Brauchen wir die Rechtsgelehrten?
„Das erste, was wir tun müssen, ist, daß wir alle Rechtsgelahrten umbringen“, läßt Shakespeare „Märten“ in dem Drama „König Heinrich VI.“ sagen. Und über Ivo (1253 bis 1303), den Schutzpatron der französischen Juristen, der wegen seiner tätigen Nächstenliebe und Verteidigung Hilfloser „Advokat der Armen“ genannt wurde, lesen wir: „Er war ein Rechtsgelehrter, aber kein Betrüger, was die Leute überraschte.“
Schon seit ältester Zeit besteht eine Abneigung gegen Juristen und Rechtsordnungen. Aber Bonmots wie die erwähnten sind nicht ganz objektiv. Es gibt viele gewissenhafte und tüchtige Juristen, die sich für Menschen, die unverschuldet in Schwierigkeiten geraten sind, einsetzen.
Rechtsgelehrte und Rechtsordnungen sind natürlich nicht imstande, alle Übel unserer modernen Zivilisation zu beseitigen. Wer mit der Rechtsordnung unzufrieden ist, beachte folgende Worte eines kanadischen Richters: „Das Durcheinander in der Rechtspflege spiegelt das Durcheinander in der Gesellschaft wider.“ Wie alle Institutionen der Menschen, so haben auch die Rechtsordnungen Licht- und Schattenseiten.
Zu den Schattenseiten zählt, daß der Zwang zur Befolgung der Gesetze lückenhaft und vielfach unwirksam ist. Die Statistik läßt unter anderem folgendes erkennen: überlastete Gerichte, teure Anwälte, unfaire Rechtsprechung, straflos ausgehende Delinquenten und Anstieg der Straftaten. Das Vertrauen der Öffentlichkeit schwindet.
Zu den Lichtseiten zählen die Gesetze und deren Durchsetzung. Beides ist für die Aufrechterhaltung einer Gesellschaftsordnung unerläßlich und für jedermann von Nutzen, nicht nur für Personen, die vor Gericht gehen. Die Tatsache, daß es einen Zwang zur Befolgung der Gesetze gibt — obgleich der Gesetzesvollzug seine Schwächen hat — schreckt manch einen davon ab, etwas Ungesetzliches zu tun. Das hat zur Folge, daß Leben und Eigentum des größten Teils der Bevölkerung verhältnismäßig sicher sind. Die Wirtschaft kann funktionieren — z. B. können Verbrauchsgüter, vor allem Lebensmittel, hergestellt werden —, weil es eine Rechtsordnung gibt, in der die Erfüllung von Verträgen und die Begleichung von Schulden erzwungen werden kann. Straftaten wie Mord, Einbruchdiebstahl und mutwillige Zerstörung werden zumindest bekämpft, wenn es nicht sogar gelingt, solch kriminellem Tun Einhalt zu gebieten.
Das zeigt, daß Juristen und Justiz — beides vielfach für selbstverständlich gehalten — den Menschen wertvolle Dienste leisten. Dennoch haben viele für Gerichte, Richter und Rechtsanwälte nicht viel übrig. Warum?