Fragen von Lesern
Offenbart die Bibel nicht dadurch, daß sie wiederholt vom „vaterlosen Knaben“ spricht, ein geringeres Interesse an Mädchen?
Absolut nicht.
In der Neuen-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift wird der Ausdruck „vaterloser Knabe“ in vielen Versen gebraucht, die Gottes Interesse an Kindern offenbaren, denen ein Elternteil fehlt. Gott zeigte dieses Interesse deutlich durch die Gesetze, die er Israel gab.
So erklärte er beispielsweise: „Ihr sollt eine Witwe oder einen vaterlosen Knaben nicht niederdrücken. Solltest du ihn irgendwie niederdrücken, dann werde ich, wenn er gar zu mir schreit, sein Schreien ganz gewiß hören; und mein Zorn wird tatsächlich entbrennen, und ich werde euch bestimmt mit dem Schwert töten, und eure Frauen sollen Witwen werden und eure Söhne vaterlose Knaben“ (2. Mose 22:22-24). „Jehova, euer Gott, ist der Gott der Götter und der Herr der Herren, der große, starke und furchteinflößende Gott, der niemand parteiisch behandelt noch eine Bestechung annimmt, der dem vaterlosen Knaben und der Witwe Recht schafft“ (5. Mose 10:17, 18; 14:29; 24:17; 27:19).
Viele Bibelübersetzungen sprechen in diesen Versen vom „vaterlosen Kind“ oder von „Waisen“, was Jungen und Mädchen einschließt. Solche Wiedergaben lassen jedoch eine Feinheit des zugrundeliegenden hebräischen Worts (jathṓm) außer acht, nämlich daß es sich um ein Maskulinum handelt. Im Gegensatz dazu gebraucht die Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift die genaue Wiedergabe „vaterloser Knabe“ oder „vaterlose Knaben“, wie beispielsweise in Psalm 68:5, wo es heißt: „Ein Vater von vaterlosen Knaben und ein Richter von Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung.“ Entsprechend diesem Feingefühl für das zugrundeliegende Hebräisch empfiehlt das feminine Geschlecht eines Verbs in Psalm 68:11 die Wiedergabe: „Die Verkündigerinnen der guten Botschaft sind ein großes Heer.“a
Auch wenn jathṓm hauptsächlich mit „vaterloser Knabe“ wiedergegeben wird, darf das nicht so verstanden werden, als sei kein Interesse an Mädchen vorhanden, denen ein Elternteil fehlt. Neben den zitierten Passagen zeigen auch andere, daß Gottes Volk ermuntert wurde, sich um Frauen, und zwar um Witwen, zu kümmern (Psalm 146:9; Jesaja 1:17; Jeremia 22:3; Sacharja 7:9, 10; Maleachi 3:5). Gott ließ in das Gesetz auch den Bericht über eine richterliche Entscheidung aufnehmen, durch die den vaterlosen Töchtern Zelophhads ein Erbe zugesprochen wurde. Damit war ein Grundsatzurteil für die Behandlung ähnlicher Situationen gefällt, wodurch die Rechte vaterloser Mädchen bestätigt wurden (4. Mose 27:1-8).
Jesus diskriminierte kein Geschlecht, wenn er Kindern seine freundliche Aufmerksamkeit schenkte. Wir lesen sogar: „Nun begann man, kleine Kinder zu ihm zu bringen, damit er diese anrühre; die Jünger aber verwiesen es ihnen. Als Jesus das sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: ‚Laßt die kleinen Kinder zu mir kommen; versucht nicht, sie daran zu hindern, denn das Königreich Gottes gehört solchen, die wie sie sind. Wahrlich, ich sage euch: Wer immer das Königreich Gottes nicht aufnimmt wie ein kleines Kind, wird bestimmt nicht in dasselbe eingehen.‘ Und er schloß die Kinder in seine Arme und begann sie zu segnen“ (Markus 10:13-16).
Das hier mit „kleine Kinder“ wiedergegebene griechische Wort ist ein Neutrum. In einem bekannten Wörterbuch der griechischen Sprache heißt es, daß dieses Wort für „Jungen und Mädchen gebr[aucht]“ wird. Durch Jesus zeigte Jehova sein Interesse an allen Kindern, Jungen wie Mädchen (Hebräer 1:3; vergleiche 5. Mose 16:14; Markus 5:35, 38-42). Es sollte somit anerkannt werden, daß der in den Hebräischen Schriften gegebene Rat, sich um den „vaterlosen Knaben“ zu kümmern, eigentlich ein Hinweis für uns ist, uns um alle Kinder zu kümmern, denen ein Elternteil fehlt oder die gar keine Eltern mehr haben.
[Fußnote]
a Die jüdische Übersetzung von Martin Buber lautet: „Mein Herr gibt den Spruch aus — der Heroldinnen groß ist die Schar.“