Ich wollte der Beste sein — War es die Mühe wert?
Gedanken eines Olympiasiegers
JAHRELANG hatte ich von der Teilnahme an den Olympischen Spielen geträumt. Nun war der große Augenblick gekommen: Samstag, der 17. Oktober 1964 — achter Tag der Olympischen Spiele in Tokio!
Das Nationalstadion mit seinen 75 000 Sitzplätzen war ausverkauft. Tokios Straßen waren menschenleer. Fast jedermann saß vor dem Bildschirm. Die Zeit für den 200-Meter-Endlauf war gekommen.
Ich fand mich mit sieben anderen Sprintern an den Startblöcken ein. Jeder von uns hatte an den Vortagen die Ausscheidungen in den Vorläufen überstanden. Über die 200-Meter-Distanz waren wir die Schnellsten der Welt.
Der auf uns lastende Druck war schier unerträglich, nicht nur wegen der Millionen Zuschauer, deren Augen auf uns gerichtet waren, sondern auch wegen unseres Nationalstolzes. Die Olympiade hatte sich zu einem großen Wettkampf zwischen den Russen und den Amerikanern entwickelt. Täglich wurde die Weltöffentlichkeit über die Zahl der von jedem Land errungenen Medaillen auf dem laufenden gehalten. Von unseren Hochschulen, Bürgermeistern, Gouverneuren und sogar vom Präsidenten erhielten wir Telegramme, in denen wir daran erinnert wurden, daß wir für unser Land kämpften und daß unser Land das beste sei.
Auch die Presse übte einen gewissen Druck auf uns aus, indem sie uns vorrechnete, wie viele Medaillen man von uns erwartete. Man hätte meinen können, vom Siegen hinge das Leben ab und unser Land verlöre im Falle einer Niederlage seine Ehre. Ja, Kokichi Tsuburaya, der japanische Marathonläufer, beging nach seiner Niederlage tatsächlich Selbstmord. In einer Notiz, die er hinterließ, entschuldigte er sich dafür, sein Land „im Stich gelassen“ zu haben.
So war mein einziger Gedanke zunächst: „Ich darf mein Land auf keinen Fall im Stich lassen. Wenn ich verliere, kann ich mich zu Hause nicht mehr blicken lassen.“ Ich hielt den Weltrekord über 200 Meter, und daher erwartete man von mir einen Sieg.
Schwarze, die für die Gleichberechtigung eintraten, übten ebenfalls Druck auf uns aus. Mehrmals erzählte man mir, daß andere Schwarze, die verloren hatten, unsere Leute im Stich gelassen hätten. Daher mußte ich allein schon wegen der schwarzen Amerikaner siegen. Andere Schwarze hingegen forderten die schwarzen Olympiateilnehmer auf, die Spiele zu boykottieren, um Amerika zu zeigen, daß es ohne uns Schwarze nicht gewinnen konnte.
Am meisten dachte ich aber an meine Familie und an meine Freunde. Ich wollte sie nicht enttäuschen. Ich war ihr Held. Sie unterstützten und umjubelten mich. Mein Sieg war ihr Sieg. Verlor ich, so verloren sie. Vielleicht versteht man dies besser, wenn ich meine Vergangenheit schildere.
MEIN AUFSTIEG
Ich wuchs in Detroit (Michigan) als neuntes von elf Kindern auf. So weit ich zurückdenken kann, lebten meine Mutter und mein Vater getrennt. Mutter arbeitete bis spät in die Nacht als Hausangestellte, um für uns das Brot zu verdienen.
Sport sagte mir schon immer zu. Da mir das Lesen und Schreiben schwerfiel, war mir viel daran gelegen, der schnellste Läufer oder der beste Spieler zu sein; es verlieh mir Auftrieb.
An der High-School tat ich mich von Anfang an durch meine sportlichen Leistungen hervor. Drei Jahre lang — 1959, 1960 und 1961 — gehörte ich der allamerikanischen High-School-Sprintermannschaft an. Meine Spezialdisziplin waren die 220 Yards. Zwei Jahre lang zählte ich auch zur Nationalauswahl im Football und im Basketball.
