Sünde — Was ist das?
„Hört mit den Schuldgefühlen auf!“ sagte einmal ein Fürsprecher des Ichkults. Doch wer keine Schuldgefühle kennt, ist in Wirklichkeit krank.
KANN man die Sünde aus der Welt schaffen, indem man einfach eine entsprechende Erklärung verlauten läßt? Das wäre fast so, als würde man versuchen, bei einem Kranken das Fieber zu senken, indem man das Thermometer zerbricht, oder der Kriminalität ein Ende zu bereiten, indem man alle Gesetze abschafft. Die Sünde läßt sich nicht beseitigen, indem man das Buch verwirft, in dem sie definiert wird. Selbst wenn die Bibel unberücksichtigt bleibt, ist die Sünde eine Tatsache, die einem zu Bewußtsein kommt. Über Personen, die nicht mit Gottes Gesetz vertraut sind, wird in der Bibel folgendes gesagt:
„Wenn sie von sich aus tun, was das Gesetz verlangt, lebt das Gesetz in ihnen selbst. Ihr Verhalten zeigt, daß ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist. Ihr Gewissen beweist das. Ihre Gedanken klagen sie nämlich an oder entschuldigen sie“ (Röm. 2:14, 15, NT 68).
Ungeachtet, welche Behauptungen aufgestellt werden, dient man jeweils der Person oder der Sache, der man folgt: „Ihr wißt doch, daß ihr dem zum Gehorsam verpflichtet seid, in dessen Dienst ihr als Knechte steht. Im Verhältnis zur Sünde oder zu Gott ist es genauso: entweder dient ihr der Sünde. Das führt zum Tode. Oder ihr seid Gott gehorsam. Das führt zum neuen Leben“ (Röm. 6:16, Bruns).
Sünde und Schuldgefühl sind untrennbar mit unserem unvollkommenen Leben verbunden. Auch wenn man so handelt wie die in Sprüche 30:20 erwähnte Frau, ändert sich daran nichts: „So ist der Weg einer ehebrecherischen Frau: Sie hat gegessen und hat sich den Mund abgewischt, und sie hat gesagt: ,Ich habe kein Unrecht begangen.‘“ Diese Weigerung, Sünde und Schuld zuzugeben, ahmt die heutige Ich-Generation nach. Auf der Titelseite von Dr. Karl Menningers Buch Whatever Became of Sin? (Was ist denn aus der Sünde geworden?) ist zu lesen: „Das Wort ,Sünde‘ ist aus unserem Wortschatz fast verschwunden, doch das Gefühl der Schuld bleibt in unserem Herzen und in unserem Sinn bestehen.“
Der Wert des Schuldgefühls
„Einige Leute“, sagt der Psychoanalytiker Willard Gaylin, „haben noch nie das Gefühl der Schuld erlebt. Allerdings sind sie nicht die Glücklichsten, noch trägt es zu unserem Glück bei, sie in unserer Mitte zu haben. Die Unfähigkeit, Schuld zu empfinden, ist der grundlegende Mangel bei Psychopaten und Asozialen.“ Er stimmt nicht mit den Gurus des Ichkults überein, die sagen, das Schuldgefühl sei eine nutzlose Regung. „Das Empfinden von Schuld“, sagt Gaylin, „ist nicht nur ein einzigartiges menschliches Erlebnis; die Entwicklung dieses Empfindens im Menschen — zusammen mit dem Schamgefühl — kommt den edelsten, hochherzigsten und humansten Charakterzügen zugute, die unsere Art auszeichnen.“
Wir malen uns in unseren Gedanken ein Bild von der eigenen Person. Mit diesem inneren Bild wollen wir uns gleichsetzen. Es wird zu einem Maßstab oder Ideal, an dem wir uns messen — zu unserer Zufriedenheit oder Unzufriedenheit. Das Ideal entsteht durch die Gemeinschaft mit unseren Eltern, durch ihre Belehrungen und ihr Beispiel. Andere Personen, die wir achten oder bewundern, tragen ebenfalls zu diesem inneren Ideal bei, das in uns wächst. Durch Beobachten oder Studieren erfaßte Grundsätze tun ein übriges. Wenn wir die Bibel studieren, richtet sich dieses Bild oder Ideal nach dem des Gottes der Bibel aus, denn die Bibel spiegelt die in Gott verkörperten Grundsätze wider, wie zum Beispiel Gerechtigkeit, Liebe, Weisheit, Macht, Arbeitseifer und Zielbewußtsein. Je mehr wir unser Leben diesem gesunden inneren Maßstab anpassen, um so mehr werden wir uns selbst achten, ja sogar uns selbst lieben können.
