Mit Gottes Organisation voranschreiten
Von Grant Suiter erzählt
IM Jahre 1922, als ich 14 Jahre alt war, zog mein Vater mit uns von Chicago (Illinois, USA) nach Kalifornien. Auf dem Weg dorthin besuchten wir alte Freunde in Idaho. Sie erzählten uns von Leuten in Kalifornien, die erklärten, daß nach der Bibel Millionen jetzt lebender Menschen niemals sterben würden.
Kurz nachdem wir in Kalifornien angekommen waren, sahen wir in einer Zeitung die Ankündigung „Millionen jetzt lebender Menschen werden niemals sterben“. Das war das Thema eines öffentlichen Vortrages, der in San Jose gehalten werden sollte. Auf diese Weise machte mein Vater die Bibelforscher (als solche waren Jehovas Zeugen damals bekannt) ausfindig; er besuchte ihre öffentlichen Zusammenkünfte und nahm auch uns mit.
Meine Mutter wollte, daß ich eine kirchliche Sonntagsschule besuchte. Obwohl mein Vater gegenüber Predigern aller Religionsgemeinschaften kritisch eingestellt war, stimmte er zu und meinte, es könne nützlich für mich sein. So wurde ich ein regelmäßiger Besucher der methodistischen Sonntagsschule. Später führte ich sogar die Kasse der Schule und spielte in ihrem Basketballteam. Zu dieser Zeit besuchten wir öffentliche Vorträge, die von den Bibelforschern in San Jose, nur einige Meilen von unserer Wohnung in Santa Clara entfernt, gehalten wurden.
Mein Vater sehnte sich nach besseren Verhältnissen und setzte sich deshalb für verschiedene politische Kandidaten ein. Den Namen eines Kandidaten malte er sogar auf die Windschutzscheibe unseres Ford, Modell T. Anläßlich der Zusammenkünfte machten Bibelforscher ihn freundlich darauf aufmerksam, daß die wirkliche Hoffnung der Menschheit nicht auf politischen Anstrengungen beruht, sondern auf Gottes Königreich unter Christus Jesus. Mein Vater stimmte zwar zu, daß das für die Zukunft in Ordnung sei, aber in der Zwischenzeit wollte er durch politische Maßnahmen das Bestmögliche erreichen. Im Laufe der Zeit kam jedoch unsere ganze Familie — meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und ich — zu einem besseren Verständnis der biblischen Wahrheit und der Anforderungen des Wortes Gottes.
Geistiges Wachstum
Schließlich konnte ich es nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren, die methodistische Sonntagsschule zu besuchen, und daher schied ich aus. Im Jahre 1923 war unsere Familie nach Oakland umgezogen, ein paar Meilen von unserer früheren Wohnung entfernt. Dort betrieb mein Vater ein kleines Lebensmittelgeschäft, und ich besuchte die High-School. Als ich erfuhr, daß Bibelforscher nicht rauchen, versuchte ich, meinen Vater davon zu überzeugen, in seinem Geschäft keine Zigaretten mehr zu verkaufen. Er war nicht meiner Meinung, aber besprach die Sache mit Robert Craig, einem der Bibelforscher.
Nach ihrer Unterhaltung entschloß sich mein Vater, das gesamte Geschäft zu verkaufen und von Oakland wegzuziehen. Zu seinem Entschluß veranlaßten ihn auch die Bemühungen einer Gruppe, ihm im Alkoholschmuggel zu einem guten Start zu verhelfen. Aber ihm war klar, daß das nicht mit dem zu vereinbaren war, was er in der Ekklesia (Versammlung) der Bibelforscher in Oakland gelernt hatte. Wegen des unmoralischen Einflusses an den Schulen verließ ich mit Erlaubnis meiner Eltern zu dieser Zeit die High-School, nachdem ich sie nur eineinhalb Jahre besucht hatte.
