Pflanzen, die mit ihrem Wasser geizen
NICHT alle Pflanzen im Saguaro National Monument von Arizona geizen mit ihrem Wasser. In den Nadelwäldern der majestätischen Rincon Mountains durchläuft ein Großteil des Wassers die Bäume einfach — durch die Wurzeln wird es aufgenommen und durch die Nadeln abgegeben. Aber das gilt nur für den entlegenen Teil des Naturparks. Was die Besucher anlockt, ist das trockenheiße Wüstentiefland. Dort, wo die jährliche Niederschlagsmenge weniger als 30 Zentimeter beträgt, gedeihen die wasserhortenden Pflanzen.
In dem Park gibt es etwa 50 Kaktusarten, doch seinen Namen verdankt dieses nationale Naturdenkmal dem Kaktus, der am meisten Wasser hortet — dem Saguaro oder Riesenkaktus (Carnegiea gigantea). Der Saguaro wird vom Winzling zum Riesen. Aber das braucht Zeit. Sein Samen ist nicht größer als der Punkt am Ende dieses Satzes. Nach seinem ersten Jahr mißt der Sämling womöglich nicht mehr als sechs Millimeter. Mit 15 Jahren ist der Saguaro 30 Zentimeter hoch, mit 50 Jahren zwei Meter, und wenn er 75 Jahre alt ist, wächst sein erster Arm. Dann blüht er und bringt Samen hervor. Ein vollentwickelter Saguaro erzeugt jährlich Zehntausende von Samen, schätzungsweise 40 Millionen im Laufe seines Lebens. Davon wird unter Umständen nur einer zu einem Kaktus, der ein hohes Alter erreicht. Er kann 200 Jahre alt werden. Dann hat er einen Stamm mit einem Durchmesser von 80 Zentimetern, ist 15 Meter hoch und wiegt zehn Tonnen, wovon vier Fünftel Wasser sind. Und er ist äußerst geizig mit seinem Wasser.
Auch ist er sehr gierig danach. Seine Wurzeln bilden ein flaches Geflecht, das sich in jede Richtung bis zu 30 Meter ausbreitet. Nach einem Regen können sie 750 Liter Wasser aufnehmen, womit der Saguaro ein Jahr auskommt. Zylinder, die aus 12 oder mehr holzigen Rippen bestehen, umgeben die Mitte des Stammes und der Zweige und verleihen ihnen Festigkeit. Falten ermöglichen es dem Kaktus, sich wie ein Akkordeon auszudehnen oder zusammenzuziehen, je nachdem, wieviel Wasser er speichert. Die grüne, wachsartige Haut hält das Wasser zurück, und in ihr geht die Photosynthese vor sich. Die spitzen Dornen schrecken Tiere davon ab, ihm Wasser zu stehlen.
Doch der erstaunlichste Wasserspeicherungsmechanismus der Kakteen ist die Fähigkeit, ohne großen Wasserverlust ihre Nahrung herzustellen. Für die Photosynthese — den Vorgang, durch den Pflanzen ihre Nahrung erzeugen — ist Wasser notwendig, das durch die Wurzeln aufgenommen wird, Kohlendioxyd aus der Luft und Sonnenlicht. Bei Tageslicht transpirieren die meisten Pflanzen durch die Spaltöffnungen oder Stomata ihrer Blätter einen beträchtlichen Teil ihres Wasservorrats, während sie gleichzeitig Kohlendioxyd aufnehmen und sich das Sonnenlicht zunutze machen, was beides für die Photosynthese nötig ist.
Kakteen können sich jedoch in ihrer trockenheißen Umgebung einen solchen Wasserverlust nicht leisten. Deshalb verschließen sie die Stomata ihrer Stämme, um kein Wasser durch Transpiration zu verlieren. Damit wird allerdings auch das Aufnehmen von Kohlendioxyd für die Photosynthese verhindert, die nur stattfinden kann, wenn Sonnenlicht da ist, das die notwendige Energie liefert. Wie wird das Problem gelöst? Durch einen recht ungewöhnlichen biologischen Vorgang.
Die Lösung des Problems
Die Wüstennächte sind kühl, ja sogar kalt. Daher öffnen Kakteen ihre Stomata nachts. Sie nehmen Kohlendioxyd auf, verlieren aber nur sehr wenig Feuchtigkeit durch Transpiration an die Nachtluft. Doch zu dieser Zeit findet keine Photosynthese statt. Das Kohlendioxyd wird durch eine völlig andere, äußerst effiziente Abfolge chemischer Reaktionen gespeichert, PEP-System genannt. Später wird das Kohlendioxyd freigesetzt und dorthin geschickt, wo die üblichen Tageslichtvorgänge der Photosynthese stattfinden.
