„Sollen wir unser Söhnchen beschneiden lassen?“
Wie ein Ehepaar zu seiner Entscheidung kam
WER ein Kind erwartet, mag sich mit dieser Frage auseinandersetzen. Auch wir hatten Grund, über die Frage nachzudenken, nachzulesen und sie zu besprechen, denn wir haben zwei Söhne. Und als Erforscher der Bibel waren wir vor allem deshalb an dem Thema interessiert, weil wir wußten, daß der große Arzt, Jehova, vor vielen Jahrhunderten den Nachkommen Abrahams das heilige Gesetz der Beschneidung gegeben hatte (1. Mose 17:10).
Aufgrund dieses besonderen Aspekts der Beschneidung verfolgten wir mit Interesse, warum in einigen Kreisen die Neigung besteht, die routinemäßig ausgeführte Beschneidung in Frage zu stellen. In den Vereinigten Staaten werden etwa 90 Prozent aller Neugeborenen männlichen Geschlechts routinemäßig beschnitten. Doch in letzter Zeit sind in verschiedenen medizinischen Zeitschriften Artikel erschienen, in denen sich der Schreiber jeweils dafür einsetzte, daß das nicht mehr geschieht.
In einigen dieser Artikel wurden ziemlich extreme Meinungen geäußert. Was in anderen stand, verdiente dagegen unsere Aufmerksamkeit als Eltern. Zum Beispiel wurde auf die mit einer Beschneidung verbundenen Gefahren hingewiesen. Auch Kinderpsychiater wurden zitiert wie der verstorbene Dr. Rene Spitz, der sagte: „Das ist eine der Grausamkeiten, die die Ärzte den Kindern gedankenlos zufügen.“
Solche Äußerungen interessieren Erforscher der Bibel, ganz gleich, ob sie Kinder haben oder nicht, denn sie fragen sich, ob Jehova seinem auserwählten Volk wirklich etwas gebot, was im Licht der heutigen Wissenschaft große Gefahren in sich birgt, ja sogar grausam ist. Wir wollten mehr über dieses Thema wissen.
Ursprung der Beschneidung
Ein Blick auf die Geschichte der Beschneidung läßt erkennen, daß sie schon seit sehr langer Zeit praktiziert wird. In einigen Fachbüchern kann man lesen, daß nur die Abnabelung als Operation noch älter ist als die Beschneidung. In Ärztebüchern wird manchmal das Fremdwort für Beschneidung, Zirkumzision (circum = rund; cision = Schnitt), verwendet. Unter Beschneidung versteht man die Entfernung der Vorhaut des männlichen Gliedes durch einen Rundschnitt. Dieser operative Eingriff ist nicht nur bei den Juden, sondern auch bei vielen anderen Völkern verbreitet.
Die heutige Medizin hat neue Gründe für den Glauben geliefert, daß die Beschneidung bei den Juden ein göttliches Gebot war, denn die Beschneidung bei den Juden ist in einer Hinsicht einzigartig: in bezug auf den Zeitpunkt. Über diese Einzigartigkeit schreibt der bekannte Dr. Alan F. Guttmacher:
„Es ist bemerkenswert, daß die Juden der alten Zeit, die auf dem Gebiet der Medizin und Hygiene viel Interessantes berichten, den achten Tag für den Eingriff festsetzten. Auf diesen Tag kamen sie wahrscheinlich durch die Erfahrung. Bei einer nicht geringen Zahl von Kindern, bei denen der Eingriff vor dem achten Tag vorgenommen wurde, traten wahrscheinlich gefährliche Blutungen auf, während Kinder, bei denen der Eingriff am achten Tag vorgenommen wurde, selten stark bluteten. Die heutige Medizin vermutet, daß das mit dem Vitamin K zu erklären sei. Dieses Vitamin ... trägt zur Blutgerinnung bei. ... Bei der Geburt befindet sich im Blut des Kindes verhältnismäßig wenig dieses Vitamins. Und in den ersten paar Tagen seines Lebens sinkt der Vitamin-K-Spiegel noch mehr ab, weil es dieses Vitamin erst dann selbst bilden kann, wenn es Bakterien mit der Nahrung aufgenommen hat. Dann beginnt der Darm des Säuglings, sein eigenes Vitamin K zu bilden, und der Vitamin-K-Spiegel steigt allmählich an, bis er, wenn das Kind eine Woche alt ist, die ausreichende Höhe erreicht hat.“
Erforscher der Bibel werden Dr. Guttmacher natürlich in einem Punkt widersprechen. Was von den Juden der alten Zeit überliefert ist — die Diagnose und Behandlung von Krankheiten, die Bedeutung reinen Wassers, die Quarantäne, der Wert häufigen Waschens und Badens sowie ihre Vorsichtsmaßnahmen im Umgang mit Blut, Tierleichen und Abfällen und ihr Standpunkt in bezug auf Geschlechtliches, einschließlich der Beschneidung am achten Tag —, ist nicht das Ergebnis ihrer Erfahrung, sondern diese Dinge wurden ihnen von Gott geoffenbart.
