Mein Lebensziel verfolgend
Von Julia Clogston erzählt
NUN HAST du also Zeit, einige von meinen Erfahrungen im Vollzeitdienst zu hören!
Im Jahre 1938 symbolisierte ich anläßlich des Kongresses in Seattle (Washington) meine Hingabe an Gott durch die Wassertaufe. Unsere Versammlung in Tulelake (Kalifornien) wuchs in wenigen Monaten von einem auf fünf Verkündiger an, von denen die meisten den Kongreß „Herrschaft und Friede“ in Portland (Oregon) besuchten. Als ich im August 1938 im Watchtower (Wachtturm vom 15. September) die Worte las, die Bruder Rutherford einem jungen australischen Bruder über die Annahme der Pioniervorrechte schrieb, beschloß ich, den Pionierdienst aufzunehmen und so mein Lebensziel zu verfolgen.
Die erste außergewöhnliche Erfahrung machte ich in Dunsmuir (Kalifornien). Ohne es zu wissen, kam ich dort in das Haus des römisch-katholischen Pfarrers und gab seiner Haushälterin ein Zeugnis. Einige Minuten später stand ein langer Polizist neben mir und hörte zu, während ich mit einer Hausfrau sprach. Er erklärte, daß er nun gehört habe, daß ich der Frau ein Buch verkaufen wollte, weswegen er mich unter Anklage stelle und ich verhaftet sei. Nach dem Verhör wurde ich vom Richter zu einer schweren Geldstrafe oder dreißig Tagen Gefängnis verurteilt. Der Zonendiener setzte sich mit dem Polizisten, der mich verhaftet hatte, in Verbindung und erklärte ihm, wir würden die Strafe nicht bezahlen. Es sah demnach so aus, als ob ich die dreißig Tage absitzen müßte! Aber ein Grundstücksbesitzer, der uns gut gesinnt war, kam mir zu Hilfe, indem er für mich Kaution leistete. An jenem Abend schmeckten mir die Bohnen und das Maisbrot, daß ich zusammen mit anderen Pionieren aß, noch besser als sonst! Das Gefühl, daß Jehova seine schützende Hand über mich gehalten hatte, machte mich noch glücklicher und stärkte mich in dem Entschluß, mein Lebensziel zu verfolgen.
Im Jahre 1940 unternahm ich mit einigen anderen Pionieren von Kalifornien aus die Reise zum Kongreß in Detroit. Wir waren sechs Wochen unterwegs und legten in allen größeren Städten Zeugnis ab. Warst du im Jahre 1941 beim Kongreß in St. Louis anwesend? Ich durfte durch die Großzügigkeit einiger Menschen guten Willens dabei sein, und nie in meinem Leben hatte ich je soviel Freude erlebt, wie in jenen paar Tagen. Zum erstenmal beteiligte ich mich bei diesem Kongreß am freiwilligen Dienst und stellte begeistert fest, daß das, was an Belehrungen geboten wurde, mir noch viel mehr Freude bereitete, weil ich wußte, daß ich an der gewaltigen Arbeit, die die Betreuung so vieler Menschen verursachte, auch einen kleinen Anteil hatte.
Nachdem ich von St. Louis nach Kalifornien zurückgekehrt war, wirkte ich dort zunächst im Imperial Valley. Eine fünfzehnjährige Pionierin wohnte mit mir zusammen in einem kleinen Häuschen in Calipatria. Zweimal in der Woche fuhren wir etwa 60 km per Anhalter zur Versammlung nach El Centro. Manchmal nahmen wir auch die Menschen guten Willens mit, bei denen wir Studien durchführten. Eine Familie von acht Erwachsenen lernte die Wahrheit kennen, und in einigen Monaten nahmen sechs von ihnen den Pionierdienst auf.
Als ich meine Sonderpionierzuteilung erhielt, befand ich mich in Brawley (Kalifornien). Ich wurde angewiesen, mich unverzüglich nach Whittier zu begeben. Früh am Morgen des folgenden Tages machte ich mich mit einem Wochenendkoffer, in den ich meine Habseligkeiten verpackt hatte, per Anhalter auf die Reise. Als ich an jenem Tage spätabends bei den anderen Sonderpionieren in Whittier eintraf, hießen sie mich an der Tür ihres Wohnwagens herzlich willkommen, und wir wurden Freunde fürs ganze Leben.