Wir zogen ein paar Meilen weg, nach Mountain View, das nicht weit von San Jose entfernt war, so daß wir dort wieder die Zusammenkünfte der Ekklesia besuchen konnten. Mein Vater unterhielt wieder ein Geschäft, und ich arbeitete die ganze Zeit mit, erhielt jedoch keine Bezahlung, sondern half ihm nur. Vati abonnierte den Wachtturm und Das Goldene Zeitalter (heute Erwachet! genannt). Besonders gefiel mir Das Goldene Zeitalter. Ich hatte den Eindruck, daraus mehr zu lernen, als wenn ich auf der High-School geblieben wäre.
Die Zusammenkünfte der Ekklesia wurden für mich immer interessanter. Ganz besonders beeindruckte mich der Artikel in der Ausgabe des Wachtturms vom 1. März 1925 (deutsch: 15. April 1925) mit dem Titel „Die Geburt der Nation“. Die darin gegebenen Erläuterungen zeigten, daß die Bibelforscher, was das Verständnis über Jehovas Königreich unter Jesus Christus betraf, einen großen Schritt nach vorn gemacht hatten. Man verstand nämlich, daß das Königreich im Jahre 1914 im Himmel aufgerichtet worden war. Während dieser Zeit befreundeten wir uns mit den Bibelforschern in Mountain View und verbrachten viel Zeit mit ihnen in ihren Wohnungen.
Schließlich erkannten wir, daß das Gebet nicht nur ein Bestandteil der Zusammenkünfte der Ekklesia war, sondern daß die Brüder auch zu Hause beteten, was Dankgebete anläßlich der Mahlzeiten einschloß. Mein Vater bemühte sich um die rechte Ansicht über das Gebet. Im großen und ganzen hatte er nämlich Gebete als Heuchelei angesehen. Ich erinnere mich, dabeigewesen zu sein, als ein Bibelforscher, der ihn in seinem Geschäft besuchte, mit ihm über das Gebet sprach. Der Besucher wies darauf hin, wie wir Jehova für die Segnungen, die wir empfangen hatten, unseren Dank zum Ausdruck bringen sollten. Aber mein Vater fragte ihn, wieso wir Jehova für alle guten Dinge danken sollten; wir würden ihn ja sicherlich auch nicht für unsere Schwierigkeiten verantwortlich machen. Schließlich erlangte jedoch unsere ganze Familie ein klares Verständnis über das Gebet, und wir machten vollen Gebrauch von dieser liebevollen Einrichtung.
Eine Vorkehrung der Ekklesia, aus der ich großen Nutzen zog, war die Prophetenschule. Das war eine Zusammenkunft der Ältesten und anderer Männer zur Schulung im öffentlichen Sprechen. Der Studierende hielt eine vorbereitete Ansprache über ein Thema, das ihm zugeteilt worden war, und die anderen gaben ihm hilfreichen Rat. Die konstruktive Kritik, die ich in der Schule erhielt, war jedoch nichts im Vergleich zu dem, was ich später von meinem Vater zu hören bekam, nachdem er einer dieser Zusammenkünfte beigewohnt und gehört hatte, wie ich versuchte, eine Ansprache zu halten.
Durch die Pilgerbrüder — sie waren besondere Beauftragte der Watch Tower Society — wurde meinen Angehörigen und mir große Hilfe zuteil. Ihre Besuche wurden von den Ekklesias jährlich bei der Gesellschaft angefordert. J. A. Bohnet beeindruckte mich sehr und half mir auf besondere Weise. Er war ein Mann, der Eigenschaften hatte, die ihm die Zuneigung einiger einbrachten, obgleich sie auf andere eine gegenteilige Wirkung hatten. Er liebte Jehova und war offensichtlich bescheiden, verbarg diese Eigenschaft aber irgendwie hinter einer „rauhen Schale“.
