Kapitel 16
Zusammenkünfte — zur Anbetung, Unterweisung und Ermunterung
VERSAMMLUNGSZUSAMMENKÜNFTE spielen bei der Tätigkeit der Zeugen Jehovas eine wichtige Rolle. Selbst unter äußerst schwierigen Umständen bemühen sie sich, die Zusammenkünfte regelmäßig zu besuchen, und zwar im Einklang mit der biblischen Ermahnung: „Laßt uns aufeinander achten zur Anreizung zur Liebe und zu vortrefflichen Werken, indem wir unser Zusammenkommen nicht aufgeben, wie es bei einigen Brauch ist, sondern einander ermuntern, und das um so mehr, als ihr den Tag herannahen seht“ (Heb. 10:24, 25). Jede Versammlung hält, sofern möglich, dreimal in der Woche Zusammenkünfte ab, die alles in allem 4 Stunden und 45 Minuten dauern. Allerdings wechselte die Art und die Häufigkeit der Zusammenkünfte, je nachdem, was jeweils erforderlich war.
Im ersten Jahrhundert waren Kundgebungen der Wundergaben des Geistes ein wichtiger Bestandteil der christlichen Zusammenkünfte. Weshalb? Durch diese Gaben bezeugte Gott, daß er sich nicht mehr des jüdischen religiösen Systems bediente, sondern daß sein Geist nun auf der neugegründeten Christenversammlung ruhte (Apg. 2:1-21; Heb. 2:2-4). Während der Zusammenkünfte der ersten Christen wurde gebetet, zum Lobpreis Gottes gesungen und besonderer Wert auf das Prophezeien (das heißt auf die Übermittlung des geoffenbarten göttlichen Willens und Vorsatzes) gelegt sowie darauf, die Zuhörer zu ihrer Erbauung zu unterweisen. Jene Christen lebten in einer Zeit herrlicher Entwicklungen in Verbindung mit dem Vorsatz Gottes. Sie mußten sie erkennen und mußten verstehen, wie sie im Einklang damit handeln konnten. Allerdings gestalteten manche die Zusammenkünfte nicht sehr ausgeglichen und benötigten, wie die Bibel sagt, Rat, damit alle den größtmöglichen Nutzen daraus ziehen konnten (1. Kor. 14:1-40).
Waren die Grundzüge der Zusammenkünfte jener ersten Christen in den Zusammenkünften der Bibelforscher von den 1870er Jahren an wiederzuerkennen?
Die geistigen Bedürfnisse der ersten Bibelforscher stillen
Charles Taze Russell und eine kleine Gruppe Gefährten in Allegheny (Pennsylvanien) und Umgebung gründeten 1870 einen Bibelstudienkreis. Durch die Zusammenkünfte wuchs ihre Liebe zu Gott und zu seinem Wort immer mehr, und nach und nach lernten sie, was die Bibel selbst lehrt. Bei solchen Zusammenkünften sprach keiner auf wundersame Weise in Zungen. Warum nicht? Solche Wundergaben hatten ihren Zweck im ersten Jahrhundert erfüllt und hatten gemäß der Vorhersage der Bibel aufgehört. „Der nächste Schritt“, erklärte Bruder Russell, „bestand darin, die Früchte des Geistes zu offenbaren, wie St. Paulus deutlich hervorhob“ (1. Kor. 13:4-10). Außerdem galt es, wie im ersten Jahrhundert, ein dringendes Evangelisierungswerk zu verrichten, und dazu brauchten sie den nötigen Ansporn (Heb. 10:24, 25). Bald führten sie zwei wöchentliche Zusammenkünfte durch.
Bruder Russell erkannte, daß es für Jehovas Diener wichtig war, ein vereintes Volk zu sein, ganz gleich, wo sie sich auf dem Erdenrund befanden. Daher ermunterte man 1879, kurz nachdem man mit der Herausgabe des Wacht-Turms begonnen hatte, alle Leser, um einen Besuch Bruder Russells oder eines seiner Gefährten zu bitten. Dabei wurde ausdrücklich erklärt, es würden „keine Gebühren und kein Geld verlangt“. Nachdem etliche Bitten eingegangen waren, begab sich Bruder Russell auf eine einmonatige Reise, die ihn bis nach Lynn (Massachusetts, USA) führte und auf der er täglich — bei jedem Aufenthalt — vier- bis sechsstündige Zusammenkünfte abhielt. Sein Thema lautete: „Dinge, die das Königreich Gottes betreffen“.
Anfang 1881 drängte Bruder Russell alle Leser des Wacht-Turms, die bis dahin noch nicht regelmäßig Zusammenkünfte in ihrer Gegend abgehalten hatten: „Versammelt euch zu Hause mit eurer Familie oder sogar mit einigen, die interessiert sein mögen. Lest, studiert, singt und betet gemeinsam, und wo zwei oder drei versammelt sind in seinem Namen, da wird der Herr — euer Lehrer — mitten unter euch sein. Das zeichnete auch einige Zusammenkünfte der Kirche in den Tagen der Apostel aus. (Siehe Philemon 2.)“
Schritt für Schritt wurde das Programm für die Zusammenkünfte entwickelt. Vorschläge wurden unterbreitet, wobei es jedoch der örtlichen Gruppe überlassen blieb, zu entscheiden, was ihren Umständen am ehesten gerecht wurde. Mitunter hielt ein Redner einen Vortrag, doch legte man größeren Wert auf Zusammenkünfte, an denen sich jeder freimütig beteiligen konnte. Manche Bibelforscherklassen verwandten anfangs kaum die Publikationen der Gesellschaft für die Zusammenkünfte, doch reisende Diener — Pilgerbrüder — führten den Brüdern vor Augen, wie wichtig das war.
Nachdem einige Bände der Bücherserie Millennium-Tagesanbruch veröffentlicht worden waren, nahm man sie als Studiengrundlage. 1895 nannte man die Studiengruppen Tagesanbruch-Bibelstudien.a In Norwegen bezeichneten einige sie als „Lese- und Gesprächsversammlungen“ und erklärten dazu: „Es wurden Auszüge aus Bruder Russells Büchern vorgelesen, und wenn Personen Kommentare oder Fragen hatten, hoben sie die Hand.“ Bruder Russell riet den Anwesenden, bei einem solchen Studium verschiedene Bibelübersetzungen, Querverweise in der Bibel und Bibelkonkordanzen einzubeziehen. Die Gruppen waren meist nicht sehr groß und führten ihr Studium an einem für sie günstigen Abend in Privatwohnungen durch. Diese Zusammenkunft war der Vorläufer des heutigen Versammlungsbuchstudiums.