Normalerweise wäre nicht einmal das College für mich in Frage gekommen. Nun aber rissen sich sogar die Universitäten fast um mich. Ich reiste in den Vereinigten Staaten umher, von Campus zu Campus, und die Universitäten versuchten, mich durch Geschenke anzuwerben. Schließlich hatte ich so viel Geld in der Tasche, daß ich sogar einen Cadillac fahren konnte, obgleich meine Familie arm war. Die Fahrerlaubnis erhielt ich im Speiseraum einer Bar — ohne Fahrprüfung. Eine benachbarte Universität, die mich anwerben wollte, hatte dafür gesorgt.
Ich entschloß mich aber, an die Arizona State University zu gehen, und wurde als Sprinter bald weltbekannt. Im zweiten Jahr stellte ich über 220 Yards einen neuen Weltrekord auf. Ich wurde von führenden Staatsmännern empfangen, die mir die Hand drücken wollten. In Moskau traf ich mit Nikita Chruschtschow zusammen. Doch all der Ruhm und das Umherreisen zu Laufwettbewerben waren für mich etwas Wirklichkeitsfremdes.
Im Staate Arizona hatte ich viele Vorteile, nur weil ich ein guter Läufer war. Leute, die von den Athleten „Geldonkel“ genannt wurden, überhäuften mich geradezu mit Geschenken. Ich hatte daher stets Geld, neue Kleider und einen Wagen. Häufig sandte ich Geld nach Hause, um meine Angehörigen zu unterstützen. Natürlich gefiel es mir, daß ich Vergünstigungen genoß und daß man mir Aufmerksamkeit schenkte. Doch ich wußte, daß das nicht in Ordnung war, denn eigentlich sollten wir als Amateure nicht bezahlt werden. Aber so war es nun einmal.
UNGERECHTIGKEIT — DIE REALITÄT
Meine Fähigkeiten trugen mir zwar Ruhm ein, doch nur einen Monat vor Tokio warf man mich in einem der Südstaaten aus einem Motel, weil ich ein Schwarzer war. Die Dame schrie mich mit den Worten an: „Für so einen wie dich sind wir nicht da.“ Es war schon spät, und ich wünschte nur eine Schlafgelegenheit.
Ungefähr um diese Zeit wurden in Mississippi drei Bürgerrechtler von Weißen ermordet. Im Süden hetzte man Hunde auf Schwarze, nur weil diese eine bessere Ausbildung forderten. Da ich in der Welt herumkam, gelangte ich jedoch zu der Überzeugung, daß es überall Ungerechtigkeiten gibt. In vielen anderen Ländern war die persönliche Freiheit, die ich in den Vereinigten Staaten für selbstverständlich hielt, weitgehend eingeschränkt.
Ich fühlte mit den Leidtragenden. Aber was konnte ich tun? Ich erkannte, daß es sich in den Vereinigten Staaten nicht nur um ein Rassenproblem handelte. Wenn Schwarze die Gewalt hatten, behandelten sie andere Schwarze manchmal ebenso schlecht, wie Weiße es taten. Mein gesunder Menschenverstand sagte mir, daß ich in Wirklichkeit nichts tun konnte, und deshalb wollte ich mich auch nicht engagieren, um meine Zukunft nicht aufs Spiel zu setzen.
Ich konnte mich damals nicht beklagen. Als ich noch ein Kind war, waren wir zu Hause so arm, daß ich hungrig zu Bett gehen mußte. Ich wollte nicht, daß es nochmals soweit kam. Deshalb lernte ich, zurückhaltend zu sein und mich so zu benehmen, wie es das System erwartete. Man sagte mir: „Wenn du olympisches Gold gewinnst, brauchst du dich um nichts mehr zu sorgen. Als Olympiasieger kannst du mit irgendeiner großen Firma einen Vertrag abschließen.“ Ich wollte daher Schwierigkeiten vermeiden und in Tokio siegen.
Einige sagten, ich sei ein „Naturtalent“, „der leichtfüßigste Sprinter seit der Glanzzeit eines Jesse Owens“. Aber ich kann nur sagen, daß ich mir diese Fähigkeit durch hartes Training erworben hatte. Ich mußte kämpfen, um Bester zu sein. Wenn aber ein Olympiasieg das einbrachte, wovon die Leute sprachen, hielt ich es der Mühe wert.
