„Ein gutes Gewissen bewahren“
„LASS dich durch dein Gewissen leiten“ — das ist heutzutage ein volkstümliches Schlagwort. Doch leiten verschieden unterrichtete Gewissen ihre Besitzer auf Pfade, die weit auseinander gehen. Ein Gewissen, das in einer Umgebung entwickelt worden ist, wo Polygamie herrscht, nimmt diesen Brauch ohne Gewissensbisse an. Ein anderes, das inmitten allgemeiner geschlechtlicher Laxheit und unter Eheverhältnissen nach dem Gewohnheitsrecht entwickelt worden ist, hält derartiges Unrecht für selbstverständlich. Noch ein anderes, das in einer Atmosphäre herangezüchtet wurde, wo schlaue Geschäftsmethoden, allgemeine Bestechung oder politische Verderbtheit herrschen, duldet solche Übel stillschweigend, mit der Begründung, dies seien anerkannte Methoden. Ein solch falsch unterrichtetes Gewissen ist kein zuverlässiger Führer. Es ist so befleckt worden durch seine Umgebung und so verhärtet durch Missbrauch, dass es nicht mehr rein und empfindungsfähig ist, um Warnungen ergehen zu lassen und eine sichere Wegleitung zu sein.
Sein Besitzer gleicht eher den Tieren, da auch Tiere kein Gewissen haben. Das Gewissen, nämlich das innere Gefühl für das, was recht und falsch ist, das uns entschuldigt oder anklagt, ist eine Gabe Gottes an die Menschen. Ein Tier mag dressiert sein, gewisse Dinge zu tun oder nicht zu tun. Es passt sich dieser Dressur nicht aus dem Gefühl von recht oder unrecht an, sondern aus Furcht vor dem Zorn seines Meisters, aus Furcht vor dem Geschlagenwerden, vor harten Worten oder dem Entzug einer Freiheit oder eines Vorrechts. Wenn Menschen ein begangenes Unrecht nur dann richtigstellen, wenn ihre Blossstellung nahe ist und ihnen Strafe droht, so lassen sie sich durch Furcht vor den Konsequenzen dazu treiben und nicht durch das Gewissen, das doch stets um das Unrecht wusste, doch seinen Besitzer nicht dazu trieb, korrigierende Massnahmen zu ergreifen. Also allein aus Furcht vor dem Zorn zu handeln, ist selbstisch, ja tierisch.
Christen gehorchen Gott nicht nur aus Furcht vor seinem Zorn, sondern auch, und dies in erster Linie, aus einem guten Gewissen heraus, einem Gewissen, das im Gefühl für das, was recht und verkehrt ist, durch Gottes Wort geschult ist. Paulus betonte diesen Punkt, als er Christen anriet, den Höheren Gewalten, Jehova und Christus, untertan zu sein: „Daher besteht zwingender Grund, dass ihr untertan seid, nicht allein um dieses Zornes, sondern auch um eures Gewissens willen.“ (Röm. 13:5, NW) Das göttlich geschulte Gewissen, welches sich regt und jemanden plagt, ist das, was Christen eine Hilfe zur sicheren Wegleitung ist, ebenso wie früher Treibstacheln den Ochsen bei der Arbeit auf dem rechten Wege hielten. (Apg. 26:14) Christen bitten Gott um diese Gabe eines guten Gewissens, die ihnen durch Christus zugänglich gemacht wird. (1. Pet. 3:21, ZB) Wenn sie es empfangen, so halten sie es wert und bewahren es rein und unbefleckt, damit es sie zuverlässig führe. (Apg. 23:1; 24:16) Es hilft ihnen, gerechte Grundsätze auf ihr tägliches Leben anzuwenden, und macht schriftliche Gesetze des Benehmens, die in die Einzelheiten gehen, unnötig.