Taufe und christlicher Predigtdienst
Eine Ansprache, die Bruder Bohnet in der Wohnung eines Bibelforschers in Mountain View hielt, hatte große Auswirkungen auf mein Leben. Als er so über das Vorrecht und die Verpflichtung, Jehova zu dienen, sprach, wurde mir klar, was ich tun sollte und tun wollte. Daher gab ich mich Jehova persönlich hin. Auch meine Angehörigen taten dies etwa zur selben Zeit, und am 10. Oktober 1926 symbolisierten wir alle zusammen unsere Hingabe an Jehova Gott, indem wir uns in San Jose (Kalifornien) im Wasser untertauchen ließen.
Damals lief die Taufhandlung ein wenig anders ab als heute. Der Älteste, der mich taufte, sagte zu mir: „Bruder Grant, im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes taufe ich dich jetzt in Christus.“ Jeder von uns trug ein kurzärmeliges langes, schwarzes Gewand, das vom Hals bis zu den Fersen reichte. Um sicher zu sein, daß es den Taufanwärter anständig bedeckte und sich nicht nach oben zog, hatte man den Saum mit Blei beschwert.
Nach der Taufe und nachdem wir uns wieder angezogen hatten, sagte mein Vater zu dem Ältesten, der die Taufe beaufsichtigte: „Ihr geht doch auch mit Literatur in den Dienst, nicht wahr? Wir würden in diesem Werk jetzt gern mitmachen.“ So nahm unsere Familie den Predigtdienst auf.
Ein Ältester, H. O. Lawrence, nahm mich das erste Mal mit in den Predigtdienst. Er rüstete mich mit einigen Broschüren aus, und wir fuhren nach San Jose ins Gebiet. Ich dachte, er würde mit mir von Haus zu Haus gehen, aber er bat mich, aus dem Wagen auszusteigen, und sagte: „Jetzt gehst du auf dieser Straßenseite hinunter.“ Dann fuhr er weg. So bearbeitete ich diese Straßenseite und gab drei Broschüren gegen einen Beitrag von 25 Cent ab. Ich war sehr glücklich. Durch meine Beteiligung am christlichen Predigtdienst fühlte ich mich wirklich als ein Teil der Organisation Gottes.
Etwa zu dieser Zeit wurde uns in unseren monatlichen Dienstanweisungen, dem Bulletin (heute Unser Königreichsdienst genannt), empfohlen, dem Wohnungsinhaber etwas über die Organisation des Teufels zu erzählen. Wenn mich also Leute mit der Bemerkung, sie seien nicht interessiert, abwiesen, fuhr ich etwas beharrlich fort, ihnen zu sagen, daß Satan eine Organisation hat, die bald vernichtet wird. Das war ein ziemlicher Unterschied zu unserer üblichen Darlegung über die Aussicht, für immer auf einer paradiesischen Erde zu leben, ohne jemals sterben zu müssen.
Die Ekklesia in San Jose legte gewöhnlich große Entfernungen zurück, um andere mit der Königreichsbotschaft zu erreichen. Regelmäßig zogen sogenannte „Werbezeugnis-Gruppen“ in das Santa Clara Valley und die Hügel der Umgebung. Ich kann mich erinnern, daß das Land, so weit das Auge reichte, mit blühenden Obstgärten bedeckt war. Gewöhnlich nahmen wir uns etwas zu essen mit und verbrachten den ganzen Tag in dem Gebiet, wo wir Zeugnis gaben. Manchmal mußten wir 120 Kilometer oder mehr fahren.
Viele Jahre wurde die Radiostation KFWM in Oakland benutzt, um die Königreichsbotschaft auszusenden, und verschiedene Versammlungen in der Umgebung wechselten sich darin ab, die Radiostation an den Wochenenden mit Programmen zu versorgen. Ich hatte das Vorrecht, biblische Vorträge über diese Radiostation zu verlesen, beispielsweise am 24. Juli 1927. Die Erkennungsbuchstaben der Radiostation entsprachen den Anfangsbuchstaben von „Kingdom For World of Mankind“ (Königreich für die Menschenwelt).
