Freundschaft schließen mit den Danakil
Von einem Missionar der Wachtturm-Gesellschaft in Äthiopien
KANNST du dir vorstellen, wie man sich fühlt, wenn man mitten in einer Wildnis im dunklen Afrika eine Notlandung unternehmen muß? Nun, gerade das widerfuhr uns dreien, einem Piloten, einem weiteren Fahrgast und mir selbst am 2. Februar 1954. Wir flogen von Asmara, Eritrea, zurück nach Addis Abeba, Äthiopien, als wir durch schlechtes Wetter über Nordostäthiopien vom Kurs zu einem Landabschnitt abgedrängt wurden, der von den Danakil bewohnt ist. Das ist ein Stamm, dessen Geschichte sich durch Morde auszeichnet. Um zu zeigen, daß er zum Heiraten qualifiziert ist, tötet dort ein junger Mann gemäß der Stammessitte einen anderen jungen Mann, schneidet die Genitalien weg und überreicht sie den Leuten seines Dorfes.
Während wir uns in unserer Maschine über diesem Landesteil nicht zurechtfanden, ging das Benzin aus, und so blieb uns nichts anderes übrig, als eine Notlandung zu unternehmen. Auf einem Platz, der ziemlich sauber aussah, landete der Pilot das Flugzeug. Wir stiegen aus und begannen, die Tanks mit dem Reservebenzin zu füllen, das wir in Kanistern mitgenommen hatten. Für ein oder zwei Minuten war niemand in Sicht, und dann sahen wir zwei Eingeborene mit buschigen Köpfen auf uns zukommen, bewaffnet mit langen Speeren und hakenförmigen Messern. Bald kamen dann Eingeborene aus allen Richtungen.
Was tun? Wir kamen überein, zu versuchen, mit ihnen Freundschaft zu schließen und so nahe wie möglich zusammenzubleiben. Nachdem wir es mit einem halben Dutzend verschiedener Sprachen versucht hatten, erwiderten einige der Eingeborenen unseren Gruß. Die Antwort auf unsere Frage bestätigte unsere schlimmste Furcht. Ja, diese Leute waren jene unzivilisierten Danakil! Nach und nach umzingelten die Eingeborenen das Flugzeug und beobachteten mit großer Neugierde, wie wir das Benzin in die Flugzeugtanks gossen.
Schließlich näherte sich uns ein junger Dankali und begrüßte uns auf amharisch mit „Tinayesteling!“. Wie willkommen das klang! Ja, wir sprachen alle drei Amharisch. Wir erzählten ihm, wohin wir wollten, und daß uns das Benzin ausgegangen sei. Er sah ziemlich freundlich aus, jedoch wußten wir einfach nicht, was wir von seiten dieser neugierigen, ausdruckslosen Menschenschar zu erwarten hatten. Als wir die Tanks gefüllt hatten, sprangen wir drei in das Flugzeug und ließen den Motor an, wobei die Eingeborenen in alle Richtungen davonrannten. Doch bald stellte es sich heraus, daß wir auf diesem rauhen Land nicht die genügende Geschwindigkeit erreichen konnten, um uns vom Boden zu erheben.
Wir mußten etwas unternehmen — nämlich zu Fuß zur Zivilisation marschieren und dann mit einer Mannschaft zurückkehren, die für das Flugzeug eine Startbahn schaffen konnte —, vorausgesetzt, wir hatten Glück, hier lebendig herauszukommen. Wieder umgaben uns die Danakil. Wir stiegen aus und erzählten ihnen, daß es für uns notwendig sei, auf die Straße zu gelangen. Wir fragten sie, in welcher Richtung sich die Straße befände, und ob von ihnen jemand bereit sei, uns zu begleiten. Sie besprachen sich in ihrer eigenen Sprache und sagten uns dann, sie würden uns mit in ihr Dorf nehmen.
Obgleich wir ihnen erklärt hatten, daß es für uns notwendig sei, zur Straße zu gelangen, nahmen sie uns statt dessen mit in ihr Dorf. Auf dem Weg dorthin — es war ein Marsch von dreißig Minuten — versuchten wir, mit ihnen Freundschaft zu schließen. Wir ließen sie das Ticken unserer Armbanduhren hören und ließen unsere Taschenlampen aufleuchten.
