Das Problem des Alterns
IM Grunde genommen möchte keiner von uns alt werden. Wohl wünscht sich jeder die Früchte eines langen Lebens — Erfahrung und Weisheit —, doch von den körperlichen und geistigen Behinderungen, die das Alter mit sich bringt, möchte keiner etwas wissen. Auch sterben möchte niemand. Könnten wir selbst bestimmen, so würden wir uns sehr wahrscheinlich für Altersweisheit, verbunden mit Jugendkraft, entscheiden. Dieses Ziel hatte Ponce de León im Sinn, als er vor einigen hundert Jahren in Florida den „Jungbrunnen“ suchte.
Kann der Alterungsvorgang aufgehalten werden? Kann ein alter Mensch wieder jung werden? Wird es eines Tages soweit kommen, daß Altersweisheit und Jugendkraft Hand in Hand gehen, und zwar für immer? Diese Fragen können wir zuversichtlich mit JA beantworten. Wann wird das sein? Wie aus einem der nachfolgenden Artikel hervorgeht, wird es nicht mehr so lange dauern, wie der eine oder andere unserer Leser sich vorstellen mag.
Doch solange die Zeit noch nicht da ist, in der die alten Menschen wieder jung werden, sind wir gezwungen, uns mit den Problemen des Alters auseinanderzusetzen.
Sind es „goldene Jahre“?
Der letzte Lebensabschnitt ist von einigen als die „goldenen Jahre“ bezeichnet worden. Für den, der nicht von Krankheiten, Gewissensbissen oder Furcht geplagt wird, kann das Alter in der Tat eine köstliche Zeit des Friedens sein. Der Patriarch Abraham muß das Alter so erlebt haben, denn wir lesen in der Bibel: „[Abraham] starb in gutem Alter, alt und befriedigt“ (1. Mose 25:8).
Es gibt jedoch andere, die die letzten Lebensjahre nicht als „golden“ bezeichnen, sondern als „katastrophal“. Ein prominenter Mann wurde an seinem 70. Geburtstag gefragt, wie er das Alter empfinde. Antwort: „Wie einen Schiffbruch.“ Er verglich das Altwerden mit einem gestrandeten Schiff, das von Wind und Wellen zertrümmert wird. Und die in Boston lebende Psychologin Dr. Rebecca Black erklärte:
„Die Leute werden zu dem Glauben verleitet, daß sie nach ihrer Pensionierung immer glücklich leben würden, aber es wird sehr wenig getan, sie auf die Realitäten der Pensionierung vorzubereiten — und häufig kommt es dann zu einer Katastrophe.“
Der Gedanke an das Alter ruft somit widersprüchliche Vorstellungen hervor: Einerseits denkt man daran, daß es dann mit der Jugend vorbei sein wird, daß die Kräfte schwinden werden und einem vielleicht ein Tod in völliger Einsamkeit bevorsteht; andererseits, daß man im Leben etwas erreicht haben und deshalb geehrt und geachtet werden wird.
Diesen Widerspruch kann man in einem Leitartikel klar erkennen, den Daniel Calahan vom Institut für Gesellschaftswissenschaften, Völkerkunde und Wissenschaften vom Menschen verfaßte, als er 46 Jahre alt geworden war. Er schrieb:
„Für einen Menschen, der vor kurzem das 46. Lebensjahr erreicht hat, ist der Gedanke, daß der Lebensabend immer näher rückt, sowohl faszinierend als erschreckend.
Meine Kinder werden erwachsen sein, und ich werde wieder für mich leben können. Das ist faszinierend.
Beobachte ich aber die Älteren in meiner Umgebung, die einen großen Teil ihrer zusätzlichen freien Zeit mit Krankenbesuchen oder auf Beerdigungen ihrer alten Freunde zubringen und ruhelos nach etwas Ausschau halten, was sie in ihrer vielen freien Zeit tun könnten, kommen mir Zweifel. ...
Viele ältere Menschen sind in einem Heim, einer jener raffinierten Einrichtungen, die geschaffen wurden, um sicherzugehen, daß die Alten aus dem Wege sind. Die Aussicht, mein Leben an einem solchen Ort zu beschließen — wo ich nur eine Mauer vor Augen habe oder ewig vor der Flimmerkiste sitze —, versetzt mich in Angst. Allerdings ist diese Angst nur ein klein wenig größer als die Angst vor dem Altern selbst.“
Mehr alte Menschen
Durch die sozialen und medizinischen Fortschritte ist das Problem der in traurigen Verhältnissen lebenden Alten noch komplizierter geworden. Wieso? Durch die Fortschritte auf dem Gebiet der Medizin ist die Lebenserwartung gestiegen, doch die Lebensqualität der Betagten ist dadurch nicht viel besser geworden. In Mitteleuropa beträgt heute die Lebenserwartung eines Neugeborenen rund 30 Jahre mehr als vor 80 Jahren. Doch was nützt es, wenn diese zusätzlichen Jahre voller Sorgen und Nöte sind?
Heute werden mehr Leute alt, deshalb werden auch die mit dem Alter zusammenhängenden Probleme zahlreicher. Im deutschen Bundesgebiet gibt es jetzt über neun Millionen Menschen, die 65 Jahre oder älter sind. Sozusagen jede Familie hat mit dem Problem des Altwerdens zu tun, denn selten gibt es eine Familie, die nicht mindestens ein Mitglied im Alter von über 65 Jahren hat. Aus den Angaben des Statistischen Bundesamtes geht hervor, daß von den Deutschen, die 65 Jahre und älter sind, fast drei Millionen Frauen und über 500 000 Männer allein leben.
Da in vielen Ländern eine große Zahl von Personen ein höheres Lebensalter erreicht als früher, ist die Frage, was sie mit ihrem Leben anfangen sollen, zum brennenden Problem geworden. Der letzte Lebensabschnitt umfaßt in manchen Fällen so viele Jahre wie Kindheit und Jugend zusammengenommen. Wie verbringen solche Leute diese „gewonnenen“ Jahre?
Die Tatsache, daß der Geist länger jung bleibt als der Körper, vergrößert das Problem noch. Eine Gruppe von Psychologen berichtete, daß der Mensch im Alter von ungefähr 60 Jahren auf der Höhe seiner geistigen Leistungsfähigkeit sei und daß seine Geisteskräfte nur ganz allmählich abnehmen würden. Deshalb entsteht, sobald die körperlichen Kräfte zu schwinden beginnen, die Frage, womit man den Geist beschäftigen soll.
Probleme für andere
Natürlich müssen sich nicht nur die Älteren mit den Problemen des Alters auseinandersetzen, sondern auch jüngere Familienglieder müssen das tun. Zum Beispiel konnte man in der Zeitschrift Business Week lesen:
„Das schwierigste Familienproblem eines leitenden Angestellten im Alter von über 35 Jahren ist, abgesehen von der Erziehung seiner heranwachsenden Kinder und der Finanzierung ihres Universitätsstudiums, die Betreuung betagter Eltern.
Ein in New York lebender Direktor einer Versicherungsgesellschaft erklärte: ,Die Betreuung meiner 91jährigen Mutter hat uns sowohl in emotionaler als auch in finanzieller Hinsicht vollkommen durcheinandergebracht.‘ So wie ihm ergeht es vielen.“
Das Alter ist somit ein echtes Problem. Und immer mehr Personen müssen sich damit auseinandersetzen. Wie können sie es bewältigen und „befriedigt“ sein wie Abraham? Was können sie tun? Was können erwachsene Kinder für ihre betagten Eltern tun?
Und die wichtigste Frage ist wohl: Können alte Menschen wieder jung werden?