Die britische Monarchie — Wird sie die 1980er Jahre überleben?
Vom Awake!-Korrespondenten in Großbritannien
SEIT dem verhängnisvollen Jahr 1914 sind rund 30 Monarchien vom Schauplatz der Welt verschwunden. Sie waren entweder nicht fähig oder nicht bereit, sich den schnellen und drastischen Veränderungen der Staatsform anzupassen, die auf der ganzen Erde vor sich gegangen sind. Zu den Monarchien, die überlebten, gehört Großbritanniens Haus Windsor. In dieser kritischen Zeit ist es dem Prozeß der Demokratisierung nicht hinderlich gewesen, sondern hat sich mit der ehrenvollen, doch eingeschränkten Aufgabe begnügt, Repräsentationsfunktionen zu erfüllen.
Dennoch entstehen Fragen über seine Zukunft. Ist der Fortbestand der Monarchie für die Nation wichtig? Sind ihre Kosten in der heutigen Zeit großer Arbeitslosigkeit und Geldknappheit tragbar? Von welchem Nutzen ist sie? Möchte das Volk, daß sie fortbesteht? Solche Fragen werden von Bewunderern und von Gegnern gestellt. Vielleicht hast du dich all das auch schon gefragt.
Glanz vergangener Zeiten
Die britische Monarchie besteht bereits seit mehr als tausend Jahren. Während dieser Zeit stieg Großbritannien zur größten Weltmacht auf, die es je gab. Die autokratischen Mächte früherer Jahrhunderte schwanden jedoch dahin, während das Parlament immer stärker wurde und schließlich die eigentliche Macht ausübte. Ferner entließ Großbritannien in unserem Jahrhundert im Laufe weniger Jahrzehnte seine Kolonien, vereinigte sie zum Commonwealth unabhängiger Nationen und beschränkte sich auf das Mutterland. Von dem früheren Glanz ist nicht mehr viel übrig. Das, was noch vorhanden ist, lebt in der Monarchie weiter.
Etwas von dem früheren Glanz kommt in dem Schaugepränge zum Ausdruck, mit dem jedes Jahr die neue Sitzungsperiode des Parlaments eröffnet wird. In einer Staatskarosse fährt die Königin mit anderen Mitgliedern der königlichen Familie zum Parlamentsgebäude, begleitet von ihren Gardekavalleristen in prächtigen Uniformen. Mit großem Zeremoniell, das bis ins einzelne vorgeschrieben ist, werden die Mitglieder des Unterhauses in das Oberhaus (House of Lords) gerufen. Dort verliest die Königin die von der Regierung aufgesetzte Thronrede, in der das geplante Regierungsprogramm umrissen ist. Auf das Einhalten der alten Traditionen wird sorgfältig geachtet.
Ab und zu gibt es Gelegenheit für ein noch prunkvolleres Spektakel. Vielleicht hast du am 29. Juli 1981 im Fernsehen die Hochzeit des Prinzen von Wales verfolgt. Es war ein gewaltiges Schauspiel. Elf Kutschen, begleitet von 64 Kavalleristen, brachten das königliche Brautpaar und seine Angehörigen vom Buckingham-Palast die Mall hinunter und den Strand entlang zur St.-Pauls-Kathedrale. Etwa eine Million Zuschauer, darunter Tausende aus dem Ausland, säumten den Weg. Rund 700 Millionen Fernsehteilnehmer (ein Sechstel der Weltbevölkerung) verfolgten die glanzvolle Hochzeit — ein Schaugepränge, wie es die heutige Generation nur selten zu sehen bekommt. Den Briten gefiel es.
Die königliche Familie wurde dadurch um ein weiteres Mitglied bereichert: die Prinzessin von Wales, die bald neben der Königin das populärste Mitglied der Familie wurde. Gespannt erwarteten dann die Briten die Geburt von Dianas erstem Kind. Im Juni kam William zur Welt, der nach Kronprinz Charles an zweiter Stelle in der Thronfolge steht.
