Neuzeitliche Geschichte der Zeugen Jehovas
24. Teil: Ausdehnung auf der westlichen Hemisphäre
NORDAMERIKA mit seinen mehr als 201 Millionen Einwohner bietet hervorragende, eindrucksvolle Tatsachenbeweise vom Erntewerk. Englisch, Französisch und Spanisch sind die Hauptsprachen, die dort gesprochen werden. Ein großer Teil der Bevölkerung ist, was die Religion betrifft, protestantisch. Auch der Atheismus hat viele Anhänger. Aber die katholische Denkweise überwiegt in vielen Gebieten. Die Denkweise des Nordamerikaners, im Heidentum verwurzelt, ist in den jüngsten Jahren zufolge der technischen Entwicklung weitgehend materialistisch geworden, und die Menschen denken, sie seien beinahe Götter, die mittels der fälschlich sogenannten „Wissenschaft“ irgend etwas vollbringen könnten. Auch sind sie auf Vergnügungen und Reisen erpicht, und dies unter dem Einfluß phantastischer Hollywood-Filme. Da der Nordamerikaner im Erfinden komplizierter Maschinen für die Inlandindustrie und von Kriegswaffen voranging, ist er ein furchterfüllter Sklave solcher Erfindungen geworden, statt ihr Herr zu bleiben. Der Herzensfriede fehlt. Große Furcht vor dem Atomkrieg herrscht und überschattet das Denken aller, und dies auf religiösem, politischem und sozialem Gebiet.
Da sich der Hauptsitz der Watch Tower Society in Nordamerika befindet, haben die dort lebenden Zeugen Jehovas zuerst damit beginnen können, das weite Gebiet „auszukämmen“, um die „anderen Schafe“ zu finden. Sobald die Wachtturm-Bibelschule Gilead ihre wohlgeschulten Missionare im Jahre 1943 auszusenden begann, wurden diese in verschiedene entlegene Länder außerhalb Nordamerikas gesandt, so nach Mexiko, Neufundland, Alaska, ferner in die zentralamerikanischen Länder (die Republiken von Costa Rica, Guatemala, Honduras, Nikaragua und El Salvador sowie nach Belize, in die britische Kronkolonie von Britisch-Honduras) wie auch in die isthmische Republik Panama und sogar in die französisch-kanadische Provinz Quebecka. Bis zum Jahre 1947 wirkten 163 Wachtturm-Missionare in diesen Gebieten, und bis zum Jahre 1955 war die Zahl auf 663 Gileadabsolventen angewachsen, die in zwölf nordamerikanischen Ländern arbeiteten.
Frühjahr 1945, bevor der zweite Weltkrieg zu Ende kam, machte der Präsident der Gesellschaft, N. H. Knorr, in Begleitung des Direktionsmitgliedes F. W. Franz den ersten offiziellen Besuch in Mexiko und Zentralamerika, wo die Vorbereitungen zur Erweiterung der Missionstätigkeit vervollständigt wurdenb. Offizielle Rückbesuche von seiten der Exekutivbeamten der Gesellschaft sind ungefähr alle vier Jahre erfolgt. Auf diesem weiten Kontinent sind Hunderte neuer Versammlungen in entlegenen Gebieten aufgebaut worden, und schnell anwachsende Versammlungen von über 200 Gliedern in den großen amerikanischen Städten wurden unterteilt. Besonders in Kanada und den Vereinigten Staaten sind viele Versammlungen genötigt gewesen, gut geplante, wohl ausgerüstete Königreichssäle zu bauen, tun den wachsenden Bedürfnissen an Versammlungsstätten für die Zeugen Jehovas gerecht zu werden. In Mexiko wo es so viele gibt, die sich für die Botschaft des Königreiches Jehovas interessieren, sind in jeder Versammlung Schulen für Analphabeten errichtet worden, um jung und alt Spanisch lesen und schreiben zu lehren. Dieses mexikanische Ausbildungsprogramm erzielte großen Erfolgc.
