Wie ich meine Söhne ohne Ehemann erzog
GEHÖRST du zu den Frauen, die sich dem Problem gegenübersehen, ihre Kinder ohne Vater erziehen zu müssen? Befürchtest du, daß du nicht in der Lage bist, diese schwere Verantwortung zu tragen? Das war die Situation, in der ich mich befand.
Aus persönlicher Erfahrung kannte ich die Sorgen und Enttäuschungen, die manche Kinder haben, wenn sie heranwachsen; deshalb war ich entschlossen, meine Söhne auf künftige Probleme vorzubereiten.
EINE TURBULENTE, VERWORRENE KINDHEIT
Ich wurde wenige Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Österreich geboren. Die Ereignisse des Jahres 1945 habe ich noch lebhaft in Erinnerung; das sinnlose Blutvergießen in unserem Land näherte sich damals seinem Ende. Kriegsmüde deutsche Soldaten, halb verhungert und dem Verdursten nahe, wurden in schier endlos langen Kolonnen in die Gefangenschaft geführt. Tote und Verwundete säumten die Straßen.
Vor meinen Augen brach eine Welt zusammen, eine Welt, die meine Eltern bis zu diesem Zeitpunkt immer gepriesen hatten. Auch in der Zeit, als ich in verschiedenen nationalsozialistischen Jugendgruppen geschult wurde, rühmte man diese Welt als die einzige, für die zu leben und zu kämpfen es sich lohnt. Doch nun lag diese Welt in Trümmern. In meiner Verwirrung fragte ich mich: „Worin besteht nun wirklich der Sinn des Lebens?“ Ich stellte auch anderen diese Frage.
Da sich niemand in jenen turbulenten Tagen die Zeit nahm, auf meine Fragen einzugehen, begann ich, die Antwort in meiner Religion zu suchen. Bis dahin hatte die Religion — ich war katholisch — keine allzu große Rolle in meinem Leben gespielt. Ich sollte erleben, wie geschickt man es von dieser Seite aus verstand, die noch unausgeglichenen Gefühle eines heranwachsenden Mädchens auszunutzen. Man ermöglichte es mir, Konzerte mit religiöser Musik zu besuchen sowie an pompösen Gottesdiensten in berühmten alten Kirchen teilzunehmen, und gab mir Literatur, die ein Leben der Entsagung und Einsamkeit pries. Die Folge war, daß ich mich entschloß, in ein Kloster einzutreten.
Eine Romreise wurde geplant. Ich war jedoch ganz niedergeschlagen, denn ich wußte, daß es mir meine finanziellen Verhältnisse nicht erlaubten, die Reise zu machen. Wie glücklich war ich doch, als mir ein älterer Priester anbot, die Reise zu bezahlen! In seinem Büro sollte alles Nähere besprochen werden. Voller Freude und Dankbarkeit und im Glauben an das Gute eilte ich dorthin. Wie entsetzt war ich jedoch, als er begann, unsittliche Forderungen zu stellen! Es gelang mir nur mit knapper Not, das Zimmer zu verlassen, ohne weiter belästigt zu werden. Zutiefst enttäuscht und erschüttert, fing ich nun an, meine Religion mit kritischeren Augen zu betrachten.
Ich glaubte immer noch, es sei das sinnvollste Ziel im Leben, Gott zu lieben und ihm zu dienen. Doch wie könnte ich das in die Tat umsetzen? Später — ich arbeitete als Gerichtsschreiberin — passierte etwas, was mich in meiner Überzeugung bestärkte, daß man jenes Ziel innerhalb der katholischen Kirche nie erreichen kann. Einem Priester, der mehrere kleine Mädchen sexuell mißbraucht hatte, stellte die Kirche einen der besten Anwälte des Landes zur Verfügung, obwohl durch die Voruntersuchungen seine Schuld bereits erwiesen war.
DIE QUELLE WAHRER WEISHEIT
Die Jahre vergingen, und in den frühen 1950er Jahren heiratete ich und wurde Mutter von zwei Söhnen. Damals stieg die Frage nach dem Sinn und Zweck des Lebens, die eine Zeitlang mehr oder weniger in den Hintergrund gedrängt worden war, wieder in mir auf. Ich begann mir ernste Gedanken über die Zukunft meiner Kinder zu machen. Ich war entschlossen, dafür zu sorgen, daß sie niemals den Problemen des Lebens ratlos, ohne eine befriedigende Antwort zu finden, gegenüberstehen würden, wie ich es in meiner Jugend erlebt hatte.
