Aufschluß aus den zwei Büchern der Könige
JESUS äußerte einmal in seiner Heimatstadt Nazareth Worte, die eine überraschend heftige Reaktion auslösten. Die Bewohner von Nazareth fragten ihn, warum er bei ihnen nicht so viele Wunder vollbrachte, wie er es in anderen Städten tat. Als Grund führte Jesus zwei biblische Beispiele an. Er erklärte:
„Wahrlich, ich sage euch, daß kein Prophet in seinem Heimatgebiet angenommen wird. Zum Beispiel sage ich euch in Wahrheit: Es gab viele Witwen in den Tagen Elias in Israel, als der Himmel drei Jahre und sechs Monate verschlossen war, so daß eine große Hungersnot über das ganze Land kam, doch zu keiner von diesen Frauen wurde Elia gesandt, sondern nur zu einer Witwe nach Zarephath im Lande Sidon. Auch gab es viele Aussätzige in Israel zur Zeit Elisas, des Propheten, doch keiner von ihnen wurde gereinigt als nur Naaman, der Syrer“ (Lukas 4:24-27). Nach diesen Worten packte die Zuhörer der Zorn, und sie versuchten, Jesus zu töten. Warum reagierten sie so heftig?
Um die Antwort zu finden, müssen wir auf die Hebräischen Schriften zurückgreifen und den Bericht über Elia und Elisa lesen. Die Christen des ersten Jahrhunderts waren ebenso wie ihre jüdischen Zuhörer mit diesen Bibelbüchern sehr gut vertraut. Bei zahlreichen Gelegenheiten nahmen die christlichen Bibelschreiber auf Ereignisse und Personen Bezug, die in diesen älteren Bibelbüchern erwähnt werden, um, wie Jesus es hier tat, einen Gedanken zu veranschaulichen. Die Zuhörer erkannten und verstanden solche Bezugnahmen sofort. Wenn wir Jesu Lehren voll und ganz begreifen möchten, müssen wir sie ebenfalls beachten.
Es ist tatsächlich unmöglich, die Christlichen Griechischen Schriften völlig zu verstehen, wenn man nicht mit den Hebräischen Schriften vertraut ist. Die Begebenheiten in Verbindung mit den Propheten Elia und Elisa, auf die Jesus hinwies, sind in den zwei Büchern der Könige aufgezeichnet. Eine nähere Betrachtung wird den gerade erwähnten Gedanken bestätigen und zeigen, inwiefern eine Kenntnis dieser beiden Bücher ein tieferes und klareres Verständnis der Christlichen Griechischen Schriften ermöglicht.
Ein nicht gerade schmeichelhafter Vergleich
Warum waren die Bewohner von Nazareth so bestürzt, als Jesus zwei Wunder erwähnte, die Elia und Elisa über 900 Jahre zuvor vollbracht hatten? Offensichtlich verglich Jesus sie mit den Israeliten des nördlichen Königreiches Israel in den Tagen Elias und Elisas, und wie die beiden Bücher der Könige zeigen, war Israel zu jener Zeit in geistiger Hinsicht in einem schlechten Zustand. Die Israeliten waren zur Baalsanbetung übergegangen und verfolgten die Propheten Jehovas. Elia war vor seinen eigenen Landsleuten geflohen, als ihn eine Witwe aus Zarephath, einem fremden Land, aufnahm und ihm etwas zu essen gab. Dort vollbrachte er das Wunder, auf das sich Jesus bezog (1. Könige 17:17-24). Israel war immer noch von der Baalsanbetung durchdrungen, als Elisa den syrischen Heerobersten Naaman von seinem Aussatz heilte (2. Könige 5:8-14).
Den Bewohnern von Nazareth gefiel es nicht, mit den abtrünnigen Juden jener Tage verglichen zu werden. War Jesu Vergleich gerechtfertigt? Offensichtlich ja. Genauso, wie Elias Leben in Israel in Gefahr war, stand auch Jesu Leben nun auf dem Spiel. Der Bibelbericht teilt uns mit: „Alle nun, die diese Dinge in der Synagoge hörten, wurden voller Wut; und sie standen auf und trieben ihn eilends aus der Stadt hinaus, und sie führten ihn auf den Vorsprung des Berges, auf dem ihre Stadt gebaut war, um ihn kopfüber hinabzustürzen.“ Aber Jehova beschützte Jesus, ebenso wie er zuvor Elia beschützt hatte (Lukas 4:28-30).
König Salomos Herrlichkeit
Das ist nur ein Beispiel, das zeigt, wie durch die zwei Bücher der Könige die Worte Jesu und die der ersten Christen an Bedeutung zunehmen. Ein weiteres Beispiel ist in der Bergpredigt zu finden. Jesus ermunterte seine Zuhörer, auf Jehova zu vertrauen, was materielle Bedürfnisse betrifft. Unter anderem sagte er: „Auch hinsichtlich der Kleidung, weshalb macht ihr euch Sorgen? Lernt eine Lektion von den Lilien des Feldes, wie sie wachsen; sie mühen sich nicht ab, noch spinnen sie; doch sage ich euch, daß nicht einmal Salomo in all seiner Herrlichkeit wie eine von diesen bekleidet war“ (Matthäus 6:28, 29). Warum nahm Jesus hier auf Salomo Bezug?
