Das Blut der Unschuldigen rächen
„Denn siehe! Jehova kommt hervor aus seiner Stätte, um das Vergehen des Bewohners der Erde wider ihn zur Rechenschaft zu ziehen, und die Erde wird gewißlich ihr Blutvergießen enthüllen und wird nicht mehr ihre Getöteten zudecken.“ — Jes. 26:21.
1. Welche Einstellung hat Jehova gegenüber dem Leben, wie es der Prophet Jesaja zeigt?
VON der Zeit an, da Jehova mit dem Menschengeschlecht zu handeln begann, offenbarte er seine hohe Achtung vor dem Leben. Gleichzeitig erklärte er dem Menschen, daß auch er das Leben respektieren müsse, da er sich sonst für seine Mißachtung vor Jehova zu verantworten habe. Weil Jehovas Gesetz nicht in Betracht gezogen worden ist, ist Jehovas gerechtes Gericht über die Nationen gekommen, und das unschuldige Blut, das im Laufe der Jahrhunderte vergossen worden ist, kann nicht länger zugedeckt oder ungerächt bleiben. Das geht mit Bestimmtheit aus den Worten des Propheten Jesaja hervor: „Denn siehe! Jehova kommt hervor aus seiner Stätte, um das Vergehen des Bewohners der Erde wider ihn zur Rechenschaft zu ziehen, und die Erde wird gewißlich ihr Blutvergießen enthüllen und wird nicht mehr ihre Getöteten zudecken.“ — Jes. 26:21.
2. (a) In welche Streitfrage, das Leben betreffend, wurden Kain und Abel verwickelt, und was war das Motiv der Einstellung Kains? (b) Welchen Richterspruch fällte Jehova in dieser Sache?
2 Die ersten zwei Männer, die geboren wurden, wurden in diese Streitfrage, die das Vergießen unschuldigen Blutes betraf, verwickelt, als die Opfergabe, die Abel Jehova darbrachte, angenommen wurde, während diejenige Kains nicht wohlwollend angesehen wurde; „und Kain entbrannte von großem Zorn, und sein Angesicht begann sich zu senken“. Da Jehova erkannte, daß durch Kains Zorn das Leben Abels bedroht war, machte er Kain warnend darauf aufmerksam, daß Erhebung nur kommen könnte, wenn er sich umwenden und Gutes tun würde. Indes wurde der Grund dafür, daß Kain keine Gunst erwiesen werden konnte, wiewohl er Jehova, ‘der im Herzen lesen kann’, eine Opfergabe darbrachte, noch offensichtlicher, als Kain seine verkehrte Einstellung weiter offenbarte. (1. Sam. 16:7) Statt sich zu demütigen und Jehovas Gesetz anzuerkennen, indem er dem Beispiel seines Bruders folgte, ließ er Gottes Rat, über die Sünde zu herrschen, die ‘am Eingang kauerte’, außer acht und folgte dem Pfad, der zum gewaltsamen Mord an seinem Bruder führte. (1. Joh. 3:12; Jud. 11) Ein weiterer Beweis seiner Einstellung war seine gefühllose, lügnerische Antwort auf Jehovas Frage nach dem Verbleib Abels: „Ich weiß es nicht. Bin ich meines Bruders Hüter?“ Das war kein Zeichen von Reue oder Gewissensbissen! Auch konnte Kains vorgeschützte Unschuld ihn nicht von Verantwortlichkeit freisprechen. Jehova fällte sogleich seinen Richterspruch: „Horch! Das Blut deines Bruders schreit vom Erdboden her zu mir. Und nun bist du zur Verbannung vom Erdboden verflucht, der seinen Mund aufgetan hat, um das Blut deines Bruders aus deiner Hand zu empfangen.“ — 1. Mose 4:4-11.
3. (a) Warum wurde Kain nicht von Schuld freigesprochen, und wie betrachtete er das Gericht, das Jehova über ihn brachte? (b) Was tat Jehova zur Zeit Noahs, um die Erde zu reinigen, die mit Gewalttaten erfüllt worden war?
