Am Schauplatz der Ereignisse
AM Vormittag des 12. Juni 1978 waren uns zwei junge Araber behilflich, nach Bethlehem zu kommen. Unsere Gruppe bestand aus zehn Norwegern. Wir warteten gerade in einem Außenbezirk von Jerusalem an einer Bushaltestelle, als es einen gewaltigen Knall gab. Es hörte sich wie die Explosion einer Bombe an. Den jungen Arabern stand sogleich der Schrecken im Gesicht. Doch sie waren erleichtert, als ein schwerer Lastzug an den Straßenrand fuhr: Einer seiner großen Reifen war geplatzt.
„Wenn das eine Bombe gewesen wäre“, sagte einer der Jugendlichen, „wären wir in Schwierigkeiten geraten.“ Wie er sagte, müssen alle Araber, die sich gerade dort aufhalten, wo es zu einer Explosion gekommen ist, damit rechnen, verhaftet und einige Zeit in Gewahrsam gehalten zu werden. So erlebten wir selbst, welch eine gespannte Situation in Israel herrscht. Doch im Gegensatz zu den Befürchtungen, die Anfang vergangenen Jahres laut geworden waren, sind die Reisenden, die vor einiger Zeit dieses Land besucht haben, übereinstimmend der Meinung, daß Touristen dort ziemlich sicher sind.
Wir aus Norwegen nahmen an einer Charterreise der Zeugen Jehovas teil. Seit dem Frühjahr vergangenen Jahres haben Zeugen aus der ganzen Welt Israel besucht: 2 400 aus Frankreich, 1 500 aus der Bundesrepublik Deutschland, 1 200 aus den Niederlanden, 750 aus den Vereinigten Staaten usw. Bis Juli waren ungefähr 9 000 eingetroffen, und bis Ende Oktober hatte man insgesamt 15 000 erwartet.
Viele von unserer Tour trugen Erkennungsabzeichen, und die Tourenbusse waren durch ein Schild an der Windschutzscheibe zu erkennen, das die Aufschrift trug: JEHOVAS ZEUGEN BESUCHEN DAS LAND DER BIBEL. Eine Jüdin aus Kalifornien erzählte einer Verwandten erstaunt nach ihrer Rückkehr von einem Besuch in Israel: „Überall, wohin wir kamen, sah man euch Zeugen. Ich hatte keine Ahnung, daß ihr euch so für Israel interessiert.“ Sie wollte den Grund dafür erfahren.
DER ZWECK DES BESUCHES
Der Grund für das Interesse besteht im wesentlichen darin, daß Jehovas Zeugen glauben, daß die Bibel Gottes Wort ist, und daher soviel wie möglich darüber kennenlernen wollen. Da sich in Israel viele biblische Ereignisse abgespielt haben, interessieren wir uns für dieses Land. Es ist sehr wertvoll, wenn man mit Orten, über die man etwas liest, vertraut ist. Ein Beispiel mag dies veranschaulichen:
Wir mögen in der Zeitung etwas über ein bemerkenswertes Ereignis lesen, das sich in der Nähe des Ortes abgespielt hat, wo wir aufgewachsen sind. Vielleicht werden in dem Bericht besondere Landschaftsmerkmale, wie zum Beispiel ein Hügel, ein Gebäude oder ein Fluß, erwähnt. Lesen wir einen solchen Bericht nicht mit größerem Interesse und Verständnis als einen Bericht über einen Ort, an dem wir noch nie gewesen sind? Ja, denn wir können uns den Schauplatz vorstellen. Wir sehen mit unserem geistigen Auge die Landschaft vor uns — die Höhe des Hügels, die Breite des Flusses und andere geographische Merkmale, die das Ereignis für uns lebendig werden lassen.
Das Land der Bibel zu kennen hilft einem daher, sich ein besseres Bild von den in der Bibel erwähnten Personen und den Ereignissen zu machen, in die sie einbezogen waren.
NEUZEITLICHE ZEUGEN
Wir interessieren uns indes nicht nur für die Diener Jehovas aus alter Zeit. Auf einer besonderen Zusammenkunft, die im Königreichssaal in Haifa für die aus Norwegen kommenden Zeugen stattfand, erfuhren wir auch einiges über die fünf neuzeitlichen Versammlungen der Zeugen Jehovas in Israel, mit denen etwa 260 Königreichsverkündiger verbunden sind. Es gibt Versammlungen in Bethlehem und Ram Allah, die hauptsächlich aus arabisch sprechenden Zeugen bestehen. Die beiden Versammlungen in Tel Aviv setzen sich überwiegend aus Juden zusammen. Aber von den 75 Zeugen in Haifa sind ungefähr die Hälfte Juden und die Hälfte arabisch Sprechende.