Noch nie zuvor war ich mir der Unzulänglichkeit menschlicher Weisheit so bewußt gewesen wie damals. Ich wandte mich im Gebet an Gott. Bald danach besuchte mich ein Zeuge Jehovas und erklärte mir Gottes großartiges Vorhaben in Verbindung mit seinem Königreich, einer wirklichen Regierung, die der Menschheit ewigwährenden Frieden bringen würde (Matth. 6:9, 10; Offb. 21:3, 4). Mit der Zeit wuchs in mir die Überzeugung, daß das, was ich in jenen biblischen Gesprächen lernte, die Wahrheit war, nach der ich schon so lange gesucht hatte.
Anfangs war mein Mann mit dem, was ich tat, einverstanden, ja er nahm sogar am Bibelstudium teil. Doch die Situation änderte sich schlagartig, als er die Verpflichtung erkannte, sich eng an die sittlichen Grundsätze des Wortes Gottes zu halten. Seine Neigung zu einem lockeren Lebenswandel veranlaßte ihn schließlich, das Bibelstudium aufzugeben und mir sogar heftigen Widerstand zu leisten. Als er dann noch Ehebruch beging, trennte ich mich von ihm. Dadurch verlor ich zwar ein schönes Heim und finanzielle Sicherheit, aber ich gewann die Freiheit, meine Kinder ungehindert im Worte Gottes zu belehren.
EIN LEBENSZIEL FÜR MEINE SÖHNE
Gebetsvoll dachte ich über den Rat nach, den die Bibel Eltern gibt: „Erziehe einen Knaben gemäß dem Wege für ihn; auch wenn er alt wird, wird er nicht davon abweichen“ (Spr. 22:6). In Übereinstimmung mit diesem Rat beschloß ich, mein Äußerstes zu tun, um aus meinen Söhnen brauchbare Gefäße für den Dienst Jehovas zu machen.
In erster Linie bedeutete das, daß ich meinen Söhnen den Vollzeitpredigtdienst als Lebensziel setzte, den sie aufnehmen sollten, wenn sie älter wären. Ich war mir natürlich darüber im klaren, daß ihr eigener Wunsch, Jehova zu dienen, ausschlaggebend sein würde, ob sie den Vollzeitdienst aufnehmen würden oder nicht. Um diesen Wunsch zu wecken und zu nähren, führte ich ein regelmäßiges Bibelstudium mit ihnen durch, das auf ihre Bedürfnisse abgestimmt war.
Damals hatten wir noch nicht die beiden hervorragenden Bücher Auf den Großen Lehrer hören und Mache deine Jugend zu einem Erfolg. Wir mußten also in biblischen Publikationen nachforschen, um Rat über bestimmte entstandene Probleme zu finden. Da ich wußte, daß Erfahrungen, die aus dem Leben gegriffen sind, einen tiefen Eindruck hinterlassen, lasen und besprachen wir gemeinsam solche Erfahrungen, besonders diejenigen, die in der Bibel aufgezeichnet sind.
Im Laufe der Zeit wurden daher meine Jungen mit Personen wie Achan, Gechasi, Ananias und Sapphira vertraut. Warum gerade mit solchen Personen? Weil ihre Erfahrungen zeigen, wie Jehova über Habgierige, Lügner und Diebe denkt (Josua 7:1-26; 2. Kö. 5:1-27; Apg. 5:1-11). Wenn wir das Problem des Ungehorsams behandelten, sprachen wir über Adam und Eva oder über die Menschen, die in der weltweiten Flut starben, oder auch über die Bewohner von Sodom und Gomorra, die ebenfalls umkamen. Kam es zu Neid, so erwies sich eine Betrachtung des Beispiels der Brüder Josephs als nützlich. Dann lasen wir aber auch Berichte über Männer, Frauen und Kinder, die loyale Diener Gottes waren und sich bemühten, seine wunderbaren Eigenschaften widerzuspiegeln.
Zu ihrer Erziehung gehörte auch, daß ich es niemals versäumte, sie mit in die christlichen Zusammenkünfte zu nehmen. Wir arbeiteten gemeinsam Kommentare aus, und ich ermunterte sie, die Kommentare in den Zusammenkünften zu geben. Auch hielten wir uns an das Bibelleseprogramm der Theokratischen Schule und beteten regelmäßig zusammen. Ich schulte sie selbst, mit anderen über die Bibel zu sprechen, indem ich ihnen zuerst zeigte, wie man Handzettel abgeben kann, und dann, wie man kurze Bibelpredigten hält, Rückbesuche macht und Heimbibelstudien leitet.