Seit dem Jahre 1945 ist das Hauptkampffeld in Kanada gewesen, besonders in der katholischen Provinz Quebeck. Vom Jahre 1943 bis 1955 sind 1682 Gerichtsfälle gegen die Zeugen hängig gewesen, außerdem gab es viele Pöbelaktionen. Von den Gerichtsfällen wurden 780 zugunsten des Volkes Jehovas entschieden, und kürzlich sind 899 weitere durch die historische Entscheidung des kanadischen höchsten Gerichts zugunsten der Zeugen Jehovas gefällt worden, und dies am 6. Oktober 1953 im Falle Saumur gegen Quebeckd. Im Januar 1954 traf die Quebecker Provinzbehörde Vergeltungsmaßnahmen durch den Erlaß eines Gesetzes, wodurch sie die Zeugen fangen wollte. Auch dieser Belästigung mußte vor den Landesgerichten Trotz geboten werden. Im Jahre 1951 gewannen die Zeugen eine der hervorragendsten Entscheidungen in der Rechtsgeschichte Kanadas, nämlich den Fall Boucher gegen den König [die Krone], wo das höchste Gericht Kanadas die Ansicht vertrat, daß die Predigttätigkeit der Zeugen Jehovas nicht umstürzlerisch iste. Da Kanada keine Garantien für die Bürgerfreiheiten besaß und da Jehovas Zeugen so lange das Opfer einer skandalösen Verfolgung gewesen waren, setzte die Gesellschaft in Kanada eine Petition in Umlauf, in der sie eine Bill of Rights, d. h. eine Erklärung der Rechte oder ein Staatsgrundgesetz, forderte. Diese Petition wurde von insgesamt 500 967 Kanadiern unterzeichnet und dem Parlament am 9. Juni 1947 eingereicht. Im Februar 1949 wurde eine zweite, noch größere Petition mit 625 510 Unterschriften eingereicht, doch auch diese wurde unbeachtet gelassen. Trotz der Hitze des Kampfes im katholischen Quebeck nimmt die Zahl der Zeugen sehr rasch zu, da dieses „Gefängnis“ geöffnet wird, damit ehrliche Menschen ihre Denkweise im Interesse der Freiheit der Gottesanbetung ändern und in Gottes Neue-Welt-Gesellschaft entfliehen können.
Die folgende Tabelle zeigt uns die verblüffenden Anstrengungen, die in den jüngsten Jahren in Nordamerika gemacht worden sind, sowie die erfreulichen Ergebnisse, wie dies aus der wachsenden Zahl der Prediger hervorgehtf.
Jahr Länder,
in denen Zeugnis Prediger Predigt-
gegeben Gesamtzahl stunden
1942 7 75 589 19 668 961
1947 12 91 740 20 787 495
1952 12 168 752 25 810 384
1953 12 193 542 26 734 105
1955 12 236 124 29 999 901
Die Tatsache, daß mehr als 29 Millionen Stunden im Jahre 1955 von 236 124 ordinierten Predigern für das Predigen aufgewandt wurden, mußte einen mächtigen Einfluß auf die Denkweise von Millionen Menschen ausüben. Im Jahre 1955 gab es in Nordamerika je einen Prediger, einen Zeugen Jehovas, auf 922 Einwohner des Kontinents. Das Einsammlungswerk in diesem Teile der Welt hat an Schwungkraft zugenommen, und kein Maß der Opposition der Geistlichkeit kann es nun verlangsamen. Tausende von Versammlungen dehnen sich beständig aus, während sie die Zehntausende Neuer aufnehmen, die um der Sicherheit willen zur Organisation Gottes fliehen.
INSELN DES ATLANTIKS UND DES AMERIKANISCHEN MITTELMEERGEBIETS
In großer Zahl hören die Bewohner der Inseln den Ruf des Rechten Hirten, Jesu Christi, und beeilen sich, in Jehovas bergesgleiche Organisation zu fliehen. Im Atlantischen Ozean und im amerikanischen Mittelmeergebiet (das Karibische Meer inbegriffen) gibt es viele Inseln, und sie sind von über 16 Millionen Weißen, Braunen und Schwarzen (englischer, holländischer, lateinamerikanischer und afrikanischer Abstammung) ziemlich dicht bevölkert. Das Leben ist für sie nicht so kompliziert, wie es das ihrer nordamerikanischen Verwandten ist. Ihre religiöse Denkart ist gefärbt durch den Katholizismus, die anglikanische Disziplin sowie dämonischen Aberglauben, wie z. B. den Wodukult. Die sittlichen Normen sind nicht sehr hoch, weil durch Pfaffentrug die Leute auf „fromme“ Weise bestochen werden, Geld zur Vergebung von Sünden zu entrichten. Die Männer dürfen eine offizielle Frau und mehrere Nebenfrauen haben, mit denen sie nach dem Gewohnheitsrecht zusammenleben. Ein großer Prozentsatz der Kinder kommt außerehelich zur Welt. Die Frauen leisten viel Arbeit und unterstützen praktisch ihre Männer und Kinder. Es wird keine große Sorgfalt angewandt, um den Jungen eine Ausbildung zu geben. Die Leute leben in den Tag hinein, ohne sich viel Sorgen zu machen, freuen sich über magere Vergnügen und gebrauchen ihre Denkkraft nur wenig. Doch von den Massen, die in dieser Geistesverfassung sind, werden in Verbindung mit Jehovas Zeugen Tausende zu ernsten christlichen Predigern.