Diese einheimischen Zeugen waren wochenlang damit beschäftigt, besondere Zusammenkünfte vorzubereiten, in denen ein Austausch von Ermunterung mit den Besuchern erfolgen konnte. Auf unserer Besichtigungstour nach Bethlehem am 11. Juni trafen wir einen einheimischen Zeugen, der uns mit in den hübschen Königreichssaal nahm, der sich in einem Neubau befindet. Er und ein anderer Zeuge beantworteten uns dort viele Fragen.
Sie erzählten uns, daß es in Jerusalem, das ungefähr 8 Kilometer nördlich von Bethlehem liegt, nur vier Zeugen gibt und in Hebron, 24 Kilometer südlich von Bethlehem, überhaupt keinen. Wie sie sagten, haben die 25 Königreichsverkündiger von Bethlehem ein riesiges Gebiet zu bearbeiten. Einige aus unserer Gruppe gingen am darauffolgenden Tag mit Zeugen aus Bethlehem in Jerusalem von Haus zu Haus predigen. Andere von uns bestiegen mit zwei einheimischen Zeugen, die als Führer dienten, in der Nähe unseres Hotels in Jerusalem einen arabischen Bus und fuhren wieder nach Bethlehem.
SÜDLICH VON JERUSALEM
Schon nach wenigen Minuten trafen wir in Bethlehem ein. Für uns hat dieser Ort große Bedeutung. Hier wurde Jesus Christus geboren. Auf einem der nahe gelegenen Felder erschienen Engel einigen Hirten, um sie über die Geburt zu unterrichten1. Das Gebiet ist hügeliger, als wir es uns vorgestellt hatten, und es scheint ziemlich trocken und unfruchtbar zu sein. Wir waren überrascht, daß Bethlehem genauso hoch liegt wie Jerusalem. Die Umgebung erinnerte uns an viele weitere biblische Ereignisse.
Als Jakob durch diese Gegend zog, starb seine geliebte Frau Rahel bei der Geburt Benjamins2. Hier waren Boas und Noomi zu Hause. Ruth, die Moabiterin, kam durch die im Osten gelegene unwirtliche, öde Wildnis hierher und las auf den Feldern des Boas Ähren3. Hier wuchs auch der Hirtenjunge David auf, der die Schafe seines Vaters hütete, und offensichtlich waren hier auch seine berühmten Neffen Joab und Abischai zu Hause4.
Wir mieteten uns einen Wagen und fuhren nach Hebron weiter. Diese Stadt liegt 914 Meter über dem Meeresspiegel, also 137 Meter höher als Jerusalem und Bethlehem. Weiter südlich bot sich uns ein anderes Bild. Das Land sah fruchtbarer aus. Die Gegend um Hebron ist für ihre Feldfrüchte bekannt. Aus dem nahe gelegenen Tal Eschkol hatten die israelitischen Kundschafter Moses die riesige Weintraube gebracht, die von zwei Männern getragen werden mußte5. Die Fruchtbarkeit des Landes ist auch heute deutlich zu erkennen.
Als wir durch die alten schmalen Straßen Hebrons gingen, fühlten wir uns in die Vergangenheit zurückversetzt. Hebron ist eine der ältesten Städte der Welt, die noch bewohnt sind. In der Nähe dieser Stadt wurden Abraham, Sara, Isaak, Rebekka, Jakob und Lea in der Höhle von Machpela begraben6. Wir besuchten die angebliche Grabstätte. Heute steht über der Höhle eine moslemische Moschee. Abrahams Hauptwohnsitz befand sich offensichtlich in der Nähe von Mamre, wo einst große Bäume wuchsen7. Hier unterhielt er sich mit den Engeln vor der Vernichtung der Städte Sodom und Gomorra8. Von einer Stelle in der Nähe von Hebron blickte Abraham viele Kilometer in die Ferne — auf ein Gebiet, das 1 220 Meter tiefer lag und von dem dicker Rauch aufstieg, der von der gewaltigen Vernichtung zeugte9.
Die Fahrt durch das hügelige Gebiet auf unserem Weg nach Hebron vermittelte uns ein besseres Verständnis über einen weiteren biblischen Bericht. Während Jakob in Hebron wohnte, wies er seinen 17jährigen Sohn Joseph an, sich nach dem Wohl seiner 10 Halbbrüder zu erkundigen, die am früheren Wohnsitz der Familie, in Sichem (dem heutigen Nablus), die Schafe hüteten10. Das bedeutete für Joseph, nicht nur 35 Kilometer bis Jerusalem zurückzulegen, sondern noch weitere -zig Kilometer nach Norden durch unwegsames Gebiet zu gehen. Joseph fand seine Brüder schließlich hinter Sichem, in Dothan (südlich des heutigen Jenin), über 130 Kilometer von Hebron entfernt!