Seine jüdischen Zuhörer kannten den Grund, denn sie wußten um die Herrlichkeit Salomos. Sie wird ausführlich im ersten Buch der Könige geschildert (auch in 2. Chronika). Sie erinnerten sich sicherlich an den täglichen Bedarf an Nahrungsmitteln im Haushalt Salomos: „Dreißig Kor-Maß Feinmehl und sechzig Kor-Maß Mehl, zehn fette Rinder und zwanzig Weiderinder und hundert Schafe, außer einigen Hirschen und Gazellen und Rehböcken und gemästeten Kuckucken“ (1. Könige 4:22, 23). Das war eine Fülle von Nahrung.
Überdies belief sich das Gewicht des Goldes, das für Salomo in einem Jahr einging, auf „sechshundertsechsundsechzig Talente Gold“, was beim derzeitigen Goldpreis 250 Millionen US-Dollar entspräche. Und all die Verzierungen des Hauses Salomos waren aus Gold. „Da war nichts aus Silber; es wurde in den Tagen Salomos wie gar nichts geachtet“ (1. Könige 10:14, 21). Als Jesus seinen Zuhörern dies in Erinnerung zurückrief, erfaßten sie sofort den Sinn seiner Worte.
Jesus wies noch in einem anderen Zusammenhang auf Salomo hin. Einige Schriftgelehrte und Pharisäer verlangten, er solle ein Wunder vollbringen, und Jesus antwortete: „Die Königin des Südens wird im Gericht mit dieser Generation zum Aufstehen veranlaßt werden und wird sie verurteilen; denn sie kam von den Enden der Erde, um die Weisheit Salomos zu hören, doch siehe! mehr als Salomo ist hier“ (Matthäus 12:42). Warum war dieser Hinweis ein scharfer Tadel für die religiösen Führer, die zuhörten?
Wer das erste Buch der Könige kennt, weiß, daß die „Königin des Südens“ die Königin von Scheba war. Sie war offensichtlich eine bedeutende Persönlichkeit, die Königin eines wohlhabenden Reiches. Als sie Salomo besuchte, kam sie „mit einem sehr eindrucksvollen Troß“; sie brachte teures Öl und „sehr viel Gold und kostbare Steine“ (1. Könige 10:1, 2). Die friedliche Verständigung nationaler Herrscher erfolgt meistens durch Abgesandte. Daher war es für die Königin von Scheba, eine regierende Monarchin, ungewöhnlich, persönlich die weite Strecke nach Jerusalem zu reisen, um König Salomo zu sehen. Warum unternahm sie diese Reise?
König Salomo war sehr wohlhabend, aber das traf auch auf die Königin von Scheba zu. Sie hätte diese Reise nicht angetreten, nur um einen reichen Monarchen zu sehen. Doch Salomo war nicht nur reich, sondern „größer an Reichtum und Weisheit als alle anderen Könige der Erde“ (1. Könige 10:23). Unter seiner weisen Herrschaft wohnten „Juda und Israel ... fortwährend in Sicherheit, ein jeder unter seinem eigenen Weinstock und unter seinem eigenen Feigenbaum, von Dan bis Beer-Scheba, alle Tage Salomos“ (1. Könige 4:25).
Salomos Weisheit wirkte auf die Königin von Scheba anziehend. Sie hörte „den Bericht über Salomo in Verbindung mit dem Namen Jehovas. So kam sie, um ihn mit verwickelten Fragen auf die Probe zu stellen.“ Sie traf in Jerusalem ein und „kam dann zu Salomo herein und begann zu ihm über all das zu reden, was ihr gerade am Herzen lag. Salomo seinerseits fuhr fort, ihr über all ihre Angelegenheiten Bescheid zu geben. Keine Angelegenheit erwies sich vor dem König als verborgen, über die er ihr nicht Bescheid gegeben hätte“ (1. Könige 10:1-3).
Auch Jesus besaß außergewöhnliche Weisheit „in Verbindung mit dem Namen Jehovas“. Er war in der Tat „mehr als Salomo“ (Lukas 11:31). Die Königin von Scheba unternahm, obgleich sie keine Jüdin war, eine lange, beschwerliche Reise, nur um Salomo selbst zu sehen und aus seiner Weisheit Nutzen zu ziehen. Selbstverständlich hätten die Schriftgelehrten und Pharisäer dem „größeren Salomo“, der ja vor ihnen stand, mit Wertschätzung zuhören sollen. Doch das versäumten sie. Die „Königin des Südens“ schätzte die von Gott gegebene Weisheit weit mehr als diese Gelehrten.