Nie zuvor verspürte ich einen so großen Druck in meinem Leben als in dem Moment, als wir uns an den Startblöcken zum Endlauf einfanden.
DER AUSGANG DES RENNENS
Ich stieg in meine Startmaschine auf Bahn 7 und kauerte mich nieder. Mein Konzept bestand darin, ausgangs der Kurve einen Vorsprung zu haben, so daß die anderen hinterherlaufen und sich etwas mehr anstrengen mußten, denn wer nicht locker läuft, bringt keine Höchstleistung.
Das Kommando des Starters lautete: „Auf die Plätze! Fertig!“ Und dann der Startschuß! Ich erwischte einen guten Start. Meine Gedanken ausgangs der Kurve waren: „Es hat geklappt. Ich liege vorn. Ich werde gewinnen.“ Jetzt sah ich nur noch die Ziellinie. Ich riß die Beine hoch und lief mit raumgreifenden Schritten. Dann war es geschehen: Ich hatte gesiegt!
Ich befand mich in einer anderen Welt. Alles um mich schien bewegungslos; ich war in Hochstimmung. Ich hatte einen neuen olympischen Rekord aufgestellt, und man sagte, daß ich ohne Gegenwind wahrscheinlich meinen eigenen Weltrekord gebrochen hätte.
Als ich auf dem Siegerpodium stand und die Nationalhymne der USA gespielt wurde, wollte ich stolz auf das sein, was ich für mein Land getan hatte. Und der Jubel der Tausende gefiel mir. Aber gleichzeitig wurde mir bewußt, daß es nur Schau war. Denn die Ungerechtigkeiten, durch die die Menschen in Schrecken versetzt worden waren, bevor ich auf dem Siegerpodest stand, gab es immer noch.
Ich fragte mich: „Was wird nun aus mir, nachdem alles vorüber ist? Was werden meine Förderer tun? Werden sie mich im Stich lassen? Was für eine Stelle werde ich bekommen?“ Ich war einerseits glücklich, andererseits voller Angst und Zorn.
Als ich in das olympische Dorf zurückfuhr, sah ich mir die Goldmedaille zum erstenmal näher an. Es war nicht das, was ich erwartet hatte; sie sah einfach so aus wie ein übergroßer Silberdollar, und ich sagte mir: „Um alles in der Welt! Ist das der Lohn für das jahrelange harte Training?“ Ich war wütend — jetzt, wo ich glücklich sein sollte. Es war eine richtige Enttäuschung.
Einige Tage darauf war ich Schlußläufer in der 4mal-400-m-Staffel. Wir stellten einen neuen olympischen Rekord auf, der zugleich ein neuer Weltrekord war, und ich erhielt eine weitere Goldmedaille. Nach einer Reise nach Australien, wo ich in einigen Rennen an den Start ging, kehrte ich nach Hause zurück.
MIT DER WIRKLICHKEIT KONFRONTIERT — DIE FOLGEN
Auf dem Rückweg dachte ich über den vor mir liegenden neuen Lebensabschnitt nach. Wie würde ich eine Arbeitsstelle finden, um später einmal für eine Familie sorgen zu können? Zunächst nahm ich aber mit den anderen Gliedern der Olympiamannschaft an einem Empfang im Weißen Haus teil, wo ich die Glückwünsche von Präsident Johnson entgegennahm.
Ich erwartete, daß man mir mehrere Stellen anbieten würde, unter denen ich die Auswahl hätte. Jahrelang hatte man mir gesagt, das sei der Fall, wenn ich auf der Olympiade für mein Land siegen würde. Aber das entsprach nicht der Wahrheit. Überall, wohin ich ging, kümmerte sich niemand darum, daß ich ein Olympiasieger war. Ja, man unterhielt sich zwar gern mit mir darüber, doch sobald es um einen Vertragsabschluß ging, betrachteten die Leute mich wie irgendeinen anderen Schwarzen, wie jemand, der für ihre Zwecke ungeeignet war. Natürlich wurde ich immer verbitterter.
