Der Mann Alexander der Große
DIE Taten Alexanders des Großen haben die alte Welt tiefgehend beeinflußt. Im Laufe weniger Jahre wurde er Herr über ein größeres Gebiet, als es je ein Herrscher vor ihm besessen hatte. Aber was für ein Mensch war Alexander der Große?
Eine der besten Quellen dafür ist der griechische Biograph Plutarch, der über dreihundert Jahre nach Alexander lebte. Somit ist er kein Zeitgenosse Alexanders, sondern seine Berichte stützen sich auf die Schriften früherer Historiker. Auch der griechische Geschichtsschreiber Arrianus, der im zweiten Jahrhundert u. Z. lebte, war auf andere Quellen angewiesen. Aus diesen beiden Biographien ergibt sich folgendes Bild:
Eigenschaften, die sich schon in frühester Jugend äußerten
Schon in frühester Jugend verriet Alexander Ehrgeiz, Ruhmsucht und ein Interesse an Dingen, die einem Jungen sonst gleichgültig sind.
Als Alexander noch sehr jung war, empfing er einmal in Abwesenheit seines Vaters die Gesandten des Perserkönigs und unterhielt sie. Die Fragen, die er ihnen stellte, verrieten schon damals, wie sein Geist arbeitete. Er erkundigte sich zum Beispiel nach der „Art der Verkehrswege ins Innere Asiens“ und „auch nach dem König selbst, wieviel er vom Krieg verstünde und wie es mit der Wehrkraft und der militärischen Macht der Perser bestellt sei“.
Alexander war nicht sehr erfreut über die Siege seines Vaters. Er befürchtete, daß ihm keine Gelegenheit mehr bleibe, große und glänzende Taten zu vollbringen, wenn sein Vater ihm alles vorwegnehme. Er strebte nicht nach Reichtum und Wohlleben, sondern ihn verlangte danach, seinen Mut zu bekunden und durch eigene Taten Ruhm zu erwerben.
Er begehrte aber nicht Ruhm in allen Dingen, sondern nur einen Ruhm, der eines Königs würdig sei. Deshalb hatte er für das Volk der Athleten offenbar nicht viel übrig. Als man ihn einmal fragte, ob er Lust habe, sich am Wettlauf in Olympia zu beteiligen, entgegnete er, nur wenn er Könige zu Rivalen hatte.
Alexander hatte volles Vertrauen zu sich selbst und zu seinen Fähigkeiten. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür liefert die Begebenheit in Verbindung mit dem Pferd Bukephalas. Als man dieses Pferd, nachdem man es geprüft hatte, als völlig wild und unbezähmbar wegführen wollte, soll Alexander gesagt haben: „Was für ein Pferd ruinieren sie da, weil sie aus Unverstand und Schlappheit nicht mit ihm umzugehen wissen!“ Zuerst sagte Philipp nichts, doch als Alexander weiter auf ihn einredete, entgegnete er ihm: „Willst du älteren Leuten Vorwürfe machen, als ob du es besser verstündest und richtiger mit einem Pferde umgehen könntest?“ Darauf behauptete Alexander kühn, wenigstens mit diesem würde er besser umgehen als ein anderer. Er erklärte sich einverstanden, den Preis für das Pferd zu bezahlen, würde ihm das nicht gelingen. Aber es gelang Alexander, worauf sein Vater zu ihm gesagt haben soll: „Such dir ein Reich, mein Sohn, das deiner würdig ist, denn Makedonien ist für dich nicht groß genug.“
Danach ließ Philipp den berühmten Philosophen Aristoteles kommen, damit er Alexander unterweise. Aristoteles führte Alexander nicht nur in die ethischen und politischen Lehren ein, sondern unterwies ihn wahrscheinlich außerdem in Medizin.
Offenbar förderte Aristoteles auch Alexanders Wissensdurst und Freude am Lesen. Diese Vorliebe verblieb Alexander sein ganzes Leben lang. Er hatte immer neben seinem Schwert unter dem Kopfkissen ein von Aristoteles durchgesehenes Exemplar der Ilias von Homer liegen. Er las auch Geschichtswerke, Tragödien und Dichtungen. Alexander strebte danach, sogar im Wissen alle anderen zu überflügeln, und als er erfuhr, daß Aristoteles einige der Lehren, in denen er von ihm mündlich unterwiesen worden war, in Büchern veröffentlicht hatte, mißbilligte er das. Alexander schrieb: „Du hast nicht recht getan, daß du die nur fürs Hören bestimmten Lehren veröffentlicht hast. Denn wodurch werden wir uns über die anderen erheben, wenn die Lehren, nach denen wir erzogen worden sind, Allgemeingut werden?“
Schon als Jugendlicher tat Alexander sich im Kriegshandwerk hervor. Im Alter von sechzehn Jahren regierte er in Abwesenheit seines Vaters über Makedonien. Er unterwarf die Maider, die sich empört hatten, eroberte ihre Hauptstadt, vertrieb deren Bevölkerung und siedelte andere Leute darin an; die Stadt nannte er nach sich selbst Alexandropolis.