Hinweise auf die Propheten
Während der Zeitspanne, die im ersten und zweiten Buch der Könige behandelt wird, regierten Könige als Herrscher über das Zwölfstämmereich und später auch über das geteilte Königreich, über Israel und Juda. Zu jener Zeit waren die Propheten Jehovas unter seinem Volk sehr aktiv. Unter ihnen stachen Elia und Elisa, die bereits genannt wurden, besonders hervor. Außer daß Jesus in Nazareth auf sie Bezug nahm, wie es im Lukasevangelium zu lesen ist, werden sie in den Christlichen Griechischen Schriften auch noch an anderen Stellen erwähnt.
Der Apostel Paulus schrieb in seinem Brief an die hebräischen Christen über den Glauben der Diener Gottes aus früherer Zeit, und als ein Beispiel führte er folgendes an: „Frauen erhielten ihre Toten durch Auferstehung“ (Hebräer 11:35). Zweifellos hatte er Elia und Elisa im Sinn, die beide jeweils ein totes Kind auferweckt hatten (1. Könige 17:17-24; 2. Könige 4:32-37). Als drei der Apostel Jesu bei der Umgestaltungsszene ‘Augenzeugen der herrlichen Größe Jesu’ wurden, sahen sie ihn mit Moses und Elia sprechen (2. Petrus 1:16-18; Matthäus 17:1-9). Warum wurde Elia erwählt, um die Gesamtheit der vorchristlichen Propheten darzustellen, die für Jesus Zeugnis ablegten? Wenn du in dem Bericht aus dem ersten Buch der Könige über den großen Glauben und die mächtigen Taten liest, die Jehova durch ihn vollbringen ließ, wirst du den Grund verstehen.
Dennoch war Elia im Grunde ein gewöhnlicher Mensch wie du und ich. Jakobus nahm auf eine weitere Begebenheit aus dem ersten Buch der Könige Bezug, als er schrieb: „Das Flehen eines Gerechten hat, wenn es wirksam ist, viel Kraft. Elia war ein Mensch mit Gefühlen gleich den unseren, und doch betete er im Gebet, daß es nicht regnen möge; und es regnete drei Jahre und sechs Monate lang nicht auf das Land. Und er betete wieder, und der Himmel gab Regen, und das Land brachte seine Frucht hervor“ (Jakobus 5:16-18; 1. Könige 17:1; 18:41-46).
Weitere Bezugnahmen auf die Bücher der Könige
In den Christlichen Griechischen Schriften sind viele weitere Hinweise auf die zwei Bücher der Könige zu finden. Stephanus erinnerte den jüdischen Sanhedrin daran, daß Salomo in Jerusalem ein Haus für Jehova gebaut hatte (Apostelgeschichte 7:47). Zahlreiche Einzelheiten dieser Bautätigkeit sind im ersten Buch der Könige aufgezeichnet (1. Könige 6:1-38). Als Jesus in Samaria eine Frau ansprach, erwiderte sie überrascht: „‚Wie kommt es, daß du, obwohl du ein Jude bist, mich um einen Trunk bittest, da ich doch eine samaritische Frau bin?‘ (Die Juden verkehren nämlich nicht mit Samaritern.)“ (Johannes 4:9). Warum verkehrten die Juden nicht mit den Samaritern? Der Bericht aus dem zweiten Buch der Könige, der die Herkunft dieses Volkes nennt, gibt Aufschluß darüber (2. Könige 17:24-34).
Ein Brief an die Versammlung Thyatira aus dem Buch der Offenbarung enthält folgenden ernsten Rat: „Dessenungeachtet habe ich dies wider dich, daß du das Weib Isebel duldest, die sich eine Prophetin nennt, und sie lehrt meine Sklaven und führt sie irre, so daß sie Hurerei begehen und Dinge essen, die Götzen geopfert sind“ (Offenbarung 2:20). Wer war Isebel? Sie war die Tochter eines Baalspriesters aus Tyrus. Wie dem ersten Buch der Könige zu entnehmen ist, heiratete sie König Ahab von Israel und wurde Königin von Israel. Sie beherrschte ihren Mann und führte die Baalsanbetung in dem bereits abtrünnigen Israel ein, brachte eine Reihe Baalspriester in das Land und verfolgte die Propheten Jehovas. Schließlich starb sie eines gewaltsamen Todes (1. Könige 16:30-33; 18:13; 2. Könige 9:30-34).
Die Frau, die in der Versammlung Thyatira den Geist Isebels offenbarte, lehrte offensichtlich die Versammlung, unsittliche Handlungen zu begehen und Gottes Gesetze zu übertreten. Solch ein Geist mußte aus der Versammlung entfernt werden, so wie die Familie Isebels aus der israelitischen Nation beseitigt werden mußte.
Ja, wir brauchen die Hebräischen Schriften, um die Christlichen Griechischen Schriften zu verstehen. Viele Einzelheiten wären ohne den Hintergrund der Hebräischen Schriften bedeutungslos. Jesus, die ersten Christen und die Juden, zu denen sie sprachen, waren damit bestens vertraut. Du solltest dir ebenfalls die Zeit nehmen, dich damit vertraut zu machen. So wirst du den größten Nutzen aus der ‘ganzen Schrift’ ziehen, die „von Gott inspiriert und nützlich zum Lehren“ ist (2. Timotheus 3:16).