Als wir in das Dorf einzogen, das von einem Zaun von Brombeeren und Dornen umgeben war, um die wilden Tiere fernzuhalten, sahen wir die Danakil um ein Feuer sitzen. Ihre Häuser sind etwa ein Meter hoch und aus Lehm und Brombeersträuchern gebaut. Sie sind nicht zum Wohnen bestimmt, sondern nur zum Schlafen bei Nacht. Sie brachten uns in schmutzigen Kürbissen Wasser. Obwohl es lehmig war, schmeckte es uns gut, weil wir durstig waren.
Alle drei beschäftigten wir uns dann mit dem Versuch, uns mit den Danakil zu befreunden. Ich beobachtete eine Frau, wie sie eine Ziege melkte, als ob ich das noch nie gesehen hätte, und sie amüsierte sich äußerst über meine Neugierde. Sie ließ mich sogar den Versuch unternehmen, die Ziege zu melken. Aber ich schaffte das nicht so gut. Ich zeigte ihr, wie meine Taschenlampe funktioniert, und spendete ihr Licht, während sie melkte. Als sie mit dem Melken fertig war, reichte sie mir in einem schmutzigen Kürbis etwas Milch. Ich trank davon und reichte sie dann auch meinen zwei Gefährten, die auch etwas tranken.
Während wir dort saßen, taten wir unser Bestes, die Kinder zu unterhalten. Obwohl wir uns mit den Danakil zu befreunden schienen, so waren wir immer noch die ganze Zeit gespannt, was uns die nächsten Minuten brächten. Dann unterrichtete uns unser junger Dankalifreund davon, daß sie uns die gleiche Nacht noch zur Straße bringen würden, wenn wir jetzt gehen wollten. Wir könnten aber auch bis zum Morgen in ihrem Dorf bleiben, und dann würden sie uns zur Straße bringen. Wir dankten und versicherten ihnen, daß wir lieber sofort gingen. So machten wir uns bei Nacht mit zwei Eingeborenen als Führer auf den Weg durch das wilde Dankali-Land. Beide waren mit einem Speer und einem Messer bewaffnet, und einer hatte auch ein Gewehr.
Wir gingen, gingen und gingen. Eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden — dann erreichten wir ein trockenes Flußbett. Man sagte uns, wir müßten noch ein weiteres Flußbett erreichen, und dann wären wir an der Straße. Nach einer weiteren Stunde kamen wir am zweiten Flußbett an. Als der jüngere der beiden Führer den Weg hinauflief, um für uns etwas Wasser zu besorgen, streckten wir uns etwas aus, um auszuruhen. Während wir den großen Dankali mit Speer, Messer und Gewehr in unserer Mitte sahen, entschwand in uns immer mehr der Gedanke, daß diese Burschen uns ein Leid antun wollten. Nach ein paar Minuten kehrte der andere wieder mit etwas schmutzigem Wasser zurück, und dann machten wir uns wieder auf den Weg. Schließlich kamen wir zur Straße. Wie gut diese Straße aussah!
Unser junger Führer sagte uns, daß an dieser Straße ein Hotel stünde, zu dem sie uns brächten. Ein Hotel? Welch eine gute Nachricht! Zu dieser Zeit war einer von uns, nämlich Bruno, so müde, daß er kaum noch aufrecht stehen konnte. Daher gab mir unser großer Dankalifreund seinen Speer und sein Gewehr, hielt Bruno aufrecht und half ihm auf der Straße, indem er seinen Arm um den müden Bruno legte. Wie verschieden war diese Geste der Freundlichkeit von dem Ruf, der im allgemeinen von den Danakil ausgeht!
Während wir langsam neben dem Dankali herhumpelten, lief der eine voraus, um die Leute im Hotel zu benachrichtigen. Nicht lange danach konnten wir die Lichter des Hotels sehen. Ein Hotel? Nun, du müßtest deiner Phantasie etwas freien Lauf lassen, um es Hotel zu nennen — es war nur eine kleine Hütte mit einem engen Raum, aus Stöcken und Zweigen gebaut. Eine Laterne sorgte für Licht, von der Innenseite konnten wir durch die Zweige — sie stellten für dieses „Hotel“ die Wände dar — nach außen blicken. Ein Zaun von Brombeersträuchern umgab diese Hütte, um die Leoparden fernzuhalten, die in diesem Teil des Landes sehr zahlreich sind.
Obwohl es nur eine Hütte war, die weder Wind noch Regen abhalten konnte, war sie für uns doch wahrlich ein Hotel, denn sie wurde von zwei Amhara unterhalten. Das sind Leute, deren Sprache und Sitten wir verstanden. Ihre Hauptarbeit bestand darin, Lastwagenfahrern, die die Strecke passierten, Bier, Soda und andere Erfrischungen zu reichen. Diese Amhara schlachteten ein Huhn für uns, kochten es und betonten dabei die ganze Zeit, es wäre das reinste Wunder, daß wir lebendig aus dem Dankali-Land herausgekommen waren. Wir aßen und streckten uns dann auf den Tischen für ein Schläfchen aus.