Ausdehnung meines Dienstes
Als wir eines Tages von einer Zusammenkunft nach Hause fuhren, bot mir Bruder Lawrence, der mich als erster in den Predigtdienst mitgenommen hatte, einen Bewerbungsbogen für den Dienst im Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn (New York) an. Eine Weile zuvor, kurz nach unserer Taufe, hatte ich zufällig gehört, wie mein Vater zu meiner Mutter sagte, daß er an meiner Stelle den Dienst für Jehova zu seiner Lebensaufgabe machen würde. Das wollte ich auch, und ich hatte das Gefühl, daß mir die Gelegenheit dazu geboten wurde, als ich mich um den Betheldienst bewarb.
Die Wachtturm-Ausgabe vom 15. Mai 1928 (englisch) kündigte einen internationalen Kongreß der Bibelforscher in Detroit (Michigan) an, der vom 30. Juli bis zum 6. August stattfinden sollte. Ich wollte diesen Kongreß sehr gern besuchen, und meine Angehörigen und einige Freunde ermöglichten es mir. Während des Kongresses gab Donald Haslett, ein Sekretär J. F. Rutherfords, des Präsidenten der Gesellschaft, von der Bühne bekannt, daß für den Betheldienst Brüder benötigt würden. Er sagte, diejenigen, die sich bewerben möchten, könnten mit Bruder Rutherford sprechen. Ich ging darauf ein, füllte eine weitere Bethelbewerbung aus, und Bruder Rutherford sagte mir, ich solle mich am 13. August 1928 im Bethel melden.
Am 13. August, nur eine Woche nach dem Kongreß in Detroit, traten insgesamt 13 Brüder ihren Dienst im Bethel an. Zu jener Zeit waren 95 Glieder der Bethelfamilie mit der Produktion und dem Versand von biblischer Literatur in dem neuen Fabrikgebäude in der Adams Street 117 beschäftigt, und eine etwas kleinere Gruppe war im Bethelheim und in den verschiedenen Büros der Gesellschaft tätig. Meine erste Arbeit im Bethel war es, Broschüren von der Maschine abzunehmen, auf der sie gefaltet wurden, nachdem das Deckblatt mit Draht angeheftet worden war. In der Druckerei arbeitete ich weniger als zwei Wochen, dann wurde ich in das Büro versetzt, und zwar in die Dienstabteilung. Dort mitzuarbeiten gab mir wirklich das Gefühl, mit Gottes Organisation voranzuschreiten.
Da ich nicht wußte, wo ich meine ersten Ferien (1929) verbringen sollte, blieb ich im Bethel. So war ich zugegen, als Bruder Rutherford im Freimaurertempel in Brooklyn seine Ansprache über Gottes Zulassung des Bösen und die Rechtfertigung des Namens Jehova hielt. Zuvor hatten wir diesen Gedanken nicht verstanden, und so war die Ansprache Bruder Rutherfords eine begeisternde Klarstellung einer wichtigen Grundlehre.
Vorwärts in die 1930er Jahre!
Ein wirklicher Höhepunkt des Jahres 1931 war die Annahme des Namens Jehovas Zeugen, der zur Einheit des Volkes Gottes beitrug. Im folgenden Jahr wurde die Bezeichnung für eine Versammlung von „Ekklesia“ in „Company“ (deutsch: „Gruppe“) geändert, eine Änderung, die sich im Englischen auf die Wiedergabe von Psalm 68:11 nach der Authorized Version stützte. So gab es dann in der ganzen Welt „Gruppen“ von Jehovas Zeugen und keine „Klassen“ oder „Ekklesias“ mehr.
