Toten heraus, die darin waren.“ Ich hatte den Wunsch, für immer auf einer paradiesischen Erde zu leben. Es dauerte nicht lange, bis wir, meine Frau und ich, uns taufen ließen, nämlich am 4. September 1966.
Neuerungen beim Tauchen
Seit Ende der 50er Jahre, als ich mit dem Tauchen anfing, hat sich auf diesem Gebiet vieles verändert. Für den Sporttaucher haben sich die Grenzen des Ozeans durch das Unterwasseratemgerät geöffnet. Allerdings ist sehr viel Training erforderlich, um diesen Sport gefahrlos auszuüben.
Im Grunde ist es jedoch der Berufstaucher, der wirklich Veränderungen beobachtet hat. Als ich mit dem Tauchen begann, konnten wir mit Preßluft 50 Meter tief tauchen. Heute hingegen gibt es interessant aussehende Taucherhelme aus Fiberglas und Neopren, und die Taucher atmen ein Gas ein, das es ihnen ermöglicht, in Salzwasser mit Leichtigkeit in Tiefen von mehr als 300 Metern zu arbeiten. Die Taucher führen die verschiedensten Spezialgeräte mit sich, wie zum Beispiel Unterwasserfernsehkameras, die Farbbilder an die Oberfläche senden. Was die Kamera unter Wasser sieht, wird zur sofortigen Wiedergabe auf Videoband aufgezeichnet.
Taucher, die in großer Tiefe arbeiten, halten sich so lange dort auf, bis ihr Organismus mit Stickstoff gesättigt ist. Wenn dieser Punkt einmal erreicht ist, bleibt die Dekompressionszeit unverändert, ganz gleich, wieviel länger sie in dieser Tiefe bleiben. Sie können eine Woche oder sogar länger in großer Tiefe leben und arbeiten. Während sie auftauchen, dient ihr Tauchgerät oder Habitat als Dekompressionskammer, und sie setzen die Dekompression an der Oberfläche fort.
Meiner Meinung nach ist kein anderer Ort der Erde so geheimnisvoll wie die Tiefsee. Draußen, hinter den Korallenriffen, wo das Meer dunkelblau und tief wird, erstrecken sich Millionen von Quadratkilometern Ozean, die immer noch ungeheure Vorkommen von natürlichen Schätzen für die Menschen beherbergen. Versunkene Schiffe aus der Vergangenheit und der Gegenwart liegen auf dem Meeresboden verstreut. Die meisten dienen zahllosen Fischen als Unterwasserbehausung. Wie diese Wracks doch meine Phantasie anregen!
Die Ozeane sind eine wunderbare Gabe Gottes! Vielleicht können wir in seinem gerechten neuen System das Meer wirklich erforschen und uns für immer an diesem Teil seiner wunderschönen Erde erfreuen. (Von Oscar Sam Miller erzählt.)
[Bild auf Seite 16, 17]
Rechts und links von mir tauchten plötzlich mindestens ein Dutzend Haie auf
[Bild auf Seite 18]
USS Thresher, das U-Boot, das sich später manövrierunfähig mit 129 Mann an Bord in 2 500 Meter Tiefe befand — viel zu tief für uns, um sie zu retten
[Bildnachweis]
Foto: US-Marine