Sie stellen sich der Herausforderung des ältesten Predigtgebiets auf der Erde
„DAS Königreich der Himmel hat sich genaht.“ Für die 370 Verkündiger der „guten Botschaft“ im heutigen Staat Israel hat es besondere Bedeutung, das bekanntzumachen. Warum? Weil hier die Königreichsbotschaft vor rund 2 000 Jahren zum erstenmal verkündigt wurde, und zwar von Jesus Christus (Matthäus 4:17; 24:14). Folglich ist Israel das älteste Gebiet, in dem die gute Botschaft gepredigt wird.
Doch von Anfang an ist dieses Gebiet eine Herausforderung gewesen. Zwar zeigten viele Interesse an Jesu Botschaft, aber bei den meisten war das auch alles (Johannes 6:2, 66). Heute besteht die Herausforderung in der Unterschiedlichkeit der Religion, der Kultur und der politischen Anschauungen.
Zum einen gibt es 2,2 Millionen Araber. Zu ihnen zählen nominelle Christen, praktizierende und nichtpraktizierende Muslime, Angehörige der Drusenreligion und erklärte Atheisten. Zudem gehören sie unterschiedlichen politischen Lagern an. Einige treten für die Errichtung eines unabhängigen Palästinenserstaates in der West Bank und im Gasastreifen ein.
Zum anderen gibt es 3,5 Millionen jüdische Israelis, die ebenfalls in vielerlei Hinsicht gespalten sind. Einige sind aus Marokko, aus dem Jemen, dem Irak und aus Syrien eingewandert. Andere stammen aus Europa, einschließlich der Sowjetunion. Wieder andere kommen aus Indien, vom amerikanischen Kontinent, aus Äthiopien, Südafrika und anderen Ländern. Sie alle leben in Gemeinwesen mit eigener Kultur und eigenen Traditionen und interpretieren und praktizieren den Judaismus auf ihre Weise.
Es gibt zum Beispiel einen Oberrabbiner der Aschkenasim (der europäischen Juden) und einen der Sephardim (der Juden aus dem Nahen Osten). Während die Mehrheit der Juden reges Interesse an politischen Fragen bekundet, lehnen es tiefreligiöse Juden sogar ab, die Existenz des Staates Israel anzuerkennen, und weigern sich, Steuern zu zahlen. Außerdem gibt es die Überlebenden des Holocaust. Viele von ihnen haben immer noch unter dem zu leiden, was sie früher durchmachen mußten, und jeder weiß seine eigenen herzzerreißenden Erfahrungen zu berichten. Auch bekennen sich immer mehr als Atheisten und vertreten ein breitgefächertes Spektrum eigener Weltanschauungen. Der Zusammenhalt der jüdischen Bevölkerung besteht einzig und allein in der Bedrohung ihrer Weiterexistenz als Volk und Staatswesen.
Sich der Herausforderung stellen
Nach einer Unterbrechung von mehr als 1 800 Jahren wurde hier 1913 das Königreichspredigtwerk in kleinem Umfang wiederaufgenommen. Damals begann ein junger Mann, der an der Bibel interessiert war, in Ram Allah (etwa 16 km nördlich von Jerusalem) den Königreichssamen auszusäen. Von dort aus gelangte die gute Botschaft unter die arabische Bevölkerung von Beit Jala und Haifa. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kam das Werk im Raum Tel Aviv-Jaffa durch zwei Zeuginnen jüdischer Herkunft wieder in Gang. Heute gibt es sechs Versammlungen und zwei Gruppen von Zeugen Jehovas, die in Haifa, Tel Aviv, Bethlehem, Ram Allah, Lod und im Raum von Beer Scheva dienen.
Wie vor 1 900 Jahren ist der Haus-zu-Haus-Dienst immer noch die wirkungsvollste Methode, die an der guten Botschaft Interessierten ausfindig zu machen (Lukas 8:1; vergleiche Apostelgeschichte 5:42). Verglichen mit anderen Ländern, ist es hier tatsächlich eine Freude, auf diese Weise Zeugnis zu geben. Im allgemeinen wollen die Menschen wissen, was die Königreichsverkündiger zu sagen haben, und bitten sie zu einer Unterhaltung herein. Dieser Wißbegierde ist es zuzuschreiben, daß in nicht wenigen Fällen unsere Zeitschriften und andere biblische Literatur entgegengenommen werden. Oft gibt man die Schriften von Nachbar zu Nachbar weiter, so daß einige die biblische Wahrheit kennenlernen.