Unsere Freizeit verbrachten wir mit Vollzeitpredigern oder mit anderen reifen Christen und deren Familien. Auch war es mir trotz unserer bescheidenen finanziellen Mittel immer möglich, dafür zu sorgen, daß wir die Kreis-, Bezirks- und internationalen Kongresse besuchen konnten. Gemeinsam saßen wir da und lauschten dem Programm.
WIE PROBLEME GELÖST WURDEN, DIE ES IN DER SCHULE GAB
Zu Beginn jeden Schuljahres sah ich mir die Schulbücher meiner Söhne genau an. Es überraschte mich, festzustellen, wie oft darin unbiblische Ansichten vertreten wurden, zum Beispiel, daß sich die Menschen aus niederen Lebensformen entwickelt hätten. Wir unterhielten uns unter anderem über die Feiertage und über patriotische Zeremonien. Wir besprachen, welcher Standpunkt jeweils mit Gottes Wort übereinstimmte, wenn gewisse Situationen eintreten würden. Wir unterhielten uns außerdem über Drogengenuß, Homosexualität, feste Bekanntschaften, die Teilnahme an Sportveranstaltungen der Schule usw.
Wärest du nicht auch besorgt und beunruhigt, wenn dein Kind eines Tages zu dir käme und sagen würde: „In unserer Klasse gibt es einen Drogensüchtigen“ oder: „Mein Freund Otto ist immer wieder von einem Homosexuellen belästigt worden.“? Ich dachte nie, meine Kinder könnten dadurch nicht beeinflußt werden; im Gegenteil, ich nahm die Sache ernst. Wir besprachen gemeinsam Artikel in den Zeitschriften Der Wachtturm und Erwachet!, in denen darüber etwas stand; ferner ermunterte ich meine Söhne, zu beobachten, wohin solche Gewohnheiten führen.
Lebhaft erinnere ich mich an eine Begebenheit, als Gerfried, mein jüngerer Sohn, noch in die Volksschule ging und zu Weihnachten eine Klassenarbeit über dieses Fest schreiben mußte. Da er sehr gut wußte, daß Weihnachten heidnischen Ursprungs ist, war Gerfried lange vor den anderen mit seiner Arbeit fertig. Der Lehrer las sie sofort durch und war erstaunt. Auf der Stelle sammelte er die Blätter der anderen Schüler ein und sagte der Klasse, sie solle jetzt über das Thema „Ein Wintertag“ schreiben. Später äußerte er sich mir gegenüber günstig über die Arbeit meines Sohnes, indem er sagte, Gerfrieds Beweisführung über den Ursprung des Weihnachtsfestes sei gut fundiert gewesen.
Bei einer anderen Gelegenheit mußte jeder Schüler in Gerfrieds Klasse die Nationalhymne singen. Gerfried weigerte sich jedoch, das zu tun, weil er es aus Gewissensgründen ablehnte, Lieder zu singen, die den Nationalismus fördern und dazu dienen, Nationen zu verherrlichen. Das trug ihm eine schlechte Note ein. Ich sprach im Büro des Schulleiters vor und verlangte eine Erklärung. Man antwortete mir: „Er sollte deshalb die Nationalhymne singen, weil ihre Melodie viele Halbtöne aufweist, die es ermöglichen, das Gehör besser zu prüfen.“ Als ob es keine anderen Lieder mit vielen Halbtönen gäbe!
Meine Bereitwilligkeit, sie in ihrer Überzeugung zu stärken, gab meinen Kindern die Gewißheit, nie allein zu stehen, und dies half ihnen, weiterhin ihren Glauben mutig zu verteidigen. Vor allem bemühte ich mich, zu ihren Lehrern einen guten Kontakt herzustellen. Das half den Kindern, so manches Problem zu vermeiden.
ZEUGNISGEBEN IN DER SCHULE
Ich ermunterte meine Söhne, mit ihren Klassenkameraden über ihren Glauben zu sprechen. Eine gute Gelegenheit dazu bot sich, als den katholischen Schülern Religionsunterricht erteilt wurde und die Schüler, die nicht daran teilnahmen, die Freistunde in einem besonderen Raum verbrachten. Dort konnte mein älterer Sohn Manfred einige gute Gespräche mit Schülern führen, die echtes Interesse an der biblischen Wahrheit zeigten. Diese Schüler lud er dann zu uns in die Wohnung ein, wo weitere Gespräche folgten. So kam Manfred schon in sehr jungen Jahren zu zwei Bibelstudien. Obwohl die Eltern heftigen Widerstand leisteten, gaben sich die beiden jungen Menschen Jehova hin und dienen ihm heute noch treu.