3 Man beachte, daß Jehova die Aufmerksamkeit besonders auf Abels Blut lenkte, das auf dem Erdboden verschüttet worden war. Warum? Weil im Blut das Leben ist und Abels Blut ohne rechtmäßige Ursache vergossen worden war. Kain nahm Abel das Leben; dieses Leben gehörte Gott, und das Blut, das den Erdboden am Ort der Mordtat befleckte, legte ein stummes, aber eindringliches Zeugnis für das Leben ab, das ausgeschüttet worden war und zu Jehova um Rache schrie. Kain muß erkannt haben, daß er dadurch, daß er Abel getötet hatte, sein eigenes Leben in Gefahr gebracht hatte, denn er beklagte sich bei Jehova mit den Worten: „Ich muß ein Umherirrender und ein Flüchtling auf der Erde werden, und sicherlich wird mich töten, wer irgend mich findet.“ (1. Mose 4:14) Jehova sagte jedoch zu ihm: „‚Darum soll, wer irgend Kain tötet, siebenmal Rache erleiden.‘ Und so setzte Jehova für Kain ein Zeichen, damit nicht einer, der ihn fände, ihn erschlage.“ (1. Mose 4:15) Das Zeichen, mit dem Jehova Kain versah, war unverkennbar von Bedeutung, wie dies später Lamech, ein Nachkomme Kains, bezeugte, als er die Worte prägte: „Einen Mann habe ich getötet, weil er mich verwundete, ja einen Jüngling, weil er mir einen Hieb versetzte. Wenn Kain siebenmal zu rächen ist, dann Lamech siebenundsiebzigmal.“ (1. Mose 4:23, 24) Die Gewalttaten mehrten sich auf der Erde, bis Jehova zur Zeit Noahs alles wegfegte, worin der „Odem der Lebenskraft“ wirksam war, vom Menschen bis zum Tier. Nur Noah und diejenigen, die bei ihm in der Arche waren, wurden verschont, als die Wasser der Flut die Erde bedeckten. — 1. Mose 7:22, 23.
DIE VERORDNUNG HINSICHTLICH DER HEILIGKEIT DES BLUTES IN KRAFT GESETZT
4. (a) Wann und wie pflanzte Jehova seiner materiellen Schöpfung die Lebenskraft ein? (b) Wie zeigte Jehova, daß das Leben einer „Seele“ im Vergleich zu dem Leben, das die Pflanzen besitzen, von höherer Ordnung ist?
4 Dieser „Odem der Lebenskraft“ kam von Gott, dem Schöpfer, und wurde zuerst den Meerestieren, den geflügelten fliegenden Geschöpfen und den Landtieren eingepflanzt. Das war Jahrtausende bevor der Mensch diese Gabe von Gott empfing. Doch auch dies war nicht der Anfang der Wirksamkeit der Lebenskraft auf Erden. Es war am dritten Schöpfungstag, als Gott die unbelebten Atome der Materie mit Lebenskraft versah, wobei er sprach: „Die Erde lasse Gras hervorsprossen, samentragende Pflanzen, Fruchtbäume, die nach ihren Arten Frucht tragen, deren Samen in ihr ist, auf der Erde.“ (1. Mose 1:11) In Pflanzen, besonders in Holzgewächsen, sollte eine lebenswichtige zirkulierende Flüssigkeit, die Saft genannt wird, die erforderliche Nahrung bis zum winzigsten Zweig, zu Blättern und Blüten tragen. So könnte gesagt werden, daß das Leben des Baumes in dem Saft liegt, der die lebenerhaltenden Stoffe der Pflanze durch deren ganzen Bau trägt. Doch etwa vierzehntausend Jahre später, am fünften Schöpfungstag, als mit der Erschaffung der Meerestiere und der fliegenden Geschöpfe begonnen wurde, ja weitere siebentausend Jahre später, am sechsten Schöpfungstag, als die Erschaffung der Landtiere ihren Anfang nahm, bereitete Jehova in ihnen ein Kreislaufsystem von anderer Art. Er füllte das komplizierte Kreislaufsystem dieser Geschöpfe mit einem neuen Beförderungsmittel — statt nur mit Saft mit Blut, das Sauerstoff und Nährstoffe zu dem Gewebe jedes Organs und jedes Körperteils trägt. Aber das Leben im Blut ist von höherer Ordnung als das der Pflanzen. Es ist das Leben einer „Seele“. Auch wurden dem Menschen keine Einschränkungen auferlegt in bezug auf das Abhauen von Pflanzen, wodurch ihr Leben beendet wird. Im Gegenteil, ‘alle samentragenden Pflanzen und jeder Baum’ wurden sowohl dem Menschen als dem Tier zur Speise gegeben. (1. Mose 1:29, 30) Doch wurde der Mensch in Eden und nachdem er gesündigt hatte und aus Eden hinausgetrieben worden war, nicht gemäß derselben unbeschränkten Freiheit, mit der er mit den Pflanzen verfahren durfte, ermächtigt, Tieren das Leben zu nehmen. Das Leben einer Seele wurde von Gott für heilig gehalten.