Als wir durch die alten Straßen Hebrons gingen und den alten Marktplatz sahen, kam uns der Gedanke, daß zu der Zeit, als David hier wohnte, das Leben nicht viel anders gewesen sein konnte als heute. Wir erinnerten uns daran, daß David in dieser Stadt zum König gesalbt wurde. Von hier aus regierte er siebeneinhalb Jahre, bevor er nach Norden in seine Hauptstadt, nach Jerusalem, zog11. Doch die Beweise dafür, daß wir in der Gegenwart lebten, waren nie weit entfernt — zum Beispiel die israelischen Soldaten mit ihren stets schußbereiten Gewehren.
Hebron ist vom Militär besetzt. Es liegt in einem Gebiet, in dem nahezu 700 000 Palästinenser wohnen und das vom Militär kontrolliert wird. Dieses Gebiet, heute die „West Bank“ genannt, wird im Osten vom Toten Meer und vom Jordan begrenzt und reicht teilweise bis zur Küstenebene am Mittelmeer im Westen. Dieses riesige, 3 700 Quadratkilometer große Hügelgebiet nahm Israel im Jahre 1967 während des Sechstagekrieges Jordanien ab.
Im Laufe des Nachmittags verließen wir Hebron und fuhren in Richtung Bethlehem zurück. Kurz vor Bethlehem bogen wir jedoch bei einem Schild, das auf die Teiche Salomos hinwies, von der Hauptstraße ab. Wir trauten fast unseren Augen nicht, als wir die Größe dieser drei Teiche sahen. Der größte ist 178 Meter lang, 54 Meter breit und 15 Meter tief! Sie waren wahrscheinlich unter römischer Herrschaft ausgebessert worden, um Jerusalem mit Wasser zu versorgen, doch möglicherweise hatten sie schon zur Zeit Salomos diesem Zweck gedient.
Als wir wieder in Bethlehem waren, wollten wir noch etwas sehen: Herodium. Auf diesem berühmten hochragenden Berg, der wenige Kilometer südöstlich von Bethlehem liegt, hatte Herodes der Große (der versucht hatte, das Jesuskind zu töten12) eine nach ihm benannte Festung erbaut. Einige Tage zuvor hatten wir Masada, die weiter südöstlich — in der Nähe des Toten Meeres — gelegene eindrucksvolle Palastfestung des Herodes, besichtigt. Dort hatten die Juden im Jahre 73 u. Z. den Römern den letzten Widerstand geleistet. Aber Herodium bedeutete für uns noch mehr, obwohl es nicht so groß ist wie Masada.
Der Grund lag darin, daß wir von hier eine herrliche Aussicht auf das umliegende goldbraun gefärbte Land hatten, das in der untergehenden Sonne trotz seiner Öde einen bezaubernden Anblick bot. In östlicher Richtung konnten wir bis zum Toten Meer sehen. Vor uns lag die Wüste von Judäa, in der David mehrere Male seinem Verfolger Saul entkommen konnte13. Beim Anblick des zerklüfteten Gebiets verstanden wir, wie ihm das möglich war, besonders wenn man daran denkt, daß er von Jugend an die Gegend sehr gut kannte. Uns kam auch der Gedanke, daß David beim Schafehüten vielleicht öfter diesen Berg bestieg, um wie wir den herrlichen Ausblick zu genießen.
SÜDLICH VON TEL AVIV-JAFFA
In der ersten Woche unseres Aufenthalts in Israel wohnten wir bei Tel Aviv in einem Hotel nahe am Mittelmeer. Tel Aviv, die größte Stadt in Israel, ist in unserer Zeit entstanden. Sie grenzt aber an die alte Stadt Joppe. Daher trägt die Doppelstadt die offizielle Bezeichnung Tel Aviv-Jaffa.
In Joppe auferweckte der Apostel Petrus Dorkas14, und hier hatte er, während er sich in der Nähe des Meeres im Hause des Simon, eines Gerbers, aufhielt, eine Vision. Aufgrund dieser Vision war er bereit, mit den Boten zu gehen, die der Heide Kornelius aus Cäsarea gesandt hatte15. Wir konnten die Hauptverkehrsstraße benutzen, die von Tel Aviv in Richtung Norden nach Cäsarea führt, und dachten daran, daß Petrus und seine Gefährten für diese Strecke, die wir im Wagen in ungefähr einer Stunde zurücklegten, zwei Tage gebraucht hatten.