Nicht selten ist jedoch diese Wißbegierde für den zarten Wahrheitssamen im Herzen Neuer eine Gefahr (Matthäus 13:20, 21). Nachbarn, Freunde und insbesondere religiöse Führer tun ihr Äußerstes, auf Personen, die Interesse an der Königreichsbotschaft zeigen, Druck auszuüben, sie zu verspotten oder einzuschüchtern, und in etlichen Fällen sind sie auch handgreiflich geworden. Einige haben deshalb sogar ihren Arbeitsplatz verloren, während andere von Bekannten und Verwandten vollständig gemieden werden. Wer standhaft ist und ein Zeuge Jehovas wird, muß das Feuer des Widerstandes erdulden. (Vergleiche Johannes 9:22.)
Der Widerstand macht sich auch auf andere Weise bemerkbar. Zeugen jüdischer Herkunft sind vom Pöbel angegriffen worden. Brandstifter hatten es bereits auf das Zweigbüro und den Königreichssaal in Tel Aviv sowie auf den Königreichssaal in Haifa abgesehen. Gegenwärtig wird großer Druck sowohl auf arabische als auch auf jüdische Zeugen ausgeübt, um sie zu veranlassen, in dem politischen Disput über die Errichtung eines Palästinenserstaates Stellung zu beziehen. Die Brüder bewahren in solchen Angelegenheiten eine neutrale Haltung und erklären taktvoll, daß keine menschliche Einrichtung die Probleme der leidenden Menschheit lösen kann. Wie ihr Führer, Jesus Christus, machen die Zeugen auf Gottes Königreich als die einzige Lösung aufmerksam (Johannes 17:16; 18:36).
Königreichsfrüchte hervorgebracht
Trotz der in diesem ältesten Predigtgebiet auftretenden Schwierigkeiten bringen diejenigen, ‘die das Wort hören und dessen Sinn erfassen’, auf diesem Feld Königreichsfrüchte hervor (Matthäus 13:23). „Es gibt Menschen, die nach der Wahrheit dürsten, die Gerechtigkeit lieben und buchstäblich danach suchen“, bemerkte ein erfahrener Vollzeitprediger. „Sie lassen sich von der Meinung und dem Einfluß anderer nicht beeindrucken. Sobald sie die Gelegenheit haben, die Wahrheit kennenzulernen, packen sie sie beim Schopf.“ Das bestätigen viele Erfahrungsberichte.
Benvenida war in einem Nonnenkloster in Griechenland erzogen worden, und sie beeindruckte das, was die Bibel über „die Form der Anbetung, die ... rein und unbefleckt ist“, sagt, nämlich „nach Waisen und Witwen in ihrer Drangsal zu sehen und sich selbst von der Welt ohne Flecken zu bewahren“ (Jakobus 1:27). Als jüdisches Mädchen hatte sie, wie sie sagte, „eine Katastrophe nach der anderen“ erlebt. Sie machte die mit der Eroberung durch die Nationalsozialisten verbundenen Härten durch und einen Bürgerkrieg, in dem sie ihren Mann verlor. Aber nie schwand ihre Hoffnung, ehrliche, aufrichtige Menschen zu finden.
Nach ihrer Einwanderung (1949) war Benvenida in Israel bis zu ihrer Pensionierung im Jahre 1974 als Hebamme tätig. Sie sagte: „Die ganze Zeit hindurch fragte ich mich: ‚Wo sind die guten und ehrlichen Menschen, die in der Bibel beschrieben werden? Wo gibt es Gerechtigkeit in der Welt?‘“ Sie befaßte sich mit dem Judaismus, besuchte eine Synagoge und hielt den Sabbat und alle Feiertage. Aber das Geschwätz und die Streitereien unter den Angehörigen ihrer Gemeinschaft trugen nur dazu bei, daß sie um so mehr nach der „Form der Anbetung, die ... rein und unbefleckt ist“, hungerte.
Als sich Benvenida 1985 zu einem ihrer jährlichen Besuche in einem Kurort in Griechenland aufhielt, knüpfte eine Zeugin, die dort zur Kur weilte, ein Gespräch mit ihr an. Es entspann sich eine längere Unterhaltung. Noch am selben Abend besuchte Benvenida zum erstenmal eine Zusammenkunft im Königreichssaal am Ort und war tief beeindruckt von der Herzlichkeit und Aufrichtigkeit der Brüder und Schwestern.
