Was ist Kunst?
VON UNSEREM KORRESPONDENTEN IN SPANIEN
WAS war der schönste Anblick, der sich einem jemals geboten hat? War es ein Sonnenuntergang in den Tropen, eine schneebedeckte Gebirgskette, Blumenreichtum in der Wüste oder vielleicht ein prächtig gefärbter Herbstwald?
Die allermeisten genießen solch einen besonderen Moment, wenn sie von der Schönheit der Erde gefesselt sind. Wenn möglich, verbringt man seinen Urlaub in einer paradiesischen Gegend, und die unvergeßlichsten Momente werden mit der Kamera festgehalten.
Wenn wir das nächste Mal über die unberührte Natur staunen, könnten wir uns einige Fragen stellen. Angenommen, wir besuchen eine Kunstgalerie. Würden wir nicht irgend etwas vermissen, wenn unter jedem Gemälde „anonym“ stände? Würden wir auf einer Ausstellung nicht gern wissen, welcher Künstler die Gemälde geschaffen hat, deren Ausführung und Schönheit uns tief berühren? Sollten wir uns damit zufriedengeben, die Schönheiten der Erde zu betrachten, ohne uns für den Künstler zu interessieren, der sie geschaffen hat?
Natürlich behaupten einige, in der Natur gebe es keine Kunst — Kunst setze schöpferisches Können und Interpretation des Menschen voraus. Solch eine Definition von Kunst ist jedoch vielleicht zu eingeschränkt. Was genau ist Kunst?
Die Definition von Kunst
Wahrscheinlich gibt es keine Definition von Kunst, die jeden zufriedenstellt. Eine recht brauchbare Definition ist in Webster’s Ninth New Collegiate Dictionary zu finden: Kunst ist „die bewußte Umsetzung von Können und kreativer Phantasie, bes[onders] bei der Produktion ästhetischer Gegenstände“. Demnach muß ein Künstler sowohl Können als auch kreative Phantasie besitzen. Läßt er diese beiden Gaben zusammenwirken, erzeugt er etwas, was andere ansprechend finden.
Zeigen sich Können und Phantasie nur in Kunstwerken von Menschen? Oder sind sie auch in der Natur um uns herum zu finden?
Die hoch aufragenden Küstenmammutbäume Kaliforniens, die ausgedehnten Korallenbänke im Pazifik, die mächtigen Wasserfälle der Regenwälder und die eindrucksvollen Herden der afrikanischen Savannen — sie alle sind in verschiedener Hinsicht wertvoller für die Menschheit, als es die Mona Lisa ist. Aus diesem Grund hat die UNESCO (Organisation der Vereinten Nationen für Bildung und Erziehung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation) den Redwood-Nationalpark (USA), die Iguaçufälle (Argentinien/Brasilien), das Große Barriereriff (Australien) und den Serengeti-Nationalpark (Tansania) als Teil des „Welterbes“ der Menschheit erklärt.
Diese Naturschätze sind neben den von Menschenhand geschaffenen Denkmälern in das Welterbe aufgenommen worden. Wieso? Es soll all das bewahrt werden, was von „außergewöhnlich universellem Wert“ ist. Nach Ansicht der UNESCO verdienen es diese Denkmäler, für künftige Generationen bewahrt zu werden, sei es nun die Schönheit des Tadsch Mahal (Indien) oder die des Grand Canyon (USA).
Allerdings muß man nicht einmal in einen Nationalpark fahren, um sich kreatives Können anzusehen. Ein herausragendes Beispiel ist unser eigener Körper. Für die Bildhauer im alten Griechenland war der menschliche Körper der Inbegriff künstlerischer Vollendung, und sie waren bestrebt, ihn so perfekt wie möglich darzustellen. Mit dem heutigen Wissen um die Funktionsweise des Körpers muß man die meisterhafte Geschicklichkeit, die zu seiner Erschaffung nötig war, noch mehr anerkennen.
Wie steht es mit der kreativen Phantasie? Denken wir an das prächtige Muster der aufgerichteten Schwanzfedern eines Pfaus, an die zarte Blüte einer Rose oder an das Hochgeschwindigkeitsballett eines schillernden Kolibris. Gewiß waren diese künstlerischen Leistungen schon Kunst, bevor sie auf die Leinwand projiziert oder im Bild festgehalten wurden. Ein Schreiber der Zeitschrift National Geographic, der von den lavendelblauen Staubfäden der Taccalilie fasziniert war, fragte einen jungen Wissenschaftler nach deren Zweck. Die Antwort lautete ganz einfach: „Sie sind ein Zeugnis für die Phantasie Gottes.“
Die vielen Beweise für die kreative Phantasie und die Geschicklichkeit in der Natur haben Künstler schon immer inspiriert. Der berühmte französische Bildhauer Auguste Rodin sagte einmal: „Der Künstler ist der Vertraute der Natur. Durch die anmutige Biegung ihrer Stiele, durch die harmonischen Nuancen ihrer Blüten halten die Blumen Zwiesprache mit ihm.“
Einige Künstler geben bei dem Versuch, der natürlichen Schönheit nachzueifern, offen ihre Grenzen zu. „Das wahre Kunstwerk ist nur eine schlechte Kopie der göttlichen Perfektion“, gestand Michelangelo, der als einer der größten Künstler aller Zeiten gilt.
Sowohl Künstler als auch Wissenschaftler sind von der Schönheit der Natur überwältigt. Paul Davies, Professor für mathematische Physik, erklärt in seinem Buch Der Plan Gottes: „Selbst hartgesottene Atheisten spüren oft das, was man ein Gefühl der Verehrung für die Natur nennen könnte, Faszination und Respekt für die Tiefe und Schönheit, die religiöser Ehrfurcht nahe kommen.“ Was sollte uns das lehren?
Der Künstler hinter den Kunstwerken
Ein Kunststudent lernt etwas über einen Künstler, um dessen Kunst verstehen und würdigen zu können. Er erkennt, daß die Werke des Künstlers ein Spiegelbild seiner Persönlichkeit sind. Ebenso spiegelt die Natur die Persönlichkeit ihres Schöpfers, des allmächtigen Gottes, wider. „Seine unsichtbaren Eigenschaften werden ... durch die gemachten Dinge [deutlich gesehen]“, erklärte der Apostel Paulus (Römer 1:20). Der Erschaffer der Erde ist auch keineswegs anonym geblieben. Paulus sagte zu den athenischen Philosophen seiner Tage, daß „[Gott] einem jeden von uns nicht fern ist“ (Apostelgeschichte 17:27).
Die Kunstwerke in der Schöpfung Gottes sind weder zufällig entstanden, noch sind sie sinnlos. Sie bereichern nicht nur unser Leben, sondern sie geben auch Auskunft über das Können, die Phantasie und die Erhabenheit des größten Künstlers überhaupt, des überragenden Konstrukteurs, Jehova Gott. Im folgenden Artikel wird behandelt, wie wir durch die Natur den genialsten Künstler kennenlernen können.
[Bildnachweis auf Seite 3]
Musei Capitolini (Rom)