Bruder Russell erkannte, daß es nicht reichte, lediglich Grundlehren zu studieren. Man mußte außerdem seiner Ergebenheit Ausdruck verleihen, so daß das Herz der Menschen von einer tiefen Wertschätzung für Gottes Liebe und von dem Wunsch, ihn zu ehren und ihm zu dienen, angetrieben würde. Die Klassen wurden aufgefordert, zu diesem Zweck einmal in der Woche eine besondere Zusammenkunft abzuhalten. Diese nannte man manchmal „Heimversammlung“, da sie in Privatwohnungen stattfand. Zu dem Programm gehörten Zeugnisse, die von den Anwesenden erzählt wurden, sowie Gebete und Lobgesänge.b Solche Zeugnisse waren manchmal anspornende Erfahrungen oder handelten von Prüfungen, Schwierigkeiten und Problemen, die sie in jenen Tagen bewältigen mußten. An einigen Orten verfehlten die Zusammenkünfte allerdings ihren Zweck, weil dabei zu sehr die Person in den Vordergrund gerückt wurde. Im Wacht-Turm wurden taktvolle Verbesserungsvorschläge gemacht.
Edith Brenisen, die Frau eines der ersten Pilgerbrüder in den Vereinigten Staaten, erzählt von ihren Erinnerungen an solche Zusammenkünfte: „Es war ein Abend, an dem wir über Jehovas liebevolle Fürsorge nachdachten und an dem wir mit unseren Brüdern und Schwestern eng verbunden waren. Während wir ihren Erfahrungen lauschten, lernten wir sie immer besser kennen. Wenn wir ihre Treue beobachteten und sahen, wie sie ihre Schwierigkeiten überwanden, fiel es uns oft leichter, unsere eigenen Probleme zu lösen.“ Mit der Zeit zeigte sich jedoch, daß Zusammenkünfte, durch die der einzelne für das Evangelisierungswerk ausgerüstet wurde, nutzbringender waren.
Die Gestaltung der Sonntagszusammenkunft an einigen Orten bereitete den Brüdern Kopfzerbrechen. Manche Klassen versuchten es mit einer Vers-für-Vers-Betrachtung der Bibel. Doch mitunter waren die Meinungsverschiedenheiten über die Bedeutung alles andere als erbauend. Um dem abzuhelfen, stellten einige aus der Versammlung in Los Angeles (Kalifornien) einen Entwurf für ein thematisches Bibelstudium mit Fragen und Quellenangaben zusammen, und jeder in der Klasse sollte sich vor der Zusammenkunft darauf vorbereiten. 1902 sorgte die Gesellschaft für eine Bibel mit den „Beröer-Bibelstudienhilfen“ in Englisch, wozu auch ein Sachverzeichnis gehörte.c Zur weiteren Vereinfachung veröffentlichte der Wacht-Turm vom 1. November 1905 an (engl.: 1. März 1905) als Grundlage für die Besprechungen in den Zusammenkünften und zum Nachforschen Fragen sowie Verweise auf die Bibel oder auf die Publikationen der Gesellschaft. Damit fuhr man bis 1914 fort, doch inzwischen wurden Studienfragen zu den Schriftstudien veröffentlicht, die als Grundlage für die Beröer-Studien dienten.
Jeder Klasse stand derselbe Stoff zur Verfügung, aber die Zusammenkünfte wurden, je nachdem, was man am Ort festgelegt hatte, ein- bis viermal in der Woche oder noch öfter abgehalten. In Colombo (Ceylon, heute Sri Lanka) fanden die Zusammenkünfte ab 1914 sogar an sieben Tagen in der Woche statt.
Die Bibelforscher wurden dazu angeregt nachzuforschen, ‘alles zu prüfen’ und Gedanken in eigene Worte zu kleiden (1. Thes. 5:21, EB). Bruder Russell legte allen ans Herz, sich an den Gesprächen über das Studienmaterial rege und freimütig zu beteiligen. Gleichzeitig schrieb er mahnend: „Laßt uns nie vergessen, daß die Bibel unser Maßstab ist und daß, wie Gott-gegeben unsere Hilfsmittel auch sein mögen, sie doch nur ‚Hilfsmittel‘ und kein Ersatz für die Bibel sind.“
Feier zum Gedenken an den Tod des Herrn
Etwa von 1876 an trafen die Bibelforscher jedes Jahr Vorkehrungen für die Gedächtnismahlfeier.d Anfangs traf sich die Gruppe aus Pittsburgh (Pennsylvanien) und Umgebung in der Wohnung eines Bruders. Bis 1883 war die Anwesendenzahl dort allerdings auf ungefähr 100 Personen angestiegen, weshalb man einen gemieteten Saal benutzte. 1905 beschlossen die Brüder, die geräumige Carnegie Hall zu mieten, um die große Zuhörerschaft, mit der man rechnete, in Pittsburgh unterbringen zu können.
Die Bibelforscher verstanden, daß diese Feier jährlich und nicht wöchentlich begangen werden sollte. Der Tag, an dem sie die Feier abhielten, entsprach gemäß dem jüdischen Kalender dem Todestag Jesu, dem 14. Nisan. Im Laufe der Jahre wurde die Methode zur Errechnung dieses Datums vervollkommnet.e Doch am wichtigsten war die Bedeutung des Ereignisses selbst.
Obwohl sich die Bibelforscher zu dieser Gedenkfeier in unterschiedlich großen Gruppen an zahlreichen Orten versammelten, war den Brüdern in Pittsburgh jeder, der sich ihnen anschließen konnte, willkommen. Zwischen 1886 und 1893 wurden die Leser des Wacht-Turms ganz besonders dazu eingeladen, wenn irgend möglich, nach Pittsburgh zu kommen, und sie kamen aus den verschiedensten Gegenden der Vereinigten Staaten und Kanadas. Dadurch konnten sie das Gedächtnismahl gemeinsam begehen und die Bande geistiger Einheit stärken. Als es allerdings in den Vereinigten Staaten und in anderen Ländern der Welt immer mehr Bibelklassen gab, war es nicht mehr praktisch, sich an e i n e m Ort zu versammeln, und man erkannte, daß es besser wäre, sich mit seinen Glaubensbrüdern in der Gegend zu versammeln, wo man zu Hause war.
Wie im Wacht-Turm gezeigt wurde, beteuerten viele, an das Lösegeld zu glauben, und kein einziger von ihnen wurde bei der jährlichen Gedenkfeier abgewiesen. Von besonderer Bedeutung war dieser Anlaß aber für diejenigen, die wirklich zu Christi „kleiner Herde“ gehörten. Sie würden nämlich an dem himmlischen Königreich teilhaben. Denn zu Personen mit einer solchen Hoffnung sagte Christus am Abend vor seinem Tod, als er das Gedächtnismahl einsetzte: „Tut dies immer wieder zur Erinnerung an mich“ (Luk. 12:32; 22:19, 20, 28-30).
