Was die Hippies sagen
WAS hat viele dieser jungen Menschen veranlaßt, das merkwürdige und schwierige Leben eines Hippie zu führen?
Wenn wir zuhören, was die Hippies sagen, ergibt sich stets das gleiche Bild. Welches? Viele Hippies geben auf die Frage, warum sie ein Hippie geworden sind, die gleiche Antwort; sie entgegnen kurz und bündig: „Wegen der WELTVERHÄLTNISSE.“
Weltverhältnisse
Die jungen Menschen von heute sind besser unterrichtet als die Jugend zu irgendeiner anderen Zeit. Sie wissen sehr genau, was in der Welt vorgeht. Sie sehen, daß unter den Völkern große Furcht herrscht, daß Ungerechtigkeit, Armut und Haß bestehen und daß viel geheuchelt wird. Sie sehen, daß Staatsführer häufig die Probleme der Menschheit nicht auf friedliche Weise lösen, sondern die Erde mit Blut tränken. Und mit wessen Blut insbesondere? Du weißt die Antwort: mit dem Blut junger Menschen. Sie werden aufgefordert, den hohen Preis für die Fehler anderer zu bezahlen.
John W. Gardner, ehemaliger US-Minister für Gesundheit, Erziehung und Sozialwesen, sagte: „Diese Generation ist nicht bereit, die im Hinterraum des Establishments vorgekochte Lösung der brennenden Probleme anzunehmen.“ Nein, die jungen Menschen geben sich nicht mit Standarderklärungen für die furchtbaren Dinge, die in unserer Zeit geschehen sind, zufrieden.
Ein typisches Beispiel dafür ist eine junge Frau, die zugab, daß die Weltverhältnisse sie und andere veranlaßt hätten, Hippies zu werden. Sie sagte:
„Ich bin die Tochter gutsituierter Eltern und bin in einem schönen Haus aufgewachsen. Aber dann ging ich von zu Hause weg. Warum? Hauptsächlich deshalb, weil es mir klar wurde, wie groß die Heuchelei und das Vorurteil waren, die in unserer schönen, stillen Suburbia herrschten; außerdem erkannte ich jetzt deutlich, wie grenzenlos gleichgültig die meisten Menschen den Weltverhältnissen gegenüber waren.
Sahen sie nicht, was vor sich ging? Wußten sie gar nichts von den furchtbaren Mißständen in der Welt? Warum rührten sie keinen Finger, ja warum dachten sie nicht einmal darüber nach? Ich mußte dahin gehen, wo es Menschen gab, die sich wenigstens bemühten, eine Antwort zu finden, selbst wenn ihre Lebensform Außenstehenden merkwürdig erschien.
Ich kann mit Sicherheit sagen, daß sich die meisten Jugendlichen, die Hippies geworden sind, aus diesem Grund für diese Lebensform entschlossen haben, denn auch ich bin ein Hippie gewesen. Ich lebte unter anderem in Greenwich Village [New York]a, Haight-Ashbury [San Francisco]b und in einer Hopi-Indianer-Reservation.
Die Zeit, in der ich Rauschmittel nahm und als Hippie lebte, war nicht nur eine ,Phase‘ in meiner Entwicklung, wie meine Eltern sich einredeten. Auch war es nicht nur eine Wochenendangelegenheit. Ich hatte mich der Hippie-Philosophie und -Lebensform mit Haut und Haaren verschrieben.
Ich begann im Alter von 16 Jahren, Marihuana-Zigaretten zu rauchen; doch damals war ich bereits vom Staat, von den Eltern, der Religion und allem anderen, was mit dem ‚Establishment‘ zusammenhängt, enttäuscht. Ich hatte mich in der Kirche betätigt und dem Hilfsgeistlichen meine Fragen und Zweifel vorgebracht. Aber er hatte mir keine einleuchtenden Antworten gegeben.
Daher wandte ich mich von der Religion ab und beschloß, ,das Leben zu genießen‘. Es gab nichts mehr, was mir etwas bedeutete, und Erfahrung war die Sache — der ‚Gott‘. Ich befand mich auf der Suche, aber ich wußte nicht wonach.“
Die Erklärung dieser jungen Frau ist ganz und gar nicht ungewöhnlich. Viele junge Menschen sind aus den gleichen Gründen Hippies geworden.