Auf unserer Reise in den Süden besuchten wir das Land der Philister. Da in der ersten Woche keine Bustouren stattfanden, mieteten wir uns für Ausflüge zu interessanten biblischen Orten einen Wagen. Auf unserem Weg in den Süden gelangten wir zuerst nach Asdod, wo am Mittelmeer eine moderne israelische Stadt entsteht. Aber wir erinnerten uns daran, daß dort in der Nähe einst eine berühmte Stadt der Philister stand und daß die Bundeslade Jehovas dorthin gebracht wurde, nachdem sie von den Philistern in der Schlacht erbeutet worden war. Die Asdoditer wurden dann aber mit schmerzhaften Hämorrhoiden geschlagen, was sie veranlaßte, die Lade wegzusenden16.
Wir fuhren weiter nach Süden, nach Askalon, einer Stadt, die mit ihren herrlichen Stränden auf dem besten Wege ist, ein beliebtes Touristenzentrum zu werden. Auch hier stand einst eine bedeutende Stadt der Philister. Beim Besuch der alten Ruinen freuten wir uns, eine alte Inschrift mit dem Text des Liedes zu sehen, das David gedichtet hatte, nachdem Saul und Jonathan in einem Kampf gegen die Philister den Tod gefunden hatten: „Verkündet’s nicht auf den Gassen in Askalon, daß sich nicht freuen die Töchter der Philister, daß nicht frohlocken die Töchter der Unbeschnittenen.“17
Wir fuhren weiter nach Gasa und zum „Gasastreifen“ — die Gegend, wo nahe am Meer noch eine weitere wichtige Stadt der Philister gestanden hatte. Wir waren von der Fruchtbarkeit des Landes beeindruckt; es ist landwirtschaftliches Nutzland, das offensichtlich zum Wohlstand des alten Philistäa beigetragen hatte. Aber im heutigen Gasa hat der Krieg seine Spuren hinterlassen. Auf unserer Fahrt durch die Straßen der Stadt spürten wir eine Atmosphäre der Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit.
Der Ort erinnerte uns an Simson, den Richter der Israeliten, der Gasa gut kannte. Eines Nachts riß er die Flügel des Stadttores heraus, „legte sie auf seine Schultern und trug sie dann hinauf auf den Gipfel des Berges, der vor Hebron ist“18. Nachdem wir diese beiden Orte gesehen hatten, konnten wir uns einen besseren Begriff von der übernatürlichen Stärke machen, die erforderlich war, um eine derartige Last 50 Kilometer weit tragen zu können und dabei einen Höhenunterschied von 914 Metern zu überwinden. Hier in Gasa tötete Simson auch Tausende von Philistern und sich selbst, als er die Säulen einriß, auf denen das Dach des Gebäudes ruhte, in dem die Philister ein Fest feierten19.
Von Gasa aus wandten wir uns in südöstlicher Richtung nach Beer-Scheba, das 50 Kilometer entfernt liegt. Die ausgezeichnete Straße führte uns durch ein weites offenes Land, wo wir arabische Hirten mit ihren Kamelen, Schafen und Ziegen sahen. Als wir ihre Zelte in der Ferne erblickten, kam uns der Gedanke, daß sich das Leben gegenüber der Zeit, zu der sich Abraham und Isaak in diesem Gebiet aufhielten, nicht viel verändert haben konnte. In Beer-Scheba, das größtenteils eine ziemlich moderne Stadt ist, besuchten wir den Beduinenmarkt (donnerstags geöffnet) und bestaunten die vorzüglichen Erzeugnisse. Wie billig diese Waren doch waren! Wir kauften zwei Kilo Orangen (ungefähr ein Dutzend) für umgerechnet 30 US-Cent.
Unser Hauptinteresse galt jedoch dem Tel oder alten Ruinenhügel außerhalb der Stadt, den man allgemein für das biblische Beer-Scheba hält. Dieser Hügel überragt die ganze Umgebung. Wir bestiegen ihn und genossen eine wunderbare Aussicht auf das weite flache Land, das sich, während die Sonne allmählich verschwand, im Spiel von Licht und Schatten in herrlichen Farben darbot. Während wir die Ausgrabungen der alten Ruinen betrachteten, dachten wir: „Welch ein schöner Wohnort!“ Abraham mußte ebenso gedacht haben. Hier befand er sich, als Gott ihn anwies, mit Isaak zum Berg Moria (heute innerhalb der Mauern Jerusalems) zu gehen und Isaak dort zu opfern. Abraham kehrte nach dieser Reise wieder nach Beer-Scheba zurück20.
