Warum ausgerechnet mit Holz bauen?
VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN JAPAN
WIE silbrige Fischschuppen glitzern die 22 Zwiebeltürme der Holzkirche im schwachen Sonnenlicht des Nordwestens Rußlands. Bei näherem Hinsehen erkennt man, daß die Kuppeln mit Tausenden von alten, bereits verwitterten Holzschindeln gedeckt sind. Dieses Holzbauwerk auf einer Insel im Onegasee hat nahezu 300 Jahre lang den harten Wintern dort getrotzt. Stumm bezeugt es die erstaunliche Dauerhaftigkeit von Holz.
Andere Gebäude liefern ein noch beredteres Zeugnis. Überall im Norden Europas gibt es Holzbauten, die weitaus älter sind. In Norwegen zum Beispiel baute man um das 12. Jahrhundert unwahrscheinlich viel mit Holz, und noch heute findet man solche Bauten in den ländlichen Gegenden. Ein Holzbauwerk, das um das Jahr 1013 in der Nähe von Ongar (Essex) errichtet wurde, bietet noch immer dem allbekannten Wetter Englands die Stirn. Aber der Uraltprototyp aller Holzbauten ist anscheinend ein Tempel in Japan, der noch einige hundert Jahre älter ist.
Das älteste Bauwerk aus Holz
Wie kommt es, daß der Horyuji-Tempel so lange überdauern konnte? Vor allem kannten sich die damaligen Zimmerleute hervorragend mit Holz aus. Sie wußten, welches das richtige Holz war und welche Teile für bestimmte Zwecke zu verwenden waren. In diesem Fall war ihre Wahl auf hinoki (japanische Zypresse) gefallen; der Baum war mindestens 1 000 Jahre alt, bevor man ihn fällte.
Der kürzlich verstorbene Zimmermeister Tsunekazu Nishioka verbrachte einen Großteil seines Lebens mit Renovierungsarbeiten an der Tempelanlage. Er behauptete, daß auch die Nägel des Tempels wesentlich zu dessen Langlebigkeit beigetragen haben; sie wurden hergestellt wie Samuraischwerter: durch wiederholtes Erhitzen und Aushämmern. Bei den Renovierungsarbeiten verwendete man die alten Nägel, weil „moderne Nägel keine 20 Jahre halten“, wie er sich ausdrückte.
Einigen erscheint es vielleicht fraglich, ob der Horyuji-Tempel wirklich 1 300 Jahre alt ist, da 35 Prozent der Anlage in diesem Jahrhundert ausgebessert worden sind. Viele Hauptstützen, tragende Balken und Dachbalken bestehen hingegen aus dem Originalholz. Nishioka sagte: „Ich glaube, der Tempel wird weitere 1 000 Jahre überdauern.“
Kein Wunder, daß die alten Japaner das Holz liebenlernten, wuchs doch Holz dieser Qualität in ihrer unmittelbaren Umgebung. Auch heute spiegeln japanische Häuser wider, daß die Liebe zum Holz geblieben ist.
Japanische Wohnhäuser
Im Haus wird viel Holz verarbeitet, das man allerdings nicht streicht. Stützen, Türen, Möbel und dergleichen werden so poliert, daß die natürliche Maserung und die Farbe zur Geltung kommen. Verandadielen aus Holz poliert man gar nicht. Das unbearbeitete Holz harmoniert gut mit den Bäumen und Sträuchern des Gartens. Anstatt die Sinne zu reizen, ist der Effekt eher harmonisierend und beruhigend.
Der Wunschtraum vieler Japaner ist es, solch ein Haus zu besitzen. Für den Normalverdiener ist ein derart hochwertiges Bauholz heute jedoch viel zu teuer. Immerhin verwendet man in Japan gern Holz, wo immer es sich machen läßt, da die Vergangenheit die Japaner gelehrt hat, daß Holz nicht nur gut aussieht, sondern auch auf die Umweltbedingungen abgestimmt ist — auf die häufigen Erdbeben, die Taifune, die feuchtheißen Sommer und die kalten Winter.
Für erdbebengefährdete Gebiete ist Holz ein wahrer Segen, denn es reagiert unter Spannung äußerst elastisch, wohingegen andere Materialien wie Stein reißen. Holz bewahrt auch ganz wunderbar die Feuchtigkeit und isoliert. Obwohl es in Japan von Juni bis August viel regnet und die Luftfeuchtigkeit hoch ist, verrotten die Häuser nicht. Holz paßt sich an und sorgt für eine gewisse Behaglichkeit, weil es die Feuchtigkeit aus der Luft aufnehmen und später wieder abgeben kann. Im allgemeinen mag man Holz allerdings aus ganz anderen Gründen.