5. (a) Welches neue Gesetz erhielt Noah nach der Flut, und in Verbindung mit welcher Ermächtigung wurde es gegeben? (b) Wie hob dieses Gebot ferner die Heiligkeit des Blutes und des Lebens, dessen Träger es ist, hervor?
5 Als Noah aus der Arche hinaustrat, gab Jehova ihm ein neues Gesetz. Dabei sprach Jehova von der „Seele“ als dem „Blute“. Dem ist so, weil die „Seele“ oder das „Leben“ im Blute ist. Nicht, daß die Seele etwas Unstoffliches, Unsichtbares, nicht Greifbares wäre und dem Menschen innewohnen würde. Selbst Landtiere, Fische und Vögel werden „Seelen“ genannt (1. Mose 1:20-24), und als Jehova den Menschen erschuf, blies er den Odem des Lebens in dessen Körper von Staub, und „der Mensch wurde eine lebendige Seele“, der Mensch war also eine Seele, er hatte keine Seele. (1. Mose 2:7) Nach der Sintflut aber änderte Jehova seine Verfahrensweise mit der Menschheit im Hinblick auf das Blutvergießen. Jehova machte es dem Menschen zur heiligen Pflicht, als sein Urteilsvollstrecker unverzüglich willentliche Mörder zu töten. Dieser auf unabsehbare Zeit dauernde Bund wurde in Verbindung mit der Ermächtigung dargelegt, das Fleisch von Tieren zu essen, doch warnte Jehova Noah ausdrücklich vor einer Mißachtung der Heiligkeit des Blutes und des Lebens, das im Blute liegt. „Jedes sich regende Tier, das am Leben ist, möge euch zur Speise dienen. Wie im Falle der grünen Pflanzen gebe ich euch gewiß das alles. Nur Fleisch mit seiner Seele — seinem Blut — sollt ihr nicht essen. Und außerdem werde ich euer Blut, das eurer Seelen, zurückfordern. Von der Hand jedes lebenden Geschöpfes werde ich es zurückfordern; und von der Hand des Menschen, von der Hand eines jeden, der sein Bruder ist, werde ich die Seele des Menschen zurückfordern. Wer irgend Menschenblut vergießt, dessen eigenes Blut wird durch Menschen vergossen werden, denn im Bilde Gottes hat er den Menschen gemacht.“ (1. Mose 9:3-6) Die Todesstrafe wurde dem Menschengeschlecht von Gott geboten, und es wurde mit der Zeit ganz klar, daß ein Verfehlen, dieses Erfordernis zu erfüllen, von neuem ernste Blutschuld mit sich bringen würde.
KEIN LOSKAUFSPREIS FÜR DIE BLUTSCHULDIGEN
6. Nur auf welche Weise konnte das Land gemäß dem Gesetz Mose von Blutschuld rein bewahrt werden, und wie weitreichend war diese Vorkehrung?
