Insekten — Freunde oder Feinde?
Vom „Awake!“-Korrespondenten in Peru
DIE Zuhörerschaft war von den Ausführungen des Redners so gefesselt, daß sie die tropische Hitze und die feuchte Schwüle im Raum ganz vergaß. Plötzlich schoß ein riesiges, blaugrün schillerndes Insekt durchs Fenster herein! Eine Nordamerikanerin, die mit der Tierwelt des Landes nicht vertraut war, schrie um Hilfe, während der Eindringling unbeirrt auf sie zuschwirrte.
Ihre erste Reaktion war, mit ihrem Notizbuch nach ihm zu werfen. Als der Störenfried sich jedoch weiterhin für sie interessierte, wandte sie sich hilfesuchend an ihren Mann. Die Lage normalisierte sich, als man entdeckte, daß es nichts anderes als eine harmlose Heuschrecke war.
Wie hättest du reagiert? Ohne Zweifel werden einige durch Insekten in sehr große Aufregung versetzt. Ist eine solche Reaktion aber immer angebracht? Oder anders gefragt: Sind Insekten Freunde oder Feinde? „Insekten sind eine große Plage“, magst du sagen. „Sie beißen. Sie stechen. Sie verderben einem die Freude an Picknicks. Wozu sind sie eigentlich gut?“
Dennoch spielen diese kleinen Geschöpfe hier auf der Erde im Haushalt der Natur eine wichtige Rolle. Die Angst vor ihnen mag sich legen, wenn man mit der Welt der Insekten besser vertraut wird.
Die zahlreichste Familie auf der Erde
Der Mensch hat schon fast eine Million Insektenarten beschrieben — mehr Arten als die aller anderen Tiere zusammengenommen. Wenn du jeden Tag die Namen von einhundert Arten lernen würdest, brauchtest du mehr als 27 Jahre, bis du dir die Namen aller bekannten Arten eingeprägt hättest. Wie aber aus einigen Quellen hervorgeht, gibt es noch Millionen unbekannter Insektenarten.
Genaugenommen ist nicht jedes kleine Geschöpf, das krabbelt, ein Insekt. Woran kann man ein Insekt erkennen? Es ist sehr einfach. Sein Körper läßt sich in drei Teile aufteilen (Kopf, Brust und Hinterleib). Es hat ein Paar Fühler. Nun zähle seine Beine. Sind es sechs, handelt es sich um ein Insekt. Sind es mehr oder weniger als sechs, dann ist es keines. Von den Spinnen mit ihren vier Beinpaaren kann man somit eigentlich nicht als von Insekten sprechen, sondern sie gehören zur Klasse der Arachnida.
Auf welche Weise tragen die Insekten zur Erhaltung des Lebens auf der Erde bei? Nun, der Mensch schätzt die Aufgabe der Insekten wie der Bienen und Schmetterlinge bei der Bestäubung der Pflanzen. Und wie ist es mit den Ameisen? Auf nur einem Hektar bewegen diese winzigen Insekten pro Jahr mehrere Tonnen Erdreich, das so gelockert und belüftet wird. Schaben und Käfer verzehren faulende Substanzen, und durch ihre Ausscheidungen wird der Boden gedüngt. Eine Anzahl Insekten, wie zum Beispiel Heuschrecken, Grillen, Termiten, Ameisen und große Käfer, dienen dem Menschen als Nahrung. Die Insekten liefern uns Honig, Bienenwachs, Seide, Schellack, Farbstoffe und Substanzen von medizinischem Wert.
Es mag eigenartig klingen, aber Insekten tragen zur Freude des Menschen bei. Vielleicht hast du dich schon an einem warmen Sommernachmittag an dem Zirpen einer Grille oder dem Summen fleißiger Bienen erfreut und in der Dunkelheit dem Tanz der Glühwürmchen zugesehen. Im Dschungelgebiet des Amazonas kann man sogar Kinder beobachten, die große Käfer an einer Leine führen.
Es stimmt, einige Insekten sind eine schreckliche Plage oder übertragen Krankheiten. Die meisten von ihnen sind jedoch keine Feinde. Vielmehr vernichten sie Unkraut oder dienen einfach Fischen, Vögeln, Reptilien, Säugetieren und anderen Insekten zur Nahrung. Sehen wir uns einige von ihnen etwas näher an.
Die Wanderameisen
Hast du je den unaufhaltsamen Zug aggressiver Ameisen beobachtet? Der Raubzug Hunderttausender Wander- oder Treiberameisen ist eines der furchterregendsten Schauspiele in der Welt der Insekten. Alles, was auf ihrem Weg liegt, wird von diesen Militärkolonnen überwältigt; von einem angebundenen Pferd oder einem schlafenden Python kann man nach wenigen Stunden nur noch die Knochen sehen! Im Unterschied zu anderen Ameisenarten bauen die tropischen Wanderameisen keine Hügel, sondern sie ziehen in Schwärmen aus, die bis zu 15 Meter breit sind, und sie sind fast immer auf dem Vormarsch.
