Das Großkapital und die Kriminalität
DAS GROSSKAPITAL! Es beeinflußt uns alle. Es nützt uns — und es schadet uns. Doch wir haben Möglichkeiten, in dieser Sache etwas zu tun.
Ein Riesen- oder Großunternehmen kann durchaus ein Vermögen von 1,5 Milliarden Dollar haben. Viele besitzen weitaus mehr. Dieses Geld bedeutet Macht. Riesenkonzerne haben schon mit Regierungen gerungen — und gewonnen. Kein Wunder, daß ihnen so viele mißtrauen!
Allerdings hat das Großkapital in mancher Hinsicht die Welt geschaffen, in der wir leben. Es ermöglicht den Straßenbau und kontrolliert das Ölgeschäft, und in vielen Ländern sorgt es für Strom, Gas und Transport. Es ermöglicht, daß jemand Schuhe aus Brasilien und Kleidung aus Hongkong tragen, ein japanisches Auto fahren, Früchte aus den Tropen essen und Wein aus Frankreich trinken kann. Dank des Großkapitals sind Auslandsreisen nicht mehr das alleinige Privileg der Reichen. Falls du ein Auto, ein Fernsehgerät oder ein Telefon besitzt, dann wahrscheinlich deshalb, weil das Großkapital diese Dinge in Serie und dadurch zu erschwinglichen Preisen hergestellt hat.
Dennoch gibt es Probleme. In den folgenden Artikeln werden einige erörtert.
DIE Kriminalität auf unseren Straßen ist kein neues Problem. Jeden Tag hören wir von Raubüberfällen, Messerstechereien, Morden und von anderen Anzeichen eines allgemeinen Verfalls von Recht und Ordnung. Wußtest du jedoch, daß Tag für Tag andere Verbrechen von fast unvorstellbarem Ausmaß begangen werden? Jedes Jahr wird aus deiner Brieftasche oder deinem Portemonnaie eine enorme Summe von Geld entwendet, ohne daß du es überhaupt bemerkst. Allein in den Vereinigten Staaten beläuft sich die Beute dieser hinterhältigen Verbrechen auf mindestens 200 Milliarden Dollar im Jahr. Wer begeht sie? Die Großunternehmen, deren Manager sich illegaler Methoden bedienen, um sich oder die Firma zu bereichern.
Von der Kriminalität des Großkapitals ist jeder betroffen. Oft ist sie todbringend und zerstörerisch. Welche Art Menschen begehen solche Verbrechen? Es sind häufig die hochangesehenen „Stützen“ der Gesellschaft.
Die Kriminalität des Großkapitals ist derart weit verbreitet, daß die meisten Behörden sie nicht in den Griff bekommen. „Die Wirtschaftskriminalität bleibt ein düsteres und verkanntes Phänomen“, sagte Leonard Orland aus Connecticut (USA), Professor für Rechtswissenschaft. Wenn genaue Zahlen erhältlich wären, so sagte er, dann ließen sie erkennen, daß „die ‚versteckte‘ Wirtschaftskriminalität ein ungeheures Ausmaß erreicht hat und daß die echte Wirtschaftskriminalität im wesentlichen unzureichend geahndet wird“ (U.S. News & World Report).
Was geschieht, wenn Weiße-Kragen-Täter strafrechtlich verfolgt werden? Diese Art Kriminelle werden im Gegensatz zu den Räubern und Einbrechern, die routinemäßig mit Gefängnis bestraft werden, gewöhnlich glimpflich behandelt. Zum Beispiel gaben 25 Molkereien aus dem Einzugsgebiet der Stadt New York zu, daß sie ihre Kunden zehn Jahre lang um ihr Geld betrogen hatten. Es war unmöglich, herauszufinden, wieviel Kapital sie aus diesem Verbrechen geschlagen hatten, aber die Firmen mußten 6,7 Millionen Dollar an die Kunden zurückzahlen. Was geschah mit den Geschäftsführern, deren Untaten die Kunden Millionen von Dollar gekostet hatten? Sie wurden lediglich eines minderen Delikts schuldig gesprochen und erhielten eine Geldstrafe.