Versäumen wir dagegen, diesem inneren Ideal zu folgen, dann haben wir Schuldgefühle. Ist das nützlich? Über diesen Punkt schrieb der Psychoanalytiker Gaylin:
„Schuldgefühle sind nicht eine ,nutzlose‘ Regung, sie sind ein Empfinden, das zu einem großen Teil unsere Güte und Großzügigkeit formt. Es alarmiert uns, wenn wir Verhaltensregeln übertreten haben, die wir persönlich wahren möchten. Schuldgefühle zeigen uns an, daß wir gegen unsere eigenen Ideale verstoßen haben.“
Das Gewissen macht uns einzigartig
Von allen irdischen Geschöpfen hat nur der Mensch ein Gewissen. Es arbeitet auf der Grundlage der Maßstäbe oder Ideale, die wir in uns haben. Studieren wir die Bibel und werden Gott ähnlich, so wird unser Gewissen ein sicherer Führer sein. Kommt unsere Handlungsweise nicht Gottes Willen nach, plagt uns das Gewissen, und wir empfinden Schuld.
Tiere haben kein Gewissen, das Schuldgefühle bewirkt. Ein Hund mag betroffen dreinblicken, wenn er ungehorsam war, aber er hat nur Angst davor, sich unser Mißfallen zuzuziehen. Das Verhalten der Menschen dagegen wird durch das Gewissen einer Prüfung unterzogen, „wobei ihr Gewissen mitzeugt und sie inmitten ihrer eigenen Gedanken [gemäß dem, was sie sein sollten] angeklagt oder auch entschuldigt werden“ (Röm. 2:15).
Personen, die sich bemühen, „mit den Schuldgefühlen aufzuhören“, brandmarken ihr Gewissen, um es unempfindlich zu machen und zum Schweigen zu bringen (1. Tim. 4:2). Außerdem müssen sie ihr früheres inneres Ideal durch ein neues ersetzen, das niedrigere Maßstäbe oder gar keine Maßstäbe beinhaltet. Es ist eine Rückkehr zur jahrtausendealten Unmoral, attraktiv verkleidet als „neue Moral“. Für solche Menschen gilt: „Sowohl ihr Sinn als auch ihr Gewissen ist befleckt“ (Tit. 1:15).
Wir sollten die wertvolle Fähigkeit, Schuld zu empfinden, beibehalten. Zu diesem Zweck muß man ein „gutes Gewissen“ bewahren. Wenn dein Gewissen schwach ist, dann arbeite nicht dagegen, sondern stärke es, indem du die „verborgene Person des Herzens“, die auf Gottes Wort beruht, zur Reife entwickelst (1. Petr. 3:4, 16; 1. Kor. 8:7).
Gib deine Schuld zu
„Alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes“, in dessen Gleichnis sie erschaffen wurden (Röm. 3:23; 1. Mose 1:27). Folglich haben alle Ursache zu Schuldgefühlen. Manche versuchen erfolglos, das zu verbergen, so wie der sprichwörtliche Vogel Strauß den Kopf in den Sand steckt.
Als die ersten beiden Menschen sündigten, bekamen sie Schuldgefühle und versteckten sich. In dem Moment, wo sie zur Rede gestellt wurden, taten sie das gleiche, was heute viele tun: Sie versuchten, die Schuld dem anderen zuzuschieben. Der Bericht lautet: „Der Mensch sprach weiter: ,Die Frau, die du mir beigegeben hast, sie gab mir Frucht von dem Baum, und da aß ich.‘ Jehova Gott sprach hierauf zur Frau: ,Was hast du da getan?‘ Darauf erwiderte die Frau: ,Die Schlange — sie betrog mich, und so aß ich‘“ (1. Mose 3:12, 13).
Der Schuldige versucht, Leidensgenossen zu finden — je mehr, je besser. Dr. Menninger schreibt:
„Wenn man eine Gruppe von Personen dazu bringt, die Verantwortung für alles zu übernehmen, was eine Sünde wäre, wenn es ein einzelner täte, dann empfindet keiner der Betroffenen die Last der Schuld. Vielleicht werden sie von anderen beschuldigt, aber die von so vielen Menschen getragene Schuld macht sich für den einzelnen gar nicht bemerkbar“ (Whatever Became of Sin?, S. 95).