6 Jahrhunderte später hob Jehova Gott von neuem die hohe Achtung hervor, die er vor dem Leben einer „Seele“ hat, indem er für die Übertretung des Gesetzes Israels, das von Moses übermittelt worden war, Strafe vorschrieb. Jehova sprach: „Und deinem Auge sollte es nicht leid tun: Seele wird um Seele sein, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß.“ (5. Mose 19:21) Außerdem sprach Jehova zu seinem Volke, als es sich vorbereitete, das Verheißene Land zu betreten, die warnenden Worte: „Und ihr sollt das Land, in dem ihr seid, nicht entweihen; denn Blut, das entweiht das Land, und für das Land darf es keine Sühne hinsichtlich des darauf vergossenen Blutes geben, ausgenommen durch das Blut dessen, der es vergossen hat.“ (4. Mose 35:33) Jehovas Vorkehrung, das Land freizuhalten von der durch die Blutschuld seiner Bewohner verursachten Verunreinigung, war so weitreichend, daß er sogar für Fälle Vorkehrungen traf, in denen der Mörder unbekannt war. Es durfte nicht zugelassen werden, daß der Erdboden durch den Verlust eines unschuldigen Lebens verunreinigt blieb. — 5. Mose 21:1-9.
7. (a) Wer war in Israel ermächtigt, einen Erschlagenen zu rächen, und wie erfüllte er seine Pflicht? (b) Inwiefern war Israels Gesetz von späteren Bräuchen, besonders von denen im Mittelalter, verschieden?
7 Derjenige, der unter dem Gesetz Israels ermächtigt war, das Blut eines Getöteten zu rächen, wurde der „Bluträcher“ oder go’el genannt, und er war der nächste männliche Verwandte des Erschlagenen. (4. Mose 35:19) Da der nächste Blutsverwandte mit dem Erschlagenen persönlich verbunden wäre, ist es verständlich, daß er ein lebhaftes Interesse daran hätte, dieser Verantwortung nachzukommen, ja daß er sich in der Glut seines Zornes aufmachen würde, um den Tod seines Blutsverwandten zu rächen. War der Mörder bekannt, dann mußte die Sühnung des Blutes des Erschlagenen schnell und sicher erfolgen. „Falls aber ein Mann dasein sollte, der seinen Mitmenschen haßt, und er hat ihm aufgelauert und hat sich gegen ihn erhoben und hat seine Seele erschlagen, und er ist gestorben, und der Mann ist in eine dieser [Zufluchts-]Städte geflohen, dann sollen die älteren Männer seiner Stadt hinsenden und ihn von dort holen, und sie sollen ihn der Hand des Bluträchers ausliefern, und er soll sterben. Es sollte deinem Auge nicht leid tun um ihn, und du sollst die Schuld für unschuldiges Blut aus Israel wegschaffen, damit es dir gutgehe.“ (5. Mose 19:11-13) Für denjenigen, der eine Mordtat mit Vorbedacht beging, durfte es keinen heiligen Zufluchtsort geben, auch konnte kein Lösegeld für seine Seele bezahlt werden. (4. Mose 35:31) In vielen Ländern stand im Altertum und im Mittelalter für irgend jemand, auch wenn er einer Mordtat schuldig gewesen sein mochte, ein Zufluchtsort zur Verfügung. Die Kirchen der Christenheit wurden auf diese Weise heilige Zufluchtsorte für Personen, die Gottes Gesetz mit Vorbedacht übertreten hatten. Das wurde unter dem Gesetz im alten Israel nicht geduldet. Ein Beispiel, gemäß dem selbst nicht der heilige Brandopferaltar als heiliger Zufluchtsort dienen konnte, ist der Fall Joabs. Als Joab die Hörner des Altars nicht loslassen und nicht herauskommen wollte, befahl Salomo, daß er, weil er an der Rebellion Adonias teilgenommen und Abner und Amasa getötet hatte, dort, im Vorhof des Zeltes Jehovas, hingerichtet werde. — 1. Kö. 2:28-34.