Große Freude herrschte bei uns, als das Buch Hat sich der Mensch entwickelt, oder ist er erschaffen worden? freigegeben wurde. Einer der Lehrer Manfreds, denen er das Buch überreicht hatte, prüfte sorgfältig die darin enthaltenen Beweise. Dies führte dazu, daß er die Evolutionstheorie nicht mehr lehrte und die ganze Klasse ermunterte, sich jenes Buch zu beschaffen und gründlich durchzulesen. Daraufhin konnte Manfred mehr als 25 Evolutions-Bücher an seine Mitschüler abgeben.
Im darauffolgenden Jahr wurde das Buch Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt freigegeben; fast jeder seiner Klassenkameraden nahm ein Exemplar.
Erwachet!-Artikel dienten meinen Söhnen oft als Grundlage für ihre Aufsätze und Referate. Nicht selten konnten sie danach in der Klasse viele Exemplare der Zeitschrift Erwachet! abgeben. Auch andere Schüler begannen, Erwachet! als Grundlage für ihre Arbeiten zu benutzen. Manfred gewann einen solchen Einfluß auf einige seiner Klassenkameraden, daß die katholische Religionslehrerin, eine Nonne, sie davor warnte, Umgang mit ihm zu haben. Ein anderer Lehrer brachte die Sache vor den Schuldirektor.
Einige Zeit später sagte die Nonne zu Manfred: „Ich habe dich jetzt eine längere Zeit beobachtet, und ich muß zugeben, daß du tatsächlich der höflichste Schüler in dieser Schule bist. Obwohl ich mich einmal negativ über dich geäußert habe, hast du mich dennoch immer freundlich gegrüßt. Es tut mir leid; ich weiß nun, daß ich dir unrecht getan habe.“
Alle Lehrer, mit denen meine Söhne während ihrer Schulzeit zu tun hatten, erhielten ein gründliches Zeugnis — entweder mündlich oder durch unsere ausgezeichnete, sich auf die Bibel stützende Literatur.
LEITUNG, WÄHREND SIE HERANWUCHSEN
Mit den Entwicklungsjahren kamen auch die ersten „Liebesbriefe“ ins Haus geflattert. Ich tat dies nicht einfach als Kinderei ab, sondern nahm mit den Eltern der hoffnungsvollen Schreiberinnen Kontakt auf, sprach mit ihnen und, wenn es notwendig war, auch mit den Ältesten der jeweiligen Versammlung. Auf diese Weise erstickte ich die Neigung zu verfrühten festen Bekanntschaften schon im Keim. Meine Söhne waren mit meiner Handlungsweise nicht immer einverstanden, manchmal kam es zu heftigen Diskussionen. Allerdings war ich stets bemüht, für anderweitige Freizeitgestaltung zu sorgen.
Fast jeden Sonntag waren junge Brüder bei uns eingeladen, mit denen sie sich unterhalten, gemeinsam Musik anhören oder Sport treiben konnten. Und wie dankbar war ich doch, als reife Brüder die Initiative ergriffen und mit den Jungen über Dinge sprachen, die normalerweise ein Vater mit seinen Söhnen bespricht. Ich habe gelernt, Hilfe in der Versammlung zu suchen, Rat anzunehmen und auch zu schätzen. Eines vergaß ich nie: Die beste Erziehungsmethode ist das eigene Beispiel.
Vor über sieben Jahren kam Manfred aus der Schule. Sogleich begannen wir beide mit dem allgemeinen Pionierdienst. Gerade zu dieser Zeit machte Gerfried eine kritische Phase seiner Entwicklung durch. Wie würde er sich entscheiden? Ich bin heute glücklich, sagen zu können, daß auch er mit dem Pionierdienst begonnen hat und nun bereits seit über vier Jahren als Pionier dient.
Wie froh bin ich doch, daß wir jetzt als geeinte Familie Jehova dienen! Nur durch die Kraft und Leitung, die Jehova mir durch sein Wort und seine Organisation gab, habe ich meine Söhne erfolgreich ohne Ehemann erziehen können. Deshalb kann ich mit dem Psalmisten sagen: „Laßt uns vor seine Person kommen mit Danksagung; laßt uns ihm mit Melodien im Triumph zujauchzen! Denn Jehova ist ein großer Gott und ein großer König über alle anderen Götter“ (Ps. 95:2, 3).