Im Jahre 1932 verkaufte mein Vater sein Geschäft in Kalifornien, und er, meine Mutter und meine Schwester nahmen den Pionierdienst auf. Sie bauten sich selbst einen Wohnwagen, der meinen Eltern in den nächsten 20 Jahren als Pionierheim diente. Grace, meine Schwester, arbeitete mit ihnen zusammen, bis sie im Jahre 1939 eingeladen wurde, ein Glied der Brooklyner Bethelfamilie zu werden. Hier dient sie noch heute. Seit 1959 ist sie mit Simon Kraker verheiratet.
Der Fabrikleiter, Robert J. Martin, starb am 23. September 1932, und Nathan H. Knorr wurde von Bruder Rutherford an seiner Stelle ernannt. Bruder Knorr war zuvor im Produktionsbüro tätig.
Im folgenden Jahr begannen ernste Schwierigkeiten für Gottes Volk. Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler Reichskanzler in Deutschland, und am 28. Juni 1933 wurde das deutsche Zweigbüro der Wachtturm-Gesellschaft in Magdeburg besetzt und geschlossen. Papst Pius XI. erklärte das Jahr 1933 zum „Heiligen Jahr“. Kurz danach sprach Bruder Rutherford über 55 Radiostationen über das Thema „Wirkung des Heiligen Jahres auf Frieden und Wohlfahrt“. Es war mein Vorrecht, dieses Programm anzusagen.
In den frühen 1930er Jahren wurde unserem Werk beträchtlicher Widerstand entgegengesetzt, und es kam zu einer weitverbreiteten Verfolgung. Um in Unruhegebieten ein konzentriertes Zeugnis zu geben, wurden Jehovas Zeugen in „Divisionen“ organisiert. In Deutschland nahm die Verfolgung in einem solchen Maß zu, daß am 7. Oktober 1934 in vielen Ländern Gruppen des Volkes Gottes Telegramme an Hitler sandten und ihn aufforderten, die Verfolgung zu beenden.
Zu dieser Zeit gab es in den Reihen des Volkes Gottes viele Diskussionen darüber, wer die „große Schar“ aus Offenbarung 7:9 (Luther) sei. Im allgemeinen nahm man damals an, daß es eine zweitrangige, nicht ganz so treue himmlische Klasse sei. Anläßlich eines Bethel-Studiums, das Bruder T. J. Sullivan leitete, fragte ich: „Müssen diejenigen, die die ‚große Schar‘ bilden, nicht ihre Lauterkeit bewahren, da sie doch ewiges Leben erlangen?“ Viele Kommentare wurden gegeben, aber eine definitive Antwort blieb aus. Als ich aufgerufen wurde, meinen eigenen Kommentar zu geben, sagte ich, daß ich eigentlich nur versucht hatte, ein Ja oder ein Nein als Antwort zu erhalten.
Nun, am 31. Mai 1935, während des Kongresses in Washington (D. C.), sprach Bruder Rutherford über dieses Thema. Ich saß auf dem Balkon und blickte nach unten über die Menge hinweg. Und welche Begeisterung diese Ansprache doch auslöste! Die große Schar wurde anhand der Bibel eindeutig identifiziert, und zwar besteht sie aus Personen, die Harmagedon mit der Aussicht auf ewiges Leben auf der Erde überleben werden. Ja, hier erfuhren wir Näheres über die „Millionen jetzt lebender Menschen“, die „niemals sterben“ werden.
