HEUCHLER
Jemand, der vorgibt, etwas zu sein, was er nicht ist; jemand, dessen Handlungen nicht mit seinen Worten übereinstimmen.
In manchen Übersetzungen werden Wörter, die von der hebräischen Wurzel chanéph abgeleitet sind, mit „Heuchler“ oder „heuchlerisch“ wiedergegeben, z. B. in den Übersetzungen von Allioli und Zunz und in der King James Version. Für dieselben Wörter werden jedoch auch verschiedene andere Ausdrücke verwendet wie „ruchlos“ (EB, EÜ), „gottlos“ (Her, Lu) und „abtrünnig“ oder „Abtrünniger“ (NW). Gemäß dem Werk A Hebrew and English Lexicon of the Old Testament von F. Brown, S. R. Driver und C. A. Briggs (1980, S. 337, 338) lässt sich chanéph, adjektivisch gebraucht, als „profan, irreligiös ..., gottlos“ definieren (vgl. C. Siegfried und B. Stade, Hebräisches Wörterbuch zum Alten Testamente, Leipzig 1893, S. 213) und, verbal gebraucht, als „verunreinigt sein, entweihen ..., zum Abfall bewegen“ (siehe auch Wilhelm Gesenius, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch, 17. Auflage, unveränderter Nachdruck 1962, S. 246). chanéph erscheint in der Bibel als Parallele oder Entsprechung zu denen, die Gott vergessen (Hi 8:13), den Bösen (Hi 20:5) und Übeltätern (Jes 9:17) und wird den Rechtschaffenen und Unschuldigen gegenübergestellt (Hi 17:8; siehe ABFALL, ABTRÜNNIGKEIT).
Das mit „Heuchler“ wiedergegebene griechische Wort (hypokritḗs) bedeutet „der Antwort gibt“ sowie „Schauspieler“. Griechische und römische Schauspieler bedienten sich großer Masken mit Vorrichtungen zur Verstärkung der Stimme. Daher wurde das griechische Wort hypokritḗs mit der Zeit im übertragenen Sinn auf Personen angewandt, die ein falsches Spiel trieben oder sich verstellten. Das gleiche Wort erscheint in der Septuaginta in Hiob 34:30; 36:13. Heuchler sind „Untreue“ (vgl. Luk 12:46 mit Mat 24:51), und das Wort „Heuchelei“ (hypókrisis), wie es in der Bibel gebraucht wird, kann auch auf „Bosheit“ und „List“ hindeuten. (Vgl. Mat 22:18; Mar 12:15; Luk 20:23; siehe auch Gal 2:13, wo hypókrisis mit „Verstellung“ wiedergegeben wird.)
Jesus Christus bezeichnete die als Heuchler, die in auffälliger Weise Gaben der Barmherzigkeit spenden, die beten und fasten, um von den Menschen gesehen zu werden, und die ihre Brüder wegen strohhalmähnlicher Fehler ständig kritisieren, aber nichts unternehmen, um ihre eigenen balkenähnlichen Fehler abzulegen. Er stufte ferner diejenigen als Heuchler ein, die behaupteten, Diener Gottes zu sein, die aber die Bedeutung der Zeit, in der sie lebten, und der Ereignisse, die sich abspielten, nicht erkannten, obwohl sie aufgrund des Aussehens der Erde und des Himmels ohne Weiteres sagen konnten, wie das Wetter sein würde (Mat 6:2, 5, 16; 7:1-5; Luk 6:42; 12:54-56).
Der Sohn Gottes stellte während seines irdischen Lebens die geistlichen Führer Israels nicht nur öffentlich als Heuchler bloß, sondern er gab auch den Grund für diese Bloßstellung an. Sie dienten Gott, dem Schöpfer, lediglich mit den Lippen und machten sein Wort um ihrer Überlieferungen willen ungültig (Mat 15:1, 6-9; Mar 7:6, 7). Ihre Handlungen stimmten nicht mit ihren Worten überein (Mat 23:1-3). Nicht genug damit, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer die Gelegenheit, in das Königreich der Himmel einzugehen, geflissentlich ignorierten, suchten sie auch andere daran zu hindern und fügten so zu ihrer Sünde noch hinzu. Sie scheuten keine Anstrengung, um jemand zu bekehren, machten ihn dadurch aber lediglich zu einem Gegenstand für die Gehenna, doppelt so schlimm wie sie selbst. Die geringfügigeren Vorschriften des Gesetzes hielten sie peinlich genau ein, aber die gewichtigeren Dinge – Recht, Barmherzigkeit und Treue – ließen sie außer Acht. Durch ihre Heuchelei erweckten sie äußerlich den Anschein, rein zu sein, während sie innerlich voller Unmäßigkeit waren. Vergleichbar mit schön anzusehenden getünchten Gräbern, erschienen sie zwar vor Menschen gerecht, im Innern aber waren sie „voller Heuchelei und Gesetzlosigkeit“. Sie bauten die Gräber der Propheten und schmückten die Gedächtnisgrüfte der Gerechten und behaupteten, dass sie deren Blut nicht vergossen hätten, wenn sie zu jener Zeit gelebt hätten. Ihre Handlungsweise bewies indes, dass sie keineswegs besser waren als ihre mordgierigen Vorväter (Mat 23:13-36). Die Lehre der Pharisäer und Sadduzäer war in Wirklichkeit Heuchelei (Mat 16:6, 12; Luk 12:1; siehe auch Luk 13:11-17).
Ein typisches Beispiel für Heuchelei war das Vorgehen der Jünger der Pharisäer und der Parteianhänger des Herodes, die zu Jesus kamen und ihn über die Steuer befragten. Zuerst schmeichelten sie ihm, indem sie sagten: „Lehrer, wir wissen, dass du wahrhaftig bist und den Weg Gottes in Wahrheit lehrst.“ Dann stellten sie ihm die verfängliche Frage: „Ist es erlaubt, Cäsar Kopfsteuer zu zahlen, oder nicht?“ Mit Recht bezeichnete Jesus sie als Heuchler, denn sie waren in Wirklichkeit nicht daran interessiert, eine Antwort auf ihre Frage zu erhalten, sondern sie hatten sie lediglich gestellt, um Jesus in seiner Rede zu fangen (Mat 22:15-22; Luk 20:19-26; BILD, Bd. 2, S. 544).
Eine heuchlerische Handlungsweise bleibt nicht für immer verborgen (Luk 12:1-3). Heuchler werden von Gott als des ewigen Lebens unwürdig verurteilt (Mat 24:48-51). Daher sollten die Liebe und der Glaube eines Christen ungeheuchelt sein (Rö 12:9; 2Ko 6:4, 6; 1Ti 1:5). Die Weisheit von oben ist nicht heuchlerisch (Jak 3:17).