Liegt es am Körper?
Die Wurzeln der Gewalttätigkeit
● Professor Kenneth E. Moyer von der Carnegie-Mellon University (Pennsylvanien, USA) sagte, daß durch bestimmte Zustände in unserem Körper Systeme in unserem Gehirn stimuliert werden können, die einen starken Aggressionstrieb auslösen können.
Glauben Sie, daß eine Person ohne offensichtlichen Grund gewalttätig werden kann?
Darüber wird viel debattiert. Doch es hat schon zahlreiche Fälle gegeben wie den eines Mannes, dessen Haltung seiner Familie gegenüber immer feindseliger wurde. Er versuchte, seine Frau und seine Tochter zu erstechen, und wurde während eines Wutanfalls ins Krankenhaus gebracht. Man entdeckte einen Gehirntumor, und nachdem dieser entfernt worden war, hörten seine Aggressionen auf. Nicht alle Gehirntumoren rufen ein solches Verhalten hervor. Aber Experimente haben gezeigt, daß eine direkte elektrische Stimulierung gewisser Teile des Gehirns bei manchen Patienten Zorngefühle und gewalttätiges Verhalten bewirkt hat.
Welche gewaltfördernden Faktoren haben Sie bei Ihrer Forschung entdeckt?
Es gibt Anzeichen dafür, daß manche Personen durch einen Überschuß an männlichen Sexualhormonen, durch niedrigen Blutzucker und durch Allergien mehr zu Feindseligkeiten neigen.
Sind das automatische Auslösefaktoren?
Nein, denn unser Verhalten beruht nicht nur auf unseren inneren Empfindungen. Es gibt Personen, die dank ihrer Erfahrungen oder ihrer Umwelt auch bei starken feindseligen Gefühlen nicht gewalttätig werden.
Meinen Sie, daß es manchen schwerer fällt als anderen, nicht gewalttätig zu werden?
Ja. Zum Beispiel ging ein Mann wegen seiner gewalttätigen Neigungen zu einem meiner Kollegen. Durch Untersuchungen wurde eine Störung im Gehirn festgestellt, und man versuchte sie zu lokalisieren, indem man in sein Gehirn Elektroden einführte. Als man an einer bestimmten Stelle angelangt war, stand er auf und sagte: „Jetzt bringe ich meine Frau um!“ Auf die Bitten des Arztes hin willigte der Mann ein, daß sein Gehirn noch einmal elektrisch stimuliert wurde. Diesmal stimulierte der Arzt einen Bereich des Gehirns, der als gewalthemmend bekannt ist. Der Mann wurde sofort freundlich und sagte: „Ich schätze wirklich, was Sie getan haben. Sonst hätte ich bestimmt meine Frau umgebracht.“
Besteht die Lösung darin, die Gehirnfunktion oder die chemischen Abläufe im Körper zu steuern?
Auf bestimmte Personen trifft das wahrscheinlich zu. Ich glaube jedoch nicht, daß es die Lösung ist. Um alles gut unter Kontrolle zu halten, müssen die Umweltfaktoren beachtet werden, die Frustrationen hervorrufen, und muß man sich vergewissern, daß im Körper nichts gestört ist.
Können aggressionshemmende Medikamente helfen?
Medikamente, die das Gleichgewicht bestimmter Hormone regulieren, haben schon oft geholfen. Einige Medikamente können für manche Leute ganz nützlich sein, wenn es darum geht, ihnen über eine gewisse Lebensphase hinwegzuhelfen. Wenn die Anwendung dieser Medikamente gewissenhaft von einem Arzt überwacht wird, machen sie den Patienten nicht zu einem willenlosen Opfer, sondern es wird ein spezielles Problem im Gehirn behandelt.
Warum sagen Sie, daß wir, auf lange Sicht gesehen, lernen müssen, Aggressionen zu stoppen?
Die Anwendung von Gehirnstimulierung oder Medikamenten ist sehr begrenzt. Sie erweist sich als nutzlos, wenn jemand zwar gewalttätig ist, aber keine persönliche Feindseligkeit gegenüber dem Opfer hegt, wie zum Beispiel ein bezahlter Mörder oder der Pilot eines Bombenflugzeugs. Es ist auch Schulung erforderlich, um positive Beispiele von Personen zu schaffen, die nicht gewalttätig sind.