In den 30er Jahren traten vermehrt die voraussichtlichen Glieder der „großen Schar“ oder „großen Volksmenge“ anderer Schafe in Erscheinung (Offb. 7:9, 10, Lu; Joh. 10:16). Man nannte sie damals Jonadabe. Sie wurden im Wachtturm vom 1. März 1938 zum erstenmal speziell zum Gedächtnismahl eingeladen. Es hieß dort: „Möge sich also jede Gruppe der Gesalbten am Freitag, den 15. April, nach 6 Uhr abends versammeln und die Gedächtnisfeier halten, und möchten ihre Gefährten, die Jonadabe, ebenfalls anwesend sein.“ Sie waren anwesend, nicht als Teilnehmer, sondern als Beobachter. Durch ihre Anwesenheit schnellte die Zahl derer, die die Feier zum Gedenken an den Tod Christi besuchten, in die Höhe. 1938 belief sich die Gesamtzahl der Anwesenden auf 73 420; 39 225 nahmen von den Symbolen — Brot und Wein. In den darauffolgenden Jahren waren unter den Beobachtern auch zahlreiche neuinteressierte Personen und andere, die noch keine tätigen Zeugen Jehovas waren. Obwohl 1992 eine Höchstzahl von 4 472 787 Personen im Predigtdienst tätig war und das Gedächtnismahl von 11 431 171 besucht wurde, nahmen nur 8 683 von den Symbolen. In manchen Ländern betrug die Anwesendenzahl sogar das Fünf- bis Sechsfache der Zahl tätiger Zeugen.
Jehovas Zeugen feiern das Gedächtnismahl selbst unter äußerst widrigen Umständen, da sie dem Tod Christi große Bedeutung beimessen. Als in Rhodesien (dem heutigen Simbabwe) in den 70er Jahren während des Krieges Ausgangssperren verhängt wurden und man abends nicht weggehen konnte, versammelten sich in einigen Gegenden alle Brüder im Laufe des Tages in der Wohnung eines Zeugen Jehovas, wo sie abends das Gedächtnismahl feierten. Natürlich konnten sie nach der Zusammenkunft nicht heimgehen und mußten dort übernachten. Die verbleibenden Abendstunden nutzten sie, um Königreichslieder zu singen und Erfahrungen zu erzählen, wodurch sie zusätzlich gestärkt wurden.
Auch in den Konzentrationslagern während des Zweiten Weltkriegs wurde das Gedächtnismahl gefeiert, obwohl es harte Strafen nach sich gezogen hätte, wenn die Wärter es entdeckt hätten. Harold King, der von 1958 bis 1963 wegen seines christlichen Glaubens im kommunistischen China in Einzelhaft war, feierte das Gedächtnismahl, so gut es ihm unter diesen Umständen eben möglich war. Später erzählte er: „Durch mein Zellenfenster beobachtete ich, wie der Mond gegen Frühlingsanfang voll wurde. Ich rechnete das Datum der Gedächtnisfeier so genau wie möglich aus.“ Bei den Symbolen mußte er improvisieren, indem er aus schwarzen Johannisbeeren etwas Wein machte und Reis, der ja ungesäuert ist, als Brot verwendete. Er erzählte weiter: „Ich sang und betete und hielt eine richtige Ansprache bei der Gedächtnisfeier, wie es in irgendeiner Versammlung des Volkes Jehovas sonst geschehen würde. So fühlte ich mich jedes Jahr mit meinen Brüdern in der ganzen Welt verbunden, als ich diese so wichtige Feier beging.“
Ein Platz für junge Leute
In den Anfangsjahren waren die Publikationen und die Zusammenkünfte der Bibelforscher nicht gerade auf junge Leute zugeschnitten. Sie durften die Zusammenkünfte besuchen, und einige taten das auch und hörten interessiert zu. Aber man bemühte sich nicht sonderlich darum, sie in das Versammlungsgeschehen einzubeziehen. Warum nicht?
Damals dachten die Brüder, daß nur noch eine sehr kurze Zeit verbliebe, bis alle Glieder der Braut Christi mit Jesus in himmlischer Herrlichkeit vereint sein würden. Im Wacht-Turm von 1883 (engl.) wurde erklärt: „Wir, die wir für die himmlische Berufung geschult werden, können dem besonderen Werk dieser Zeitepoche nicht aus dem Weg gehen — dem Werk der Vorbereitung ‚der Braut, des Weibes des Lammes‘. Die Braut muß sich bereit machen; und gerade zum gegenwärtigen Zeitpunkt, wo die letzten Vorbereitungen dafür getroffen werden, die Braut für die Hochzeit zu schmücken, bedarf es des Dienstes jedes einzelnen in diesem so bedeutenden gegenwärtigen Werk.“
Eltern wurde eingeschärft, ihrer von Gott gegebenen Verantwortung nachzukommen, für die geistige Belehrung ihrer Kinder zu sorgen. Sonntagsschulen für Jugendliche wurden nicht begrüßt. Es hatte sich gezeigt, daß die Christenheit mit ihren Sonntagsschulen viel Schaden angerichtet hatte. Eltern, die ihre Kinder in solche Schulen schickten, meinten nicht selten, dadurch von der Verantwortung, ihre Kinder religiös zu unterweisen, enthoben zu sein. Außerdem wurden die Kinder dabei nicht motiviert, ihre Eltern zu ehren und ihnen den gebührenden Gehorsam zu erweisen, da die Eltern für sie nicht die wichtigsten Bezugspersonen waren, was die Belehrung über Gott anging.
Zwischen 1892 und 1927 räumte man im Wacht-Turm allerdings Platz für Kommentare zu Texten der „Internationalen Sonntagsschullektionen“ ein, die sich damals in vielen protestantischen Kirchen großer Beliebtheit erfreuten. Diese Texte wurden viele Jahre lang von einem kongregationalistischen Geistlichen, F. N. Peloubet, und seinen Gehilfen ausgesucht. Sie wurden im Wacht-Turm unter dem Gesichtspunkt der fortgeschrittenen biblischen Erkenntnis der Bibelforscher beleuchtet — frei von den Glaubenssätzen der Christenheit. Man hoffte so, mit dem Wacht-Turm Eingang in einige Kirchen zu finden und die Wahrheit verbreiten zu können, so daß manche Anhänger der Kirche sie annehmen würden. Natürlich war die unterschiedliche Erklärung augenfällig, und das ärgerte die protestantischen Geistlichen.
Das Jahr 1918 brach an, und der Überrest oder die Übriggebliebenen der Gesalbten waren noch immer auf der Erde. Die Zahl der Kinder bei den Zusammenkünften war stark angestiegen. Meistens erlaubten die Eltern den Kindern zu spielen, während sie studierten. Aber auch junge Menschen mußten lernen, ‘Gerechtigkeit und Demut zu suchen’, wenn sie ‘am Tage des Zorns des Herrn verborgen werden’ sollten (Zeph. 2:3, Lu). Deshalb ermunterte die Gesellschaft die Versammlungen 1918 dazu, für Kinder im Alter von 8 bis 15 Jahren Jugendgruppen einzurichten. Manchenorts gab es sogar Gruppen für Kinder, die für die Jugendgruppen zu jung waren. Gleichzeitig wurde den Eltern erneut die Verantwortung, die sie gegenüber ihren Kindern haben, vor Augen geführt.
