Dankbar für ein erfülltes Leben des Dienstes
Von John Booth erzählt
IM Oktober 1921 wurde angekündigt, daß der Vortrag „Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterben“ in unserer Stadthalle in Wallkill (New York) gehalten werden sollte. Obwohl wir neugierig waren, besuchte keiner von unserer Familie diesen Vortrag. Ich bestellte jedoch die Literatur, die auf dem Handzettel aufgeführt war. Als ich die Broschüre Was sagt die Heilige Schrift über die Hölle? und das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter — beide von C. T. Russell geschrieben — erhielt, war ich von ihrem Inhalt so gefesselt, daß ich sie nur schwer zur Seite legen konnte.
Früher in jenem Jahr hatte ich die High-School abgeschlossen, und ich suchte nach etwas Sinnvollem, was mein Leben ausfüllen würde. Wir waren eine religiöse Familie, die regelmäßig die Niederländische Reformierte Kirche besuchte, für die ich auch als Sonntagsschullehrer tätig war. Der Pfarrer wollte, daß ich aufs College gehen und Theologie studieren sollte, aber das reizte mich nicht, denn Geistliche schienen mir ein selbstsüchtiges Leben zu führen. Doch ich wollte der Menschheit helfen, und so dachte ich, es wäre gut, Missionar zu werden.
Nachdem ich erfahren hatte, wo sich die Bibelforscher (wie Jehovas Zeugen damals genannt wurden) versammelten, fuhr ich im folgenden Sommer mit dem Fahrrad jeweils 24 Kilometer nach Newburgh (New York), um die Zusammenkünfte zu besuchen. Nachdem der Pfarrer unserer Kirche dann eine Predigt über die „Hölle“ gehalten hatte, die der biblischen Lehre, daß die Toten ohne Bewußtsein sind, widersprach, traten meine Mutter und ich aus der Kirche aus (Prediger 9:5, 10). Mein Vater las zwar gern unsere biblische Literatur, doch er blieb in der Kirche, in der er aufgewachsen war. Meine beiden Brüder und drei Schwestern dagegen wurden im Laufe der Zeit ebenfalls Zeugen.
Arbeit auf Staten Island
Im Sommer 1923 nahm ich eine Einladung an, beim Aufbau der neuen Radiostation WBBR der Watchtower Society auf Staten Island mitzuhelfen. Unter denen, die an den Wochenenden von der Zentrale in Brooklyn herüberkamen, um zu helfen, war auch der 18jährige Nathan H. Knorr, der 1942 der dritte Präsident der Watch Tower Society wurde. Von Staten Island aus besuchte ich einen Kongreß in New York City, wo ich am 19. Oktober 1923 getauft wurde. Das war für mich die erste Gelegenheit, meine Hingabe an Jehova Gott zu symbolisieren.
In jenem Winter kehrte ich nach Hause zurück, um auf der kleinen Farm unserer Familie — wir hielten Milchvieh — in der Nähe von Wallkill zu arbeiten, aber im Frühjahr war ich wieder auf Staten Island und half bei der Landschaftsgestaltung und im Straßenbau mit. Während meine vorübergehende Arbeitszuteilung dort ihrem Ende entgegenging, waren viele dabei, Pläne zu schmieden, den großen Kongreß in Columbus (Ohio) im Juli 1924 zu besuchen. Es war mein Vorrecht, mit der Bethelfamilie, den Mitarbeitern des Hauptbüros, in einem Sonderzug dorthin zu reisen. Auf diesem Kongreß wurden alle Glieder der Versammlungen für das Predigen von Haus zu Haus organisiert.
Predigen in der Umgebung von Wallkill
Nachdem ich von Columbus zurückgekommen war, begann ich, in der Umgebung der Farm meiner Eltern Zeugnis zu geben. In dieser Gegend befinden sich heute die Wachtturm-Farmen. Zuerst bearbeitete ich das Gebiet mit dem Fahrrad, aber dann kaufte ich mir einen Ford, Modell T, um weiter entferntes Gebiet zu bearbeiten. Als im Jahre 1926 das Buch Befreiung herauskam, organisierte ich ein Bibelstudium in einem der Häuser von Scotts Corners, in der Nähe von Walden. Einige, die daran teilnahmen, machten Fortschritte und wurden später Zeugen.