BARMHERZIGKEIT FÜR DEN UNABSICHTLICHEN TOTSCHLÄGER
8. (a) Warum würde der Bluträcher keine Blutschuld haben, wenn er einem Totschläger das Leben nähme? (b) Hätte der Bluträcher Blutschuld, wenn er einem unabsichtlichen Totschläger das Leben nähme? Wie hätte das Land unter solchen Umständen verunreinigt werden können?
8 Wenn der Bluträcher einen solchen Totschläger einholte und den Mörder tötete, so hätte er keine Blutschuld auf sich geladen, denn er hätte ja das unschuldige Blut gesühnt, das sonst das Land verunreinigt hätte. (4. Mose 35:33) Was aber, wenn durch Zufall jemand getötet worden war, ohne daß Bosheit oder Absicht bestanden hatte? In einem solchen Fall wäre ihm das Leben unabsichtlich genommen worden, ohne daß der Täter ihm schaden wollte. Wenn der Bluträcher diesen unabsichtlichen Totschläger einholte und ihn in der Glut seines Zorns tötete, dann wäre dessen eigener nächster Blutsverwandter vielleicht entrüstet gegen den aufgestanden, der seinen Verwandten getötet hatte, weil der Totschläger keines vorsätzlichen Mordes schuldig war; und so wäre einem weiteren Unschuldigen das Leben genommen worden, weil der erste Bluträcher das gesetzliche Recht hatte, über den unabsichtlichen Totschläger herzufallen. Dies hätte leicht zu einer Blutfehde Anlaß geben können, wodurch ein unschuldiges Leben nach dem anderen verlorengegangen wäre, und das Land wäre in Blut gebadet worden.
9. Welche Vorkehrung eines Zufluchtsortes wurde für den unabsichtlichen Totschläger getroffen?
9 Um diese Verunreinigung des Landes zu verhüten und als einen Akt der Barmherzigkeit forderte Jehova, daß im Lande Israel Städte als Zufluchtsstätten gegeben werden sollten, wo derjenige, der in Unwissenheit jemanden getötet hatte, vor dem Bluträcher Zuflucht finden konnte. „Und die Städte sollen euch als Zuflucht vor dem Bluträcher dienen, damit der Totschläger nicht sterbe, ehe er zum Gericht vor der Gemeinde steht. Und die Städte, die ihr geben werdet, die sechs Zufluchtsstädte, werden euch zu Diensten sein. Drei Städte werdet ihr diesseits des Jordan geben, und drei Städte werdet ihr im Lande Kanaan geben. Als Zufluchtsstädte werden sie dienen. Den Söhnen Israels und dem ansässigen Fremdling und dem Ansiedler in ihrer Mitte werden diese sechs Städte zur Zuflucht dienen, damit jeder dorthin fliehe, der eine Seele unabsichtlich erschlägt.“ (4. Mose 35:10-15; 5. Mose 19:1-3, 8-10) Diese Städte mußten in der Nähe gelegen und leicht erreichbar sein, wie es in 5. Mose 19:6 erklärt wird: „Andernfalls mag der Bluträcher, weil sein Herz erhitzt ist, dem Totschläger nachjagen und ihn tatsächlich einholen, weil der Weg lang ist; und er mag seine Seele in der Tat totschlagen, während es doch kein Todesurteil gegen ihn gibt, weil er ihn zuvor nicht gehaßt hat.“ Außerdem wurden die Wege, die zu den Zufluchtsstädten führten, wie die jüdische Tradition uns unterrichtet — obwohl es in der Bibel nicht ausdrücklich erwähnt wird —, sehr breit und eben gemacht, damit den Fliehenden keine Hindernisse im Wege standen, und sie wurden ständig in gutem Zustand gehalten.