Die Rolle des Monarchen
Welche Aufgaben fallen in der britischen Monarchie der Königin zu? In der Pears Cyclopaedia heißt es: „Rechtlich steht sie an der Spitze der Exekutive, gehört der Legislative an, steht an der Spitze der Jurisdiktion, hat die oberste Befehlsgewalt über die Streitkräfte und ist das zeitliche Haupt der Kirche von England. In Wirklichkeit übt die Königin nur noch repräsentative Funktionen aus; sie ist nicht selbst regierende, sondern nur repräsentative Staatsspitze. In allen wichtigen Belangen handelt sie lediglich auf den Rat ihrer Minister hin. Doch als Oberhaupt des Staates und des Commonwealth übt sie immer noch wichtige Ehrenfunktionen aus.“
Was tut die Königin den ganzen Tag? In einigen Zeitungen werden täglich die Hofnachrichten veröffentlicht, aus denen hervorgeht, was für Termine sie und andere Mitglieder der königlichen Familie an dem entsprechenden Tag haben. So kann jeder wissen, was sie tut. Ein Leser der London Times zählte die von ihr 1981 erledigten Termine zusammen und schrieb in einem Brief an die Zeitung, die Königin habe 1981 weit über 400 öffentliche Verpflichtungen erfüllt, angefangen von offiziellen Besuchen im In- und Ausland bis zu Audienzen, feierlichen Amtseinsetzungen, dem Empfang von Gesandten, den wöchentlichen Besuchen des Premierministers usw. Sie liest die Instruktionen für ihre Termine, offizielle Berichte sowie die Sitzungsprotokolle des Kabinetts und muß viele Schriftstücke unterzeichnen. Offensichtlich hat sie viel zu tun. Allgemein ist man der Auffassung, daß die Königin ihre Aufgaben äußerst pflichtbewußt erfüllt. Wenn sie fremde Länder besucht, ist sie zweifellos Englands beste Botschafterin. Wie eine von Marplan durchgeführte Umfrage ergab, bewerteten die 774 Befragten die Arbeit der Königin aufgrund einer Skala von 1 bis 10 mit einem Durchschnitt von 9,1 Punkten.
Auch andere Mitglieder der königlichen Familie wie Prinz Philip, der Ehemann der Königin, und Kronprinz Charles haben ein volles Programm. Sogar die Königinmutter, Witwe von König George VI., die bereits über achtzig Jahre alt ist, repräsentiert die Krone noch bei vielen Veranstaltungen.
Manchmal wird gefragt, ob es notwendig sei, daß bei all diesen Anlässen Mitglieder der Königsfamilie zugegen seien. Würde es nicht genügen, wenn ein lokaler Würdenträger, wie zum Beispiel der Bürgermeister, eine solche Veranstaltung durch seine Anwesenheit beehrte? Die Veranstalter solcher Anlässe sind anderer Meinung. Wenn ein Mitglied der Königsfamilie zugegen ist, sind die Besucherzahlen viel höher, was zeigt, daß andere nicht so großes Interesse zu erwecken vermögen. Und dadurch, daß die Königin oder andere Mitglieder der Königsfamilie solche Aufgaben erfüllen, nehmen sie Regierungsmitgliedern zeitraubende Repräsentationspflichten ab.
Im allgemeinen betrachten die Briten die Monarchie als eine Art Familienerbstück. Obschon sie für sie eine Kostbarkeit ist und sie gern damit prunken, wirkt sie sich kaum auf ihr tägliches Leben aus. Aber es gibt auch Leute, die gegen die Kosten protestieren, die dieses prächtige Erbstück verursacht.
Die Kosten
Jedes Jahr gibt es im Parlament wegen des Unterhalts der königlichen Familie Streit, über den in der Presse viel berichtet wird. Entfacht wird er durch die Debatte über die „Zivilliste“. Das sind die zur Bestreitung des königlichen Haushalts von der Regierung vorgeschlagenen Beträge für ein weiteres Jahr. Sie besteht aus zwei Teilen: Bei dem einen handelt es sich um die Liste der Königin, und bei dem andern geht es um Beträge für andere Mitglieder der Königsfamilie.
Die Zivilliste der Königin für 1982/83 ist um 8 % erhöht worden und beträgt jetzt 3 541 000 Pfund Sterling. Rund drei Viertel davon werden für die Löhne der Angestellten des Königspalastes ausgegeben, angefangen von den Privatsekretären bis zu den Putzfrauen. Die Zivilliste für 1982/83 sieht auch 767 000 Pfund für die Unterstützung sieben weiterer Mitglieder der Königsfamilie vor. Aus den Etats der verschiedenen Ministerien werden zusätzlich 15 Millionen Pfund für den Unterhalt der Königspaläste, der königlichen Jacht, der sechs königlichen Flugzeuge, des königlichen Eisenbahnzuges usw. bezahlt.
Das englische Volk hat anscheinend kaum etwas dagegen, so große Summen für den Unterhalt der Monarchie auszugeben. Nach der erwähnten Marplan-Meinungsumfrage erklärten 76 Prozent der Befragten, die Vorteile der Monarchie seien viel größer als ihre Kosten.