Meine Angehörigen und ich besuchten regelmäßig die Zusammenkünfte in Newburgh. Als schließlich die Gebets-, Lobpreisungs- und Zeugnisversammlung, die unter der Woche stattfand, in die Dienstzusammenkunft abgeändert wurde, um unseren Haus-zu-Haus-Dienst in den Vordergrund zu stellen, gefiel das einigen gar nicht. Aber ich war froh, daß Nachdruck darauf gelegt wurde, die Königreichsbotschaft so zu verbreiten, wie die Apostel es getan hatten (Apostelgeschichte 20:20). Vom April 1928 an beteiligte ich mich an dieser Predigttätigkeit als allgemeiner Pionier.
Predigen im Süden
In jenen Jahren war es unter Pionieren üblich, das Gebiet im Norden während des Sommers zu bearbeiten und dann im Winter im Süden Zeugnis zu geben. So arbeiteten mein Pionierpartner Rudolph Abbuhl und ich in den Jahren 1928 bis 1935 während des Winters in den Bundesstaaten Virginia, West Virginia, Nordkarolina, Georgia, Tennessee und Kentucky.
Es war ein unvergeßliches Erlebnis, in jenen Jahren im Süden Zeugnis zu geben. Häufig gab es nur wenige gepflasterte Straßen, und wir wußten schließlich ganz genau, wo wir das Auto stehenlassen mußten, um nicht an Steinen hängenzubleiben oder im Schlamm einzusinken. Wir gingen viel zu Fuß, da die Häuser oft nicht mit dem Auto zu erreichen waren.
In ländlichen Gebieten waren die Leute im allgemeinen arm und lebten ohne moderne Annehmlichkeiten. In Teilen Kentuckys war es tatsächlich nichts Außergewöhnliches, Blockhäuser zu sehen, und einige Leute benutzten noch Spinnräder. Seit den Tagen Daniel Boonesa — etwa 150 Jahre zuvor — hatte sich am Leben hier nicht viel geändert.
Gewöhnlich mieteten wir uns für etwa 10 Dollar im Monat ein Zimmer. Manchmal jedoch übernachteten wir direkt in den Häusern der Einheimischen und zahlten etwa einen Dollar für die Nacht, die Mahlzeiten eingeschlossen. Immer wieder konnten wir Hausfrauen ausfindig machen, die uns im Tausch gegen Literatur die Wäsche wuschen. Da die Leute wenig Geld hatten, tauschten wir oft Literatur gegen Nahrungsmittel ein.
Häufig sagten Hausfrauen: „Sie können ein Huhn haben, wenn Sie es einfangen können.“ Darauf waren wir vorbereitet und hatten zu diesem Zweck einen Hühnerkorb hinten im Wagen. Wir wurden Experten darin, Hühner an den Beinen einzufangen, und benutzten dazu einen Draht mit einem Haken. Eier waren weitere „Tauschobjekte“, aber auch alle Sorten eingemachte Früchte. Was wir selbst nicht brauchten, verkauften wir, um Benzin kaufen zu können. Einmal hatten wir sogar eine reguläre Route, um Lebensmittel, die wir gegen Literatur eingetauscht hatten, an Restaurants zu verkaufen.
Das Vertrauen der Leute zu gewinnen half uns, Widerstand und Schwierigkeiten zu überwinden. Das wurde in Cleveland (Georgia) deutlich, wo uns ein Rechtsanwalt, der auch Sonntagsschullehrer war, aufgrund der Beschuldigung, Literatur ohne Erlaubnis zu verkaufen, einsperren ließ. Um uns zu verteidigen, kam eine Reihe von Leuten zu unserer Verhandlung, darunter auch der Mann, in dessen Haus wir untergekommen waren. Es war uns möglich, die Art unserer Tätigkeit zu erklären; daraufhin ließ man die Anklage fallen und entschuldigte sich bei uns.
In den Hügeln in der Nähe von Ferrum (Virginia) wie auch andernorts war die Schwarzbrennerei verbreitet. Bewaffnete Männer bewachten die Destillierapparate, und Fremden wurde der Zutritt dort nicht gestattet. Aber ohne es zu wissen, hatten wir das Vertrauen der Leute gewonnen, und ein guter Bericht ging uns voraus. So konnten wir in dieser Gegend Zeugnis geben, ohne daß uns jemand hinderte oder uns Schaden zufügte. Wir fanden eine Frau, die aufgrund unserer Rundfunkprogramme Literatur erworben hatte und ihre Wertschätzung dadurch zum Ausdruck brachte, daß sie mit anderen über das sprach, was sie gelernt hatte. Später wurde sie getauft; sie war viele Jahre eine treue Zeugin Jehovas.