Zurück in Israel, setzte Benvenida ihr Studium fort und ließ sich etwa nach eineinhalb Jahren zum Zeichen ihrer Hingabe an Jehova, den Gott der Wahrheit, taufen. „Nach all den Jahren fand ich schließlich“, wie sie sagte, „im Alter von 70 Jahren die bescheidenen und demütigen Menschen, von denen die Bibel spricht, diejenigen, die mich als Mensch behandeln. Jetzt hat mein Leben einen Sinn, und jeder Tag, den ich erlebe, ist ein Tag der Freude.“
Auch Moshe suchte die Wahrheit und wartete nur darauf, ‘die Stimme des vortrefflichen Hirten zu hören’. (Vergleiche Johannes 10:14-16.) Die Heilige Schrift gefiel ihm zwar schon immer, doch erst aus einem „Neuen Testament“, das sein Bruder wegwerfen wollte, erfuhr er etwas über Jesus Christus und war davon tief beeindruckt. Etwas später schloß er sich dem Bibelstudium an, das eine Zeugin mit einer Arbeitskollegin durchführte, und besuchte auch einen Vortrag, den ein Gastredner hielt. „Das habe ich schon immer hören wollen!“ rief er am Ende der Zusammenkunft aus.
Einem anfänglichen Rückschlag folgte ein schneller Fortschritt. Nach sechs Monaten ließ Moshe sich taufen. Doch sein Fortschritt rief die Gegnerschaft seiner Angehörigen hervor, besonders die seiner Frau. Die Sache spitzte sich zu, als er, der älteste Sohn der Familie, sich weigerte, bei der Bestattung seines Vaters an den Gebetsriten teilzunehmen. Zudem sagten Freunde und Verwandte zu seiner Frau, sie solle lieber „schnell handeln“, bevor er alles der Versammlung überschreibe. „Ich zerstreute ihre Befürchtungen, indem ich ihr anbot, das Apartment auf sie zu übertragen“, berichtete Moshe. Und durch eine gute Zeiteinteilung war es ihm möglich, auf freudige, ausgewogene Weise sowohl seinen familiären Verpflichtungen als auch seinen Aufgaben in der Versammlung nachzukommen.
Aber nicht alle Verwandten reagieren auf die Wahrheit gegnerisch. Nehai sprach mit Hanna, ihrem Mann, über das, was sie aus der Bibel kennengelernt hatte. Er war damals politisch sehr aktiv. Schon bald erkannten beide, daß Gottes Königreich die einzige Hoffnung für die bedrückte Menschheit ist. Sie wurden ergebene Diener Jehovas und gaben arabischen Familien in Haifa und in den umliegenden Ortschaften Zeugnis. Insbesondere in ihrer großen Verwandtschaft von insgesamt 252 Personen legten sie Zeugnis ab.
War das eine Herausforderung? Ganz bestimmt, denn sie mußten nicht nur eineinhalb Stunden mit dem Wagen in die arabischen Ortschaften fahren, sondern auch viel Geduld und Ausharren bekunden. „Mitunter sagen einem mehrere, sie möchten nichts mehr davon wissen. Dann hört man am besten auf zu reden. Vielleicht kann man später vorsichtig und taktvoll wieder auf das Thema zu sprechen kommen. Es ist, als ob man zur Tür hinausgeworfen wird und durch das Fenster wieder hineinklettert“, bemerkte Hanna. Und es hat sich gelohnt. Denn bisher haben 24 seiner 36 nahen Verwandten ernsthaftes Interesse an der Heiligen Schrift zum Ausdruck gebracht, und 13 von ihnen studieren die Bibel, entweder mit Hanna oder mit anderen Zeugen. Bis jetzt haben sich fünf seiner nahen Verwandten sowie seine Kinder Jehova hingegeben, und drei weitere Verwandte machen diesbezüglich Fortschritte.
Neue Höchstzahlen im ältesten Gebiet
Solche herzerfrischenden Erfahrungen werden in Israel immer mehr gemacht, und die Aussichten auf Wachstum sind ermutigend. 1988 wurde eine Höchstzahl von 370 Königreichsverkündigern erreicht. Die Durchschnittszahl der Bibelstudien, die allmonatlich in der Wohnung interessierter Personen durchgeführt werden, ist von 89 im Jahre 1979 auf 301 im Jahre 1988 hochgeschnellt — eine 240prozentige Zunahme!
All das bereitet Jehovas Zeugen in diesem Land große Freude. Wir erwarten noch größere Segnungen von Jehova, unserem Gott, während wir in diesem ältesten Predigtgebiet auf der Erde mit dem Werk des Jüngermachens vorandrängen.
[Bilder auf Seite 26, 27]
Oben: Das Gartengrab in Jerusalem
Andere Seite: Markt- und Straßenszenen in Israel
Unten: Das Zweigbüro in Tel Aviv