Das führte zu weiteren Entwicklungen. 1920 gab es im Goldenen Zeitalter (engl.) eine Sparte „Jugendbibelstudium“ mit Fragen und dazugehörigen Bibeltexten, in denen die Antwort gefunden werden konnte. Im selben Jahr wurde die bebilderte Broschüre The Golden Age ABC (Das ABC des Goldenen Zeitalters) herausgegeben, die die Eltern dazu verwendeten, ihren Kindern grundlegende Wahrheiten der Bibel zu vermitteln und ihnen zu helfen, christliche Eigenschaften zu entwickeln. 1924 folgte das Buch Der Weg zum Paradiese, geschrieben von W. E. Van Amburgh. Es war „der Jugend zum Forschen in der Heiligen Schrift gewidmet“. Eine Zeitlang gebrauchte man es für die Zusammenkünfte mit den Jüngeren. Zudem hatten die „Juniorzeugen“ in Amerika ihre eigenen Predigtdienstvorkehrungen. In der Schweiz gründete eine Jugendgruppe die Vereinigung „Jehovas Jugend“, und zwar für 13 bis 25jährige. Sie hatten in Bern ein eigenes Sekretariat, und auf den Druckpressen der Gesellschaft wurde eine besondere Zeitschrift mit dem Titel Jehovas Jugend hergestellt. Die Jugendlichen hatten ihre eigenen Zusammenkünfte und führten sogar biblische Dramen auf, wie beispielsweise im Zürcher Volkshaus vor 1 500 Zuschauern.
Jedoch entwickelte sich auf diese Weise eine Organisation innerhalb der Organisation der Diener Jehovas. Das diente nicht der Einheit und wurde deshalb 1936 abgeschafft. Im April 1938 stellte J. F. Rutherford, der Präsident der Gesellschaft, während seines Besuchs in Australien fest, daß neben dem Kongreß für die Erwachsenen auch eine Veranstaltung für die Kinder stattfand. Sofort sorgte er zum großen Nutzen der Kinder dafür, daß sie alle zu dem Hauptkongreß gebracht wurden.
Im selben Jahr behandelte Der Wachtturm die Angelegenheit der gesonderten Jugendgruppen in der Versammlung. Erneut wurde betont, daß Eltern für die Belehrung ihrer Kinder verantwortlich sind (Eph. 6:4; vergleiche 5. Mose 4:9, 10; Jeremia 35:6-10). Außerdem wurde erklärt, daß es für das Absondern der Kinder in Juniorengruppen keinerlei Vorbild in der Bibel gibt. Statt dessen sollten die Kinder mit ihren Eltern gemeinsam das Wort Gottes hören (5. Mo. 31:12, 13; Jos. 8:34, 35). Falls weitere Erklärungen zu dem Studienmaterial erforderlich waren, konnten die Eltern sie zu Hause geben. Des weiteren hieß es in diesen Artikeln, daß die Einrichtungen von gesonderten Gruppen eigentlich vom Predigen der guten Botschaft von Haus zu Haus ablenken. Inwiefern? Die Lehrer gingen nicht in den Predigtdienst, weil sie den Unterricht vorbereiten und durchführen mußten. Daher wurden alle gesonderten Zusammenkünfte für Jugendliche abgeschafft.
Bis heute ist es bei Jehovas Zeugen üblich, die Versammlungszusammenkünfte gemeinsam als Familie zu besuchen. Die Eltern helfen den Kindern bei der Vorbereitung, damit sie sich angemessen an den Zusammenkünften beteiligen können. Zudem stehen den Eltern vorzügliche Publikationen zur Verfügung, mit deren Hilfe sie ihre Kinder zu Hause belehren können. Dazu gehören die Bücher Kinder (1941); Auf den Großen Lehrer hören (1971); Mache deine Jugend zu einem Erfolg (1976); Mein Buch mit biblischen Geschichten (1978) und Fragen junger Leute — Praktische Antworten (1989).
Alle ausrüsten, Evangeliumsverkündiger zu sein
Seit der Veröffentlichung der ersten Ausgaben des Wacht-Turms sind dessen Leser regelmäßig an das Vorrecht und die Verantwortung aller wahren Christen erinnert worden, die gute Botschaft über den Vorsatz Gottes zu verkündigen. Durch die Versammlungszusammenkünfte wuchs ihre Liebe zu Jehova und ihre Erkenntnis über seinen Vorsatz, und so wurde ihr Herz und ihr Sinn auf diese Tätigkeit vorbereitet. Doch besonders nach dem Kongreß in Cedar Point (Ohio) 1922 wurde viel stärker hervorgehoben, was durch den Predigtdienst erreicht wurde und wie man ihn wirkungsvoll durchführen konnte.
Das Bulletinf — ein Faltblatt mit Anregungen für den Predigtdienst — enthielt ein kurzes Zeugnis (damals die sogenannte Werbeaktion), das auswendig gelernt werden sollte, um anderen Menschen Zeugnis zu geben. Zum Ansporn für vereinte Bemühungen, das Königreich zu verkünden, widmete man 1923 nahezu an jedem ersten Mittwochabend des Monats die halbe Gebets-, Lobpreisungs- und Zeugnisversammlung den Predigtdiensterfahrungen.
Spätestens 1926 nannte man die monatliche Zusammenkunft, bei der sich alles um den Predigtdienst drehte, Erntearbeiterversammlung. Diese Zusammenkunft wurde gewöhnlich von all denen besucht, die auch wirklich am Predigtdienst teilnahmen. Man besprach verschiedene Methoden, Zeugnis zu geben, und plante die künftige Tätigkeit. 1928 rief die Gesellschaft alle Versammlungen dazu auf, diese Zusammenkunft jede Woche abzuhalten. Vier Jahre später wurde die Zeugnisversammlung (oder Erfahrungsstunde) allmählich durch die sogenannte Dienstversammlung ersetzt, und die Gesellschaft ermunterte alle, sie zu besuchen. Seit über 60 Jahren wird diese wöchentliche Zusammenkunft in den Versammlungen abgehalten. Durch Ansprachen, Besprechungen mit Beteiligung der Zuhörerschaft, Demonstrationen und Interviews wird für jeden Aspekt des christlichen Dienstes Hilfe geboten.
Diese Art Zusammenkunft war ganz sicher keine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Jesus selbst gab seinen Jüngern ausführliche Anweisungen, bevor er sie zum Predigen aussandte (Mat. 10:5 bis 11:1; Luk. 10:1-16). Danach ermunterten sie sich gegenseitig, indem sie sich versammelten und Predigtdiensterfahrungen austauschten (Apg. 4:21-31; 15:3).