Auch ist das Vitamin K nicht der einzige Faktor, der bei dem von Gott vorgeschriebenen Zeitpunkt für die Beschneidung eine Rolle spielte. Prothrombin ist ein weiterer wichtiger Blutgerinnungsfaktor. Dr. S. I. McMillen schreibt, gestützt auf die Angaben in dem Buch Holt Pediatrics (Kinderheilkunde von Holt): „Der Säugling [hat] am dritten Tag erst 30 Prozent des normalen Prothrombins gebildet ... Ein ärztlicher Eingriff, der in diesen Tagen vorgenommen wird, kann zu ernsten Blutungen führen. ... das Prothrombin [steigt] am achten Tag zur übernormalen Höhe von 110 Prozent an ... Augenscheinlich hat ein acht Tage altes Baby mehr Prothrombin zur Verfügung als an jedem anderen Tag seines Lebens. Man kann nicht umhin festzustellen, daß ... der achte Tag als der geeignetste für die Beschneidung ausersehen wurde.“
Diese medizinischen Feststellungen, die, Tausende von Jahren nachdem Jehova Abraham geboten hatte, die Beschneidung am achten Tag auszuführen, gemacht wurden, sind bedeutsam. Man wird daran erinnert, daß Jehova nicht nur weiß, was für uns am besten ist, sondern daß er sein Wissen auch zu unserem Wohl anwendet.
Heute werden jedoch fast alle aus medizinischen Gründen vorgenommenen Beschneidungen vor dem achten Lebenstag ausgeführt. Warum? Es ist praktischer, den Eingriff vorzunehmen, solange das Kind noch im Krankenhaus ist.
Wir kamen zu der Überzeugung, daß die Beschneidung, wenn sie zu der vom Schöpfer vorgeschriebenen Zeit vorgenommen wird, mit keinem besonderen Risiko verbunden ist. Gegner der routinemäßig vorgenommenen Beschneidung sprechen indessen von „Risiken“. Wie groß sind die Risiken der Beschneidung heute?
Wir wägen die Gefahren sorgsam ab
Hauptmann E. Noel Preston, Chirurg bei den Luftstreitkräften der Vereinigten Staaten, zählt folgende Gefahren auf: Blutungen, Infektionen, Entfernung von zuviel Haut, Rißwunden, unvollständige Beschneidung (was zur Bildung von Verwachsungen und zu einer sekundären Penismißbildung führen könnte) und sogar versehentliche Amputation.
Offen gesagt, wir waren erschüttert, als wir diese Liste schrecklicher Möglichkeiten lasen. Aber nachdem wir darüber gesprochen hatten, begannen wir, die Dinge im richtigen Verhältnis zu sehen. Wir sagten uns, daß wir doch noch nie von einer der erwähnten Komplikationen gehört hatten — nicht einmal von einer kleinen Infektion, geschweige von einer Verstümmelung —, obschon wir in einem Land leben, in dem 90 Prozent aller männlichen Neugeborenen beschnitten werden. Wie sehen die Statistiken aus?