SICHERHEIT NUR IN DER ZUFLUCHTSSTADT
10. Wie wurde festgestellt, ob jemandem mit Recht Asyl in der Zufluchtsstadt gewährt werden konnte?
10 Obwohl irgend jemand, der einem Menschen das Leben genommen hatte, in die Stadt fliehen konnte, wurde dem Totschläger doch nur bis zu der Zeit Asyl gewährt, da er in dem Gerichtsbezirk, in dem die Mordtat geschehen war, zur gerichtlichen Untersuchung vor den Ältesten seiner Stadt gestanden hatte. (Josua 20:4-6) „Dann soll die Gemeinde zwischen dem Schläger und dem Bluträcher nach diesen Rechtssprüchen richten.“ (4. Mose 35:24) Wenn der Totschläger der Mordtat für schuldig befunden wurde, so mußte er ohne Verzug dem Bluträcher zum Vollzug der Todesstrafe ausgeliefert werden. (4. Mose 35:30) Wenn andererseits festgestellt wurde, daß der Totschläger weder böse Absicht gegenüber dem Erschlagenen gehegt noch ihn zuvor gehaßt hatte, dann sollte ‘die Gemeinde den Totschläger aus der Hand des Bluträchers befreien, und die Gemeinde sollte ihn in seine Zufluchtsstadt zurückbringen, in die er geflohen war, und er sollte darin wohnen bis zum Tode des Hohenpriesters, der mit dem heiligen Öl gesalbt worden war’. — 4. Mose 35:25.
11. Wie nur würde die Stadt für den Totschläger weiterhin ein Zufluchtsort sein, und was würde ihm dies einprägen?
11 Um der Zuflucht dauernd sicher zu sein, mußte der Totschläger innerhalb der Grenzen der Stadt, ihrer Vororte und ihrer Weidegründe bleiben, die sich außerhalb der Stadt tausend Ellen weit erstreckten. „Wenn aber der Totschläger über die Grenze seiner Zufluchtsstadt, in die er fliehen mag, wirklich hinausgeht, und der Bluträcher findet ihn tatsächlich außerhalb der Grenze seiner Zufluchtsstadt, und der Bluträcher tötet den Totschläger wirklich, so hat er keine Blutschuld. Denn er hätte bis zum Tode des Hohenpriesters in seiner Zufluchtsstadt bleiben sollen, und nach dem Tode des Hohenpriesters darf der Totschläger in das Land seines Besitzes zurückkehren.“ (4. Mose 35:26-28) Das bedeutete, daß der Totschläger, wenn er einmal in die Stadt als ihr anerkannter Bewohner eingezogen war und bei einer gründlichen gerichtlichen Untersuchung seine Unschuld hinsichtlich eines absichtlichen Totschlages bewiesen hatte, nicht mehr aus der Stadt hinausgehen konnte — auch nicht für eine Zeitlang aus irgendeinem Grunde —, ohne sein Leben aufs Spiel zu setzen. Das prägte dem Totschläger den Ernst seiner Tat ein, auch wenn er sie unschuldigerweise begangen hatte, und es erinnerte ihn beständig an die Barmherzigkeit Jehovas, der ihm dieses Asyl gewährte. Es wurde ferner erklärt: „Und ihr sollt für einen, der in seine Zufluchtsstadt geflohen ist, kein Lösegeld annehmen, damit er vor dem Tode des Hohenpriesters zurückkehre, um im Lande zu wohnen.“ (4. Mose 35:32) Andernfalls hätte man die Vorkehrung, die Jehova getroffen hatte, zum Gespött gemacht und hätte zu verstehen gegeben, daß das Leben von Jehova erkauft werden könnte.
12. Wurde der Totschläger als Gefangener in der Stadt festgehalten? Was veranlaßte ihn, dort zu bleiben, und was mußte er während der Zeit seines Aufenthaltes dort tun?
