Geburtsvorbereitung — eine realistische Alternative
UM 4 Uhr früh setzten bei Carol die Uteruskontraktionen ein. Brian, ihr Mann, fuhr sie jedoch erst ins Krankenhaus, als sie intensiver wurden und in kürzeren Abständen auftraten.
Als die Aufnahmeformalitäten erledigt waren, kamen die Kontraktionen alle fünf Minuten. Nun begann Carol, wie sie es bei der Vorbereitung gelernt hatte, mit der Atmung für die „erste Phase“. Als die Kontraktionen alle zwei Minuten kamen, ging Carol auf die Atmung für die „zweite Phase“ über. Ein Arzt untersuchte sie und erklärte, bis zur Geburt werde es noch eine Weile dauern. Kaum hatte er den Kreißsaal verlassen, kamen die Kontraktionen in noch kürzeren Abständen. Nun begann sie mit der Atmung für die „dritte Phase“.
Und wo war Brian, ihr Mann? Schritt er nervös vor dem Kreißsaal auf und ab? Nein. Brian war bei seiner Frau und gab ihr während der Geburtsarbeit Anleitung und, was wahrscheinlich am wichtigsten von allem war, moralische Unterstützung.
Nun begann die Geburt. Brian stand (buchstäblich) hinter seiner Frau und stützte ihren Kopf und ihre Schultern, während sie auf die Befehle des Arztes hin preßte. Innerhalb weniger Minuten war ein 4,5 Kilogramm schweres Mädchen geboren, und zwar ohne schmerzstillende oder beruhigende Medikamente. Weil sich beide Eltern gut auf die Geburt vorbereitet hatten, konnten sie gemeinsam aktiv daran mitwirken. Und da Carol zur Entbindung in die Klinik gegangen war, hätten Ärzte sofort eingreifen können, falls Komplikationen aufgetreten wären.
Diese Geburt war ganz anders als die des Kindes, das sie zehn Jahre zuvor zur Welt gebracht hatte. Damals war Carol auf die Geburtsarbeit überhaupt nicht vorbereitet. Als sie merkte, daß sie wieder schwanger war, dachte sie, es müsse doch eine bessere Methode geben.
Die Lamaze-Methode
Dieses Ehepaar entschied sich für die von dem französischen Geburtshelfer Dr. Fernand Lamaze entwickelte Methode. Nachdem dieser Arzt 1952 in Paris einer Gynäkologentagung beigewohnt hatte, wo russische Fachleute die kurz zuvor von ihnen entwickelten Methoden zur Verringerung der Geburtsschmerzen vorgestellt hatten, reiste er nach Rußland, um mehr darüber zu erfahren. Er änderte diese Methoden etwas ab (zum Beispiel entwickelte er eine bestimmte Atemtechnik), und dann führte er sie in seiner Praxis ein.
Seit jener Zeit gibt es immer mehr Frauen, die die herkömmliche Routineentbindung (bei der Schmerzmittel verabreicht werden) ablehnen, obschon diese Art der Entbindung in vielen Ländern praktiziert wird. Warum lehnen sie sie ab? Manche Eltern sind besorgt wegen der verhältnismäßig hohen Säuglingssterblichkeit in Ländern, in denen die traditionelle Klinikgeburt die Regel ist. Viele machen sich Gedanken über den Geburtsablauf und möchten besser informiert sein. Dann gibt es auch Eltern, die bei der Geburt ihres Kindes aktiver mitwirken möchten. Und die Ärzte geben zu, daß es sich günstig auf die Geburt auswirkt, wenn Vater und Mutter gut darauf vorbereitet sind. „Schließlich bringen nicht die Ärzte die Kinder zur Welt“, sagte Dr. Murray Enkin, „sondern die Frauen.“
Die neuen Geburtsvorbereitungsmethoden haben deshalb im Kreißsaal zu einer Art Revolution geführt. In seinem 1956 veröffentlichten Buch L’accouchement sans douleur (Die schmerzlose Geburt) schreibt Dr. Lamaze: „Eine Frau lernt zu gebären, wie sie das Schwimmen, Schreiben oder Lesen erlernt.“ Viele Ärzte erkennen nun, wie wertvoll es ist, wenn die Frau sich körperlich, seelisch und geistig auf die Geburt vorbereitet und der Mann ihr helfen kann, indem er sie anleitet und unterstützt.
Wie funktioniert das?
Die Geburtsvorbereitung beginnt, indem das Ehepaar einen Entbindungskurs belegt. Dort wird die Frau darauf vorbereitet, die Geburt als ein schönes Erlebnis anzusehen. Der Unterricht erstreckt sich auf die Physiologie der Schwangerschaft, die verschiedenen Stadien der Entbindung, aber auch auf die Atem- und Entspannungstechnik, die Carol so wirkungsvoll angewendet hat.
Diese Methoden dienen dann dazu, die Frau während der Entbindung abzulenken, so daß sie die Gebärmutterkontraktionen nicht als so schmerzhaft empfindet. Natürlich wird die Geburt nicht völlig schmerzlos oder ganz ohne Beschwerden verlaufen. Die Bibel zeigt, daß schon von der ersten menschlichen Geburt an mit dem Kindergebären Schmerzen verbunden waren (1. Mose 3:16). Aber diese Schulung hilft der Schwangeren, der Geburt positiver entgegenzusehen, und sie mag deshalb die Geburtsschmerzen erträglicher finden. Häufig sind keine schmerzstillenden Mittel notwendig oder nur in geringem Maße.