Zu der Zeit, als wir uns im Bezirk Harlan (Kentucky) aufhielten, war diese Gegend als „blutiges Harlan“ bekannt, und das mit gutem Grund. Die Leute hatten Schußwaffen und gebrauchten sie. Einmal bekam mein Pionierpartner Raymond Hall einen Schuß in die Schulter; einige Männer hatten anscheinend nur versucht, ihn zu ängstigen. Wir brachten ihn zur Behandlung ins Krankenhaus, und dort stellte man uns nicht einmal Fragen; offensichtlich waren derlei Verwundungen alltägliche Vorkommnisse. Nachdem wir in diesem Gebiet Zeugnis gegeben hatten, wunderten wir uns nicht mehr über Berichte, nach denen innerhalb eines Jahres acht Hilfssheriffs und etwa einhundert andere Personen umgebracht worden waren. Uns bereitete es jedoch große Freude, zwei Familien zu finden, die die Wahrheit annahmen. Einer der Söhne kam später ins Brooklyner Bethel.
Predigen im Norden
Während der Sommermonate war unsere Farm in der Nähe von Wallkill mein Heimatstützpunkt, von wo aus ich in den vier Bezirken der Umgebung Zeugnis gab. Ich nahm Vorräte mit und kampierte für eine Woche im Freien, gab Zeugnis in dem betreffenden Gebiet und kehrte dann an den Wochenenden nach Hause zurück, um die Zusammenkünfte in Newburgh zu besuchen. Auf diese Weise konnte ich in entfernten Gebieten 10-Stunden-Tage im Predigtwerk verbringen. Ich fand es lohnend, Rückbesuche bei vielen interessierten Personen zu machen. Es bereitete mir große Freude, als später auf einem Kongreß eine Frau zu mir kam und sagte, daß ihr die Bücher, die ich ihr zurückgelassen hätte, geholfen hätten, den Weg des Lebens zu finden.
Besonders in New Jersey waren die Zeugen in jenen Jahren ständig Verhaftungen ausgesetzt. Im Sommer war ich dort in der Nähe und folgte dem Aufruf zu einem Feldzug, der organisiert wurde, um an einem „Unruheherd“ Zeugnis zu geben. Manchmal wurden wir verhaftet und abends wieder freigelassen, aber andere Male hielt man uns bis zu einer Verhandlung fest. Während wir bei einer Gelegenheit eine 10tägige Strafe verbüßten, gaben wir einem der anderen Gefangenen Zeugnis. Er nahm die gute Botschaft an und wurde später Pionier.
Etwa zu dieser Zeit begannen wir in unserem Haus-zu-Haus-Dienst, intensiv Schallplatten mit kurzen biblischen Darbietungen einzusetzen. Auch wurden transportable Grammophone auf Autos installiert, und schon waren Lautsprecherwagen fertig! Ich fuhr zur Zentrale nach Brooklyn und ließ für 175 Dollar eine solche Anlage installieren. An Sommerabenden stellte ich den Lautsprecherwagen am Eingang eines Tales auf, und so konnten die Schallplatten etwa anderthalb Kilometer weit gehört werden. In den folgenden Jahren reiste ich viele Tausende von Kilometern mit den großen Schalltrichtern auf dem Wagen und erreichte viele Menschen mit der Königreichsbotschaft.
Etwas Besonderes in unserem Leben waren die großen Kongresse, die wir jeden Sommer besuchten. Besonders denkwürdig war der Kongreß im Jahre 1931 in Columbus (Ohio), wo wir den schriftgemäßen Namen Jehovas Zeugen annahmen.
Neue Zuteilungen
Im Spätherbst des Jahres 1935 kehrten wir von unserer Pionierzuteilung im Süden zurück, um im Bethel in Brooklyn auszuhelfen. Nachdem ich ein paar Tage in der Fabrik gearbeitet hatte, rief mich Bruder Knorr in sein Büro und fragte mich, ob ich nicht als Bezirksdienstleiter reisen und die Gruppen (wie die Versammlungen damals genannt wurden) besuchen wollte. „Ich habe noch nie eine Ansprache vor einer Gruppe gehalten und weiß nicht, wie man eine Gruppe für die Tätigkeit organisiert“, sagte ich.
„Wir benötigen keine redegewandten Sprecher, nur jemand, der den Dienst liebt und die Führung darin übernimmt und in den Zusammenkünften über den Dienst spricht“, erklärte Bruder Knorr.