In den Anfangsjahren wurde man bei den regulären Versammlungszusammenkünften nicht für das öffentliche Reden geschult. Aber spätestens 1916 wurde empfohlen, daß sich diejenigen, die das Gefühl hatten, sich als Vortragsredner zu eignen, gesondert versammelten, wobei ein Ältester als Vorsitzender sie anhören und Verbesserungsvorschläge zum Inhalt und zur Vortragsart machen könnte. Diese Zusammenkünfte, an denen nur Brüder der Versammlung teilnahmen, wurden später Prophetenschulen genannt. Grant Suiter erzählte zurückblickend auf die damaligen Ereignisse: „Die konstruktive Kritik, die ich in der Schule erhielt, war ... nichts im Vergleich zu dem, was ich später von meinem Vater zu hören bekam, nachdem er einer dieser Zusammenkünfte beigewohnt und gehört hatte, wie ich versuchte, eine Ansprache zu halten.“ Um denen zu helfen, die Fortschritte machen wollten, entwarfen und druckten Brüder auf privater Ebene ein Lehrbuch über öffentliches Reden, das auch Redepläne für verschiedene Vorträge enthielt. Mit der Zeit wurden die Prophetenschulen jedoch abgeschafft. Um die besonderen Bedürfnisse in jener Zeit zu stillen, konzentrierte man sich völlig darauf, jeden einzelnen in der Versammlung auszurüsten, einen vollen Anteil am Predigen von Haus zu Haus zu haben.
War es möglich, jeden einzelnen in dieser wachsenden internationalen Organisation so auszurüsten, daß er nicht nur ein kurzes Zeugnis geben und biblische Literatur zurücklassen, sondern auch wirkungsvoll reden und ein Lehrer des Wortes Gottes sein konnte? Das war das Ziel einer besonderen Schule, die 1943 in jeder Versammlung der Zeugen Jehovas eingeführt wurde. Diese Schule gab es in der Weltzentrale der Zeugen Jehovas bereits seit Februar 1942. Jede Woche wurde Belehrung vermittelt, und die Studierenden hielten Ansprachen, zu denen ihnen Rat erteilt wurde. Anfangs hielten nur männliche Personen Ansprachen in der Schule, obwohl die ganze Versammlung ermuntert wurde, anwesend zu sein, die Lektionen vorzubereiten und sich an der Wiederholung zu beteiligen. 1959 durften sich auch Schwestern in die Schule eintragen lassen, so daß sie geschult wurden, indem sie im Zwiegespräch biblische Themen erörterten.
Über den Erfolg dieser Schule berichtete der südafrikanische Zweig der Watch Tower Society: „Durch diese hervorragende Einrichtung war es möglich, in kurzer Zeit aus vielen Brüdern, die nie gedacht hätten, daß sie je öffentlich sprechen könnten, gute Redner zu machen, die auch wirkungsvolleren Predigtdienst durchführten. In ganz Südafrika hießen die Brüder diese neue Vorkehrung Jehovas willkommen und setzten sie begeistert in die Tat um, und das, obwohl einige wegen der Sprache und der mangelnden Bildung große Schwierigkeiten hatten.“
Die Theokratische Predigtdienstschule ist bis heute eine wichtige Versammlungszusammenkunft der Zeugen Jehovas. Fast alle, die dazu in der Lage sind, haben sich in diese Schule eintragen lassen. Junge und alte, neue und erfahrene Zeugen nehmen daran teil. Es ist ein fortlaufendes Bildungsprogramm.
Die Öffentlichkeit eingeladen, zu sehen und zu hören
Jehovas Zeugen sind keineswegs ein Geheimbund. Ihre biblisch begründeten Glaubensansichten werden in ihren Publikationen, die jedem zugänglich sind, ausführlich erklärt. Außerdem bemühen sie sich besonders darum, Außenstehende zu ihren Zusammenkünften einzuladen, damit sie selbst hören und sehen, was dort vor sich geht.
Jesus Christus unterwies seine Jünger privat, aber er sprach auch öffentlich — an Stränden, an Berghängen, in Synagogen, in der Tempelgegend in Jerusalem —, wo die Volksmengen ihn hören konnten (Mat. 5:1, 2; 13:1-9; Joh. 18:20). In Anlehnung daran begannen die Bibelforscher schon in den 1870er Jahren, Zusammenkünfte zu organisieren, bei denen Freunde, Nachbarn und andere, die daran interessiert waren, einen Vortrag über Gottes Vorsatz in Verbindung mit der Menschheit hören konnten.
Man war besonders darum bemüht, die Vorträge an Orten zu halten, die für die Öffentlichkeit leicht erreichbar waren. Das nannte man das Klassen-Ausdehnungswerk. 1911 wurden die Versammlungen, die genügend talentierte Redner hatten, ermuntert, einige von ihnen in die umliegenden Städte und Dörfer zu senden, um dort in öffentlichen Sälen Zusammenkünfte zu organisieren. Wo es möglich war, begann man mit einer sechsteiligen Vortragsserie. Beim letzten dieser Vorträge erkundigte sich der Redner danach, wie viele der Anwesenden meinten, sich so sehr für ein Bibelstudium zu interessieren, daß sie sich regelmäßig versammeln würden. Über 3 000 solcher Vorträge wurden im ersten Jahr gehalten.
Von 1914 an wurde auch das „Photo-Drama der Schöpfung“ öffentlich vorgeführt. Die Brüder verlangten keinen Eintritt. Seitdem hat es weitere Film- und Diavorführungen gegeben. In den 20er Jahren und danach konnte man sich außerdem zu Hause biblische Vorträge anhören, da die Watch Tower Society ausgiebigen Gebrauch vom Rundfunk machte. In den 30er Jahren wurden Aufnahmen von J. F. Rutherfords Vorträgen Tausende von Malen öffentlich abgespielt.
Bis 1945 war eine große Anzahl Vortragsredner durch die Theokratische Predigtdienstschule ausgebildet worden. Im Januar jenes Jahres wurde ein gut organisierter Feldzug für öffentliche Zusammenkünfte in Gang gesetzt. Die Gesellschaft hatte Redepläne für eine zeitgemäße achtteilige Vortragsserie bereitgestellt. Die Vorträge wurden mit Handzetteln und manchmal auf Plakaten angekündigt. Die Brüder bemühten sich besonders darum, solche Zusammenkünfte für die Öffentlichkeit außer in den regulären Räumlichkeiten der Versammlung auch in Gebieten durchzuführen, wo es keine Versammlung gab. Jeder in der Versammlung konnte seinen Teil tun — indem er die Zusammenkünfte ankündigte, sie selbst unterstützte, Neue willkommen hieß und deren Fragen beantwortete. Während des ersten Jahres dieser besonderen Tätigkeit wurden in den Vereinigten Staaten 18 646 Zusammenkünfte für die Öffentlichkeit organisiert mit insgesamt 917 352 Anwesenden. Im folgenden Jahr stieg die Zahl der Zusammenkünfte für die Öffentlichkeit in Amerika auf 28 703 an. 1945 fanden in Kanada 2 552 solcher Zusammenkünfte statt, wohingegen es im Jahr darauf 4 645 waren.