Nach einigen Monaten rief man mich an und fragte, ob ich an Profi-Football interessiert sei. Ich hatte zwar schon zwei Jahre nicht mehr Football gespielt — nämlich seit der Zeit, als ich mich auf den Sprint konzentriert hatte —, doch da ich verzweifelt eine Arbeitsstelle suchte, sagte ich zu. Die New York Giants nahmen mich unter Vertrag, weil sie mich wegen meiner Schnelligkeit für wertvoll hielten.
In meiner Verzweiflung arbeitete ich wirklich hart und fügte mich in die Mannschaft ein. Drei Jahre lang spielte ich sehr gut und war eine Zeitlang defensive captain. Ein Sportjournalist schrieb: „Aus Carr, der sich den New York Giants angeschlossen hat, ist einer der besten defensive backs der Liga geworden.“
Nur noch drei Spiele waren in meiner dritten Saison auszutragen, als ich mir eine Knieverletzung zuzog. Der Trainer sagte mir, dieses Jahr sei für mich zu Ende. Aber später rief der Arzt an und sagte, die Betreuer wollten, daß ich spielte. Da ich Anfang des Jahres innerhalb der Mannschaft an einer Auseinandersetzung über die Rassenfrage beteiligt gewesen war, stritt man sich über die Schwere meiner Verletzung.
Die Folge war, daß man mich am Ende der Saison verkaufte. Es hieß, ich sei ein Unruhestifter und könne bei einer Verletzung nicht spielen. Von dem Verein, der mich kaufte, wurde ich ähnlich behandelt. Deshalb entschloß ich mich aufzugeben, obgleich ich im Vorjahr 27 000 Dollar verdient hatte.
EIN VERSAGER
Trotz allen Bemühens fand ich keine ordentliche Arbeit. Schließlich investierte ich in eine Firma, die Imbißstände unterhielt, und erlitt eine finanzielle Einbuße. Ich war wütend und verbittert. Mir kam es vor, als hielten mich die Leute für jemand, der aus seinen Möglichkeiten einfach nichts machen konnte.
Das hatte bei mir geistig-seelische Auswirkungen. Ich verlor völlig den Halt im Leben. Täglich rauchte ich Marihuana und träumte davon, wieder obenauf zu sein. Meine Frau wollte mir helfen, doch es gelang ihr nicht. Meiner Meinung nach war meine Familie (wir hatten nun zwei Kinder) besser daran ohne mich. Deshalb ging ich von zu Hause weg.
In Gesellschaft von Rauschgifthändlern und Prostituierten sank ich mit der Zeit auf das niedrigste sittliche Niveau. Ich befaßte mich mit Glücksspielen und schnupfte Kokain. Da ich in einem Detroiter Ghetto aufgewachsen war, kannte ich viele der Leute, mit denen ich nun zu tun hatte. Bald betrachteten sie mich als einen der Ihren und verhalfen mir zu einem guten Start als Rauschgifthändler.
Nach einigen Monaten stellte ich einmal eine gründliche Selbstprüfung an. Ich fand, daß ich mich gerade auf das eingelassen hatte, was ich stets gehaßt hatte. Alles sprach gegen mich, nichts für mich. Ich wußte nicht aus noch ein. Ich besaß eine Bibel und begann, darin zu lesen, doch es erschien mir sinnlos. Ich kehrte wieder zu meiner Familie zurück.
EIN SINNVOLLES LEBEN FÜHREN
Meine Frau war sehr verständnisvoll. In den Augen meiner Kinder las ich, daß sie mich wirklich vermißt hatten. Ich nahm eine Stelle in der Kreisverwaltung an und hatte mich dort mit jugendlichen Delinquenten zu befassen. Doch bald wurden Budgetkürzungen angekündigt, was bedeutete, daß ich entlassen werden würde. Aufgrund meines Stolzes war ich wiederum verzweifelt.
Mit dem Einverständnis meiner Frau verkaufte ich einen Teil unseres Besitzes, und mit dem Erlös gründete ich eine Werbeagentur. Mein Partner war ein hochtalentierter Werbegraphiker, und ich übernahm die Öffentlichkeitsarbeit. Die Leute kannten mich und schenkten mir Anerkennung. Bald reiste ich nach New York, um Kunden zu besuchen. Das Geschäft blühte.