So wurde ich während der nächsten Monate für meine neue Zuteilung geschult und begleitete Bruder Knorr und andere, wenn sie an Wochenenden Gruppen besuchten. Es war eine große Aufgabe, die Gruppen für das Rückbesuchs- und Bibelstudienwerk zu organisieren, denn diese Tätigkeit war damals relativ neu. An einem Wochenende machte ich einen Besuch zu Hause (mein letzter für sechs Jahre), ließ Dinge, die ich nicht unbedingt benötigte, zurück und bereitete mich auf das Reisen vor. Dann, im März 1936, begann ich zu reisen, obwohl ich das Gefühl hatte, dieser Zuteilung nicht gewachsen zu sein.
Unterwegs
Zuerst besuchte ich Easton in Pennsylvanien. In der Regel traf ich an einem Ort rechtzeitig zum Predigtdienst am Morgen ein; am frühen Abend hatte ich dann eine Zusammenkunft mit den Dienern der Gruppe und danach eine weitere mit der ganzen Gruppe. Gewöhnlich verbrachte ich nur zwei Tage mit einer Gruppe und mit kleineren Gruppen nur einen Tag, so daß ich manchmal in einer Woche sechs Gruppen besuchte. Ich war ständig unterwegs.
Während der Jahre 1936 und 1937 bediente ich Teile von Pennsylvanien, West Virginia, Ohio, Indiana, Illinois, Iowa, Nebraska, Wyoming, Colorado, New Mexiko und Texas. Der Westen war für mich etwas ganz Neues und Interessantes — der Lebensstil, das Flachland, die Berge und die großen Entfernungen. Ich besuchte innerhalb von zwei Wochen alle Gruppen in New Mexiko. Im Sommer 1937 war ich in Texas. Es gab dort keine spanisch sprechenden Bezirksdiener, und so besuchte ich auch die spanischen Gruppen und sprach durch einen Dolmetscher zu ihnen.
In einer kleinen englischen Gruppe in Texas nahm ein 18jähriges Mädchen die Aufgabe des Gruppendieners wahr. Man nahm an, daß ihr Vater an diesem Tag sterben würde, und das war dann auch der Fall. Ich wurde gebeten zu bleiben, um die Beerdigungsansprache zu halten. Wir gingen in den Predigtdienst, hatten abends unsere Zusammenkunft, und am nächsten Morgen leitete ich die Trauerfeier. So traurig der Anlaß war, waren die Brüder doch froh, daß ich gekommen war und die Ansprache hielt.
Nachdem ich im September 1937 den Kongreß in Columbus (Ohio) besucht hatte, verbrachte ich den Winter damit, Gruppen in den nördlichen Bundesstaaten Norddakota, Montana und Idaho zu besuchen. Im Februar 1938 überquerte ich die Gebirgskette und war von dem viel wärmeren Wetter und den grünen Wiesen entlang der pazifischen Küste angenehm überrascht. Damals gab es in Seattle nur e i n e Zusammenkunftsstätte, und jetzt gibt es dort 21 Versammlungen.
Zonenversammlungen
Für das Frühjahr 1938 hatte man eine besondere Zusammenkunft der Gruppen im Gebiet der Bucht von San Francisco geplant, und sie wurde von etwa 600 Zeugen besucht. Diese Zusammenkunft erwies sich als ein Vorläufer der Zonenversammlungen (heute Kreiskongreß genannt). Die neue Vorkehrung für regelmäßige Besuche der Zonendiener (Kreisaufseher) und für Zonenversammlungen galt ab 1. Oktober 1938.
Als Bezirksdiener hatte ich jede Woche die Verantwortung für eine Zonenversammlung. Diese Zusammenkünfte zur geistigen Unterweisung boten den Besuchern auch Gelegenheit, am Predigtwerk von Haus zu Haus teilzunehmen, und gaben Neuen die Möglichkeit, sich taufen zu lassen. Bevor Zonenversammlungen abgehalten wurden, taufte man Neue jederzeit und überall. Ich erinnere mich, daß ich einmal jemand in den eisigen Wassern eines von Schmelzwasser gespeisten Gebirgsflusses taufte, und bei einer anderen Gelegenheit tauchte ich einen Mann in der Tränke seines Hofes unter.
