Von welchem Wert sind die Überschriften im Buch der Psalmen?
Wahrscheinlich ist dir beim Bibellesen auch schon aufgefallen, daß bei einigen Psalmen zu Beginn eine Überschrift steht. Diese Überschriften nennen den Schreiber oder geben den geschichtlichen Hintergrund an, enthalten musikalische Angaben oder weisen auf die Verwendung oder den Zweck des Psalms hin.
Jahrhundertelang rechnete man diese Überschriften, außer einigen wenigen, zum inspirierten Wort Gottes. Doch in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts begann man ihre Autorität ernstlich in Frage zu ziehen. Diese Tendenz hielt an, und heute bezweifeln die meisten Gelehrten den historischen Wert dieser Überschriften. Deswegen mag der Eindruck entstehen, sie hätten wenig Wert. Stimmt das aber? Und was noch wichtiger ist, könnte eine irrige Ansicht über die Überschriften uns daran hindern, die Psalmen besser zu verstehen?
Wenn wir die Bibel näher prüfen, stellen wir fest, daß einleitende Inhaltsangaben, wie sie diese Überschriften enthalten, nicht nur bei den Psalmen zu finden sind. Auch anderen poetischen Textstellen gehen Bemerkungen, wie wir sie in diesen Überschriften finden, voraus. Diese einleitenden Bemerkungen gehören offensichtlich zum Bibeltext. — 2. Mose 15:1; 5. Mose 31:30; 33:1; Ri. 5:1.
Das Zeugnis alter Handschriften stützt die Annahme, daß die Überschriften entweder von den Schreibern selbst oder von den Sammlern der Psalmen stammen. Auch in den Psalmen-Schriftrollen vom Toten Meer (die auf die Zeit zwischen 30 und 50 u. Z. datiert worden sind) sind die Überschriften im Haupttext enthalten.
DIE ÜBERSCHRIFTEN — EINE HILFE
Ohne Überschrift wären etliche Psalmen schwerer zu verstehen, denn die Überschriften enthalten manchmal gerade die Angaben, die wir benötigen, um andere Texte zu finden, die Licht auf den betreffenden Psalm werfen.
Wenn wir den geschichtlichen Hintergrund der Psalmen betrachten, auf den wir durch die Angaben in einigen Überschriften hingewiesen werden, können wir erkennen, daß den Psalmen bestimmte Ereignisse zugrunde liegen. Sie sind mehr als nur schöne Gedichte. Die Psalmen beschreiben das Leben, wie es tatsächlich ist: seine Freuden, seine Wohltaten, seinen Kummer, seine Sorgen und seine Enttäuschungen. Das ermöglicht es uns, in den geschilderten Situationen uns selbst zu erkennen. Auch werden wir ermuntert und getröstet, wenn wir erfahren, wie Gott in der Vergangenheit seinen Dienern gegenüber gehandelt hat.
Ein solcher Fall ist zum Beispiel der 57. Psalm. Nach der Überschrift stammt dieser Psalm aus der Zeit, ‘als David vor Saul in die Höhle floh’. Aus dem ersten Buch Samuel erfahren wir, daß sich David einmal in der Höhle Adullam vor Saul versteckte (1. Sam. 22:1) und ein andermal in einer Höhle in der Wüste Engedi. (1. Sam. 24:1, 3) Der Psalm selbst läßt auf die Höhle in der Wüste Engedi als möglichen Rahmen schließen. Der Vers 6 dieses Psalms lautet:
„Ein Netz haben sie meinen Schritten bereitet,
es beugte sich nieder meine Seele;
eine Grube haben sie vor mir gegraben,
sie sind mitten hineingefallen.“
Ja, Saul und seine Männer verfolgten David. Sie hatten gleichsam eine Grube vor ihm gegraben. Doch was geschah? In 1. Samuel 24:3, 4 (NW) lesen wir, daß Saul ausgerechnet in die Höhle, in der sich David und seine Männer versteckt hatten, hineinging, ‘um seine Notdurft zu verrichten’. David hätte Saul also töten können, wenn er gewollt hätte. Dadurch, daß Saul in die Höhle hineinging, in der er David ausgeliefert war, fiel er in die Grube, die er für David gegraben hatte.