Ein anderes Beispiel: Man entdeckte, daß eine der größten Arzneimittelvertriebsfirmen der Vereinigten Staaten dem Bundesstaat Ohio die Rezepte, die im Rahmen eines staatlich geförderten Gesundheitsprogramms ausgeschrieben worden waren, doppelt in Rechnung gestellt hatte. Durch dieses Wirtschaftsverbrechen wurden die Steuerzahler mehr als einer halben Million Dollar beraubt. Doch die schuldige Firma erhielt nur eine Geldstrafe und mußte das gestohlene Geld zurückzahlen.
Schuldige Geschäftsführer würden im Brustton der Überzeugung denjenigen widersprechen, die behaupten, Kriminalität mache sich nicht bezahlt. Für sie macht sie sich offensichtlich sehr gut bezahlt. Im U.S. News & World Report wird davon berichtet, daß der Vorstandsvorsitzende und der Präsident einer Firma für schuldig befunden wurden, 12 Millionen Dollar Steuern hinterzogen zu haben, und dazu verurteilt wurden, anstelle einer Haftstrafe Arbeiten für den öffentlichen Dienst zu verrichten. Während sie ihre Zeit „abdienten“, erhielten sie weiterhin sämtliche Sozialleistungen der Firma, und der Präsident bezog als Berater ein Honorar von 100 Dollar in der Stunde.
Manchmal geht es sogar um Leben und Tod. Zum Beispiel kam 1981 ein neues, billiges Speiseöl auf den spanischen Lebensmittelmarkt. Immer mehr Kunden aus der Arbeiterschicht, die auf Sonderangebote angewiesen sind, deckten sich damit ein. Plötzlich traten bei den Verbrauchern eigenartige Symptome auf. Über 20 000 erkrankten, und bis zum Mai 1983 waren laut Regierungsangaben 339 gestorben. Warum? Weil einige Geschäftsleute in Frankreich billiges Industrieöl eingekauft und weiterverarbeitet hatten, um es in Spanien als Speiseöl zu verkaufen.
Wirtschaftsverbrechen spielen auch bei der Beseitigung von Giftmüll eine Rolle. Vor fünf Jahren machte das Gebiet Love Canal (Bundesstaat New York) Schlagzeilen. Die Einwohner verließen fluchtartig ihre Häuser, weil schädliche Giftstoffe aus dem Erdreich drangen. Woher kamen die Chemikalien? Jahre vorher hatte eine große Chemiefirma in diesem Gebiet Giftmüll vergraben.
Fünf Jahre später mußten die Einwohner von Times Beach (Missouri, USA) die Stadt verlassen, und man errichtete Straßensperren mit Totenkopfzeichen und einer großen Aufschrift: „ACHTUNG! BETRETEN VERBOTEN“. Warum? Weil die Stadt mit Dioxin verseucht war.
Diesen Vorkommnissen zum Trotz beseitigen manche Firmen ihre Giftabfälle nach wie vor auf kriminelle und verantwortungslose Weise. In heimlichen Aktionen werden Giftstoffe den Abwässern zugeführt, mit normalem Müll vermengt oder gar mit Heizöl vermischt, das dann zu Sonderpreisen an Hausbesitzer verkauft wird. „Die heimliche Müllbeseitigung ... ist nicht lediglich ein weiteres ‚Weiße-Kragen-Verbrechen‘. Sie gefährdet direkt die Gesundheit der Ahnungslosen und der Ungeborenen“, kommentierte ein Leitartikel der New York Times.
Ja, wenn sich das Großkapital krimineller Methoden bedient, ist der Normalbürger das Opfer. Häufig wird er noch aus anderen Gründen zum Opfer. Was geschieht, wenn Großunternehmen zwar streng die Grenzen des Gesetzes einhalten, es aber an einer moralischen Gesinnung fehlen lassen? Dann müssen oft viele Leute schrecklich darunter leiden.
[Herausgestellter Text auf Seite 4]
Was geschieht, wenn Weiße-Kragen-Täter strafrechtlich verfolgt werden? Häufig sehr wenig.