Als ich eines Tages von der Arbeit nach Hause kam, bat mich meine Frau, unter der Anleitung von Zeugen Jehovas die Bibel studieren zu dürfen. Auf die Frage „Wieso?“ sagte sie, sie habe von den Eltern eines ihrer Schüler (sie unterrichtete in der Grundschule) das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt erhalten. Und eine andere Lehrerin habe ihr empfohlen, sich an Jehovas Zeugen zu wenden, falls sie etwas über die Bibel wissen wolle.
Wir hatten uns kurze Zeit zuvor über verschiedene Religionen unterhalten, da unser Junge ins schulpflichtige Alter kam und wir glaubten, es sei für ihn wichtig, religiös erzogen zu werden. Doch von den Zeugen Jehovas war nicht die Rede gewesen. Ich wußte nur, daß man sie als religiöse Sonderlinge betrachtete. Wenn meine Frau aber mit ihnen studieren wollte, hatte ich nichts dagegen.
Ich arbeitete den ganzen Tag, aber meine Frau erzählte mir bei passender Gelegenheit von dem, was sie lernte. Ungefähr eine Woche später besuchte mich der Mann der Frau, mit der sie studierte.
ETWAS ZUM NACHDENKEN
Er sprach darüber, wie schön es auf der Erde sein könnte, wenn die Menschen friedlich miteinander leben würden. Ich stimmte zu. Dann sagte er: „Erkennen wir nicht deutlich, daß Gott, der Allmächtige, nicht für die heutigen Weltverhältnisse verantwortlich ist?“
Das überraschte mich. „Wenn Gott nicht dafür verantwortlich ist, wer ist es dann?“ wollte ich wissen.
„Satan, der Teufel“, sagte er. Und ich war erstaunt, als er die Bibel aufschlug und es mir zeigte. In 2. Korinther 4:4 heißt es, daß „der Gott dieser Welt den Sinn [der Ungläubigen] verblendet hat, daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Herrlichkeit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes“ (Luther-Bibel).
Der Zeuge erklärte, daß Satan „der Gott dieser Welt“ ist. Und das leuchtete mir auch ein, als er mich auf die Ungerechtigkeiten in der Welt aufmerksam machte. Er hob hervor, daß dies die Welt Satans ist und daß Satan die Menschen beeinflußt. Und dadurch konnte ich eine weitere Schriftstelle verstehen, die er mir zeigte. Jesus Christus hatte gesagt: „Der Herrscher dieser Welt wird hinausgeworfen werden“ (Joh. 12:31).
Die Menschen können sich offensichtlich nicht selbst dieser mächtigen Geistperson, Satans, des Teufels, entledigen. Doch Gott kann es, wie der Zeuge erklärte. Und Gott wird es tun, damit sein Vorsatz, unter der Herrschaft seines Königreiches Frieden auf Erden zu schaffen, verwirklicht werden kann. Das hörte sich vernünftig an. Es war etwas, was wirklich zum Denken anregte.
ZUM RICHTIGEN ENTSCHLUSS VERHOLFEN
Der Zeuge kam noch etliche Male, und sooft er mich zu Hause antraf, unterhielten wir uns über die Bibel. Allmählich glaubte ich das wirklich, was ich kennenlernte, da er es mir in der Bibel zeigte. Zum Beispiel wußte ich nicht, daß Gott einen Namen hat. Doch die Bibel sagt in Psalm 83:18, daß Gottes Name JEHOVA ist. Es gefiel mir, solche Dinge kennenzulernen.
Doch daß die Bibel sagt, Satan sei der Gott dieser Welt, ließ mir keine Ruhe, besonders wenn ich daran dachte, daß es hieß, Nachfolger Christi seien kein Teil der Welt (Joh. 17:14-16). Ein Grund meiner Unruhe bestand darin, daß ich in die Politik verwickelt war, da einer der wichtigsten Kunden meiner Werbeagentur der schwarze Spitzenkandidat für den Posten des Bürgermeisters von Detroit war.