Wozu kann das schließlich führen? Über „die Sünde des Krieges“ schreibt er: „Alle Verhaltensweisen, die im Normalfall als kriminell und/oder sündhaft gelten, werden auf einmal gutgeheißen — Mord, schwere Körperverletzung, Brandstiftung, Raub, Betrug, Eigentumsdelikte, Sabotage, Wandalismus und Mißhandlungen“ (S. 101).
Menninger malt das noch lebendiger aus und wirft dann einige Fragen auf:
„Das Bild eines schreienden, brennenden Kindes oder einer halbverstümmelten oder aufgeschlitzten Frau schockiert und empört uns, obwohl das Schreien und das Stöhnen nicht unser Ohr erreicht. Wir sind nicht Zeugen des Leids der gebrochenen Mutter. Wir wissen nichts von all der Verzweiflung der Hoffnungslosigkeit und dem großen Verlust. Wir gehen nicht mit ihnen ins Krankenhaus, um uns die gräßlichen Wunden, die quälenden Brandmale und die zerschmetterten Glieder anzusehen. Und all das ist nur ein einziger von Millionen winziger Punkte auf einer großen Karte. Man kann es nicht beschreiben, man kann es nicht erfassen, man kann es sich nicht vorstellen.
Doch wer ist für dieses Unheil verantwortlich? Sicher ist es sündhaft, doch wessen Sünde ist es? Keiner will dafür verantwortlich sein. Jemand hat jemand gesagt, jemand zu sagen, jemand zu sagen, dieses und jenes zu tun. Jemand beschloß, das Ganze in Gang zu setzen, und jemand erklärte sich bereit, die Kosten zu tragen. Doch wer? Habe ich für ihn meine Stimme abgegeben? ... Manchmal glaube ich, daß die einzigen moralisch völlig unbeirrbaren Menschen die sind, die sich weigern mitzumachen“ (S. 102, 103).
Bewältige deine Schuldgefühle
Die Ehrlichkeit verlangt, daß jeder von uns seine Sünde und Schuld zugibt. Geistige Gesundheit erfordert, daß wir uns davon befreien. Jehova bereitet uns den Weg dazu.
Gottes Wort zeigt uns, welche Schritte unerläßlich sind. Gib es zu: „Wenn wir erklären: ,Wir haben keine Sünde‘, führen wir uns selbst irre, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1. Joh. 1:8). „Wer seine Übertretungen zudeckt, wird kein Gelingen haben“ (Spr. 28:13). Bekenne deine Sünde vor Gott: „Ich sagte: ,Ich werde meine Übertretungen Jehova bekennen‘“ (Ps. 32:5). Dem Bekennen folgt die Vergebung: „Wenn wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, uns die Sünden zu vergeben“ (1. Joh. 1:9). Die Schuld wird dann getilgt: Vergebung erfolgt von Gott durch Christus, und diese Vergebung wird „unser Gewissen von toten Werken reinigen“ (Kol. 1:14; Hebr. 9:14). Dann braucht unser Gewissen keine Schuld mehr zu empfinden.
Gib also deine Sünde zu, gestehe sie ein, bekenne sie vor Gott, und suche Vergebung zu erlangen. Manchmal folgt eine Strafe, aber oft kommt nach dem Bekennen die Vergebung, und die Sache ist erledigt.
Die Ich-Generation versucht, über die Frage der Schuld hinwegzugehen, indem sie die Sünde leugnet. Durch die Behauptung von Verhaltenspsychologen, wir würden keine persönliche Entscheidung treffen und daher auch keine Verantwortung tragen, wird die Sünde unter den Teppich gekehrt. Das ist die Psychologie, für die keine Fehler existieren: Niemand ist verantwortlich, niemand braucht getadelt zu werden, niemand ist schuldig, und niemand sündigt. Das ist genau die Art psychologisches Geschwätz, das den Ichanbetern „wie gerufen kommt“ und hinter dem sie sich verbergen. Mit hochgezogenen Augenbrauen fragen sie dann: „Sünde — was ist das?“
In der gesunden Psychologie wird die Sünde eingestanden und bekannt. Gottes Wort ist das Hilfsmittel, das uns dazu befähigt. Es zeigt, daß wir eine angemessene Achtung vor uns selbst haben müssen, auf andere Rücksicht nehmen und vor allem unseren Schöpfer, Jehova Gott, lieben und seine Grundsätze als unsere Richtlinien anerkennen müssen. Der nächste Artikel geht auf diese Punkte näher ein.