Aus einem Bericht ist ersichtlich, daß in England und Wales in den Jahren 1942 bis 1947 im Durchschnitt jährlich 16 Kinder an den Folgen der Beschneidung starben. Dagegen schreibt der Kinderarzt Dr. M. S. Eiger: „Ich praktiziere schon zehn Jahre in zwei großen New Yorker Krankenhäusern und habe es noch nie erlebt, daß eine Beschneidung ernste Komplikationen zur Folge hatte.“ Mehrere in den USA durchgeführte Untersuchungen bestätigen Dr. Eigers Erfahrung. In einem New Yorker Krankenhaus wurden in der Zeit von 1933 bis 1951 mehr als 10 000 Beschneidungen ausgeführt. Bei sechs Kindern gab es Komplikationen, die jedoch in keinem Fall tödlich ausgingen. Nur bei drei der 1 878 Kinder, die gemäß einer Statistik 1951 in Kalifornien beschnitten wurden, traten Blutungen auf, so daß genäht werden mußte, aber auch da kam es zu keinen Todesfällen. Und bei den mehr als 500 000 Beschneidungen, die von 1939 bis 1951 in der Stadt New York vorgenommen wurden, gab es nur einen einzigen Todesfall.
Aber ein Toter unter mehr als einer halben Million Beschnittenen ist dennoch tragisch. Wir fragten uns indessen, ob nicht auch diese vereinzelten „Pannen“ hätten vermieden werden können, wenn die Operation am „richtigen“ Tag ausgeführt worden wäre. Nach reiflicher Überlegung kamen wir zu dem Schluß, daß die Beschneidung, wenn sie am achten Tag von einem erfahrenen Arzt vollzogen wird, zu den geringsten Gefahren zählt, die unseren Jungen je drohen werden, und daß diese Gefahren im Verhältnis zu dem Nutzen, den die Operation sehr wahrscheinlich haben wird, geringfügig sind.
Erwarteter Nutzen
Da das Gebot der Beschneidung im ersten Jahrhundert unter göttlicher Leitung abgeschafft wurde, waren wir uns darüber im klaren, daß die Beschneidung für unsere Söhne keinen religiösen Nutzen hatte (Apg. 15:1-29; 1. Kor. 7:19). Wir waren uns auch darüber im klaren, daß die Vorhaut zur Schöpfung Jehovas gehört, daß für seine Diener, die vor Abraham lebten, kein Beschneidungsgebot bestand und daß auch für seine christlichen Anbeter kein solches Gebot besteht. Wir wußten, daß die Zukunft unserer Söhne als Diener des Höchsten von der wichtigeren ‘Beschneidung des Herzens’ abhängt, das heißt davon, daß sie alles aus dem Herzen ausmerzen, was Unreinheit begünstigen könnte (Röm. 2:29; Kol. 3:5-11).
In der Zeitschrift Science News Letter (31. Okt. 1964) wurde auf den praktischen Wert der Beschneidung wie folgt hingewiesen: „Der Grund für die Beschneidung ist Reinheit; man will verhindern, daß sich zwischen der Eichel — der Spitze des männlichen Gliedes — und der sie umgebenden Haut Smegmaa ansammelt, was eine Entzündung hervorrufen könnte.“ In einem Artikel der Zeitschrift Today’s Health wurde erklärt, daß „das Smegma ..., wenn es nicht entfernt wird ..., eine übelriechende Brutstätte für Bakterien wird, die Entzündungen und Infektionen hervorrufen“.
Gegner der routinemäßig vorgenommenen Beschneidung behaupten: „Wenn man einem Kind beibringen kann, die Schuhbänder zu binden, die Zähne zu putzen oder sich hinter den Ohren zu waschen, kann man es auch lehren, sich unter der Vorhaut zu waschen.“ Auf viele Kinder trifft das zweifellos zu. Aber leider muß ich sagen, daß unsere Jungen in all diesen Dingen nie sehr gewissenhaft oder gründlich gewesen sind. Und während Zahnfäule das Schlimmste ist, was auftreten kann, wenn man die Zähne nicht richtig putzt, sind mit einer unsauberen Vorhaut weit größere Gefahren verbunden.