12 Derjenige, der in der Zufluchtsstadt aufgenommen worden war, durfte für die Bewohner der Stadt nicht zu einer Bürde werden. Es ist vernünftig, anzunehmen, daß er während seines Aufenthaltes dort zum Wohlstand der Stadt beitragen und für seinen Unterhalt arbeiten mußte. Das konnte er tun, indem er sein eigenes Gewerbe trieb, sofern es den Bedürfnissen des Lebens in der Stadt diente. Wenn nicht, so konnte von ihm sogar verlangt werden, daß er eine neue Beschäftigung erlernte. Nichts im Gesetz Jehovas erlaubte das Betteln oder ein Leben auf Kosten der Wohltätigkeit von seiten anderer, ohne irgendwelche Gegenleistung, sofern der Betreffende körperlich dazu in der Lage war. Selbst von der Witwe und der Waise, die weder Land noch Mittel zum Unterhalt besitzen mochten, wurde, obwohl für sie reichlich gesorgt war, dennoch erwartet, daß sie für das, was sie empfingen, arbeiteten. (5. Mose 24:17-22) Es ist interessant, zu beachten, daß, wiewohl die Totschläger in der Stadt nicht als Gefangene festgehalten wurden und frei waren, sie zu verlassen, wenn sie es für passend hielten, trotzdem Jehova auf eine Weise dazu anspornte, die Sicherheitsvorkehrung zu respektieren, daß sich nur der Tollkühnste erdreistet hätte, dagegen zu verstoßen.
13. Welche weiteren Bestimmungen des Gesetzes Israels zeigten klar, daß auch unabsichtliches Töten nicht leichtgenommen werden durfte?
13 Ferner durfte Jehovas Barmherzigkeit, durch die er dem unabsichtlichen Totschläger einen Zufluchtsort verschaffte, nicht mißbraucht werden, noch erlaubte das Gesetz eine unentschuldbare Nachlässigkeit, wobei man auf Barmherzigkeit Anspruch erhoben hätte. Wenn zum Beispiel ein Mann ein neues Haus baute, wurde verlangt, daß er ein Geländer für dessen Dach machte; sonst würde dadurch, daß jemand vom Dach fiele, Blutschuld auf das Haus gebracht werden. (5. Mose 22:8) Wenn ein Mann einen Stier besaß, der die Gewohnheit hatte, stößig zu sein, und der Besitzer war verwarnt worden, verfehlte aber, seinen Stier unter Bewachung zu halten, und dieser tötete jemand, so war der Besitzer des Stiers blutschuldig und konnte zu Tode gebracht werden. (2. Mose 21:28-32) Wenn ein Dieb in der Nacht beim Einbruch ertappt und bei dem Kampf, ihn zu fassen, getötet wurde, so brachte dies keine Blutschuld mit sich. Wenn es aber während des Tages geschah, zu der Zeit, da der Täter deutlich gesehen werden konnte, dann zog sich derjenige, der ihn totschlug, Blutschuld zu. (2. Mose 22:2, 3) In der Tat, Jehovas Gesetz sorgte für vollkommenes Gleichgewicht, indem es forderte, daß den Bösen in gerechter Weise vergolten wurde, aber denen Barmherzigkeit gewährte, die in Sünde gerieten oder sich einer unabsichtlichen Übertretung des Gesetzes schuldig machten.
SICHERE UND BALDIGE VERGELTUNG
14. Wie ging Israel als Nation auf die Erfordernisse des Gesetzes hinsichtlich der Heiligkeit des Lebens ein, und welche Anklagen auszurichten, wurden Gottes Propheten ermächtigt?