Als wir am Abend in unser Hotel zurückfuhren, verspürten wir eine tiefe Freude. Die Besichtigung dieser Orte, von denen viele sogar noch ihren biblischen Namen tragen, bestätigte die biblischen Aufzeichnungen, die wir von Jugend an gelesen hatten, und vertiefte ihre Bedeutung für uns.
NACH SAMARIA
An einem anderen Tag fuhren wir am Mittelmeer entlang nach Norden und bogen bei Natanya nach Osten ab. Wir durchquerten die fruchtbare Ebene Scharon und befanden uns schon nach wenigen Kilometern in den Bergen Samarias. Da erhob sich unvermutet zu unserer Rechten der Berg, auf dem einst Samaria gestanden hatte, die alte Hauptstadt des nördlichen Königreiches, des Zehnstämmereiches Israel. Wir fuhren hinauf und genossen eine eindrucksvolle Aussicht auf die umliegenden Berge und fruchtbaren Täler. Auf dem Gipfel sahen wir die Überreste eines Gebäudes, das man als den Palast Ahabs, des Königs von Israel, identifiziert hat. Man fand hier Elfenbeingegenstände aus dem 8. und 9. Jahrhundert v. u. Z., die beweisen, wie prachtvoll dieser Palast ausgestattet war21.
Wieder auf der Hauptstraße, fuhren wir in Richtung Norden zum Dothantal, wo der junge Joseph auf seine Brüder und deren Viehherden gestoßen war. Bauern, die auf den Feldern Getreide ernteten, sowie Schaf- und Ziegenherden muteten wie eine nette ländliche Idylle aus der Vergangenheit an. In der Nähe von Jenin (der alten Levitenstadt En-Gannim) machten wir kehrt und fuhren dieselbe Strecke zurück bis Nablus. Hier — an der Stelle, wo das alte Sichem stand — erhebt sich im Norden der Berg Ebal und im Süden der Berg Gerisim22. Am Fuß des Gerisim befindet sich der Jakobsbrunnen, wahrscheinlich der Brunnen, an dem Jesus auf dem Rückweg nach Jerusalem die Samariterin traf. Als sie zu Jesus sagte: „Unsere Vorväter haben auf diesem Berg angebetet“, nahm sie offensichtlich auf den Berg Gerisim Bezug23.
Nach unserer Rückkehr vom Gipfel des geschichtlich bedeutsamen Berges Gerisim fuhren wir wieder in südlicher Richtung weiter, vielleicht auf demselben Weg, auf dem auch Jesus nach Jerusalem gegangen war. Plötzlich entdeckten wir einen Wegweiser mit der Aufschrift „Shiloh“ (Silo). Aufgeregt fuhren wir einen schmalen Weg nach Osten zu dem Ort, wo zur Zeit der Richter die Bundeslade Jehovas aufbewahrt wurde24. Ein junger Soldat der Israeli kontrollierte uns und war offensichtlich überrascht, daß wir an diesen abgelegenen Ort kamen, wo niemand sonst zu sehen war. Für uns aber war es ein denkwürdiges Erlebnis, als wir uns vorstellten, daß hier in dieser stillen hügeligen Gegend die Stiftshütte stand, wo Jephthas Tochter und später der junge Samuel dienten25.
Mittlerweile war es Nachmittag geworden, und wir wollten noch viel mehr sehen. Auf unserem Weg nach Süden fuhren wir mehrere Kilometer durch bergiges Land und dann eine kurze Strecke nach Osten zu den Araberdörfern Beitin und Deir Dibwan. Dort in der Nähe lagen einst die biblischen Städte Bethel und Ai. Da wir aber Schwierigkeiten hatten, sie zu finden, fragten wir zwei Männer auf der Straße. Sie sprachen Englisch und führten uns freundlicherweise in den nächsten ein bis zwei Stunden durch die ausgegrabenen alten Ruinen.
Es war sehr beeindruckend, auf dieser Höhe (914 Meter über dem Meeresspiegel) zu stehen und einen Blick auf die Umgebung zu werfen, während unsere Haare und Kleider im kühlen Abendwind flatterten. Hier forderte wahrscheinlich Abraham Lot auf, zu wählen, in welche Richtung er gehen wollte, als sich beide wegen der Streitigkeiten zwischen ihren Hirten trennten. Wie die Bibel berichtet, „erhob Lot seine Augen und sah den ganzen ,Bezirk des Jordan‘, daß er überall eine wohlbewässerte Gegend war“26.