Als König und Feldherr
Alexander wurde im Alter von zwanzig Jahren, nachdem Philipp, sein Vater, ermordet worden war, König von Makedonien. In den dreizehn Jahren seiner Regierung wurde Alexander von unersättlicher Ruhmsucht angetrieben. Es heißt, er sei ein Träumer gewesen, doch besaß er offenbar die Entschlossenheit, seine Träume zu verwirklichen. Trotz großer Schwierigkeiten machte er sich kühn daran, seine Pläne auszuführen.
Alexander erbte von seinem Vater, wie er selbst bezeugte (zitiert von dem Historiker Arrianus), nur wenige goldene und silberne Trinkgefäße. Philipp hatte fünfhundert Talente Schulden, und im Staatsschatz waren weniger als sechzig Talente. Alexander borgte sich achthundert Talente und trat seinen Eroberungsfeldzug mit einem verhältnismäßig kleinen Heer an. Er war jedoch siegreich, indem er sein Reich bis Indien ausdehnte.
Alexander hatte allerdings den Vorteil, ein kampferprobtes Heer anzuführen. Dennoch erforderte es von ihm beachtliches Können. Neue Situationen ergaben sich. Seine Gegner führten auf eine für ihn ungewohnte Weise Krieg. Er mußte daher eine andere, eine entsprechende Strategie anwenden.
Alexanders Persönlichkeit trug auch viel dazu bei, daß das Heer ihm so ergeben war und er verhältnismäßig wenig mit Schwierigkeiten innerhalb der eigenen Reihen zu kämpfen hatte. Es gelang ihm, die Anhänglichkeit seiner Leute zu erwerben und zu erhalten.
Seine Krieger konnten sehen, daß er sich selbst nie schonte. Ein Beispiel ist die Handlungsweise Alexanders, als er und seine Leute durch eine Sandwüste marschierten. Obwohl auch er Durst litt, goß er das Wasser, das einige Soldaten in einem untiefen Bachbett ausfindig gemacht hatten und ihm brachten, vor aller Augen aus, nachdem er die Überbringer gelobt hatte.
Gegen Ende seines kurzen Lebens konnte Alexander sagen: „Ist doch mir wenigstens an den Vorderteilen des Körpers kein Glied unverwundet geblieben. Auch gibt es keine Waffe des Nah- und Fernkampfes, von der ich nicht Spuren an mir trüge: ich bin mit dem Schwert im Handgemenge verwundet, bin mit Pfeilen schon geschossen und aus Wurfmaschinen getroffen wie mit Steinen oftmals und Holzstücken verletzt worden.“
Auch andere Handlungen trugen ihm die Liebe und Bewunderung seiner Streitkräfte ein. Einmal gab er Männern, die kurz zuvor geheiratet hatten, Urlaub, so daß sie den Winter mit ihrer Frau in Makedonien verbringen konnten. In der ersten Zeit seiner Regierung hatte er volles Vertrauen zu seinen Freunden. Als Alexander einmal schwer krank war, bereitete ein Arzt namens Philippos eine starke Arznei für ihn. Als Philippos im Begriff war, sie Alexander zu reichen, wurde diesem ein Brief übergeben, in dem Alexander mitgeteilt wurde, daß König Darius Philippos durch Bestechung dafür gewonnen habe, Alexander zu vergiften. Dennoch nahm Alexander die Arznei entgegen und übergab ihm gleichzeitig den Brief; während Philippos ihn las, trank Alexander die Arznei. Mit der Arznei war auch wirklich alles in Ordnung; sie trug dazu bei, daß Alexander wieder genas.
Nach einer Schlacht besuchte Alexander die Verwundeten, sah sich ihre Wunden an, lobte die Soldaten für ihre tapferen Taten und ehrte sie durch Geschenke entsprechend ihren Taten. Mit dem, was sie nach einer Belagerung erbeuteten, tilgte er die Schulden seiner Leute, ohne zu fragen, wieso sie sich so verschuldet hatten. Gefallene Krieger ließ er mit den üblichen Ehren bestatten. Ihren Eltern und Kindern aber gewährte er Freiheit vom Bodenzins sowie auch noch von allen persönlichen Frondiensten und Einkommensteuern. Nach den Schlachten veranstaltete Alexander für seine Leute Spiele und Wettkämpfe.