Während dieser Zonenversammlungen begannen wir damit, Informationsmärsche durchzuführen. Wir trugen Plakate, auf denen es auf der einen Seite hieß „Religion ist eine Schlinge und ein Gimpelfang“ und auf der anderen „Dienet Gott und Christus, dem König“. Diese Informationsmärsche erregten viel Aufmerksamkeit und manchmal auch Widerstand. Im September 1939 brach dann in Europa der Zweite Weltkrieg aus, und der Widerstand gegen unsere Tätigkeit nahm zu.
Pöbelaktionen führten in Hannibal (Missouri), Columbus (Nebraska) und St. Cloud (Minnesota) zum Abbruch unserer Kongresse. In Marinette (Wisconsin) wies uns der Bürgermeister aus unserem Versammlungssaal, aber als die Polizei feststellte, daß wir ein gesetzliches Recht hatten, dort zu sein, schützte sie uns. Andererseits beteiligten sich Polizisten von Huttonsville (West Virginia) während unseres Kongresses in Elkins an einer Pöbelaktion gegen uns. Sie wurden verhaftet und mußten schließlich 500 Dollar Kaution bezahlen. Der Prozeß wurde einige Male aufgeschoben, und nach einigem Zögern ließ man die Anklage fallen, aber fortan behinderte die dortige Polizei unser Werk nicht mehr.
Im Zusammenhang mit solchen Zwischenfällen war ich oft vor Gericht. Manchmal trat ich als Bevollmächtigter des Angeklagten auf, und in anderen Fällen war ich der Angeklagte, wie zum Beispiel in Quincy (Illinois), wo wir den Prozeß gewannen. Hayden Covington, der damalige Rechtsberater der Gesellschaft, und Fred Franz, der jetzige Präsident der Watch Tower Society, halfen uns in einigen Fällen, beispielsweise in London (Kentucky), wo wir ebenfalls gewannen.
In dem Gerichtsfall in Indianapolis (Indiana), wo man etwa 60 Zeugen wegen Aufwiegelung angeklagt hatte, waren Bruder Franz und ich während der fünftägigen Verhandlung im Zeugenstand. Obwohl unsere Brüder für schuldig befunden wurden, sprach ein höheres Gericht sie später frei. In der gleichen Woche, in der dieser Prozeß stattfand, war ich in einem anderen Fall in Joliet (Illinois) Angeklagter; in einem weiteren Fall in Madison (Indiana) war ich Bevollmächtigter für einen Bruder, und darüber hinaus war ich an jedem Wochenende für eine Zonenversammlung verantwortlich. Es würde ein Buch füllen, die Einzelheiten dieser aufregenden Zeiten wiederzugeben.
Ein wirklicher Höhepunkt war der fünftägige Kongreß in St. Louis im August 1941. Ein paar Wochen zuvor wurde ich dorthin gerufen und beauftragt, beim Herrichten der Wohnwagenstadt mitzuarbeiten. Nachdem wir für einen Farmer das Heu gemacht hatten, legten wir auf der Wiese eine „Stadt“ für 5 000 Leute an. Aber bereits vor Kongreßbeginn waren etwa 10 000 Personen da, und viele Autos, Lastwagen und Campingwagen standen auf der Straße, um noch eingelassen zu werden. Schließlich hatten wir über 15 000 in der „Stadt“; viele blieben dort und hörten das Programm, das dorthin übertragen wurde. Als die 15 000 Kinder im Stadion aufstanden und kostenlos ihr Exemplar des Buches Kinder erhielten, gab ich die Gratisexemplare an die vielen Kinder in der Wohnwagenstadt aus.
Königreichsfarm und Wachtturm-Farmen
Schon bald nach dem Kongreß in St. Louis wurde es immer schwieriger, unsere Zonenversammlungen abzuhalten. So entschloß man sich, diese Zusammenkünfte abzuschaffen. Ich wurde gebeten, mich im Brooklyner Bethel zu melden. Ich war erst ein paar Tage dort, als Bruder Rutherford mich fragte, ob ich auf der Königreichsfarm in der Nähe von Ithaca (New York) dienen möchte. Bevor ich meine neue Zuteilung antrat, besuchte ich mein Elternhaus in der Nähe von Wallkill. Meine Mutter war gestorben, und meine Brüder und Schwestern waren alle verheiratet. Dann fuhr ich weiter zur Königreichsfarm, wo mir das Zimmer zugeteilt wurde, in dem ich für die nächsten 28 Jahre wohnte.