Für die meisten Versammlungen der Zeugen Jehovas ist die Zusammenkunft für die Öffentlichkeit heute ein fester Bestandteil der wöchentlichen Zusammenkünfte. Dabei handelt es sich um einen Vortrag, bei dem jeder angeregt wird, die gelesenen und besprochenen Schlüsseltexte in der Bibel mitzuverfolgen. Diese Zusammenkunft ist eine reiche Quelle geistiger Belehrung sowohl für die Versammlung als auch für Neuinteressierte.
Wer die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas das erste Mal besucht, ist oft angenehm überrascht. Ein prominenter Politiker in Simbabwe ging zu einem Königreichssaal, um herauszufinden, was dort vor sich ging. Er neigte etwas zur Gewalttätigkeit und ging absichtlich unrasiert und ungekämmt dorthin. Er erwartete, daß die Zeugen ihn davonjagen würden. Statt dessen zeigten sie, daß sie ehrlich an ihm interessiert waren, und ermunterten ihn zu einem Heimbibelstudium. Heute ist er ein demütiger, friedfertiger christlicher Zeuge.
Millionen von Menschen fühlten sich, nachdem sie die Zusammenkünfte der Zeugen Jehovas besucht hatten, bewogen zu sagen: „Gott ist wirklich unter euch“ (1. Kor. 14:25).
Geeignete Zusammenkunftsstätten
In den Tagen der Apostel Jesu Christi hielten die Christen ihre Zusammenkünfte oft in Privathäusern ab. An manchen Orten konnten sie in jüdischen Synagogen sprechen. In Ephesus hielt der Apostel Paulus zwei Jahre lang Vorträge im Hörsaal einer Schule (Apg. 19:8-10; 1. Kor. 16:19; Philem. 1, 2). Ebenso versammelten sich die Bibelforscher gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Privatwohnungen und hielten manchmal in kirchlichen Gebäuden oder gemieteten Sälen Ansprachen. In einigen Fällen erwarb man später Gebäude, die früher von anderen religiösen Gruppen benutzt worden waren, und versammelte sich regelmäßig dort. Beispiele hierfür sind das „Brooklyn Tabernacle“ und das „London Tabernacle“.
Doch man brauchte und wollte keine prunkvollen Gebäude für die Zusammenkünfte. Ein paar Versammlungen kauften und renovierten geeignete Gebäude; andere bauten neue Säle. Nach 1935 setzte sich allmählich die Bezeichnung „Königreichssaal“ für die Zusammenkunftsstätten der Versammlungen durch. Diese Säle sehen im allgemeinen ansprechend aus, sind aber nicht pompös. Die Architektur ist vielleicht von Ort zu Ort verschieden, aber das Gebäude ist zweckmäßig.
Ein und dasselbe Lehrprogramm
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts und zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in bezug auf das geistige Wachstum und die Tätigkeit der einzelnen Versammlungen gewaltige Unterschiede. Sie hatten grundlegende Glaubensansichten gemeinsam, durch die sie sich von der Christenheit abhoben. Doch während einige Brüder die Art und Weise, wie Jehova sein Volk geistig versorgte, ungemein schätzten, ließen sich andere leicht von den Ansichten einzelner mitreißen, die in gewissen Angelegenheiten eine starke persönliche Meinung vertraten.
Vor seinem Tod betete Jesus darum, daß seine Nachfolger „alle eins seien“ — in Einheit mit Gott und Christus sowie miteinander (Joh. 17:20, 21). Darunter verstand er nicht Gleichschaltung. Vielmehr ist es das Ergebnis ein und desselben Bildungsprogramms, für das willige Herzen empfänglich sind. Schon vor langer Zeit wurde vorhergesagt: „Alle deine Söhne werden von Jehova Belehrte sein, und der Frieden deiner Söhne wird überströmend sein“ (Jes. 54:13). Damit sich alle dieses Friedens völlig erfreuen könnten, mußte ihnen die fortschreitende Belehrung zugute kommen, die Jehova durch seinen sichtbaren Mitteilungskanal vermittelt.
Viele Jahre lang benutzten die Bibelforscher die einzelnen Bände der Schriftstudien und die Bibel als Grundlage für ihre Besprechungen. Sie enthielten wirklich geistige „Speise zur rechten Zeit“ (Mat. 24:45). Ein fortlaufendes Studium der Heiligen Schrift unter dem Einfluß des Geistes Gottes offenbarte allerdings, daß es noch viel zu lernen gab und daß Jehovas Diener in vielen Dingen in geistiger Hinsicht geläutert werden mußten (Mal. 3:1-3; Jes. 6:1-8). Außerdem erfüllten sich nach der Aufrichtung des Königreiches im Jahre 1914 viele Prophezeiungen Schlag auf Schlag, durch die allen wahren Christen klar wurde, daß sie ein dringendes Werk zu verrichten hatten. Dieser zeitgemäße biblische Aufschluß wurde regelmäßig durch den Wacht-Turm vermittelt.
Einige reisende Beauftragte der Gesellschaft schlugen dem Hauptbüro vor, daß alle Versammlungen jede Woche regelmäßig den Wacht-Turm studieren sollten, da ihnen aufgefallen war, daß nicht jeder in der Versammlung aus den Artikeln Nutzen zog. Diese Empfehlung wurde an die Versammlungen weitergeleitet, und mit der Ausgabe vom August 1922 (engl.: 15. Mai 1922) erschienen für das Studium der Hauptartikel im Wacht-Turm in steter Folge die „Beröerfragen“. Die meisten Versammlungen führten dieses Studium einmal oder mehrmals in der Woche durch, nur in welchem Maße sie wirklich den Inhalt der Zeitschrift studierten, war von Versammlung zu Versammlung verschieden. In einigen Versammlungen dauerte das Studium zwei Stunden und länger, weil der Leiter viel erzählte.
Während der 30er Jahre löste die theokratische Organisation jedoch demokratische Vorgehensweisen ab. Das beeinflußte die Einstellung zum Wachtturm-Studiumg maßgeblich. Man konzentrierte sich mehr darauf, das Studienmaterial der Gesellschaft zu verstehen. Diejenigen, die in den Zusammenkünften nur eine Gelegenheit gesehen hatten, ihre persönlichen Ansichten wiederzugeben, und ihrer Verantwortung, am Predigtdienst teilzunehmen, nicht nachkommen wollten, zogen sich allmählich zurück. Dank geduldiger Hilfe lernten die Brüder, das Studium auf eine Stunde zu beschränken. Es wurden mehr Kommentare gegeben; die Zusammenkünfte wurden lebendiger. Außerdem wurden die Versammlungen dadurch, daß sie ein und dasselbe geistige Ernährungsprogramm hatten, bei dem das Wort Gottes der Maßstab für die Wahrheit war, von einem echten Geist der Einheit durchdrungen.