Spät im Jahre 1943 wurde damit begonnen, Missionare, die Gilead absolviert hatten, nach Kuba zu senden, wo man im Unterrichten eifriger Hörer der biblischen Wahrheit sogleich Erfolg erntete. Danach begannen Puerto Rico, die Dominikanische Republik, Haiti, Trinidad, Bermuda, die Bahamas, Jamaika und andere Inseln von den Wachtturm-Missionaren „überflutet“ zu werden, und die Bevölkerung nahm sie willig auf. Die Gesellschaft wendete zur Ausdehnung des Evangeliumsdienstes im karibischen Gebiet und in Zentralamerika und Südamerika allein im Jahre 1946 etwa 125 000 Dollar aufg. Vom Jahre 1944 an besuchte der Präsident der Gesellschaft in drei aufeinanderfolgenden Jahren Kuba und andere Inseln, um die in diesen Gebieten erzielten ausgezeichneten Anfangsresultate zu fördernh. Im Jahre 1955 gab es 144 Missionare, die in 38 verschiedenen politischen „Ländern“ auf Inseln wirkten. Mehrere Jahre lang war der Schoner Sibia ein schwimmendes Missionarheim mit einer Mannschaft von Gileadabsolventen an Bord, die Insel um Insel besuchte, um Vorträge zu halten, allen Einheimischen Zeugnis zu geben und Bibelstudien mit ihnen abzuhalteni. Dieses Schiff ist nun durch das größere Schiff Light [Licht] ersetzt wordenj. Viele Interessierte an entlegenen Orten sind so gesammelt worden, damit sich später weitere Missionare, die die Gesellschaft in dieses Gebiet senden wird, ihrer fortwährend annehmen können.
Zufolge der Aufhetzung durch die Geistlichkeit erfolgten behördliche Verbote sowie Missionarausweisungen, und es hat sich in der Dominikanischen Republik, auf Haiti, Bermuda, Jamaika und auf anderen Inseln ein allgemeiner Widerstand entwickelt, doch hält dies die Zeugen von ihrer Tätigkeit nicht ab, wie dies aus der folgenden Tabelle der Ausdehnung ersichtlich istk.
Jahr Länder,
in denen Zeugnis Prediger Predigt-
gegeben Gesamtzahl stunden
1942 6 1 297 237 057
1947 12 6 429 1 448 810
1952 15 15 659 2 200 647
1953 29 17 421 2 248 941
1955 38 19 615 2 673 483
Durch einen mächtigen Predigtdienst, der mehr als zwei Millionen Predigtstunden im Jahr ausmacht, erschallt Jehovas Lob auf diesen Inseln. Durch dieses Mittel werden Tausende weiterer Menschen zum Leben in Jehovas wunderbarer neuer Welt der Gerechtigkeit erzogen. Schon im Jahre 1955 gab es einen Prediger der Zeugen Jehovas auf je 971 Inselbewohner. Ein guter Prozentsatz!
SÜDAMERIKA
Bis zum Ende des zweiten Weltkrieges schienen alle Länder des südamerikanischen Kontinents mit ihren 120 Millionen Einwohnern ausschließlich für die Römisch-katholische Kirche reserviert zu sein. Im Jahre 1945, als die westlichen Demokratien den katholisch-nazi-faschistischen-Versuch zur Weltherrschaft niederschlugen, schien das Tor nach Südamerika für das wahre Christentum, wie es die mutigen Missionare der Zeugen Jehovas vertreten, weit offenzustehen. Spanisch und Portugiesisch sind dort die Hauptsprachen. Zufolge der Vatikan-Hierarchie, deren schwere Hand während Jahrhunderte auf dem Volke lastete, ist der Denkhorizont der Bevölkerung in diesem Teil der Welt begrenzt, ihr Denken ist sinnlich und abergläubisch. Die Leute sind sportstoll und aufs Spiel versessen. Die Sittlichkeit steht wegen des Verbots der Ehescheidung zufolge der katholischen Lebensauffassung natürlich auf nicht besonders hoher Stufe, und die Ehe nach Gewohnheitsrecht ist ein normaler Brauch. Außereheliche Kinder gibt es viele, und es ist keine praktische Abhilfe für ihren bedauernswerten Zustand gefunden worden. Mehr Bildung ist dringend nötig, wozu aber „die Kirche“ nie wahrhaft ermuntert hat. Viele Menschen sind von Natur stolz und heißblütig. Alle scheinen durchweg fanatische Patrioten zu sein und ein Gefühl der Überlegenheit zu haben. Sie lassen sich durch eine Idee oder durch irgend etwas Neues leicht erregen, aber ihre oberflächliche Denkweise hindert sie daran, sich für etwas tiefer zu interessieren. Welchen Erfolg wird die biblische Erziehung bei solchen Leuten in ihrer Denkweise haben? Wir werden es sehen.
