Via Egnatia — Eine Straße, die zur Ausdehnung beitrug
VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN GRIECHENLAND
IM Jahr 50 u. Z. betrat eine Gruppe christlicher Missionare zum erstenmal europäischen Boden. Sie waren einer Einladung gefolgt, die der Apostel Paulus in einer Vision erhalten hatte: „Komm herüber nach Mazedonien, und hilf uns!“ (Apostelgeschichte 16:9). Die Botschaft über Jesus Christus, von der Paulus und seine Begleiter erzählten, zeigte in Europa große Wirkung.
Die Via Egnatia, eine gepflasterte Römerstraße, trug wesentlich zur Ausbreitung des Christentums in Mazedonien bei. Nach der Ankunft im Hafen von Neapolis (heute Kawala, Griechenland) am nördlichen Ende der Ägäis reisten die Missionare offensichtlich auf dieser Straße nach Philippi, der bedeutendsten Stadt im Bezirk Mazedonien. Die Straße führte weiter nach Amphipolis, Apollonia und Thessalonich, wo Paulus und seine Begleiter anschließend haltmachten (Apostelgeschichte 16:11 bis 17:1).
Teile dieser alten Straße sind bis heute erhalten geblieben und werden noch täglich benutzt. Man plant zur Zeit den Bau einer modernen Hauptverkehrsstraße, die dem alten Streckenverlauf folgen und denselben Namen tragen wird.
Wer hat die Römerstraße gebaut? Wann wurde sie angelegt, und zu welchem Zweck?
Warum sie notwendig war
Als die Römer nach Osten vorstießen, wurde Mazedonien 146 v. u. Z. römische Provinz. Durch die Eroberungen entstand für das Reich jedoch ein Bedarf: In den neuen Gebieten mußten rasch Streitkräfte stationiert werden. Die Via Appia oder Appische Straße auf der italienischen Halbinsel verband Rom bereits mit der südöstlichen Adriaküste. Doch nun brauchte das Reich eine ähnliche Straße zur Balkanhalbinsel. Man plante die Via Egnatia, die nach dem Erbauer, dem Prokonsul Gaius Egnatius, benannt wurde.
Von der Hafenstadt Dyrrhachium in der Provinz Illyrien (Durrës, Albanien) verlief die Via Egnatia auf einer Strecke von über 800 Kilometern bis zu der antiken Stadt Byzanz (Istanbul, Türkei). Mit dem Bau, der etwa 44 Jahre dauerte, wurde 145 v. u. Z. begonnen. Wie beabsichtigt erwies sich die Via Egnatia schon bald als äußerst nützlich für die östlich gerichtete Expansionspolitik Roms.
Schwieriges Gelände für eine Straße
Das Gelände machte den Straßenbau allerdings nicht leicht. Im ersten Abschnitt trifft die Straße beispielsweise auf den Ohridsee, an dem sie in Richtung Norden entlangführt. Dann schlängelt sie sich über Berge, führt ostwärts durch ein unwirtliches Gelände mit Mulden, kahlen Bergen und von Seen durchzogenen Becken und erreicht schließlich die zentralmazedonische Ebene.
Vor Thessalonich zieht sich die Straße durch eine flache, offene Landschaft. Östlich der Stadt ist das Gelände jedoch hügelig. Nach einem kurvenreichen Verlauf über diese Hügel führt die Via Egnatia in ein Tal hinunter, dessen Seen von morastigen, nicht deutlich abgegrenzten Ufern gesäumt sind. Darauf windet sie sich weiter durch Täler und Sumpfgebiete bis zu der antiken Stadt Neapolis.
Von dort aus setzt sich die Route in Richtung Osten an der Ägäisküste fort und durchquert dann Thrakien. Im letzten Abschnitt nimmt die Straße einen recht geraden und ebenen Verlauf bis zu ihrem Ziel: Byzanz.
Ihrem Zweck entsprochen
Die Via Egnatia bildete die direkteste und günstigste Route zwischen Rom und den eroberten Gebieten östlich der Adria. Sie erleichterte die Gründung römischer Besitzungen in mazedonischen Städten und nahm großen Einfluß auf die wirtschaftliche, demographische und kulturelle Entwicklung des Gebiets. Die Straße vereinfachte den Transport von Kupfer, Asphalt, Silber, Fisch, Öl, Wein, Käse und anderen Gütern.
Der Wohlstand, der sich durch den Handel einstellte, brachte es mit sich, daß bestimmte Orte entlang der Straße, wie zum Beispiel Thessalonich und Amphipolis, bald zu den größten Städten des Balkans zählten. Vor allem Thessalonich entwickelte sich zu einem bedeutenden Handelszentrum voller künstlerischer und kultureller Aktivitäten. Natürlich entfielen die Kosten für die Instandhaltung der Straße teilweise auf die Gemeinden, durch die sie führte. Andererseits kam den Gemeinden der internationale Handel sehr zugute.
Rolle in der Ausbreitung des Christentums
Die Via Egnatia brachte für die Anwohner jedoch noch etwas weit Wichtigeres als materiellen Wohlstand mit sich. Ein Beispiel ist die wohlhabende Geschäftsfrau Lydia. Sie wohnte in Philippi, der ersten Stadt in Europa, wo Paulus die gute Botschaft predigte. Nachdem Paulus und seine Begleiter im Jahr 50 u. Z. in Neapolis an Land gegangen waren, reisten sie auf der Via Egnatia ungefähr 15 Kilometer weiter in nordwestliche Richtung nach Philippi.
„Am Sabbattag gingen wir zum Tor hinaus an einen Fluß“, schrieb Lukas, „wo wir eine Gebetsstätte vermuteten; und wir setzten uns nieder und begannen zu den Frauen zu reden, die zusammengekommen waren.“ Lydia war eine der Frauen, die Paulus zuhörten. Am selben Tag wurden sie und ihre Hausgenossen gläubig (Apostelgeschichte 16:13, 14).
Von Philippi aus zogen Paulus und seine Gefährten auf der Via Egnatia etwa 120 Kilometer weiter durch Amphipolis und Apollonia nach Thessalonich (Apostelgeschichte 17:1). Beim Predigen der guten Botschaft in Thessalonich machte es sich Paulus zunutze, daß sich die Juden am Sabbat in der Synagoge zusammenfanden. Als Ergebnis wurden einige Juden und viele Griechen gläubig (Apostelgeschichte 17:2-4).
Noch heute benutzen Zeugen Jehovas in Albanien und in Griechenland Abschnitte derselben Straße, um die Bewohner dieser Regionen zu erreichen. Ihr Ziel ist es, die gute Botschaft von Gottes Königreich zu verbreiten, wie es der Apostel Paulus und seine Missionsgefährten taten (Matthäus 28:19, 20; Apostelgeschichte 1:8). Ja, die Via Egnatia ist eine Römerstraße, die schon im 1. Jahrhundert und bis ins 20. Jahrhundert hinein zur Ausdehnung des Christentums beigetragen hat.
[Karten auf Seite 16, 17]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
GROSS-BRITANNIEN
EUROPA
AFRIKA
BALKAN-HALBINSEL
MAZEDONIEN
GRIECHENLAND
Dyrrhachium, Illyrien (Durrës, Albanien)
Thessalonich
Apollonia
Amphipolis
Philippi
Neapolis (Kawala)
Byzanz (Istanbul)
SCHWARZES MEER
MARMARA-MEER
THRAKIEN
ÄGÄIS
Troas
TÜRKEI
[Bildnachweis]
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[Bild auf Seite 16]
Auf der Straße nach Neapolis
[Bild auf Seite 17]
Auf dem Weg nach Philippi