Deshalb sagte ich eines Tages zu dem Zeugen: „Ich weiß, daß Sie es ernst meinen; Sie versuchen mir zu helfen. Aber ich bin einfach zu sehr mit meiner neuen Werbeagentur beschäftigt, und ich möchte Ihnen nicht dadurch zur Last fallen, daß Sie mich immer wieder besuchen und ich nicht zu Hause bin.“
Kurze Zeit darauf zog ich mir eine Rückenverletzung zu. Ich war gesundheitlich in einer sehr schlechten Verfassung und wurde schließlich ins Krankenhaus eingeliefert. Die Zeugen besuchten mich dort und waren wirklich um mich besorgt. Ich dachte: „Diese Leute kennen mich doch überhaupt nicht. Sie wissen nur, daß ich Glendas Mann bin, und dennoch sind sie so nett zu mir.“ Es sagte mir irgendwie zu.
Inzwischen hatte ich bei meiner Frau Veränderungen beobachtet. Als zum Beispiel das Töchterchen einer Zeugin gestorben war, kümmerte sich meine Frau um diese Mutter. Ich beobachtete das und dachte: „Noch nie hat sie so etwas getan. Wie kommt es, daß sie sich so sehr um diese Frau kümmert, ihr das Essen kocht und sie besucht, um ihr zu helfen?“ All das ging mir im Krankenhaus durch den Kopf.
In der Zwischenzeit hatte unsere Werbeagentur, die zu einem 4-Mann-Betrieb angewachsen war, sehr gelitten. Meine Person war erforderlich, um alles in Gang zu halten. Als ich aber aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war das Geschäft so sehr zurückgegangen, daß alle ausgestiegen waren. Erneut erlitt ich eine finanzielle Einbuße.
Ich wußte, daß ich ein Mensch sein wollte, der lieben konnte, der geliebt und glücklich sein wollte. Ich sah, daß sich meine Frau geändert hatte, und wollte mich auch ändern. Und es ging mir nicht aus dem Sinn, daß Satan der Gott dieses Systems der Dinge ist und daß ich Hilfe benötigte, um gegen seinen Einfluß anzukämpfen. Als ich daher aus dem Krankenhaus entlassen wurde, rief ich den Zeugen Jehovas an und sagte ihm, daß ich ein Bibelstudium wünschte.
WIE SICH DIE ÄNDERUNGEN VOLLZOGEN
Nach meinem ersten Studium im Dezember 1972 ging ich in den Königreichssaal. Alle begrüßten mich und freuten sich, mich zu sehen. Und ich beobachtete, wie meine Frau strahlte und sich freute, daß ich da war. Ich weiß noch, wie ein Redner darauf hinwies, daß der Mann das Haupt der Familie ist und die Führung übernehmen sollte. Und ich dachte: „Das hat meine Frau bis jetzt getan — mit den Kindern studiert, sie zu den Zusammenkünften mitgenommen, mit ihnen gebetet —, und ich habe überhaupt nichts getan.“
In der darauffolgenden Woche waren die Kinder krank, und meine Frau sagte: „Du kannst bei den Kindern bleiben; ich gehe zur Zusammenkunft.“ Sie dachte nicht, daß ich auch gern gegangen wäre. Aber ich sah sie an und sagte: „Von mir wird erwartet, daß ich die Führung übernehme. Daher bleibst du bei den Kindern zu Hause.“
Sie blickte mich ganz überrascht an, aber ich glaube, sie freute sich. Und ich freute mich auch, ja, ich war sogar stolz auf mich, daß ich die Führung übernahm. Seitdem habe ich nur ganz selten die Zusammenkünfte versäumt. Sie trugen wirklich dazu bei, daß ich mich änderte, wodurch unsere Familie viel glücklicher wurde.
Unterdessen fand ich eine Stelle, wie ich sie mir immer gewünscht hatte, nämlich als Werbefachmann bei einer Zeitung. Ich hatte viel zu tun und war stets unterwegs. Die Leute kannten mich, und ich kannte die Leute, und ich war darauf bedacht, in meinem Beruf vorwärtszukommen. Ja, man bot mir weitere Stellen an. Aber ich besuchte weiterhin die Zusammenkünfte, und das war gut, denn das, was ich dort lernte, wirkte sich wirklich auf mein Leben aus.