In der Morgendämmerung hörten wir einen Lastwagen, der sich auf der Bergstraße auf uns zu bewegte. Wir winkten dem Fahrer mit unserer Taschenlampe. Nachdem er unsere Geschichte gehört hatte, wunderte er sich gleichfalls, wie wir lebendig aus dieser Situation herausgekommen waren. Unterwegs war ihm ein Reifen geplatzt. Um aber nicht mit den Danakil durch Anhalten, Reifenwechsel oder Reparatur in Berührung zu kommen, fuhr er mit dem defekten Reifen weiter. Er ließ uns bis zum nächsten Dorf mitfahren, das etliche Meilen von dort entfernt war. Wir wurden an einer kleinen Blechhütte abgesetzt, in der wir bis zum Tagesanbruch schliefen. Dann kam ein anderer Lastwagen vorbei, der uns in die Nähe von Dessie mitnahm, wo die Amerikaner ein Straßenlager mit Jeeps und Straßenbauausrüstung unterhielten.
Es war dann fast Mittagszeit. Wir erhielten die Erlaubnis, einen Jeep und einen Lastwagen mitzunehmen und auch eine Mannschaft Kulis, die mit Kreuzhacken und Schaufeln ausgerüstet waren. Sie sollten uns eine Flugzeugstartbahn bauen. Das bedeutete also, wieder zu den Danakil zurückzukehren. Wir luden alles auf und starteten. Aber schon im nächsten Dorf hielt uns die Polizei an. Der Gouverneur hatte angeordnet, daß wir Polizeischutz erhalten sollten. Jedoch wollten wir die Männer nicht mitnehmen, weil wir wußten, daß die Polizei gegen die Danakil hilflos wäre, wenn sie sich dazu entschieden, Unannehmlichkeiten zu bereiten. Wir wußten: unser bester Schutz ist die Freundschaft. Nach vielem Für und Wider kamen wir überein, daß ein Polizist in unserem Jeep mitfahren sollte.
Als wir auf der Straße den Ort erreichten, wo wir in das Innere des Landes einbiegen mußten, fanden wir acht Danakil wartend. Sie wollten uns den Rückweg zum Flugzeug zeigen. Wir mußten noch etwa 20 Kilometer fahren und brauchten ungefähr 3 Stunden für diese Zickzackfahrt durch Büsche, über Hügel und durch Flußbetten. Die Kulis mußten immer wieder mit ihren Kreuzhacken und Schaufeln den Weg passierbar machen. Da das Gebiet zu rauh wurde, ließen wir den Lastwagen zurück. Die Kulis mußten laufen, während wir drei und der Polizist im Jeep fuhren. Schließlich erreichten wir das Flugzeug.
Ich legte mich unter das Flugzeug und versuchte ein paar Dinge zu befestigen, die sich bei der improvisierten Landung gelockert hatten. Bruno und der andere Gefährte beschlossen, den Jeep zu benutzen, um nach einem guten, sauberen Platz Ausschau zu halten, der als Lande- oder eher als Startbahn dienen konnte. Dadurch wurden der Polizist, der vor Furcht zitterte, und ich mit den Danakil allein gelassen. Ich gesellte mich zu den Danakil und ermunterte sie, mir zu zeigen, wie man einen Speer wirft. Sie führten das vor und waren stolz auf ihre Gewandtheit, einen Speer über eine lange Entfernung zu werfen und das Ziel in die Mitte zu treffen. Sie waren bestimmt gute Schützen. Sie amüsierten sich über meine Anstrengungen, weil ich nicht einmal imstande war, einen Speer bis zum Ziel zu werfen, geschweige denn ins Schwarze zu treffen.