Doch wird von manchen behauptet, die Weltverhältnisse seien nicht anders als früher. Warum sollten daher junge Menschen heute mehr Grund haben, Hippies zu werden, als früher? Aber die Weltverhältnisse sind NICHT immer so gewesen wie jetzt. Noch nie in der Geschichte hat es eine so furchtbare Zeit gegeben wie die Zeit, in der wir jetzt leben. Richter Jackson sagte in seinen Schlußbemerkungen zum Kriegsverbrecherprozeß in Nürnberg:
„Zwei Weltkriege haben mehr Opfer gefordert als alle Kriege des Altertums und des Mittelalters. Noch nie war ein halbes Jahrhundert Zeuge von einem solchen Gemetzel, solchen Grausamkeiten und Unmenschlichkeiten, einem solchen Abtransport von Völkern in die Sklaverei und einer solchen Vernichtung von Minderheiten.“
Seit der Zeit, da Richter Jackson diese Worte sprach, sind die Probleme der Menschheit noch größer geworden. Es ist ja bekannt, daß der Mensch heute in der Lage ist, alles menschliche Leben auf Erden auszulöschen. Und Probleme wie Armut, Hunger, soziale Unruhen, Rassenhaß und Völkerhaß, Verschmutzung, Übervölkerung und andere werden nicht kleiner, sondern größer.
Weltweite Bewegung
Es sind nicht nur wenige, die die Weltverhältnisse bedrücken und die die heutige Gesellschaftsordnung ablehnen. Solche Menschen gibt es in der ganzen Welt, und zwar in einer nicht unbedeutenden Zahl. Ein Feature-Schriftsteller schrieb in der Detroiter Zeitung News, es habe noch nie eine Zeit wie heute gegeben, „in der die intelligentesten Jugendlichen in jedem Land der Erde sich gleichzeitig umgeschaut und zum Teufel mit allem gesagt“ hätten.
Die Menschheit hat noch nie eine solch furchtbare Zeit erlebt. Das wird nur von Personen bestritten, die die Augen gegenüber den Tatsachen verschließen. Aber viele verfolgen das Geschehen mit offenen Augen. Deshalb kann man sagen, daß es seit Menschengedenken noch nie eine solch weltweite Abneigung gegen die traditionelle Lebensform gegeben hat wie jetzt. Ein Mitarbeiter der deutschen Zeitschrift Der Spiegel sagte, das gelte nicht nur für kapitalistische Länder, sondern auch für Länder, die sich zum Staatssozialismus bekennen würden. Er erwähnte auch, daß der Grund zu dieser Abneigung vielleicht eine tiefsitzende Schwäche im Gefüge unserer Zivilisation sei.
Überall bekunden immer mehr Personen, besonders Jugendliche, ihre Abneigung gegen die heutige Ordnung. Es ist daher nicht befremdend, daß die Folge dieser Enttäuschung unter anderem die Hippie-Bewegung ist.
Haben aber nicht die heutigen Eltern ihren Kindern mehr geboten, als sie in ihren jungen Jahren hatten? Das stimmt, in vielen Ländern hat es die Jugend in bezug auf Ernährung, Wohnung und Ausbildung besser, als es ihre Eltern hatten. Doch die Hippie-Bewegung ist da am stärksten, wo der Lebensstandard gestiegen ist!
Materialismus
Da die Kinder bürgerlicher Eltern gewöhnlich höhere Schulen besuchen können, wissen viele von ihnen besser Bescheid über die Weltverhältnisse als Kinder armer Eltern. Ihr jugendlicher Idealismus befähigt sie, die aktuellen Fragen in den Brennpunkt zu rücken. Bei den Kindern bürgerlicher Eltern stehen Nahrung, Obdach und Kleidung nicht so sehr im Mittelpunkt wie bei den Kindern armer Eltern. Sie können sich daher mehr mit anderen Problemen befassen.
Doch gerade der Wohlstand gehört, wie Der Spiegel schrieb, zu der tiefsitzenden Schwäche im Gefüge unserer Zivilisation. Wieso veranlaßt gerade der materielle Wohlstand viele junge Menschen, Hippies zu werden? Ein Hippie-Mädchen aus Kalifornien brachte die Einstellung dieser Kinder der Wohlstandsgesellschaft treffend zum Ausdruck. Es entstammt einer Familie, die ein Haus im Wert von 50 000 Dollar besitzt, und es verfügte über ein eigenes Erbe. Über seine Eltern sagte es:
„Sie erfüllten mir jeden Wunsch. Ich hatte ein eigenes Auto. Aber alles war so sinnlos. Alles drehte sich immer nur ums Geld. ... Deshalb bin ich einfach ausgerissen.“
Somit lehnen es viele Jugendliche einfach ab, sich mit kaltem materiellen Reichtum zu begnügen als Ersatz für die Liebe, Aufmerksamkeit und Führung der Eltern, worüber diese ganz bestürzt sind.