Der Wachtturm wurde 1938 in ungefähr 20 Sprachen veröffentlicht. Alle Artikel erschienen zuerst in Englisch. Wegen der Zeit, die man für das Übersetzen und das Drucken benötigte, dauerte es in der Regel Monate, mitunter sogar ein Jahr, bis sie in anderen Sprachen verfügbar waren. Dank einer veränderten Druckmethode konnte man den Wachtturm in den 80er Jahren jedoch in vielen Sprachen simultan herausbringen. Im Jahre 1992 konnten Versammlungen in 66 Sprachen zur selben Zeit denselben Stoff studieren. Auf diese Weise nehmen die meisten Zeugen Jehovas weltweit Woche für Woche dieselbe geistige Speise zu sich. In ganz Nord- und Südamerika, fast überall in Europa, in etlichen Ländern Asiens, vielen Gegenden Afrikas und auf zahlreichen Inseln dieser Erde erhält Jehovas Volk zur selben Zeit dieselbe geistige Speise. Gemeinsam werden alle „in demselben Sinn und in demselben Gedankengang fest vereint“ (1. Kor. 1:10).
Die Zahl der Anwesenden bei den Versammlungszusammenkünften der Zeugen Jehovas beweist, daß sie ihre Zusammenkünfte ernst nehmen. 1989 waren in Italien, wo es etwa 172 000 tätige Zeugen gibt, wöchentlich durchschnittlich 220 458 Personen bei den Zusammenkünften im Königreichssaal anwesend. Im Gegensatz dazu meldete eine katholische Presseagentur, daß 80 Prozent der Italiener zwar behaupteten, katholisch zu sein, daß aber bloß etwa 30 Prozent den Gottesdienst einigermaßen regelmäßig besuchten. Im Verhältnis gesehen ist es in Brasilien nicht anders. Die Staatskirche Dänemarks behauptete, 1989 hätten ihr 89,7 Prozent der Bevölkerung angehört, doch lediglich 2 Prozent gingen einmal in der Woche zur Kirche! Zu dieser Zeit hatten Jehovas Zeugen in Dänemark bei ihren wöchentlichen Zusammenkünften eine Besucherquote von 94,7 Prozent. In der Bundesrepublik Deutschland ergab 1989 eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie, daß 5 Prozent der Protestanten und 25 Prozent der Katholiken regelmäßig zum Gottesdienst gingen. In den Königreichssälen der Zeugen Jehovas überstieg die wöchentliche Zahl der Anwesenden jedoch die Zahl der Zeugen.
Oftmals unternahmen die Besucher große Anstrengungen, um bei den Zusammenkünften zugegen zu sein. In den 80er Jahren mußte eine 70jährige Frau in Kenia jede Woche 10 Kilometer zu Fuß gehen und durch einen Fluß waten, um in die Zusammenkünfte zu kommen. Eine koreanische Zeugin in den Vereinigten Staaten brauchte für die Hin- beziehungsweise Rückfahrt zu den Zusammenkünften in ihrer Sprache jeweils drei Stunden, in denen sie mit dem Bus, dem Zug, einem Boot und zu Fuß unterwegs war. In Suriname wandte eine Familie mit geringem Einkommen jede Woche einen ganzen Tagesverdienst für die Buskosten auf, um die Zusammenkünfte zu besuchen. Eine Familie in Argentinien mußte regelmäßig 50 Kilometer zurücklegen und ein Viertel ihres Einkommens ausgeben, um den Zusammenkünften, in denen die Bibel studiert wird, beiwohnen zu können. Wenn jemand aufgrund seiner Krankheit die Versammlungszusammenkünfte überhaupt nicht besuchen kann, wird oft dafür gesorgt, daß er das Programm über Telefon mitverfolgen kann oder Kassettenaufnahmen davon erhält.
Jehovas Zeugen nehmen den biblischen Rat ernst, ihr Zusammenkommen zur geistigen Erbauung nicht aufzugeben (Heb. 10:24, 25). Doch sie besuchen nicht nur die örtlichen Zusammenkünfte. Auch der Besuch von Kongressen gehört zu den Höhepunkten ihres jährlichen Programms.
[Fußnoten]
a In Anlehnung an den Bericht über die Beröer des ersten Jahrhunderts, die dafür gelobt wurden, daß sie „in den Schriften sorgfältig forschten“ (Apg. 17:11), nannte man diese Zusammenkünfte später Beröer-Bibelstudien.
b Diese Zusammenkünfte nannte man wegen ihres Aufbaus auch Gebets-, Lobpreisungs- und Zeugnisversammlungen. Im Hinblick auf die Wichtigkeit des Gebets wurde im Laufe der Zeit vorgeschlagen, alle drei Monate eine Zusammenkunft ausschließlich dem Gebet zu widmen, bei der dann zwar Hymnen gesungen, aber keine Erfahrungen erzählt wurden.
c Die Beröer-Studienhilfen wurden 1907 überarbeitet, umfangreich erweitert und auf den neuesten Stand gebracht. Die Ausgabe von 1908 (engl.) enthielt ungefähr 300 zusätzliche Seiten dieses hilfreichen Materials.
d Zuweilen bezeichnete man sie als das gegenbildliche Passahfest, das heißt die Feier zum Gedenken an den Tod Jesu Christi, der durch das Passahlamm vorgeschattet und deshalb in 1. Korinther 5:7 „Christus, unser Passah“ genannt wurde. In Übereinstimmung mit 1. Korinther 11:20 (Lu) hieß es auch „des Herrn Abendmahl“. Manchmal nannte man es „jährliches Abendmahl“ und gab damit zu verstehen, daß es sich um eine alljährliche Gedenkfeier handelte.
e Vergleiche folgende Wachtturm-Ausgaben: März 1891 (engl.), Seite 33, 34; 15. März 1907 (engl.), Seite 88; 15. Februar 1935, Seite 62, 63; 15. Februar 1948, Seite 57, 58.
f Bereits vor 1900 wurde allen, die sich für den Kolporteurdienst meldeten, ein Traktat mit dem Titel Suggestive Hints to Colporteurs (Praktische Anregungen für Kolporteure) gesandt. 1919 wurde zunächst in Englisch das Bulletin veröffentlicht, um dem Predigtdienst Aufschwung zu geben; anfangs spornte es zur Verbreitung des Goldenen Zeitalters an, später zu all den verschiedenen Formen der Evangelisierungstätigkeit.
g Der Name Zions Wacht-Turm und Verkünder der Gegenwart Christi wurde in der Ausgabe vom April 1909 (engl.: 1. Januar 1909) auf Der Wacht-Turm und Verkünder der Gegenwart Christi geändert. Ab der Ausgabe vom 1. November 1931 (engl.: 15. Oktober 1931) wurde der Name Der Wachtturm und Verkünder der Gegenwart Christi geschrieben.