Dann wurde alles ruhig. Wir setzten uns in einer kleinen Gruppe nieder, und einer der alten Danakil, sehr wahrscheinlich der Häuptling, begann mit dem Polizisten, der eine gewisse Kenntnis der Sprache hatte, in der Dankali-Sprache zu sprechen. Der alte Bursche begann Gesten zu machen, als ob er etwas schlachten wollte. Ich begann unruhig zu werden in dem Gedanken, er meine mich. Ich fragte den Polizisten, um was es ginge, und fühlte mich wirklich erleichtert, als ich hörte, sie wollten mit ihm weggehen, um eine Ziege zu besorgen. Sie wollten sie schlachten und rösten, damit wir alle etwas zu essen hätten. Ich dankte ihm für dieses freundliche Angebot und schlug vor, man solle warten, bis die anderen zurückkämen. Nach ein paar Minuten kamen die anderen zwei mit dem Jeep zurück und kurz darauf die Kulis mit ihren Dankaliführern. Obgleich die Sonne schon untergegangen war, begaben wir uns an die Arbeit. Man hatte einen guten Startplatz gefunden, und die Kulis wurden angewiesen, ihn zu säubern. Wir schleppten dann mit Hilfe des Jeeps das Flugzeug zu diesem Platz hinüber. Aber die Arbeit mußten wir bald abbrechen, weil es zu dunkel wurde, irgend etwas zu tun. Was nun? Sollten wir zur Straße zurückkehren und am Morgen wiederkommen? Nein; um bei Tagesanbruch wieder mit der Arbeit beginnen zu können, entschieden wir, zu bleiben und bei den Danakil zu schlafen. Die Kulis und der Polizist murrten, weil sie es nicht für sicher hielten. Unsere Ängste aber waren vergangen. Hatten wir den Danakil nicht Freundlichkeit erwiesen? Zeigten sie selbst sich nicht freundlich? Sie waren bestimmt friedlich.
Ich war todmüde und wollte selbst etwas schlafen. So entschloß ich mich, mein Lager inmitten der Danakil aufzuschlagen. Wenn sie mir etwas tun wollten, so konnten sie das am Ende überall tun. Diese Vertrauensgeste ließ einige von ihnen aufmerken und war der Anlaß, daß sie untereinander darüber sprachen. Einer der Männer reichte mir ein Leopardenfell als Unterlage zum Schlafen. Ich nahm es gern. Ich sah einen Dankali, wie er nach Wasser suchte und nur einen leeren Kürbis fand. Ich stand auf, füllte den Kürbis mit Wasser, das wir in Schweinehäuten mitgebracht hatten, und gab es ihm. Er lächelte, trank und reichte es den anderen. Bald waren wir alle am Einschlafen. Aber nach ein paar Stunden weckten mich meine Reisegefährten und teilten mir mit, daß sie für mich im Flugzeug einen Schlafplatz hätten. Somit schliefen wir alle für den Rest der Nacht im Flugzeug. Um 5 Uhr standen wir auf und wiesen die Kulis zur Arbeit an der Startbahn an.
Aus Angst waren sie überhaupt nicht schlafen gegangen. Sie waren nur zu froh, daß sie sich wieder mit ihren Kreuzhacken und Schaufeln beschäftigen konnten. Ungefähr um 11 Uhr war die Bahn fertig. Nachdem wir alles Gepäck ausgeladen hatten, startete das Flugzeug mit nur einem Mann an Bord. Wir hatten uns entschlossen, das Flugzeug für den Start so leicht wie möglich zu machen. Zwei von uns wollten mit dem Gepäck im Jeep zurückfahren. Das Flugzeug erhob sich bereits vor dem Ende der Startbahn, und nach ein paar Kreisen stieg es höher und verschwand.
Wir gingen zu den Danakil hinüber — es waren jetzt 45 von ihnen zusammengekommen — und gaben ihnen die Hände. Jeder küßte meine Hand, nachdem ich seine geschüttelt hatte. Dann hob ich seine Hand zum Munde, um sie zu küssen. Nachdem wir die Kreuzhacken, die Schaufeln und das Gepäck in den Jeep geladen hatten, machten wir uns auf den Rückweg. Wir erreichten den Platz, wo wir den Lastwagen verlassen hatten. Dort warteten wir auf die Kulis, die mit einigen der Danakil folgten. Nachdem wir fertig waren, kamen die Danakil, um uns wieder Lebewohl zu sagen. Sie luden mich ein, sie wieder einmal zu besuchen.
Du magst fragen, ob ich den Danakil predigen konnte. Ich versuchte, ihnen über Gottes Königreich, Harmagedon und die neue Welt zu erzählen. Sie zeigten keinen Ausdruck und hatten auch keine Fragen. Bis zu welchem Ausmaß meine Bemerkungen auf sie einwirkten, kann ich nicht sagen. Die Weltverhältnisse bedeuten für sie nichts. Aber mindestens einige der Danakil hörten mir zu, als ich über Gottes Königreich und Harmagedon erzählte.
Bestimmt bin ich Jehova dankbar, daß ich ohne Schaden aus dem Danakil-Land herauskam und so immer noch imstande bin, ihm zu dienen.