Die Vorteile
Das Bild von einem nervösen Vater, der im Wartezimmer aufgeregt auf und ab geht, ist überholt. Viele Männer erkennen jetzt, daß nicht nur die Geburt besser verläuft, wenn sie dabei sind und die Frau moralisch unterstützen, sondern daß es sich auch günstig auf ihre Ehe auswirkt. Eine für diese Unterstützung dankbare Frau sagte: „Ich finde es wundervoll, wenn der Mann bei seiner Frau im Kreißsaal sein darf. Mein Mann war bei der Geburt unseres Sohnes anwesend, und er spricht immer noch von diesem Tag.“
Eine in den Niederlanden (wo sich über 80 Prozent der Schwangeren gut auf die Geburt ihres Kindes vorbereiten) durchgeführte Erhebung ergab, daß nicht einmal fünf Prozent der Frauen während der Geburt Medikamente benötigen. Dabei profitiert das Kind wahrscheinlich am meisten. Wie der Kinderarzt T. Berry Brazelton bemerkte, ergab „eine Studie, durchgeführt an einer Gruppe von Brustkindern, daß diejenigen, deren Mütter keine Medikamente erhalten hatten, 24 bis 48 Stunden früher anfingen, sich zu erholen und an Gewicht zuzunehmen, als die Kinder von Müttern, die Medikamente erhalten hatten. Für mich ist das ein Hinweis, daß die Milchproduktion der Mütter, als sie noch unter dem Einfluß der Medikamente standen, behindert war.“
Auch Dr. N. J. Eastman schrieb in einem Leitartikel der Fachschrift Obstetrical and Gynecological Survey etwas Ähnliches über die Folgen, die es hat, wenn eine Schwangere während der Geburt Medikamente erhält: „Hat die Mutter Beruhigungsmittel erhalten, so setzt die Atmung gewöhnlich nicht sofort und nicht so kräftig ein, wie wenn sie keine bekommen hat.“
Aus Studien, über die in der Fachschrift Johns Hopkins Magazine berichtet wurde, geht hervor, daß sich wahrscheinlich jedes Medikament — sei es ein Beruhigungsmittel oder ein Anästhetikum —, das während des Geburtsvorgangs gegeben wird, nachteilig auf den Fetus auswirkt. Diese Studien lassen erkennen, daß fast alle Medikamente die Eigenschaft haben, die Funktion eines Enzyms, das Sauerstoff bindet, zu behindern, wodurch der Sauerstofftransport über die Plazenta zum Baby reduziert wird. Bei der natürlichen Geburt jedoch, auf die sich Mann und Frau gut vorbereitet haben, sind solche Medikamente in der Regel unnötig.
Engere Bindung
Forscher haben noch einen weiteren Vorteil der Geburtsvorbereitung ermittelt: eine engere Bindung zwischen den Eltern und ihrem Baby. Gewöhnlich geht eine vorbereitete Geburt schneller und glatter vor sich, dennoch darf man nicht erwarten, daß eine solche Geburt unter allen Umständen rasch und problemlos verläuft. Eine Mutter, die eine leichte Geburt hatte, mag ihrem Kind gegenüber durchaus positiver eingestellt sein als eine Mutter, die eine schwere Geburt gehabt hat. Und ein Vater, der bei der Geburt seines Kindes dabeisein darf, erlebt die Entstehung einer einzigartigen Beziehung zu ihm. Zum Beispiel sagte ein Vater: „Ich habe mit meinem Sohn von seiner Geburt an ein inniges Verhältnis. Natürlich beteilige ich mich auch an seiner Pflege, und ich glaube, daß das einen bedeutsamen Einfluß auf unser Verhältnis haben wird, wenn er älter ist.“ Ein anderer Vater sagte etwas Ähnliches: „Ich war erstaunt, wie nützlich unser Training [die Geburtsvorbereitung] war. Die Übereinstimmung, die zwischen meiner Frau und mir in Beziehung auf das Kind besteht. ist erstaunlich.“
Unterricht
Natürlich ist die Methode, die ein Ehepaar wählt, eine ganz persönliche Entscheidung. Kinder — sie mögen nach der herkömmlichen Methode oder mit Hilfe der Geburtsvorbereitungsmethode entbunden werden — sind ein Segen (Psalm 127:3). Möchtest du dich jedoch über die Lamaze-Methode genauer informieren, so kannst du dich vielleicht an ein Krankenhaus oder an deinen Hausarzt wenden. Die Statistik läßt erkennen, daß nur eine kleine Minderheit von werdenden Eltern die Möglichkeit ergreift, einen Vorbereitungskurs zu besuchen. Manche ziehen es vor, sich die erforderlichen Kenntnisse durch eines der ausgezeichneten Bücher zu erwerben, die gegenwärtig erhältlich sind. So haben es Brian und Carol gemacht.
Ein Kind zur Welt zu bringen und zu erziehen ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Man sollte sich jedoch nicht davor fürchten oder sich übertriebene Sorgen machen. Für manche Eltern wird die Geburtsvorbereitungsmethode eine nützliche und realistische Alternative sein.
[Herausgestellter Text auf Seite 14]
„Ich finde es wundervoll, wenn der Mann bei seiner Frau im Kreißsaal sein darf.“
[Herausgestellter Text auf Seite 15]
Ein Vater, der bei der Geburt seines Kindes dabeisein darf, erlebt die Entstehung einer einzigartigen Beziehung zu ihm.