Fragen von Lesern
● Der Hauptartikel, der im Wachtturm vom 15. November 1954 erschienen ist, sprach von einem Zeugen Jehovas, der mit einem anderen Zeugen in derselben Versammlung nicht gesprochen habe, und dies jahrelang, wegen einer persönlichen Kränkung, und es wurde gezeigt, daß dies einen Mangel an wahrer Nächstenliebe offenbare. Könnte dies nicht ein Fall sein, wo der Rat von Matthäus 18:15-17 richtig angewendet wurde? — A. M., Kanada.
Nein! Schwerlich dürfte man annehmen, daß dieser Text den Rat gäbe, so viel Zeit verstreichen und es möglicherweise so weit kommen zu lassen, daß zwei Glieder der Versammlung nur wegen einer kleineren persönlichen Meinungsverschiedenheit oder wegen eines Mißverständnisses nicht miteinander reden und sich meiden. Dies stände in Widerspruch mit dem, was Liebe verlangt.
In Matthäus 18:15-17 (NW) lesen wir: „Ferner wenn dein Bruder eine Sünde begeht, so geh hin und lege seinen Fehler zwischen dir und ihm allein offen dar. Wenn er auf dich hört, so hast du deinen Bruder gewonnen. Wenn er aber nicht hört, so nimm noch einen oder zwei mit dir, damit aus dem Munde von zwei oder drei Zeugen jede Sache bestätigt werde. Wenn er nicht auf sie hört, so sage es der Versammlung. Wenn er auch auf die Versammlung nicht hört, so sei er dir gleichwie ein Mensch von den Nationen und wie ein Steuereinnehmer.“
Wie können wir annehmen, dieser Text bedeute, wir sollten einen Groll hegen und Tage, Wochen oder gar Jahre lang nicht reden, wenn uns ausdrücklich gesagt wird: „Laßt die Sonne nicht über eurer gereizten Stimmung untergehen“, sondern statt dessen ‚vergebet bereitwillig einander‘? Die Liebe „trägt Schädigungen nicht nach“. „Habt innige Liebe zueinander, denn die Liebe bedeckt eine Menge von Sünden.“ Und Jesus sagte: „Glücklich die Barmherzigen, da ihnen Barmherzigkeit erwiesen wird. Indes sage ich euch, daß jeder, der im Zorn über seinen Bruder verharrt, dem Gerichtshof Rechenschaft wird geben müssen.“ Jehovas Wort würde kaum einen solchen Rat erteilen, der gestattete, daß man sich in einer Versammlung fortgesetzt schneidet, links liegen läßt und bekämpft und dadurch die Versammlung mit innerem Zwist erfüllt und ihre Einheit trübt. — Eph. 4:26, 32; 1. Kor. 13:5; 1. Pet. 4:8; Matth. 5:7, 22-24, NW.
Jehova wird die Einheit und den Geist der Liebe innerhalb seiner Versammlung bewahren, und er wird veranlassen, daß irgend jemand, der beständig die Einheit stört und Spaltungen in ihr verursacht, hinausgetan wird. Es gibt Fälle, in denen Glieder einer Versammlung aufhören müssen, mit anderen zu sprechen und sich mit ihnen zu verbinden, aber dafür muß es sehr ernste Ursachen geben, viel ernstere als nur rein persönliche Differenzen, die für die Versammlung nicht von Konsequenz sind. Brüder mußten sich trennen von denen, die unordentlich waren, die Streit verursachten und sich wider die Wahrheit auflehnten. Eine Versammlung mußte Unreine aus ihrer Mitte hinaustun: „Hört auf, Umgang zu haben mit irgend jemand, der Bruder genannt wird, wenn er ein Hurer oder Habsüchtiger oder Götzendiener oder Schmäher oder Trunkenbold oder Erpresser ist.“ (1. Kor. 5:11; Apg. 19:9; 2. Thess. 3:6, NW) Um solch ernster Vergehen willen wird Brüdern die Gemeinschaft entzogen, und die Schuldigen werden behandelt wie „ein Mensch von den Nationen“, doch nicht um geringfügiger persönlicher Verstöße willen. Solch untergeordnete Dinge sollen vergeben, mit Liebe zugedeckt, mit Barmherzigkeit abgetan werden, und man sollte nicht Buch darüber führen oder über den Sonnenuntergang hinaus gereizt sein.
Folglich müssen wir annehmen, daß die in Matthäus 18:15-17 erwähnte Sünde eine ernste Sünde ist, mit der man Schluß machen muß, und wenn dies nicht möglich ist, sollte dem so Sündigenden die Gemeinschaft der Versammlung entzogen werden. Wenn reife Brüder der Versammlung dem, der gesündigt hat, nicht die Augen öffnen können, damit er seinen schweren Irrtum einsieht und sein Unrecht läßt, dann ist die Sache von solcher Wichtigkeit, daß sie vor das Versammlungskomitee gezogen werden soll, damit die Versammlung handle. Wenn es dem Komitee nicht gelingt, den Sünder zur Reue und Besserung zu veranlassen, muß ihm die Gemeinschaft der Versammlung entzogen werden, damit die Reinheit und Einheit der christlichen Versammlung bewahrt bleibe. Ist der Übeltäter böse genug, daß ihn ein Bruder meide, so verdient er diese Behandlung von der ganzen Versammlung. Wenn die Sache nicht so ernst ist, dann sollte sie abgeklärt werden, und alle sollten sich in Liebe und im Dienst vereinen, und es sollte keine persönliche Fehde innerhalb einer Versammlung geben. Wenn dieser Text nur von etwas Persönlichem handelt, das keine ernste Sünde ist und das dazu führt, daß jemand nicht mit einem anderen spräche, wobei aber beide in der Versammlung bleiben, dann hätte Jesus gewiß nicht gesagt, man solle den anderen direkt als einen Außenstehenden betrachten, als „einen Menschen von den Nationen und einen Steuereinnehmer“. Sie müßten einander weiterhin anerkennen, nicht als Außenstehende, sondern als Brüder in der Versammlung, auch wenn sie nicht miteinander redeten. Die endgültige Taxierung des Beleidigers, der nicht bereut, ist zu ernst, als daß sie weniger bedeutete als einen Gemeinschaftsentzug, und da keine Vorkehrung dafür getroffen ist, daß einzelne Brüder anderen Brüdern in der Versammlung die Gemeinschaft entziehen können, und dies auf eine Weise, die als persönlicher Gemeinschaftsentzug bezeichnet werden kann, muß der Entzug der Gemeinschaft Versammlungssache sein.
Bestimmt legte Jesus hier nicht den Grund für eine Versammlung, die durch innere persönliche Zwistigkeiten gespalten wäre und in der eine dumpfe, gespannte Stimmung herrschte. Somit darf dieser Text nicht dazu gebraucht werden, die Weigerung von Einzelpersonen zu stützen, miteinander innerhalb der christlichen Versammlung zu reden, und die Stellung, die Der Wachtturm in diesem Punkt eingenommen hat und die der Fragesteller erwähnt, bleibt somit in aller Kraft bestehen.