Im Dezember 1942 zog ich nach Boulder City (Nevada), das mir als Sondergebiet zugeteilt worden war. Allein, doch in gehobener Stimmung traf ich dort ein. Die andere Pionierin, die mit mir in diesem Gebiet arbeiten sollte, war noch nicht eingetroffen. Es war ein Gebiet, in dem Schwierigkeiten zu erwarten waren, und so ging ich zuerst auf die Polizeistation und fragte, ob sie den Brief J. Edgar Hoovers vom Justizministerium erhalten hätten, in dem verlangt wurde, daß man Jehovas Zeugen bei ihrer Tätigkeit schützen solle. Dann begann ich mit dem Zeugnisdienst von Tür zu Tür. Ich zeigte den Leuten mein Exemplar des Buches Die neue Welt und erklärte ihnen, daß ich ihnen ein solches Buch bringen könne, sobald die Sendung, die ich bestellt habe, eintreffe. Während meiner Tätigkeit folgte mir ein Polizeibeamter in seinem Wagen. Ich hoffte, er tue dies zu meinem Schutze, war jedoch nicht ganz sicher. Aber als ich an jenem Abend vor dem Theater stand und Zeitschriften anbot — ich konnte auch mehrere abgeben —, gingen die Polizisten direkt an mir vorbei ins Theater, ohne mir die geringste Beachtung zu schenken. Ich war Jehova am Ende jenes Tages des Dienstes wirklich dankbar.
Als ich an einem klaren Winterabend von einem Nachbesuch bei einem Bischof der Mormonen nach Hause kam, erhielt ich einen langen Briefumschlag mit dem Bewerbungsformular für den Besuch der ersten Klasse einer Schule, die die Gesellschaft eröffnen wollte, um Missionare auszubilden, die in ausländische Gebiete gesandt werden sollten. Nach gebetsvoller Erwägung füllte ich das Bewerbungsformular noch an jenem Abend aus und sandte es zurück. Die übrigen Tage jenes Monats brachten viele Aufregungen. Meine Partnerin kam mit ihrem Wagen und Wohnwagen an. Später, als ich die heimliche Hoffnung, nach Gilead zu gehen, schon beinahe aufgegeben hatte, erhielt ich einen Brief, der die Annahme meiner Bewerbung bestätigte und einen Scheck für meine Reise nach New York enthielt.
Nachdem ich zehn Tage unterwegs gewesen war und meine Freunde in Los Angeles und Sacramento sowie meine Mutter in Oregon besucht hatte, kam ich in Ithaca (New York) an und begab mich von dort nach Gilead. Die nächsten fünf Monate waren ein herrliches Erlebnis, das durch nichts getrübt wurde. Wir lasen und studierten die ganze Bibel und wurden zum erstenmal im theokratischen Predigtdienst unterwiesen. Wir schlossen Freundschaften, die heute noch bestehen.
Einige von uns erwarteten, danach sogleich in unser Auslandsgebiet, nach Mexiko, reisen zu können, aber die mexikanische Regierung erteilte die Visa für viele unserer Gruppe erst nahezu drei Jahre später. Schließlich erhielten alle ihr Visum, nur ich nicht. An dem Abend, an dem die letzten vier abreisten, überfiel mich eine Traurigkeit, wie ich sie noch nie verspürt hatte. Der Morgen kam, und ich machte mich daran, meine Tätigkeit so zu organisieren, daß ich außer den eigenen Studien auch noch die besten Studien der anderen Schwestern betreuen konnte. Als Ergebnis unserer gemeinsamen Bemühungen kamen in jenem Sommer viele Menschen guten Willens in die Wahrheit. Welche Befriedigung bringt es doch, sie mit ihren Familien und Kindern, die inzwischen groß geworden sind, bei den internationalen Kongressen wiederzusehen! Eines der Mädchen hat inzwischen sogar die Gileadschule absolviert.
Schließlich erhielt ich auch mein Visum für Mexiko! Dort ging in den folgenden Monaten mein Traum, jenen freundlichen Menschen mit den leuchtenden Augen die Botschaft verkündigen zu können, in Erfüllung. Später wirkte ich wieder einer Zeitlang als Sonderpionierin in Houston (Texas), worauf ich im Herbst 1948 eine Zuteilung nach El Salvador erhielt, und damit wurde mir eine weitere freudige Überraschung zuteil. Ich sollte mich in New York einschiffen.
Auf dem Schiff fanden wir viele Offiziere und Passagiere, die sich für die Königreichsbotschaft interessierten. Da wir Guatemala und El Salvador auf dem Landwege durchreisten, sahen wir schon viel von dem Land, das unsere Heimat werden sollte. In der Stadt San Salvador stand für uns ein Zimmer bereit. In dieser Stadt räumte uns eine Radiostation während der ersten drei Jahre jede Woche kostenlos eine Stunde Sendezeit ein, und so konnten wir durch Rundfunk den Inhalt der Bücher „Gott bleibt wahrhaftig“ und „Dies bedeutet ewiges Leben“ in Spanisch sowie die Darlegungen vieler Wachtturm-Artikel wiedergeben. Wir wußten bald vieles über das Leben in den Tropen, aber was wir vor allem erkennen lernten, war die Tatsache, daß unsere Tätigkeit eher darin besteht, die Menschen guten Willens zu belehren und sie zu reifen Zeugen heranzubilden als große Mengen Schriften abzugeben. Wenn ich jeweils bei den Versammlungen die glücklichen Gesichter der standhaften Zeugen sehe, denen ich behilflich sein durfte, die Wahrheit zu erkennen, fühle ich mich tatsächlich reich belohnt, und ich werde dadurch immer wieder aufs neue angespornt, mein Lebensziel weiterhin zu verfolgen.