Spähtrupps aus Soldaten mit großen Köpfen und furchterregenden, sensenähnlichen Freßwerkzeugen bestimmen den Weg, indem sie die Strecke chemisch markieren. Das Ameisenheer folgt ihrer Fährte. Ungefähr vierzehn Tage lang ist diese Expedition unterwegs, die sich nur bei Tageslicht weiterbewegt und dabei täglich ungefähr 200 Meter zurücklegt. Auf ihrer unersättlichen und wilden Jagd nach Nahrung sind die Ameisen besonders darauf bedacht, die mitgeführten geschlüpften Larven zu füttern. Der Vormarsch wird unterbrochen, wenn die Königin ihre 100 000 bis 300 000 Eier ablegt. Sobald nach ungefähr 20 Tagen aus diesen Eiern hungrige Larven geworden sind, wird die Wanderung fortgesetzt. Und man stelle sich nur einmal vor: Dieses furchterregende Heer von Kriegern und Arbeitern ist bei seiner übereifrigen Tätigkeit auch noch blind!
Die Wanderameisen gleichen dem sprichwörtlichen „neuen Besen, der gut kehrt“, denn auf ihrem Weg fallen ihnen alle Maden, Raupen oder anderen Tiere zum Opfer, die von ihnen überrascht werden. Einige Einheimische sehen es nicht einmal so ungern, wenn die Ameisen durch ihre einfach gebauten Häuser ziehen und sie vollständig gereinigt zurücklassen.
Groß und entzückend
Nicht alle Insekten sind häßlich. Manche sind unwiderstehlich schön, wie zum Beispiel die Schmetterlinge. Meinst du nicht auch? Die verschiedenen exotischen Schmetterlingsarten bieten in ihrer Farbenpracht einen wahrhaft atemberaubenden Anblick. Einige sind so groß wie Vögel und sind aufgrund ihrer Größe und Leuchtkraft Hunderte von Metern weit zu sehen. Die Morphofalter sind besonders bewundernswert. Ihre schillernde blaue Färbung ist so faszinierend, daß man die Falter hinter Glas in Bilderrahmen gefaßt hat und als Wandschmuck verwendet, der jedem Gemälde ebenbürtig ist.
Wie groß sind die Schaben in deiner Heimat? Wie groß sind sie im Vergleich zu der südamerikanischen Blaberus giganteus? Mit einer Länge von ungefähr 5 cm ist sie eine der größten der Welt. Und wie sieht es mit den Motten in deinem Land aus? Wie würdest du empfinden, wenn eine Motte mit einer Flügelspannweite von ungefähr 30 cm auf dich zuflöge? So groß ist der Eulenfalter Südamerikas. Im brasilianischen Dschungelgebiet lebt die größte Ameise der Welt, Dinoponera gigantea. Sie ist über 2,5 cm lang. Hast du je eine so große Ameise gesehen?
Der Sandfloh — eine Röhre ohne Flügel
Auf der Welt gibt es ungefähr 1 400 verschiedene Arten von Flöhen. Hast du es schon einmal erlebt, wie unangenehm es ist, ihre Bekanntschaft zu machen? Zwar möchte niemand von Flöhen gebissen werden, aber ihre Gegenwart ist ein guter Hinweis darauf, der gründlichen Reinigung seines Hauses und der Pflege seines Haustieres mehr Aufmerksamkeit zu schenken, denn der Floh lebt nicht auf seinem Wirt, sondern ernährt sich von ihm.
Entlang der Küste Perus und in anderen Gebieten Zentral- und Südamerikas lebt der lästigste Vertreter der Flohfamilie — der Sandfloh. In Peru ist er unter dem Namen pique bekannt. Die befruchteten Weibchen heften sich beim Vieh, zum Beispiel bei Rindern oder Schweinen — oder Menschen —, an die Füße und durchdringen die weiche Haut zwischen den Zehen, unter den Zehennägeln oder an irgendeiner anderen weichen Stelle.
Das Flohweibchen drängt sich so weit unter die Haut, daß nur noch das Ende seines Hinterleibes herausragt. Die Öffnungen des Atmungsapparats, der After und die Legeröhre bleiben somit außerhalb des Opfers. Danach schwillt der Hinterleib innerhalb weniger Tage auf die Größe einer kleinen Erbse an, und schließlich werden mehrere tausend Eier ausgestoßen, die dann auf den Boden fallen. Wenn das Flohweibchen stirbt, verbleibt es in der Schwellung, die es bei seinem Wirt verursacht hat. Dadurch kommt es zu einer Entzündung, und wenn diese vernachlässigt wird, kann eine ernste Infektion oder ein Wundstarrkrampf die Folge sein; oder es kann sogar die Amputation einer Zehe nötig werden. Allerdings kommt dies selten vor, da das Insekt schnell bemerkt wird und das Opfer es vorzieht, die Schmerzen zu erdulden, die beim Entfernen des splitterförmigen Verursachers der Schwellung entstehen.
Wie viele Namen der fast eine Million bekannten Insektenarten kennst du? Kannst du die charakteristischen Merkmale derer, die du kennst, näher beschreiben? Der Gedanke an eine gründliche Erforschung aller Einzelheiten ist überwältigend. Welch eine faszinierende Aufgabe!
Wenn du also das nächste Mal einen Stein umdrehst, den Erdboden umgräbst oder ein Summen in der Luft hörst, dann schrecke nicht in dem Gedanken an einen möglichen Feind zurück — betrachte deinen möglichen Freund aus der Nähe. Zweifellos wirst du dabei auf Schönheit und Zweckmäßigkeit stoßen, vielleicht etwas belustigt sein und genug Neues für weitere Untersuchungen und Beobachtungen entdecken.
[Bild auf Seite 20]
Wanderameisen überwältigen alles, was auf ihrem Weg liegt
[Bilder auf Seite 21]
Einige Schmetterlinge sind so groß wie Vögel
Südamerikanische Großschabe (Originalgröße)