Am 12. Juli 1937 wurde ich von Bruder Rutherford zum Betheldiener ernannt. So hatte ich das Vorrecht, während der letzten viereinhalb Lebensjahre Bruder Rutherfords eng mit ihm zusammenzuarbeiten. Ende des Jahres 1937 wurde der Titel des Goldenen Zeitalters auf Trost geändert. Das veranlaßte Bruder Rutherford zu einer humoristischen Bemerkung, als ich ihn einmal durch Scranton (Pennsylvanien) fuhr, das nicht weit von der Heimatstadt des Redakteurs dieser Zeitschrift, C. J. Woodworth, entfernt liegt. In jenen Tagen war es schwer, mit dem Auto durch Scranton zu kommen. So sagte Bruder Rutherford — er nannte C. J. Woodworth einfach „Woody“ —: „Kein Wunder, daß Woody Trost braucht, wenn er in einer solchen Stadt wohnt!“
Der Zweite Weltkrieg — eine prüfungsreiche Zeit
Im September 1939 brach der Zweite Weltkrieg aus. Im Oktober wurde unser Zweigbüro in Paris geschlossen und unser Werk in Frankreich verboten. Im folgenden Jahr wurde unser Werk in Kanada verboten. Während des Sommers 1940 war Bruder Rutherford krank, und wir wußten nicht, ob er zu dem geplanten Kongreß in Detroit (Michigan) kommen könnte. Er besuchte ihn, aber während seines öffentlichen Vortrages ließ er mir eine Nachricht zukommen, die besagte, daß er sogleich ins Bethel zurückkehren wolle und daß ich dafür Vorbereitungen treffen sollte.
Im folgenden Sommer hatten wir den großen Kongreß in St. Louis (Missouri, USA), den größten, den Jehovas Zeugen bis dahin abgehalten hatten. Ich wurde beauftragt, die Vorräte für die Cafeteria in Empfang zu nehmen. Deshalb hatte ich nur am letzten Tag Gelegenheit, während des Programms im Stadion zu sein, und zwar als das Buch Kinder freigegeben wurde. Anläßlich dieses Kongresses erhielten wir auch die Broschüre Jehovah’s Servants Defended (Jehovas Diener verteidigt). Sie sollte uns helfen, Polizeiaktionen gegen unseren Haus-zu-Haus-Dienst zu begegnen, die von religiösen Kreisen angestiftet wurden.
Diese Veröffentlichung war äußerst zeitgemäß. Noch im gleichen Jahr wurde mein Vater festgenommen und ins Gefängnis gesteckt, weil er sich am Predigtdienst beteiligt hatte. Meine Mutter, die dadurch allein im Wohnwagen zurückblieb, wurde von einer Pöbelrotte überfallen. Sie erlitt zwar keinen körperlichen Schaden, aber die Pöbelrotte plünderte den Wohnwagen, und so sah sich meine Mutter gezwungen, bei anderen Zeugen in der Gegend Schutz zu suchen.
Am 1. Oktober 1941 war es mein Vorrecht, in Abwesenheit von Bruder Rutherford der Jahresversammlung der Watch Tower Bible and Tract Society of Pennsylvania vorzustehen. Anläßlich dieser Zusammenkunft wurde ich in den Vorstand der pennsylvanischen Körperschaft gewählt.
Zwei Monate später, am Sonntag, dem 7. Dezember 1941, kamen N. H. Knorr, G. E. Hannan und ich mit dem Auto vom Predigtdienst in einem nahe gelegenen Teil von Long Island zurück. Wir hatten das Autoradio eingeschaltet und hörten die schockierende Nachricht, daß die Japaner Pearl Harbor bombardiert hatten. Für Jehovas Volk sah es böse aus — die Vereinigten Staaten im Kriegszustand, der Präsident der Gesellschaft ernsthaft krank und Feinde, die von jeder Seite darauf drängten, unsere Predigttätigkeit zu unterbinden.
Obwohl Bruder Rutherford nur einen Monat und einen Tag später verstarb, nahm das Königreichswerk unablässig seinen Fortgang. Bruder Knorr wurde zum Präsidenten gewählt, und ein Jahr später, am 1. Februar 1943, eröffnete er die Wachtturm-Bibelschule Gilead zur Schulung von Missionaren.
Am 8. Mai 1945 gab US-Präsident Harry S. Truman die Kapitulation Deutschlands bekannt. Im August warfen die Vereinigten Staaten Atombomben auf die japanischen Städte Hiroschima und Nagasaki, und dann lag die Nachkriegszeit vor uns.