Als wir gehen wollten, bestand einer der Männer darauf, daß wir auf eine Tasse Tee in sein Haus kamen und seine Familie kennenlernten. Es gefiel uns dort sehr gut, und als die Dunkelheit hereinbrach, mußten wir uns geradezu losreißen. Wir freuten uns, daß uns von einem völlig Fremden unerwartet eine derartige Gastfreundschaft erwiesen wurde.
DAS REIZVOLLE GALILÄA
Galiläa war für uns ein Höhepunkt. Schon allein sein landschaftliches Gepräge ist einladend: der Gebirgszug des Karmels an der Küste, der gebirgige Norden, das einem Juwel gleichende Galiläische Meer und das herrliche grüne Tal Jesreel (auch Ebene Esdrelon genannt), das Samaria im Süden und die galiläischen Berge im Norden voneinander trennt. Aber was Galiläa für uns natürlich besonders anziehend machte, war die Tatsache, daß Jesus in diesem Gebiet den größten Teil seines Lebens verbrachte und daß sich hier viele bedeutsame Ereignisse abspielten, von denen in der Bibel berichtet wird.
Unsere Gruppe verließ Haifa mit dem Bus. Auf unserem Weg im Tal Jesreel lag rechts von uns der Gebirgszug des Karmels, während links von uns der Bach Kischon floß, gesäumt von bunten Blumen. Der Anblick des Karmels erinnerte uns daran, daß Jehova in der berühmten Feuerprobe das Opfer Elias auf übernatürliche Weise durch Feuer verzehren ließ. Elia brachte dann die 450 Propheten des Baals zum Bach Kischon hinab, der wenige Meter zu unserer Linken floß, und ließ sie hier hinschlachten27. Am Schauplatz dieses Ereignisses gewann der Bericht für uns an Bedeutung, und wir konnten uns ein besseres Bild davon machen.
Wenige Kilometer weiter kamen wir zu den Ruinen des alten Megiddo, einer Stadt mit einer wahrhaft strategischen Lage. Von hier aus hat man einen vorzüglichen Ausblick auf das Tal Jesreel. Wer sich an diesem stark befestigten Ort befand, konnte den Paß über den Karmel kontrollieren. Tatsächlich wurden hier entscheidende Schlachten geschlagen. Der Name Har-Magedon (was „Berg von Megiddo“ bedeutet) wird daher in der Bibel passenderweise mit dem erfolgreichen Krieg in Verbindung gebracht, den Gott gegen alle seine politischen Gegner führen wird28.
Von Megiddo aus konnten wir einige Orte in diesem berühmten Tal sehen. Dort, im Zentrum des Tales, liegt der Hügel More, in dessen Nähe oder an dessen Abhängen einst Orte wie Nain, Sunem und En-Dor lagen. Einige Kilometer nordöstlich hinter diesem Hügel steht der berühmte Berg Tabor mit seinem abgeflachten Gipfel. Von dort aus kam der Richter Barak mit Debora auf die überraschten Kanaaniter herab und besiegte sie29. (Auch vom Gipfel des Tabor aus, auf den wir zuvor mit dem Wagen gefahren waren, kann man das Gebiet vorzüglich überblicken.) In den galiläischen Bergen, unweit des Tales, doch für uns nicht zu sehen, liegt Nazareth, wo Jesus zuerst gewohnt hatte. Er kannte das Gebiet, das sich vor unseren Augen ausbreitete, wahrscheinlich sehr gut, weil alle diese Orte von Nazareth aus verhältnismäßig leicht zu Fuß zu erreichen sind.
Auf der gegenüberliegenden Seite des Tales, weit im Südosten, sahen wir den Berg Gilboa, an dessen Fuß der Brunnen Charod liegt. Dort sah sich Gideon 135 000 Midianitern gegenüber, die in einiger Entfernung am Hügel More lagerten. Wir erinnerten uns daran, daß Jehova Gideon angewiesen hatte, seine Streitkräfte auf 300 Mann zu verringern, und ihm dennoch mit diesen wenigen den Sieg verlieh30. Später standen sich in einer ähnlichen Kampfformation die Philister, die sich anscheinend in der Nähe des Hügels More befanden, und die Israeliten, die wiederum am Brunnen Charod lagerten, gegenüber. Diesmal schlugen die Philister die Israeliten in die Flucht, und Saul und Jonathan wurden getötet31. Als wir diese Orte sahen, konnten wir uns die Ereignisse, von denen in der Bibel berichtet wird, besser vorstellen.