Aber das ist nicht die Meinung aller. Wie die Times berichtete, soll ein Parlamentarier gesagt haben, die vorgeschlagene Zivilliste lasse erkennen, was diese Leute seien: „Ein habsüchtiger, geldgieriger Haufen, der nichts zur Lösung all der Probleme beiträgt, von denen das Land gequält wird. Die Zeit nähert sich eilends, wo das Volk dagegen aufstehen wird.“ Sollte das Volk jedoch diese Absicht haben, dann hat es, mindestens bis jetzt, wenig Neigung zu einem solchen Vorgehen gezeigt.
Die Rolle in der Kirche von England
Die Königin ist das zeitliche Oberhaupt der Kirche von England, was lediglich bedeutet, daß sie ihre Repräsentationsfigur ist. Sie hat keine kirchlichen Funktionen. Der Führer der anglikanischen Kirche ist anerkanntermaßen der Erzbischof von Canterbury. Soll ein Erzbischof oder Bischof neu ernannt oder in ein angeseheneres Bistum versetzt werden, schlägt eine aus sechzehn Mann bestehende Kommission dem Premierminister zwei Kandidaten vor. Dieser wählt dann einen der beiden aus und empfiehlt der Königin, ihn zu ernennen. Vor kurzem sollte für das Bistum London ein neuer Bischof ernannt werden. Die Kommission empfahl dem Premierminister zwei Geistliche, doch er lehnte beide ab und schlug der Königin einen anderen vor. „Das Oberhaupt der Kirche gab aufgrund des konstitutionellen Prinzips nach.“ Das zeigt deutlich, daß sich die gegenwärtige Königin mindestens in dieser Beziehung nicht wie König Heinrich VIII. verhält, der sich in kirchliche Angelegenheiten mischte.
Wie denken die Briten?
Ein wichtiger Grund für die heutige Popularität der Monarchie ist das Familienleben der Königin, Prinz Philips und ihrer vier, jetzt erwachsenen Kinder. Für viele ist es etwas Beglückendes, etwas Schönes, womit sie sich gern identifizieren; es ist beruhigend, zu sehen, daß die Glieder der vornehmsten Familie des Landes so geeint und einander so zugetan sind.
Doch wegen der vielen jungen Mitglieder des Königshauses und ihrer Vettern, die jetzt volljährig werden, schrieb ein Journalist, daß es nützlich wäre, ehe sie alt genug seien, um die Steuerlast der Zivilliste zu vergrößern, „über die Rolle, das Betätigungsfeld und die Größe der königlichen Familie nachzudenken“. Das mag in Zukunft ein heikles Problem werden.
Vielleicht sind die Briten mit ihrer Monarchie so zufrieden, weil sie konservativ sind und einen angeborenen Respekt vor Institutionen besitzen, die sich seit langem bewährt haben. Sie sind daran gewöhnt und scheuen eine Änderung. In ihren Augen bedeutet die Monarchie Stabilität und Kontinuität in einer sich ständig wandelnden Welt. Sie möchten nicht, daß ihr Staatsoberhaupt der Unberechenbarkeit der Wahlkämpfe ausgesetzt wird wie ihre Politiker. Die Macht ihrer Monarchin macht sie nicht nervös, denn verfassungsrechtlich besitzt sie nur wenig. Vielmehr sehen sie in ihr inmitten der Politiker, die auf Wunsch der Wählerschaft kommen und gehen, den ruhenden Pol. Sie machen die Krone nicht verantwortlich für die wirtschaftliche Lage des Landes und die drei Millionen Arbeitslosen. Das ist die Angelegenheit der Politiker. Da aber die Arbeitslosigkeit gegenwärtig so groß ist, rufen die hohen Kosten, die die große königliche Familie verursacht, jetzt doch heftige Kritik hervor.
Dennoch, so meinte die Zeitung The Economist, werde „die Demokratie mit einem Monarchen an der Spitze für Großbritannien die demokratischste Regierung bleiben, weil eine Umfrage im vergangenen Jahr [1980] ergab, daß 86 % der Briten sie wünschen, und in diesem Jahrhundert wird keine von Politikern angeführte Alternative die Zustimmung von 86 % erringen“. Somit scheint es den Briten zu gefallen, von Personen regiert zu werden, die sie selbst gewählt haben, das Staatsoberhaupt aber soll der Monarch bzw. die Monarchin sein.
[Herausgestellter Text auf Seite 5]
Eine Umfrage ergab, daß die Vorteile der Monarchie größer sind als ihre Kosten.