Anfänglich relativ mäßig in den Gewohnheiten
Im Gegensatz zu vielen anderen Herrschern hielt Alexander es „offenbar für noch königlicher, sich selbst zu beherrschen, als die Feinde zu besiegen“. Die einzige Frau, die er vor seiner Heirat angerührt haben soll, war Barsine, die Witwe Memnons, des Generals der persischen Truppen. Über Alexanders Verbindung mit Roxane schreibt der griechische Biograph Plutarch:
„So ergab sich auch seine Verbindung mit Roxane zwar aus der Liebe, von der er erfaßt wurde, als er sie schön und jugendfrisch bei einem Festmahl im Reigen tanzen sah, sie fügte sich aber auch wohl in sein politisches Programm. Denn die Barbaren begannen infolge der geschlossenen ehelichen Verbindung Vertrauen zu haben und vergötterten Alexander, weil er auf diesem Gebiete so außerordentlich beherrscht war und auch die einzige Frau, die ihn bezwungen hatte, nicht ohne Einhaltung der gesetzlichen Form zu berühren wagte.“
Alexander achtete auch die Ehe anderer. Die Gemahlin des Königs Darius befand sich unter seinen Gefangenen, doch er entzog ihr nicht das mindeste von den Ehren, die sie genossen hatte. Er selbst sah sie nicht, auch gestattete er anderen nicht, in seiner Gegenwart von ihrer Schönheit zu sprechen. Als er erfuhr, daß zwei makedonische Soldaten die Frauen einiger Söldner geschändet hatten, erteilte er den Befehl, die beiden, wenn sie für schuldig befunden würden, hinzurichten.
Auch Homosexualität betrachtete Alexander als etwas Schändliches. Als er gefragt wurde, ob er zwei Knaben zur Befriedigung seiner Lüste kaufen wolle, war er höchst entrüstet und schrieb, man solle den Händler „mitsamt seiner Ware zum Teufel schicken“.
Alexander war auch im Essen enthaltsam. Es scheint indessen, daß er in späteren Jahren dem Wein allzusehr zugetan war. Bei jedem Becher führte er lange Unterhaltungen und prahlte mit seinen Taten. Bei solchen Trinkgelagen gab er sich manchmal auch Schmeichlern rückhaltlos preis.
Sehr religiös
Alexander war wie seine Mutter Olympias sehr religiös. Es läßt sich nicht eindeutig feststellen, ob er wirklich überzeugt war, ein Gott zu sein. Plutarch schreibt, im allgemeinen sei er nur den Barbaren gegenüber sehr stolz gewesen und hätte sich so gegeben, als wäre er von seiner göttlichen Herkunft völlig durchdrungen. Alexander beobachtete indessen sorgfältig religiöse Zeremonien. Er opferte den Göttern jeweils vor und nach einer Schlacht und befragte seine Wahrsager über die Bedeutung gewisser Vorzeichen. Er suchte auch das Orakel des Ammon in Libyen auf. Und in Babylon opferte er gemäß den Anweisungen der Chaldäer, besonders dem Bel.
Wenn man bedenkt, wie religiös Alexander war, klingt es gar nicht unwahrscheinlich, was der jüdische Geschichtsschreiber Josephus über Alexander berichtete: Als Alexander nach Jerusalem gekommen sei (nach manchen Quellen soll er die Stadt nicht betreten haben), soll der jüdische Hohepriester ihm das Buch Daniel gezeigt haben, in dem vorausgesagt war, daß ein Grieche das Perserreich zerstören werde. Da Alexander annahm, er sei damit gemeint, gewährte er später den Juden alle ihre Bitten.
Mit der Zeit wurde Alexanders Religiosität anscheinend eine Art Besessenheit. Plutarch schreibt:
„Nachdem Alexander nun einmal den göttlichen Dingen gegenüber schwach, schreckhaft und ängstlich geworden war, war keine ungewohnte und seltsame Erscheinung so geringfügig, daß er sie nicht als Anzeichen und Vorbedeutung nahm, sondern das Königsschloß war voll von Leuten, die opferten, Reinigungszeremonien vollzogen, weissagten und Alexander mit albernen Ängsten erfüllten.“
Ähnlich haben sich Diktatoren unserer Zeit verhalten, so z. B. Hitler, der vor seinen Unternehmungen jeweils Astrologen befragte.