Entwicklungen in der Nachkriegszeit
Die Stadt New York setzte uns davon in Kenntnis, daß sie uns den hinteren Teil unseres Bethelheimes an der Columbia Heights, das sich bis hinunter zur Furman Street erstreckte, abnehmen würde, um eine Promenade anzulegen und eine Schnellstraße zu bauen. Die Gesellschaft war jedoch in der Lage, für eine Erweiterung des Bethelheimes ein Grundstück an der Columbia Heights zu erwerben, und die Baugenehmigung ging am 11. Oktober 1946 ein. So begannen am 27. Januar 1947 die Abbrucharbeiten am hinteren Teil unseres Gebäudes an der Furman Street, und während der Jahre 1948 und 1949 wurde der neue Bethelanbau errichtet. Dieser geschmackvolle neue Anbau wurde im Jahre 1950 seiner Bestimmung übergeben. Eine große, neungeschossige Erweiterung zu der Fabrik in der Adams Street 117 wurde etwa zur gleichen Zeit fertiggestellt.
Wegen fortgeschrittenen Alters und Krankheit war der Sekretär-Kassierer der Gesellschaft, W. E. Van Amburgh, nicht mehr in der Lage, seiner Arbeit nachzugehen, und trat daher von seiner Stellung zurück. Am 6. Februar 1947 wurde ich zu seinem Nachfolger gewählt und übernahm seine Aufgaben. Bruder Van Amburgh starb am darauffolgenden Tag.
Kurz danach, im Frühjahr des Jahres 1947, wurde ich von der Gesellschaft beauftragt, verschiedene europäische Länder, die durch den Zweiten Weltkrieg verwüstet worden waren, zu besuchen. Es war wirklich ein Vorrecht, mit treuen Dienern Jehovas Gemeinschaft zu pflegen, die erst kurz zuvor aus nationalsozialistischen Konzentrationslagern befreit worden waren, wo sie etliche Jahre zugebracht hatten. Es war eine Freude für mich, ihnen als ein Hauptredner während der Kongresse, die damals abgehalten wurden, geistige Ermunterung zukommen zu lassen.
Seit dem Jahre 1928, dem Jahr, in dem ich ins Bethel kam, war es mir nicht möglich gewesen, einen Besuch in Kalifornien zu machen. Meine Eltern verbrachten ihren Pionierdienst hauptsächlich im Osten, und so konnte ich sie von Zeit zu Zeit sehen, besonders auf großen Kongressen. Aber im Sommer 1947 hatte ich die Möglichkeit, wieder einmal nach Kalifornien zu reisen. Vom 13. bis 17. August war ein Kongreß in Los Angeles geplant, und die Gesellschaft ermöglichte denjenigen, die seit über 15 Jahren Glieder der Bethelfamilie waren, die Reise. Welch eine Reise und was für ein schöner Kongreß!
Besondere Dienstvorrechte
Im Laufe der Jahre habe ich auch in Verbindung mit der Ausdehnung der sichtbaren Organisation Gottes großartige Vorrechte gehabt. Die letzte der Eigentumserwerbungen der Watchtower Society, an deren Vertragsabschluß ich mitwirkte, war der Kauf der neuen Grundstücke und Gebäude in der Pearl Street 175 und der Furman Street 360 in Brooklyn. Ich hoffe von Herzen, daß diese neuen Räumlichkeiten zur weiteren enormen Ausdehnung des Königreichszeugnisses auf der ganzen Erde beitragen werden.
Ich bin Hunderttausende von Meilen gereist — nicht nur durch die Vereinigten Staaten, sondern auch in vielen anderen Ländern —, um auf Kongressen vor vielen Gliedern des Volkes Gottes Vorträge zu halten und sie in ihrem christlichen Dienst zu ermuntern. Zum Beispiel diente ich während der Kongreßreihe „Ewige gute Botschaft“, die im Jahre 1963 rund um die Welt ging, als einer der offiziellen Vertreter der Gesellschaft, um nur eines der zahlreichen Vorrechte zu nennen, für die ich Jehova dankbar bin. Bei den vielen historischen Kongressen der Zeugen Jehovas im Yankee-Stadion, wie im Jahre 1958, als über eine viertel Million Personen anwesend waren, diente ich als Redner. Auch das war ein besonderes Vorrecht.