Aber die wahrscheinlich schönste Aussicht bot sich uns, als wir zum erstenmal das Galiläische Meer erblickten. Wir kamen von den nördlichen Bergen herab. Dort unter uns lag wie ein Juwel in einem tiefen Becken das 21 Kilometer lange und 12 Kilometer breite blaue Gewässer. Doch es erschien uns viel kleiner, weil wir es aus der Höhe, sozusagen aus der Vogelperspektive, sahen. Das Galiläische Meer liegt erstaunlicherweise 213 Meter unter dem Meeresspiegel und ist praktisch von Hügeln und Bergen eingerahmt.
Während wir uns einige Zeit am Ufer dieses Sees aufhielten, ihn mit dem Schiff überquerten oder ihn von erhöhten Aussichtspunkten aus betrachteten, dachten wir an viele Begebenheiten, die sich hier zugetragen hatten. Jesus war auf dem Wasser gewandelt32, er hatte den Sturmwind beruhigt33, nach seiner Auferstehung hatte er mit seinen Jüngern am Ufer des Sees ein Frühstück eingenommen34, auf einem nahe gelegenen Berg hatte er die bekannteste Ansprache gehalten, über die je berichtet worden ist35, er hatte hier Tausende mit nur wenigen Broten und ein paar Fischen gespeist36, und in Kapernaum, einer Stadt am Nordufer, hatte er gewohnt37.
An dem Tag, an dem wir mit unserem Bus von Galiläa nach Jerusalem fuhren, kamen wir in die Stadt Beth-Schean, die zwischen dem Tal Jesreel und dem Jordantal eine strategische Stellung einnimmt. Der Tel oder die Ruinen der alten Stadt liegen auf einem Hügel, der sich ungefähr 80 Meter erhebt. Von hier hat man eine ausgezeichnete Sicht in das Tal Jesreel hinein in Richtung Berg Gilboa und Megiddo und hinunter ins Jordantal in Richtung Jericho. Hier in Beth-Schean hängten die Philister die Leiche Sauls an die Stadtmauer, nachdem dieser in der Schlacht am Berg Gilboa den Tod gefunden hatte38.
JERICHO UND JERUSALEM
Wir fuhren etwa 80 Kilometer im Jordantal, bis wir nach Jericho kamen. Es ist eine dürre und trockene Gegend, doch wir konnten uns vorstellen, daß es hier im Frühjahr kühler ist. So fragten wir uns, ob Jesus und seine Angehörigen bei ihren jährlichen Reisen zum Passahfest nach Jerusalem vielleicht nicht lieber diesen zwar längeren, jedoch leichteren Weg wählten, als durch das gebirgige Samaria zu ziehen39.
Wir waren beeindruckt, als wir nach Jericho kamen und die vielen Palmen sahen40. Nach Verlassen des klimatisierten Busses befanden wir uns in der sengenden Sonne. Wir verstanden besser, weshalb Jesus Personen gelobt hatte, die seinen Jüngern „einen Becher kalten Wassers zu trinken“ gaben41. Wir bestiegen den Hügel, auf dem die Ruinen des alten Jericho ausgegraben sind. Es handelt sich um ein verhältnismäßig kleines Gebiet, was uns verstehen half, wie Josua mit seinem Heer siebenmal an einem Tag um die Stadt ziehen konnte42.
Die letzten vier Tage in Israel verbrachten wir in Jerusalem, der bedeutsamsten biblischen Stadt. Es war für uns wirklich beeindruckend, selbst einmal die Orte zu sehen, über die wir schon so viel gelesen hatten. Als wir auf dem Ölberg standen, dachten wir daran, daß Judas im Garten Gethsemane, der irgendwo in dieser Gegend gelegen haben mußte, Jesus an seine Feinde verraten hatte43. Auf der gegenüberliegenden Seite des Kidrontals sahen wir den Felsendom, eine Moschee der Moslems, doch wir wußten, daß Jesus in seinen Tagen dort den Tempel stehen sah. Den Blick auf den Tempel gerichtet, hatte er seine berühmte Prophezeiung über den „Abschluß des Systems der Dinge“ geäußert44.
Vom Ölberg aus konnten wir sehen, wo einst die „Stadt Davids“ lag und wie sie mit dem erweiterten Jerusalem der späteren Zeit verbunden war, das im Norden und Westen lag. Die „Stadt Davids“, „Berg Zion“ genannt, war den Jebusitern abgenommen worden45. Sie liegt südlich des Felsendoms, außerhalb der heutigen Mauern Jerusalems. An einem anderen Tag stellten wir fest, warum man sich über die ursprüngliche Lage der Stadt so sicher ist.