Das Gewissen muss vor Flecken und Schrammen beschützt werden. Wir sollten nicht durch falsche Vernunftschlüsse seine rechtmässigen Einwände zum Schweigen bringen. Wenn jemandes Gewissen dem Betreffenden etwas zu tun verbietet, sollte er es nicht tun. Wenn in einer Handlung selbst kein Unrecht liegt, sollte er sein Gewissen diesbezüglich zu unterrichten suchen, indem er, bevor er sie tut, weitere schriftgemässe Wahrheiten in sich aufnimmt. Dann wird er sein Gewissen in einem Zustande des Friedens und der unbeschwerten Ruhe bewahren. Diese Rücksichtnahme auf das Gewissen ist nötig, wenn es für Unrecht empfindlich bleiben soll. Wir dürfen sein Mahnen nicht einfach unbeachtet lassen oder roh unterdrücken und es dadurch verletzen und zwingen, verhärtet zu werden, indem es sich zur eigenen Heilung und zum Schutz mit Schrammen bedeckt. Wir sollten nicht Heuchelei üben, indem wir Dinge gegen unser Gewissen tun. Paulus warnte davor, dass in den letzten Tagen einige abfallen werden „durch die Heuchelei von Menschen, die Lügen reden, gebrandmarkt in ihrem Gewissen wie mit einem Brenneisen“. (1. Tim. 4:2, NW) Das Mal, das durch ein Brenneisen hervorgerufen wird, wird zu einer Stelle, die Schrammen aufweist und empfindungslos ist. Ein so gebrandmarktes Gewissen ist nicht fähig, recht oder unrecht zu empfinden.
Paulus achtete sehr auf die Stimme des Gewissens, nicht nur auf die seines eigenen, sondern auch auf diejenigen anderer. Er hielt sich davon zurück, Dinge zu tun, die sein eigenes Gewissen gestattet hätte, wenn diese Dinge die schwächeren Gewissen anderer verletzt hätten. Folglich lesen wir: „ ‚Gewissen‘, sage ich, nicht das eurige, sondern das des andern. Denn warum sollte meine Freiheit von dem Gewissen eines andern gerichtet werden?“ (1. Kor. 8:7-13; 10:27-29, NW) Im Widerspruch mit gewissen Ansichten verteidigte Paulus hier nicht seine persönlichen Rechte, noch verfocht er die Ansicht, seine Handlungsfreiheit sollte nicht durch Urteile von seiten anderer beschnitten werden. Vielmehr sagte er, er wolle davon abstehen, von der ihm gewährten Gewissensfreiheit Gebrauch zu machen, wenn er zufolge des Gebrauchs derselben von einer andern Person mit schwächerem Gewissen verurteilt werden sollte. Er zog vor, auf seine Gewissensfreiheit zu verzichten, wenn er durch ihren Gebrauch das Gewissen seines schwächeren Bruders verletzte. Anderseits hielt Paulus sich nicht vom gewissenhaften Gehorsam gegen das Wort Gottes zurück, nur weil dadurch jene Gewissen verletzt werden konnten, die gemäss den falschen Religionen seiner Tage falsch unterrichtet waren.
So müssen wir denn unserm Gewissen gehorchen, wenn es gemäss den gerechten Grundsätzen des Wortes Gottes geschult ist. Wir müssen hohe Rücksicht nehmen auf die schwächeren Gewissen einiger unserer weniger reifen Brüder im Glauben. Doch dürfen wir nicht zulassen, dass befleckte und glaubenslose Gewissen von Weltlingen unsere Führer seien, noch dürfen wir ihnen erlauben, uns vom Rechttun abzuhalten. Unser göttlich geschultes Gewissen zu bewahren mag innere Kraft erfordern, aber es wird vor uns und vor Gott annehmlich sein: „Denn wenn jemand wegen des Gewissens vor Gott Betrübnisse erträgt und ungerecht leidet, so ist dies etwas Annehmliches.“ (1. Pet. 2:19, NW) So gilt denn zu allen Zeiten und unter allen Umständen das Wort: „Bewahret ein gutes Gewissen!“ — 1. Pet 3:16, NW.