Eine voranschreitende Organisation
Im Laufe unseres menschlichen Lebens bringen die Jahre Veränderungen mit sich. Manchmal fordern sie unglücklicherweise ihren Tribut. Das war der Fall, als mein Vater am 31. Dezember 1954 in Illinois starb, dem Bundesstaat, wo er seine letzte Pionierzuteilung hatte. Im darauffolgenden Jahr sorgten meine Schwester Grace und ich dafür, daß meine Mutter von Illinois nach New York umzog, wo sie bis zu ihrem Tod am 6. Mai 1962 lebte. Aber eine sehr freudige Veränderung kam für mich, als am 12. Mai 1956 Edith Rettos, eine eifrige Pionierin, meine Frau wurde. Seither hat sie treu mit mir zusammen hier im Bethel gedient.
Was mich während der vielen Jahre des Dienstes hier in der Zentrale der sichtbaren Organisation Jehovas von Herzen glücklich gemacht hat, sind die ständigen Beweise des Segens Jehovas, der auf dem Werk ruht, das er seinem Volk zu tun geboten hat, nämlich die gute Botschaft vom Königreich auf der ganzen bewohnten Erde zu predigen, bevor das Ende kommt (Matthäus 24:14). Ich habe es miterlebt, als die leitende Körperschaft im Jahre 1971 und nochmals im Jahre 1974 vergrößert wurde, und habe seither einen Anteil daran, die vielen verantwortungsvollen Entscheidungen zu treffen, die sich auf die Zweige und auf das weltweite Predigtwerk auswirken. Auch habe ich erlebt, wie seit 1928, dem Jahr, in dem ich ins Bethel kam, die Zahl der Königreichsverkündiger, die sich in der ganzen Welt an diesem Werk beteiligen, von 44 080 bis heute auf etwa 2 500 000 angewachsen ist. Gottes Organisation ist wirklich vorangeschritten, und ich bin dankbar für die vielen Dienstvorrechte, die mir in Verbindung mit dem Geben des großen Schlußzeugnisses anvertraut worden sind.
Mein Glaube an die biblische Verheißung der gerechten Regierung Gottes und an die Segnungen, die sie über die Erde bringen wird, ist stärker denn je. Hätte ich mein Leben noch einmal zu leben, so würde ich keinen anderen Weg wählen. Welche Freude und was für ein Vorrecht ist es doch gewesen, die vergangenen 55 Jahre hier im Bethel zu dienen zusammen mit der größten und großartigsten christlichen Familie auf der Erde!
Während der vorangehende Artikel zur Veröffentlichung vorbereitet wurde, stürzte Bruder Suiter in seinem Zimmer im Brooklyner Bethel. Dabei zog er sich eine schwere Verletzung der Wirbelsäule zu. Zur Zeit wird er in der Krankenabteilung der Watchtower Society im Bethel auf bestmögliche Weise liebevoll gepflegt. Zwar hat sich sein Zustand etwas stabilisiert, er wird aber weiterhin als kritisch bezeichnet. Wir bitten Jehova, daß er sich dieses loyalen Bruders annehmen und ihn und seine Angehörigen während der Zeit seiner Behinderung trösten möge.
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J. A. Bohnet hatte großen Einfluß auf mein Leben
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Mit meiner Schwester und meinen Eltern
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Meine Eltern verbrachten 20 Jahre ihres Pionierdienstes in diesem Wohnwagen
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W. E. Van Amburgh, dessen Amt als Sekretär-Kassierer der Watch Tower Society ich 1947 übernahm
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Viele Male sprach ich auf großen Kongressen wie hier im Yankee-Stadion 1958
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Edith ist seit 1956 meine treue Gefährtin