Die Schönheit des Holzes
Überall auf der Welt entscheidet man sich vorwiegend wegen des Aussehens für Holz. In Collins Good Wood Handbook von Albert Jackson und David Day wird folgendes erklärt: „Da Holz ein Naturprodukt ist, ist jedes Stück ein Unikat. Jedes Holzteil ein und desselben Baumes oder sogar ein und desselben Brettes sieht anders aus. Die Farbe des Holzes und die Festigkeit können dieselbe sein, aber keine Maserung gleicht der anderen. Gerade weil Holz so unterschiedlich beschaffen ist, was seine Eigenart, seine Festigkeit, seine Farbe, seine Bearbeitungsfähigkeit und sogar seinen Geruch betrifft, geht von ihm ein starker Reiz aus.“
Warum ist die Art der Maserung so verschieden? Zum einen ist der Faserverlauf bei manchen Bäumen gerade, bei anderen verkrümmt, und wieder andere Arten bilden wellenförmige oder sogar verschlungene Maserungen. Zum anderen drehen sich Bäume oftmals, während sie wachsen, oder ändern die Wuchsrichtung, Äste treiben aus, Insekten kommen und gehen. All das trägt zu einer interessanten Zeichnung des Holzes bei. Hinzu kommt, daß die Maserung durch die Schnittführung ihr Aussehen verändert. Ein Rotbraunholz, das so geschnitten wird, daß es eine ausgeprägte Zeichnung mit fast schwarzen Streifen erhält, nennt man in einigen Ländern Zebraholz, in anderen Tigerholz.
Die Schönheit des Holzes wird zudem durch eine enorme Vielfalt an Farbvarianten zur Geltung gebracht. Es gibt nicht nur braunes Holz. Das schwarze Kernholz des Ebenholzes kommt aus Indien und Sri Lanka, das rote bis purpurfarbene Camholz stammt aus Westafrika, das dunkelrote Mahagoniholz aus Zentral- und Südamerika. Aus Brasilien stammt das leuchtendgelbrote Pernambukholz, dessen Farbe sich in ein sattes Rotbraun verwandelt, wenn es längere Zeit der Luft ausgesetzt ist. Einige Hölzer sind grün, andere blaßrot. Alaska liefert das gelblichweiße Holz der Nutka-Scheinzypresse, und das Holz des europäischen Bergahorns ist sogar noch heller. Am Ende des Farbspektrums stehen die Weißhölzer, die so hell sind, daß sie nahezu farblos erscheinen.
Viele haben auch den Geruch des Holzes sehr gern. Ein angenehm duftendes Holz ist Wacholder; Salomos Zimmerleute belegten damit den Fußboden des Tempels (1. Könige 6:15). Die Luft war womöglich von Wacholderduft erfüllt, der sich zu gewissen Zeiten mit dem Duft des wohlriechenden Räucherwerks vermischte (2. Chronika 2:4). Wacholderholz ist nicht nur dafür bekannt, daß es gut riecht, sondern auch dafür, daß es dauerhaft und widerstandsfähig ist.
Man könnte noch viel mehr Positives über das Holz erwähnen. Es hat so viele gute Seiten, daß man sich fragt, ob es überhaupt etwas gibt, was man gegen das Holz vorbringen kann.
Holz — ein Geschenk
Es stimmt, daß nicht alle Hölzer Schädlingsbefall überstehen oder der Witterung Hunderte von Jahren standhalten. Hauptsächlich denkt man bei der Holzbauweise an die Gefahr des Feuers. Massives Holz verkohlt bei extremer Hitze nur allmählich und verliert seine Festigkeit ganz langsam, es fällt nicht so schnell zusammen wie Stahl. Allerdings haben heute nur wenige Häuser traditionelle Balken und Stützen aus Massivholz. Man sollte ein brennendes Haus daher so schnell wie möglich verlassen.
Holz ist keineswegs ein minderwertiges Baumaterial. Vielmehr kann aus Holz, das richtig ausgewählt und behandelt wird, ein hervorragend isoliertes Gebäude entstehen, das jahrhundertelang genutzt werden kann. Einige Fachleute behaupten, daß Holz bei richtiger Behandlung überhaupt nicht verwittert. Wie dem auch sei, Holz gehört gewiß zu den besten Baumaterialien, die unser Schöpfer uns gegeben hat.
[Bild auf Seite 17]
Zwiebeltürme einer Holzkirche auf einer Insel im Onegasee
[Bildnachweis]
Tass/Sovfoto
[Bilder auf Seite 18]
Der Horyuji-Tempel in Japan