Zum Beispiel wußte ich, wie gefährlich harte Drogen sind, und ich hatte sie nicht mehr genommen. Allerdings rauchte ich immer noch Marihuana. Ich sah nichts Verkehrtes darin, weil es allgemein üblich war. Doch in einer Zusammenkunft wurde gezeigt, daß das Rauchen schriftwidrig ist. Die Bibel sagt, wir sollten „uns selbst reinigen von jeder Befleckung des Fleisches und Geistes“. Mir wurde klar, daß dies bedeutete, den Genuß von Marihuana aufzugeben, wenn ich Jehova Gott gefallen wollte (2. Kor. 7:1).
In einer anderen Zusammenkunft wurde gezeigt, wie verwerflich Ehebruch ist. In der Bibel heißt es: „Die Ehe sei ehrbar unter allen, und das Ehebett sei unbefleckt, denn Gott wird Hurer und Ehebrecher richten“ (Hebr. 13:4). Ich erkannte, daß ich mich noch mehr ändern mußte.
Ich wollte Gott gefallen und trug ihm daher diese Dinge im Gebet vor. Aber dann las ich im Wachtturm, man müsse Jehova gegenüber ehrlich sein. Deshalb sagte ich ihm von Herzen, daß ich diese Dinge gern getan hatte und sogar darauf ausgewesen war, daß ich aber nun vor allem wirklich ihm gefallen möchte. Durch diese Ehrlichkeit und das Vertrauen zu Gott war es mir möglich, von diesen schlechten Gewohnheiten zu lassen. Sogar das Rauchen von Marihuana aufzugeben fiel mir leichter, als ich gedacht hatte.
Es war erstaunlich, wieviel glücklicher ich war. Ich hatte jetzt ein Ziel vor Augen. Meine Kinder erwarteten von mir Anleitung. Wir alle waren Jehova dankbar und schätzten die Zusammenkünfte. Es war einfach etwas Wunderbares. Das, was mit mir und meiner Familie vor sich ging, stimmte mich sehr froh.
Ich war davon überzeugt, daß wir die Wahrheit gefunden hatten, und dachte, alle meine Freunde — die völlig hoffnungslos waren, viele Probleme hatten und ein unsittliches Leben führten — würden sich bestimmt dafür interessieren. Doch keiner, ja nicht ein einziger, wollte etwas davon wissen. Statt dessen verspotteten sie mich und nannten mich den „Prediger“. „Hier kommt der Prediger“, sagten sie.
Ich konnte also erkennen, daß diese Leute in Wirklichkeit nicht meine Freunde waren. Ich wünschte mir Menschen als Freunde, die Gott liebten. Daher ließen wir uns, meine Frau und ich, am 20. Mai 1973 taufen, um zu symbolisieren, daß wir uns Jehova Gott hingegeben hatten, um ihm zu dienen.
Seither schätze ich mein gutes Verhältnis zu Gott, zu meiner Familie und zu meinen Glaubensbrüdern über alles. Ich hatte zwar eine interessante, gutbezahlte Stellung, doch es waren Versuchungen damit verbunden, ich kam in schlechte Gesellschaft, und meine Interessen waren geteilt. Immer wieder dachte ich über den Schrifttext nach: „Schlechte Gesellschaft verdirbt nützliche Gewohnheiten“ (1. Kor. 15:33). Daher gab ich meine Stelle als Werbefachmann auf, obgleich ich mir lange eine solche Arbeit gewünscht hatte.
IN MATERIELLER HINSICHT ÄRMER, DENNOCH REICH
Ein Zeuge Jehovas in unserer Versammlung stellte mich als Malergehilfen ein. Ich verdiente nicht viel Geld, aber ich war glücklich. Mir war nicht daran gelegen, mein Ansehen zu wahren. Ich wollte einfach Jehova dienen. Ich wußte, daß er eine Person ist, die einzige, die alle Ungerechtigkeiten beseitigen kann. Die biblischen Beweise — die Erfüllung von Prophezeiungen und die Macht der Bibel, im Leben der Menschen Änderungen herbeizuführen — überzeugten mich davon.