Nach mehr als 13 Jahren des Vollzeitpredigtdienstes fiel es mir nicht leicht, mich als Farmer niederzulassen. Ich tat es dennoch und erfreute mich in Verbindung mit der Tätigkeit auf der Königreichsfarm vieler Dienstvorrechte. Aber ich beteiligte mich abends und an den Wochenenden auch weiterhin regelmäßig an der Predigttätigkeit. Ich führte Bibelstudien mit vielen Personen durch, und eine Reihe von ihnen wurden getaufte Zeugen.
Meine hauptsächliche Tätigkeit bestand jetzt jedoch aus Arbeitszuteilungen auf der Farm. Ich widmete mich dem Studium der Tierzucht und der Pflanzenbaulehre und machte mir dabei die nahe gelegene Cornell-Universität und ihre Bibliothek zunutze. Durch unsere Anstrengungen war es uns möglich, die Produktion der Farm zu erhöhen. Mit der Zeit produzierten wir den größten Teil der Nahrung, die von der wachsenden Familie in Brooklyn wie auch auf der Königreichsfarm gebraucht wurde.
Die Zahl derer, die auf der Farm lebten, stieg gewaltig an, als die neue Gileadschule am 1. Februar 1943 den Schulbetrieb aufnahm. Von da an hatten wir alle sechs Monate eine neue Klasse mit etwa 100 Studenten, die aus aller Welt kamen. Welche Freude war es doch, die etwa 3 700 Studenten der 35 Klassen kennenzulernen, die auf der Farm ihre Schulung für den Missionardienst erhielten, bevor die Gileadschule im Jahre 1961 nach Brooklyn verlegt wurde! Während jener Jahre erduldeten wir viel Widerstand, waren Ziel einer Pöbelaktion und waren in einen Gerichtsfall verwickelt, der zu unseren Gunsten ausging. Nach und nach wuchs die kleine Gruppe in unserem Gebiet auf vier Versammlungen an.
Als die Gileadschule ihren Betrieb auf der Königreichsfarm einstellte, begann man dort, die Königreichsdienstschule für Versammlungsaufseher abzuhalten. Während der nächsten sieben Jahre besuchten etwa 7 000 ältere Männer den einmonatigen Kurs, der später auf zwei Wochen verkürzt wurde.
Im Januar 1963 erwarb die Gesellschaft Grundbesitz in der Nähe von Wallkill (New York), wo ich aufgewachsen bin. Man nannte das Gelände Wachtturm-Farmen. Im Laufe der Jahre wurden die Anlagen vergrößert und ausgebaut; ja sogar eine Druckerei wurde errichtet. Am 1. Januar 1970 trat ich dort meine neue Zuteilung an, und so war ich wieder in der gleichen Gegend, wo ich etwa 45 Jahre zuvor angefangen hatte, Zeugnis zu geben. Einige ältere Leute am Ort konnten sich noch an mich erinnern.
Als ich auf den Wachtturm-Farmen ankam, bestand die Familie aus 55 Gliedern, aber heute dienen dort weit über 750. Unter ihnen sind drei meiner Neffen. Außerdem begleitet eine meiner Nichten ihren Ehemann im Kreisdienst. Es macht mir große Freude, daß mehr als 30 meiner Familienangehörigen mit Jehovas Zeugen verbunden sind. Im November 1974 erhielt ich das Vorrecht, Mitglied der leitenden Körperschaft der Zeugen Jehovas zu werden, und nach dieser Ernennung zog ich zurück in die Zentrale in Brooklyn.
Ich bin so glücklich, daß Jehova Gott mich nach Abschluß der High-School den Dienst für ihn als großartiges Lebensziel erkennen ließ. Diesem Ziel in den vergangenen 60 Jahren nachzujagen war wirklich lohnend und befriedigend. Es hat mich unserem himmlischen Vater nähergebracht und mich sehr deutlich den Schutz und den Segen verspüren lassen, die auf seinem Volke ruhen.
[Fußnote]
a In der Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 3, S. 117 wird Daniel Boone als nordamerikanischer Grenzer und Pionier beschrieben. Er „erschloß Kentucky für die Besiedlung durch Weiße. Seine Kämpfe gegen Indianer und seine Erfolge als Jäger und Siedler machten ihn populär.“
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Wegen des Predigens hinter Gefängnisgittern
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Während der 30er Jahre gebrauchte ich diesen Lautsprecherwagen zum Zeugnisgeben
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Achtundzwanzig Jahre verbrachte ich auf der Königreichsfarm, dem ursprünglichen Ort der Gileadschule
Zwei der 3 700 Missionare, deren Gilead-Schulabschluß ich miterlebte
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Fünf Jahre lang diente ich auch auf den Wachtturm-Farmen