Wir gingen ins Kidrontal hinab zur Gichonquelle, die genau am Fuß des Hügels liegt, auf dem die „Stadt Davids“ erbaut war. Diese in einer Höhle verborgene Quelle war für die Lage der Stadt von besonderer Bedeutung, da in alter Zeit die Wasserversorgung sichergestellt sein mußte. Um in die hoch oben gelegene Stadt einzudringen, benutzten Joab und seine Männer anscheinend einen Schacht, durch den die Jebusiter zu dieser außerhalb der Stadtmauer gelegenen Quelle gelangt waren. Auf diese Weise konnten sie den Angriff von innen vortragen, wodurch die Stadt von David und den Israeliten erobert wurde46. Viele Jahre später ließ Hiskia einen 533 Meter langen Tunnel von der Gichonquelle bis zum Teich von Siloam bauen, der sich zur Zeit Hiskias innerhalb der Stadt befand. Der Tunnel war eine technische Meisterleistung47. Die Wasserversorgung Jerusalems war auf diese Weise selbst im Falle einer Belagerung sichergestellt .
Durch den Hiskiatunnel fließt immer noch Wasser. Als wir durch den Tunnel gingen, war es ungefähr knietief. Nachdem wir beim Teich von Siloam herausgekommen waren, gingen wir das Kidrontal weiter hinab bis zur Quelle En-Rogel. Wir dachten daran, daß Adonia, der rebellische Sohn Davids, in En-Rogel ein Fest veranstaltet hatte, um Unterstützer für seinen geplanten Thronraub zu gewinnen48. Als der todkranke König David davon erfuhr, ließ er seinen Sohn Salomo in diesem Tal, und zwar nur einige hundert Meter oberhalb, bei der Gichonquelle, zum König salben49.
Wie hat sich die Besichtigung dieser Orte auf uns ausgewirkt? Wir mußten diese Orte nicht sehen, um zu glauben, daß sie existierten. Der Besuch war indes eine Bestätigung dafür, daß es sie tatsächlich gibt. Da wir aber selbst dort waren und mit den Gegebenheiten der einzelnen Orte vertraut geworden sind, an denen sich biblische Ereignisse abgespielt haben, haben diese für uns an Bedeutung gewonnen, und wir können sie uns noch besser vorstellen.
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BIBLISCHE QUELLEN
1. Lukas 2:4-16
4. Johannes 7:42; 2. Samuel 2:18, 32
6. 1. Mose 23:14-19; 25:9; 49:30, 31; 50:13
10. 1. Mose 37:12-14
11. 2. Samuel 5:1-5
12. Matthäus 2:7-18
13. 1. Samuel 24:1-3
16. 1. Samuel 5:1-9
17. 2. Samuel 1:20, „Luther“
18. Richter 16:3
19. Richter 16:21, 25-30
21. 1. Könige 22:37-39; Amos 6:1, 4
22. 5. Mose 11:29, 30; Josua 8:30-35
24. Josua 18:1
25. Richter 11:40; 1. Samuel 3:21
26. 1. Mose 13:1-11
28. Offenbarung 16:14, 16
29. Richter 4:4-16
30. Richter 7:1-22; 8:10
33. Markus 4:35-41
34. Johannes 21:9-14
35. Matthäus 5:1, 2
37. Markus 2:1
38. 1. Samuel 31:10
39. Lukas 2:41, 42
40. 5. Mose 34:3
41. Matthäus 10:42
42. Josua 6:15
43. Matthäus 26:30, 36-47
44. Markus 13:3, 4; Matthäus 24:3
45. 2. Samuel 5:7, 9; 6:12
46. 2. Samuel 5:6-9; 1. Chronika 11:4-7
47. 2. Könige 20:20; 2. Chronika 32:30
[Karte auf Seite 4]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
ISRAEL
MITTELMEER
Kapernaum
GALILÄISCHES MEER
Nazareth
Bach Kischon
BERG KARMEL
BERG TABOR
Hügel More
TAL JESREEL
Megiddo
Cäsarea
En-Gannim (Jenin)
BERG GILBOA
Beth-Schean
Ebene Scharon
Natanya
Samaria
BERG EBAL
BERG GERISIM
Sichem (Nablus)
Jordan
WEST BANK
Silo
Joppe (Tel Aviv)
Bethel
Ai
Jericho
JORDANIEN
Jerusalem
Asdod
Bethlehem
Askalon
Teiche Salomos
Herodium
Tal Eschkol
Mamre
Gasa
Hebron
TOTES MEER
Masada
Beer-Scheba
Sodom und Gomorra?
[Bild auf Seite 7]
Dieses Hirtenmädchen hütete in der Nähe des Tells von Beer-Scheba Schafe und Ziegen.
[Bild auf Seite 9]
Das schöne Galiläische Meer heute