Wie gegen David, so werden auch gegen Jehovas treue Diener heute oft Anschläge geschmiedet. Jehovas Diener können aber die feste Zuversicht haben, daß Personen, die ihnen Schaden zufügen möchten, ebensowenig Gelingen haben werden wie Saul, der David umbringen wollte, sondern daß sie sich in ihren eigenen Netzen verstricken werden.
Die Überschrift des 51. Psalms deutet auf eine ganz andere Situation hin. Dieser Psalm stammt aus der Zeit, ‘als der Prophet Nathan zu David kam, nachdem dieser zu Bathseba eingegangen war’. Da David von Jehova Vergebung empfing, können alle, die sich einer schweren Übertretung schuldig gemacht haben, aus diesem Psalm Trost schöpfen. Er hilft uns auch erkennen, was echte Reue bedeutet und wie man auf eine Zurechtweisung, wie sie David von Nathan empfing, reagieren sollte. Ohne die Überschrift wäre der 51. Psalm längst nicht so eindrucksvoll.
Schon allein ein Name in einer Überschrift kann eine Hilfe sein. Psalm 101 wird zum Beispiel David zugeschrieben. Wenn wir diesen Psalm lesen, werden wir in Wirklichkeit mit der Art und Weise, wie König David die Staatsgeschäfte führte, bekannt gemacht. Wir erfahren aus diesem Psalm, daß David nur treue Personen als seine Diener oder Beamten auswählte. Mit Hochmütigen wollte er nichts zu tun haben, und Verleumdung duldete er nicht. Er war täglich darauf bedacht, Bösen die gerechte Strafe zuzumessen.
Wie ermutigend für uns! Der bleibende Erbe des Königs David, Jesus Christus, wird ebenso darauf bedacht sein, die Gerechtigkeit hochzuhalten. Er wird es sogar in vollkommenem Maße tun. Korruption und Bedrückung werden unter der Herrschaft Jesu Christi und seiner Mitherrscher nie aufkommen. Vor allem auf sein Königtum treffen die prophetischen Worte des 72. Psalms zu:
„Er wird dein Volk richten in Gerechtigkeit
und deine Elenden nach Recht.
Es werden dem Volke Frieden tragen die Berge
und die Hügel durch Gerechtigkeit.
Er wird Recht schaffen den Elenden des Volkes;
er wird retten die Kinder des Armen,
und den Bedrücker wird er zertreten.
In seinen Tagen wird der Gerechte blühen,
und Fülle von Frieden wird sein, bis der Mond nicht mehr ist.“
— Ps. 72:2-4, 7.
In der Tat, wenn wir unser Verständnis der Heiligen Schrift vertiefen möchten, so sollten wir die Überschriften nicht außer acht lassen. Soweit sich uns die Möglichkeit bietet, können wir die historische Grundlage verschiedener Psalmen in anderen Bibelbüchern finden. In vielen Fällen werden wir auf das erste und das zweite Buch Samuel zurückgehen müssen, denn diese Bibelbücher berichten über die wichtigsten Ereignisse aus dem Leben Davids, dem der größte Teil der Psalmen zugeschrieben wird. Die Berichte über die Ereignisse, die in den Überschriften angedeutet werden, lassen sich in einer Bibel mit Parallelstellen leicht finden.
Die Überschriften sind wirklich ein wertvoller Teil der Heiligen Schrift. Das wird sowohl durch den Inhalt als auch durch alte Handschriften der Bibel bestätigt. Laß dir deshalb durch die Überschriften helfen, die volle Bedeutung der inspirierten Psalmen zu verstehen! Dadurch wirst du geistig bereichert.