Als wir 1973 von einem größeren Kongreß der Zeugen Jehovas zurückkehrten, sagte ich zu meiner Frau: „Eigentlich sollte ich Pionier (Vollzeitprediger) werden.“ Da wir noch weiteren Besitz verkaufen konnten, hielt mich nichts davon ab. Ich nahm den Pionierdienst auf.
Nach einiger Zeit dachte ich, daß wir uns in einem Gebiet, in dem größerer Bedarf an Königreichsverkündigern besteht, nützlicher machen könnten. Zufällig rief mich Fred Cooper, der mit mir die High-School besucht hatte, aus Georgia an. Er ist dort Ältester in einer Versammlung und hatte gehört, daß ich ein Zeuge Jehovas geworden war. Ich erzählte ihm, daß ich mich mit dem Gedanken trug, dorthin zu gehen, wo Hilfe dringender benötigt wird. Schließlich verkauften wir unser Haus und zogen nach Georgia.
Der Pionierdienst bereitete mir wirklich Freude, doch wegen meines Rückenleidens und weil ich eine Arbeit haben mußte, um für meine Familie zu sorgen, gab ich den Dienst schließlich im Mai 1975 auf. Im September wurde ich jedoch in unserer Versammlung zum Ältesten ernannt. Seit dieser Zeit geben wir, meine Frau und ich, Unterricht in der Grundschule, um etwas zu verdienen. Materiell sind wir nicht besonders gut gestellt, aber wir sind auf einem anderen, einem viel wichtigeren Gebiet reich.
Mein Sohn interessiert sich beispielsweise für geistige Dinge: Er liest die Bibel und unsere Bibelstudienhilfsmittel. Ungefähr vor eineinhalb Jahren, als er sieben Jahre alt war, fragte er mich, ob er sich in die Theokratische Schule in der Versammlung eintragen lassen könne. Mein Herz hüpfte vor Freude. In diesem Alter dachte ich nur an Sport und daran, eine Sportgröße zu werden. Und ich wußte, Peyton hätte mich beispielsweise ebensogut darum bitten können, einer Schülermannschaft beitreten zu dürfen.
WAS DAS LEBEN LEBENSWERT MACHT
Ich glaube, daß Sport, wenn man ihm den richtigen Platz zuweist, etwas Gutes ist. Aber er kann schon von vornherein eine Täuschung sein. Athleten mögen als besondere Menschen vergöttert werden, obgleich sie doch in Wirklichkeit nur Fleisch und Blut sind wie jeder andere. Und Kinder werden angehalten, sozusagen im Sport aufzugehen — ja, eigentlich ist es kein Sport, sondern Geschäft. Und man sehe sich den Schaden an, der bei Jugendlichen angerichtet wird, die unter dem Zwang stehen, Bestleistungen zu bringen, obgleich es für die meisten von ihnen ganz einfach nicht möglich ist.
Selbst wenn man Spitzenleistungen erzielt, fällt man einer Täuschung zum Opfer. Wieso? Weil das Ganze nichts Dauerhaftes ist und in Wirklichkeit nicht befriedigt. Spitzensportler werden bald abgelöst und geraten im allgemeinen in Vergessenheit. Was bleibt, sind meistens Enttäuschung, Depressionen und körperliche Schäden. Ist das die Mühe wert?
Echte Befriedigung erhält man nicht dadurch, daß man mit anderen in einen Wettstreit tritt, sondern dadurch, daß man anderen hilft und ihnen dient. Christus tat das. Er kam, ‘um zu dienen, nicht um bedient zu werden’ (Matth. 20:28). Ja, die herzliche Gemeinschaft, zu der dieser Geist der Selbstlosigkeit und Liebe in einer Familie und einer Versammlung führt, macht das Leben wirklich lebenswert — nicht der Kampf, der Beste zu sein. (Eingesandt.)
[Bild auf Seite 613]
„Ich erhielt eine weitere Goldmedaille.“
[Bild auf Seite 614]
„Die New York Giants nahmen mich unter Vertrag“.
[Bild auf Seite 617]
„Ich begann, mit meiner Familie die Bibel zu studieren.“