Die Photosynthese ist ein höchst komplizierter Vorgang mit etwa 70 getrennt ablaufenden chemischen Reaktionen, den man als „wahres Wunder“ bezeichnet hat. Die besondere Vorgehensweise der Kakteen, die sie nachts einleiten, um sich ihr Wasser zu erhalten, ist noch wunderbarer. Evolutionisten schreiben all das natürlich dem blinden Zufall zu, aber da in verschiedenen, nicht miteinander verwandten Pflanzen die Photosynthese abläuft, hätte der blinde Zufall das Wunder nicht nur einmal, sondern mehrmals vollbringen müssen. Die Tatsachen und der gesunde Menschenverstand führen einen zu dem Schluß, daß ein intelligenter Schöpfer der Konstrukteur war.
Vielen zu Diensten
Der Saguaro leistet Sozialdienste. Von Ende April bis in den Juni hinein sind die Spitzen des Stammes und der Zweige mit Blüten bedeckt, die wie große weiße Blumensträuße aussehen. Jede Blüte öffnet sich nachts und verwelkt am nächsten Tag. Aber jeder Saguaro wiederholt das Schauspiel ungefähr vier Wochen lang Nacht für Nacht und bringt dabei insgesamt etwa hundert Blüten hervor. Wegen ihrer Pracht ist die Blüte mit der Ehre bedacht worden, das Staatsemblem von Arizona zu sein. Vögel, Fledermäuse, Bienen und Nachtfalter ernähren sich von dem Nektar und bestäuben die Blüten.
Die Früchte werden im Juni und Juli reif. Pekaris, Kojoten, Füchse, Erdhörnchen, Ernteameisen und viele Vögel essen die Früchte und Samen. Spechte höhlen in den Stämmen und Zweigen mehr Nistlöcher aus, als sie brauchen, doch die Pflanze heilt ihre Wunden mit einem schützenden Narbengewebe, um kein Wasser zu verlieren, und die Aushöhlungen werden später von vielen anderen Vögeln benutzt, darunter Elfenkäuze, schreiende Eulen und kleine Habichte. Es gibt eine Menge Interessenten.
In der Vergangenheit verwendeten Indianer die kürbisähnlichen Aushöhlungen als Wasserbehälter. Die holzigen Rippen, die das gewaltige Gewicht der wasserreichen Saguaros stützen, dienten zum Bau von Schutzhütten und Zäunen. Die grünen Riesen liefern auch eine Menge saftiger feigenartiger Früchte, die die einheimischen Papago-Indianer mit langen Stangen von den Spitzen der Stämme und Zweige abschlugen. Sie bereiteten daraus Marmelade, Sirup und alkoholische Getränke. Die Indianer sowie ihre Hühner aßen die Samen. Die Saguarofrucht war den Papagos so wichtig, daß ihre Ernte den Jahresbeginn kennzeichnete.
Wüstenpflanzen bewältigen das Wasserproblem unterschiedlich. Der Mesquite holt sich so viel Wasser, wie er braucht. Er bohrt eine Pfahlwurzel 10 bis 30 Meter tief in die Erde, bis er auf ein unterirdisches Reservoir stößt. Aber wie überlebt der kleine Sämling die lange Durststrecke, bis seine Pfahlwurzel auf Wasser trifft? Das ist nur eines der ungelösten Rätsel der Wüste. Der nachts blühende Cereus bildet eine Knolle, die ihm als unterirdisches Reservoir dient. Der Kreosotbusch sendet auf der Suche nach Wasser Wurzeln mit großer Reichweite aus, die gleichzeitig Giftstoffe absondern, um irgendwelche Keimlinge in der Nähe zu töten.
Die schönen einjährigen Pflanzen, die im Frühjahr blühen und die Wüste mit einem prachtvollen bunten Teppich überziehen, verfügen über keine dieser genialen Erfindungen zum Überstehen von Wassermangel. Wie kommen sie zurecht? Sie lassen es gar nicht erst zu Wasserknappheit kommen! Ihre Samen enthalten Hemmsubstanzen, die das Keimen verhindern. Bei starkem Regen werden die Hemmstoffe ausgespült, und die Samen gehen auf und wachsen. Die Pflanzen blühen und bringen Samen für die nächste Generation hervor. Die Niederschlagsmenge muß allerdings mindestens 13 Millimeter betragen, um die Hemmstoffe zu entfernen; ein Regenschauer reicht nicht. Die Samenkörner können sozusagen den Niederschlag messen, und wenn der Regen den Boden nicht ausreichend durchnäßt, so daß das Wasser für ein Pflanzenleben nicht ausreicht, ruhen sie einfach weiter. Sie fangen nichts an, was sie nicht auch zu Ende bringen können.
Man kann wohl sagen, daß die Saguaros interessante Nachbarn haben.
[Bilder auf Seite 24]
Blüten und Früchte des Saguaro
[Bild auf Seite 25]
Sie dienen Habichten als Hochsitze
[Bildnachweis]
Frank Zullo