Im Februar und März 1945 machten der Präsident der Gesellschaft, N. H. Knorr, und sein Gefährte, F. W. Franz, ihren ersten Besuch in Südamerikal. Alle größeren Länder wurden besucht, und es wurden Pläne gemacht für eine Ausdehnung des Missionarwerkes in allen diesen Ländern. Das Werk in Argentinien und Brasilien war in den frühen 20er Jahren begonnen worden, bedurfte aber in beträchtlichem Maße der Modernisierung. Gileadgeschulte Missionare wurden kurz darauf nach Südamerika gesandt, und im Jahre 1947 gab es 117 Missionare in zwölf verschiedenen südamerikanischen Ländern. Im Jahre 1955 überstieg die Zahl der von der Gesellschaft dorthin gesandten Missionare 340. Dies bedeutete die Eröffnung und Finanzierung vieler Missionarheime in ganz Südamerika und auch die Errichtung passender Zweigbüros und Wohnstätten. Tausende von Dollar wurden auf dieses Ausdehnungswerk in Südamerika verwendet, doch zeigten sich die Früchte denn auch rascha. Tausende begannen die katholische Organisation zu verlassen, um Predigtdienstschüler zu werden wie Jehovas Zeugen. Vielen mußte im Laufe ihrer Bibelstudien das Lesen und Schreiben beigebracht werden. Ferner wurde eine moralische Reinigung nötig, da nur jene, die biblischen Grundsätzen entsprechend verheiratet sind, als Mitverbundene betrachtet werden konnten. Dies erforderte eine Bereinigung vieler Eheverhältnisse. Die Öffentlichkeit nahm denn auch Kenntnis davon, daß die Zeugen die einzigen sind, die für die Hebung der Moral ihrer Mitverbundenen sorgen. Aber trotz all dieser Schwierigkeiten ist das Wachstum erstaunlich gewesen, denn von 807 Predigern im Jahre 1942 ist ihre Zahl bis zum Jahre 1955 auf 18 800 angestiegen. Widerstand ist in Kolumbien, Brasilien und andernorts zutage getreten. In Argentinien war über die Gesellschaft seit dem Jahre 1949 von der früheren diktatorischen Perón-Regierung beständig das Verbot verhängt, doch vermochte dies der Zunahme in Kolumbien, Brasilien und selbst in Argentinien nicht Einhalt zu tun.
Die Zunahme in Südamerika ist ermutigend und scheint erst der Anfang zu sein, denn tatsächlich scheint eine große Volksmenge bereit zu sein, aus jenem Teil des Feldes Jehovas hervorzugehen. Man beachte den folgenden Bericht über diese Ausdehnungb.
Jahr Länder,
in denen Zeugnis Prediger Predigt-
gegeben Gesamtzahl stunden
1942 8 807 219 905
1947 12 2 431 956 928
1952 13 11 795 1 990 208
1953 12 13 174 2 137 541
1955 12 18 800 2 874 637
Auf diesem südlichen Kontinent ist das Zeugniswerk verhältnismäßig neu. Und doch gibt es schon je einen Prediger, einen Zeugen Jehovas, auf je 6435 Einwohner. Aber die Zukunft verspricht, daß dieses Verhältnis sich weit günstiger gestalten wird, da die Ausbreitung des wahren Christentums weitergeht.
(Fortsetzung folgt)
[Fußnoten]
a Yearbook 1945, S. 42.
b Watchtower, 1945, S. 125,126; Wachtturm, 1946, S. 349-352.
c Wachtturm, 1949, S. 92-94
d Erwachet!, 8. Februar 1954, S. 3-7.
e Boucher gegen den König (1951), Protokolle des Höchsten Gerichts, 265, Kanada.
f Yearbook 1956.
g Jahrbuch 1947, S. 285.
h Wachtturm, 1946, S. 283-288, 298-304.
i Yearbook 1954, S. 84.
j Yearbook 1956.
k Yearbook 1956.
l Watchtower, 1945, S. 125-128, 172, 173.
a Jahrbuch 1947, S. 285.
b Yearbook 1956.