Weiterer Verfall der Persönlichkeit
Auch in anderer Beziehung veränderte sich Alexander zu seinem Nachteil. Anfänglich ertrug er es, wenn man etwas Ungünstiges über ihn sagte, und bemühte sich, unvoreingenommen zu urteilen. Später glaubte er indessen ohne weiteres Verleumdungen. Mit der Zeit wurde die Erhaltung seines Glanzes und Ruhmes das Wichtigste in seinem Leben; auch auferlegte er harte Strafen. Nachdem Alexander Verdächtigungen das Ohr geöffnet hatte und dann überzeugt war, daß Philotas an den Vorbereitungen zu einem Anschlag auf sein Leben beteiligt war, ließ er ihn hinrichten. Danach schickte er auch Leute nach Medien und ließ Parmenion, den Vater des Philotas, töten, obschon er keinen Beweis dafür hatte, daß Parmenion etwas mit dem Anschlag auf ihn, Alexander, zu tun gehabt hatte.
Eine der schändlichsten Taten beging Alexander, als er, erhitzt vom Wein, im Zorn seinen Freund Kleitos umbrachte. Arrianus schreibt über diesen Vorfall:
„Alexander aber bedaure ich wegen seines Mißgeschicks, daß er sich bei diesem Vorfall von zwei Übeln überwältigt zeigte, während doch ein besonnener Mann sich auch nicht von dem einen nur sollte überwältigen lassen, vom Zorn und Streitsucht in der Trunkenheit.“
Alexander sah aber das Entsetzliche seiner Tat ein. Die meisten Historiker des Altertums (nach Arrianus) berichteten, Alexander habe diese Untat, den Freund im Rausch umgebracht zu haben, tief bereut. Drei Tage lang habe er im Bett gelegen und keine Speise angerührt. Schließlich ließ sich Alexander von seinen Vertrauten überreden, wieder zu essen.
Der Sophist Anaxarch soll den König beruhigt haben, indem er sagte, „was ein großer König tue, müsse auch für gerecht gehalten werden“. Arrianus schreibt darüber:
„Er [Anaxarch] hat auch, so behaupte ich, großes Unheil über Alexander gebracht, und zwar noch größeres, als dasjenige war, das ihn gerade betroffen hatte ... Wie nämlich die Sage geht, beanspruchte Alexander auch für seine Person göttliche Verehrung, weil er sich nicht nur der Einbildung hingab, daß vielmehr Ammon als Philipp sein Vater sei, sondern weil er bereits auch seine Wertschätzung der persischen und medischen Einrichtungen durch Vertauschung der Kleidung und Umgestaltung des übrigen Hofstaates zu erkennen gab. Infolgedessen bedurfte er hierzu nicht auch noch der Verlockungen von Schmeichlern.“
Offenbar entwickelte Alexander als Folge seiner Ruhmsucht mit der Zeit die allerschlechtesten Eigenschaften.
Der Tod Alexanders
Als Alexander nach Babylon zurückkehrte, nachdem er in Indien heiße Schlachten geschlagen hatte, wurde er von Fieber befallen. Nach den königlichen Tagebüchern hatte er bereits Fieber, als er zweimal mit Medius bis tief in die Nacht hinein zechte. Alexanders Zustand verschlimmerte sich zusehends, dennoch opferte er, wie er das jeden Tag zu tun pflegte. Schließlich war er nicht mehr imstande zu sprechen.
Die Soldaten beharrten darauf, Alexander zu sehen. Arrianus berichtet, gestützt auf die königlichen Tagebücher:
„Allein er habe, so heißt es, sprachlos dagelegen, während die Leute an ihm vorüberschritten, habe aber doch, sein Haupt mühsam aufrichtend und mit den Augen zuwinkend, jedem noch die Hand gereicht.“
Etwa zwei Tage später starb Alexander im Alter von zweiunddreißig Jahren und acht Monaten. Es erging ihm genauso, wie gewisse Weise der Inder gesagt hatten:
„König Alexander, jeder Mensch nimmt nur soviel Erde ein, wie das ist, worauf wir stehen, du aber, obgleich nur ein Mensch gleichwie andere Menschen, außer daß du vielgeschäftig und übermütig bist, durchziehst von deiner Heimat aus so viele Länder der Erde, wobei du dir selbst und anderen Not und Mühe machst. Und doch in kurzem auch eine Leiche, wirst du dann nur soviel Erde einnehmen, wie zum Begräbnis deines Leibes ausreicht.“
Alexander schenkte den Reden Beifall, handelte aber dennoch anders. Sein Ehrgeiz trieb ihn zu Eroberungen an, bis seine Lebenskräfte aufgezehrt waren. Doch im Tod hatte er nicht mehr als andere Menschen.