Untersuchungen, die in Amerika, Europa und Asien durchgeführt wurden, lassen erkennen, daß die Zahl der Peniskrebserkrankungen unter unbeschnittenen Männern viel höher ist als unter beschnittenen. Dr. med. M. S. Eiger schreibt sogar: „Ein Mann, der als Kind beschnitten wurde, erkrankt praktisch nie an Peniskrebs.“ Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind so eindeutig, daß sogar ein Gegner der routinemäßig vorgenommenen Beschneidung in den USA offen zugibt: „Mangelhafte Sauberkeit der Geschlechtsorgane, unzureichende hygienische Einrichtungen und Geschlechtskrankheiten lassen in den Völkern und ethnischen Gruppen, die die Beschneidung nicht praktizieren, die Zahl der urogenitalen Krebserkrankungen ansteigen. Die Beschneidung wäre für diese Gruppen somit angezeigt.“
Dieser Arzt ist jedoch der Meinung, daß in den USA die routinemäßig durchgeführte Beschneidung nicht notwendig sei, weil (für die meisten Leute) gute Voraussetzungen für eine sorgfältige Körperpflege gegeben seien. In einem Artikel der Zeitschrift Woman’s Day hieß es: „Eine ausreichende Körperpflege bietet fast den gleichen Schutz vor Peniskrebs wie die Beschneidung.“
Unter den Jüdinnen ist der Gebärmutterhalskrebs — der dritthäufigste Krebs, dem die amerikanischen Frauen zum Opfer fallen — praktisch unbekannt. Viele Fachleute sind der Meinung, das sei damit zu erklären, daß die Juden die Beschneidung praktizierten.
In Jugoslawien wurde eine Untersuchung an beschnittenen emanzipierten Moslems und unbeschnittenen Nichtmoslems durchgeführt. Bei den Frauen der unbeschnittenen Nichtmoslems stellte man doppelt so viele Fälle von Gebärmutterhalsschädigungen, die bösartig werden können, fest wie bei den Frauen der beschnittenen emanzipierten Moslems (11 je 1 000 bei den ersteren und 5,5 je 1 000 bei den letzteren). Es ist interessant, daß diese Krankheit bei den orthodoxen Moslems (die die Beschneidung zur Zeit der beginnenden Geschlechtsreife zusammen mit anderen Formen der geschlechtlichen Hygiene vollziehen) überhaupt nicht vorkommt.
Ist die Beschneidung etwas Grausames? In unseren Augen ist der momentane Schmerz nicht zu vergleichen mit dem Schutz, den die Beschneidung bietet. Wir dachten daran, daß auch in dieser Sache wie in vielen anderen Dingen des Lebens das Wort gilt: „Besser ist das nachherige Ende einer Sache als ihr Anfang“ (Pred. 7:8). Wir erinnerten uns an die vielen guten Eigenschaften beschnittener Männer, und deshalb befürchteten wir nicht, daß die Persönlichkeit unserer Söhne durch den operativen Eingriff der Beschneidung geschädigt werden könnte.
Es war UNSERE Entscheidung
Wir waren uns darüber im klaren, daß nicht alle Eltern unsere Meinung teilen. Ganz gleich, ob Eltern für oder gegen die Beschneidung sind, ihr Standpunkt sollte von den anderen respektiert werden. Besonders wenn es sich um christliche Eltern handelt, haben sie diese Entscheidung, bei der es ja um ihre Kinder geht, sicherlich nicht leichtfertig gefällt. Ein christlicher Vater begründete seine Entscheidung wie folgt: „Gabriel war eine Frühgeburt, und wir wollten dem Kind, das schon genug zu kämpfen hatte, nicht noch die Beschneidungswunde zufügen. Natürlich wissen wir aufgrund der Gebote Jehovas, wie wichtig es ist, die Geschlechtsorgane rein zu halten, und wir haben das unserem Jungen auch eingeschärft.“
Andere Eltern mögen meinen, sie könnten für die Kosten der Operation nicht aufkommen oder in ihrer Nähe sei niemand, der diesen Eingriff vornehmen würde. Und schließlich mögen einige noch sagen, wenn Jehova die Beschneidung für unerläßlich halten würde, hätte er nicht veranlaßt, daß das alte Gebot für ungültig erklärt wurde.
Damit möchten wir unsere Betrachtung abschließen und denen die Entscheidung in dieser Frage überlassen, denen sie zusteht: den Eltern. (Eingesandt.)
[Fußnote]
a Absonderung der Eichel- und Vorhautdrüsen.