Vielfach schließen sich die Kinder von Eltern, die während der Weltwirtschaftskrise, die nach dem Finanzkrach vom Jahre 1929 einsetzte, darben mußten, den Hippies an. Diese Eltern nahmen sich fest vor, ihren Kindern einmal alles zu geben, worauf sie selbst verzichten mußten. Das ist an sich eine edle Denkungsart, aber ihr Streben nach Geld ließ ihnen oft keine Zeit mehr, sich mit ihren heranwachsenden Kindern zu beschäftigen.
Die Hippies wuchsen somit in einer gewinnsüchtigen Gesellschaft heran. Das Geld wurde zum Gott erhoben. In dieser Gesellschaft hatten es viele Kinder zu gut, und durch die Willfährigkeit dieser Gesellschaft wurde die ganze Situation noch komplizierter. Die Zucht galt als altmodisch, oder man hatte keine Zeit dafür. Man legte das Hauptgewicht auf die Verbesserung der Lebenshaltung.
Ein Berichterstatter der Torontoer Zeitung Daily Star schrieb über das Hippie-Problem unter anderem:
„Die Hippie-Bewegung erinnert uns nachdrücklich an etwas, was wir manchmal vergessen: Bessere Wohnungen, mehr Arbeitsplätze und eine Hochschulbildung können Personen, die das Leben in den 60er Jahren hohl und unmenschlich fanden, nicht versöhnen. Nur durch eine Umkehr der Wertbegriffe, nur wenn alle Menschen vorbehaltlos als Menschen anerkannt, ja geliebt werden, wird das Leben lebenswert.“
Sie wünschen eine neue Gesellschaft
Die meisten Hippies sind somit der Ansicht, eine neue Gesellschaft sei erforderlich. Sie lehnen eine nach Geld und Karriere orientierte Gesellschaft ab, die auf ihren Mitmenschen herumtrampelt, anstatt sie zu lieben. Sie lehnen eine Welt ab, in der Heuchelei, Unaufrichtigkeit, Schein und Ungleichheit grassieren. Ein Journalist schrieb: „Die Hippies hoffen, eine ganz neue Gesellschaft ins Dasein zu bringen, eine Gesellschaft, die wohlwollend ist, die die alten Tugenden, die Agape [grundsatztreue Liebe] und die Ehrerbietung, wiederaufleben läßt.“
Nach der Ansicht der Hippies wird die gegenwärtige Ordnung, selbst wenn man sie reformieren würde, dieses Ziel nicht erreichen. Daher sind sie der Meinung, man könne von dieser Gesellschaft nur frei werden, wenn man sie ablehne und ihren Normen entgegenhandle. Sie sind der Meinung, man müsse von dem versklavenden Materialismus frei werden, damit man sich der einfacheren Dinge des Lebens, seiner Schönheit und seiner Reize erfreuen könne.
Deshalb betrachten die Hippies Geld und Arbeit, die sie mit einem verderbten Wirtschaftssystem in Verbindung bringen, als falsche Götter. So erklärte ein kanadischer Hippie-Führer: „Arbeit ist nicht alles, Arbeit ist nichts Heiliges.“ Die Hippies sind der Meinung, man sollte nur arbeiten, wenn man arbeiten möchte, und sollte sein Arbeitstempo selbst bestimmen dürfen.
In der Hippie-Welt würde es kaum Privatbesitz geben. Alles, was man besitzen würde, sollte der ganzen Gruppe zugute kommen. Selbst für die Kinder wären „nicht nur deren Eltern verantwortlich, sondern jedermann“.
In der Hippie-Gesellschaft würde es Heiratsurkunden geben, aber wenn jemand einen anderen Gefährten haben möchte, könnte er auch diesen „heiraten“. Bei ihnen wäre die „freie Liebe“ anerkannt.
Bist du über manche dieser Auffassungen entsetzt? Beunruhigt es dich, daß die Hippies jegliche Autorität ablehnen? Erschreckt dich ihre Meinung, jeder könne mit jedem Geschlechtsverkehr haben? Ist es dir unbegreiflich, daß sie Marihuana rauchen und andere Rauschmittel nehmen?
Die Mehrzahl der Personen, besonders der älteren Generation, betrachtet die Hippie-Philosophie als äußerst radikal, ja als unannehmbar. Hast du nicht auch schon ältere Personen sagen hören: „Woher haben sie nur diese törichten Ansichten?“?
Was meinst du, woher sie diese Ansichten haben? Wer ist weitgehend verantwortlich für ihre Ansichten und ihr Benehmen?
[Fußnoten]
a Stadtviertel, in dem sich viele Hippies angesiedelt haben.
b Stadtviertel, in dem sich viele Hippies angesiedelt haben.