14 Als was für eine Anklage gegen das ehemalige Volk Israel erwies sich doch diese unparteiische Vorkehrung Jehovas! Obwohl das ganze Gesetz Israels die Heiligkeit des Lebens und die Heiligkeit des Blutes hervorhob, ging doch von der Zeit an, da Jehova mit Israel zu handeln begann, nur ein kleiner Überrest auf die wiederholten Bitten ein, die er, ‘sich früh aufmachend und seine Propheten sendend’, seinem Volk zu stellen für nötig fand, um die Israeliten davor zu warnen, daß eine gerechte Vergeltung gewiß sei. Sie weigerten sich nicht nur, auf Jehovas warnenden Rat zu hören, sondern wandten sich gewalttätig gegen seine Propheten und brachten sie grausam zu Tode, wodurch sie die Schuld für das Blut dieser Unschuldigen ihrer Schuld vor Jehova noch hinzufügten. (Jer. 26:2-8) Daher ließ ihnen Jehova folgende Anklage durch Jeremia zukommen: „Auch sind an deinen Rocksäumen die Blutspuren der Seelen unschuldiger Armer gefunden worden. Nicht beim Einbruch habe ich sie gefunden, sondern sie sind auf allen diesen.“ (Jer. 2:34) Und durch Jesaja: „Das Land selbst ist entweiht worden unter seinen Bewohnern, denn sie haben die Gesetze umgangen, die Bestimmung geändert, den Bund von unabsehbarer Dauer gebrochen. Darum hat der Fluch selbst das Land verzehrt, und die es bewohnen, werden für schuldig gehalten. Darum haben sich die Bewohner des Landes an Zahl vermindert, und sehr wenige sterbliche Menschen sind übriggeblieben.“ — Jes. 24:5, 6.
15. Welche Vergeltung brachte Jehova in den Tagen Jeremias über sein Volk Israel, und welche weitere Verantwortlichkeit hatten dessen Nachkommen in den Tagen Jesu in dieser Hinsicht?
15 Jerusalem wurde wegen der vielen Verbrechen, die es gegen Jehova begangen hatte, und wegen seiner Blutschuld im Jahre 607 v. u. Z. zerstört, und nur ein Überrest blieb unverurteilt. Aber trotz dieses furchtbaren Vergeltungsaktes Jehovas konnten die falschen religiösen Führer der Tage Jesu ebensowenig ihre eigene Blutschuld in Abrede stellen wie die religiösen Führer der Zeit Jeremias, denn in beiden Fällen waren ihre Rocksäume vom Blute der treuen Diener Jehovas so rot wie Scharlach, und das schloß selbst das Blut seines eigenen geliebten Sohnes ein. — Matth. 23:33-36; 27:24, 25; Luk. 11:49-51.
16. Welche Stellung haben heute die Nationen in der Frage der Heiligkeit des Lebens eingenommen, und was sollte unser Standpunkt sein?
16 Heute hat nun die Blutschuld aller Nationen der Erde ihr volles Maß erreicht. So groß ist die Blutschuld der „Hure“, Babylons der Großen, des Weltreiches der falschen Religion, daß von ihr gesagt wird, sie sei trunken vom Blute des Volkes Jehovas. (Offb. 17:5, 6; 18:24) Irgendwann wird es nun an der Zeit sein, daß Jehovas Bluträcher zum Schlag ausholt, und wehe irgendeinem, der in Verbindung mit ihr gefaßt wird! (Offb. 18:4) Solche Blutschuldigen „werden nicht die Hälfte ihrer Tage erleben“, wie David sagte. (Ps. 55:23) Wir sollten ernstlich mit dem Psalmisten beten: „Befreie mich von Blutschuld, o Gott, du Gott meiner Rettung“ und: „Von Menschen, die mit Blutschuld beladen sind, errette mich.“ (Ps. 51:14; 59:2) Dann, in ganz naher Zukunft, wenn der mächtige Chorgesang der Lobpreisung im Himmel zu Jehova aufsteigt, weil die letzten Spuren Babylons der Großen vernichtet sein werden und das Blut aller Unschuldigen gerächt sein wird, werden sich unsere Stimmen mit denen aller auf Erden vereinen, die dem Schwert der Vergeltung des Rächers Jehovas entronnen sind. — Offb. 19:1, 2, 15, 21.
[Karte auf Seite 495]
(Genaue Textanordnung in der gedruckten Ausgabe)
Zufluchtsstädte
Kedesch
Golan
Ramoth
Jordan
Sichem
Bezer
Hebron
[Bild auf Seite 496]
Der unabsichtliche Totschläger mußte in die nächste Zufluchtsstadt fliehen, damit der Bluträcher ihn nicht einholte und ihn in der Glut seines Zornes tötete.