[Herausgestellter Text auf Seite 237]
Zusammenkünfte, an denen sich jeder persönlich beteiligen konnte
[Herausgestellter Text auf Seite 238]
Nicht nur eine Sache des Verstandes — auch Äußerungen, die das Herz antreiben
[Herausgestellter Text auf Seite 246]
Die ganze Familie wird ermuntert, die Zusammenkünfte gemeinsam zu besuchen
[Herausgestellter Text auf Seite 252]
Ein und dasselbe geistige Ernährungsprogramm
[Herausgestellter Text auf Seite 253]
Die Zeugen nehmen ihre Zusammenkünfte ernst
[Kasten/Bilder auf Seite 239]
Versammlungen in der Anfangszeit
1916 gab es weltweit etwa 1 200 Bibelforschergruppen
Durban (Südafrika), 1915 (oben rechts); Britisch-Guayana (heute Guyana), 1915 (Mitte rechts); Drontheim (Norwegen), 1915 (unten rechts); Hamilton (Ontario, Kanada), 1912 (ganz unten); Ceylon (heute Sri Lanka), 1915 (unten links); Indien, 1915 (oben links)
[Kasten/Bilder auf Seite 240, 241]
Jehova mit Liedern preisen
Wie die Israeliten in alter Zeit und wie Jesus selbst verwenden Jehovas Zeugen auch heute Lieder bei ihrer Anbetung (Neh. 12:46; Mar. 14:26). Durch den Gesang, mit dem Jehova gepriesen und Wertschätzung für seine Werke ausgedrückt wird, werden biblische Wahrheiten tief in Herz und Sinn verankert.
Jehovas Zeugen haben im Laufe der Jahre viele Liedersammlungen verwendet. Der Text wurde jeweils in Übereinstimmung mit dem fortschreitenden Verständnis des Wortes Gottes auf den neusten Stand gebracht.
1879: „Songs of the Bride“ (Brautgesänge)
(144 Hymnen, in denen die Wünsche und Erwartungen der Braut Christi zum Ausdruck kamen)
1890: „Poems and Hymns of Millennial Dawn“ (Gedichte und Millennium-Tagesanbruchshymnen)
(151 Gedichte und 333 Hymnen, die ohne Noten veröffentlicht wurden. Die meisten stammten von berühmten Schriftstellern.)
1896: Der „Wacht-Turm“ vom 1. Februar (engl.) war „Zion’s Glad Songs of the Morning“ (Zions frohen Morgenliedern) gewidmet
(11 Liedertexte mit Noten; die Texte wurden von Bibelforschern verfaßt)
1900: „Zionslieder“
(82 Lieder, von denen etliche von einem Bibelforscher geschrieben wurden; sie ergänzten die vorherige Sammlung)
1905: „Hymns of the Millennial Dawn“ (Millennium-Tagesanbruchshymnen)
(Die 333 Lieder, die 1890 veröffentlicht wurden, diesmal mit Noten)
1925: „Kingdom Hymns“ (Königreichshymnen)
(80 Lieder mit Noten, besonders für Kinder)
1928: „Gesänge zum Preise Jehovas“
(337 Lieder; eine Mischung aus neuen Liedern, die von Bibelforschern geschrieben wurden, und älteren Hymnen. Bei den Texten hatte man sich besonders darum bemüht, sich von falschen religiösen Empfindungen und von der Verehrung von Geschöpfen zu lösen.)
1944: „Königreichsdienst-Liederbuch“
(62 Lieder. Den damaligen Bedürfnissen im Königreichsdienst angepaßt. Weder Textdichtern noch Komponisten wurde die Ehre gegeben.)
1950: „Lieder zum Preise Jehovas“
(91 Lieder. In diesem Liederbuch fanden sich mehr zeitgemäße Themen, und man verzichtete auf die altertümliche Sprache. Es wurde in 18 Sprachen übersetzt.)
1966: „ ‚Singt und spielt dabei Jehova in euren Herzen‘ “
(119 Lieder, die alle Bereiche der christlichen Lebensweise und Anbetung umfaßten. Musik, die bekanntermaßen ihren Ursprung in der falschen Religion hatte oder aus weltlichen Quellen stammte, wurde nicht übernommen. Von den Orchesteraufnahmen des gesamten Liederbuchs wurde in den Versammlungszusammenkünften als Musikbegleitung guter Gebrauch gemacht. Auch einige Gesangsaufnahmen wurden vorbereitet. Ab 1980 wurden konzertante Bearbeitungen der „Königreichsmelodien“ aufgenommen, so daß jeder zu Hause in den Genuß erbauender Musik kommen konnte.)
1984: „Singt Jehova Loblieder“
(225 Königreichslieder, deren Texte und Melodien einzig und allein von Jehova hingegebenen Dienern aus aller Welt verfaßt beziehungsweise komponiert wurden. Zur Gesangbegleitung wurden Schallplatten- und Kassettenaufnahmen hergestellt.)
Lobgesänge gehörten schon zu den ersten Heimversammlungen der Bibelforscher. Bald sang man auch auf Kongressen. Manche sangen vor dem Frühstück in Verbindung mit ihrer morgendlichen Anbetung ein Lied, wie man es zum Beispiel viele Jahre lang im Bibelhaus tat. Zwar hatte man den Gesang in den einzelnen Versammlungen um das Jahr 1938 zum größten Teil abgeschafft, doch wurde er 1944 wiederbelebt und ist auch heute weiterhin ein wichtiger Bestandteil der Versammlungszusammenkünfte und der Kongresse der Zeugen Jehovas.
[Bild]
Karl Klein dirigiert 1947 ein Orchester auf einem Kongreß
[Übersicht auf Seite 242]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Gedächtnismahlfeier
Tätige Zeugen
Zahl der Anwesenden
11 000 000
10 000 000
9 000 000
8 000 000
7 000 000
6 000 000
5 000 000
4 000 000
3 000 000
2 000 000
1 000 000
1935 1945 1955 1965 1975 1985 1992
[Bild auf Seite 243]
Obwohl Harold King in einem Gefängnis in China von der Außenwelt abgeschnitten war, feierte er regelmäßig das Gedächtnismahl
[Bild auf Seite 244]
Bibelunterricht für Jugendliche in Deutschland Anfang der 30er Jahre
[Bilder auf Seite 244]
In der Schweiz gaben jugendliche Zeugen Mitte der 30er Jahre diese Zeitschrift (unten) heraus und führten vor großem Publikum biblische Dramen auf (wie auf dem mittleren Bild unten zu sehen ist)
[Bilder auf Seite 247]
Das „Bulletin“ (1919—1935), der „Instruktor“ (1935/36), der „Informator“ (1936—1956) und „Unser Königreichsdienst“, der heute in 100 Sprachen erscheint: alle haben regelmäßig Anweisungen für den vereinten Predigtdienst der Zeugen Jehovas gegeben
[Bild auf Seite 248]
Demonstrationen in den Dienstzusammenkünften helfen den Zeugen, ihren persönlichen Predigtdienst zu verbessern (Schweden)
[Bild auf Seite 249]
Ein junger Zeuge aus Kenia übt sich, indem er seinem Vater in der Theokratischen Predigtdienstschule eine Ansprache hält
[Bild auf Seite 250]
1992 wurden für die Versammlungen der Zeugen Jehovas Bibelstudienhilfsmittel simultan in 66 Sprachen veröffentlicht, und weitere Sprachen kommen hinzu