Die Herausforderung, Jehova zu dienen, vorbehaltlos annehmen
„‚Ich [verbarg] mein Angesicht nur einen Augenblick vor dir, doch mit liebender Güte auf unabsehbare Zeit will ich mich deiner erbarmen‘, hat dein Rückkäufer, Jehova, gesagt.“ — Jes. 54:8.
1, 2. Welche Ereignisse, die sich im alten Bethlehem abspielten, führten zu einer Herausforderung von großer Tragweite?
DER Morgen dämmert über Bethlehem. In den Straßen kehrt allmählich Leben ein. Im schwachen Licht der Dämmerung des neuen Tages tauchen einige schattenhafte Gestalten auf, die eilig ihrer täglichen Arbeit nachgehen. Eine junge Frau von anmutiger Gestalt kommt auf die Stadt zu und huscht schnell über den großen freien Platz vor dem Eingang des Tores. Freude strahlt aus ihrem Gesicht, und ihr Schritt ist beschwingt trotz der Last, die sie, in ihren Mantel eingebunden, trägt. Sie biegt von der Straße ab und tritt in ein einfaches Haus ein, wo sie von einer viel älteren Frau begrüßt wird. Die beiden setzen sich in erwartungsvoller Spannung hin, die jüngere Frau in der Hoffnung auf eine verheißungsvolle Zukunft, die ältere in der Hoffnung, den Wunsch ihres Lebens in Erfüllung gehen zu sehen.
2 Mit ihren Gedanken sind die beiden Frauen am Stadttor und bei den Ereignissen, die sich dort abzuspielen beginnen, während die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne auf das im hügeligen Bergland gelegene Städtchen fallen. Die Straßen beleben sich immer mehr. Die Sonne steigt höher. Obwohl der Sommer kaum begonnen hat, ist die sechsmonatige Trockenzeit ziemlich vorgerückt, und man verspürt die Hitze der Sonne schon zu dieser frühen Stunde. Nun sieht man bereits überall Menschen, und auf dem freien Platz vor dem Stadttor herrscht ein reger Betrieb. Am Eingang des Tores sitzt ganz allein ein älterer Mann, dessen Verhalten und Kleidung erkennen lassen, daß er wohlhabend ist und in der Stadt ein gewisses Ansehen genießt. Er macht einen ernsten Eindruck, während er mit prüfendem Blick jedes neue Gesicht betrachtet, das er auf dem Platz entdeckt. Offensichtlich sucht er jemand. Plötzlich ruft er: „Biege doch ab, setze dich doch hier, Soundso.“ Der Angesprochene bleibt stehen, dreht sich um und setzt sich zu ihm. Mit diesem Gruß und dieser Erwiderung beginnen sich Dinge abzuspielen, die nicht nur das Leben der beiden Frauen ändern sollen, die in ihrem Häuschen in Bethlehem geduldig warten, sondern auch das Leben vieler Menschen kommender Generationen. An Soundso soll nämlich eine Herausforderung von so großer Tragweite gerichtet werden, daß sie sogar uns heute noch berührt.
3. Wer waren die Hauptpersonen in dem Drama über Noomi und Ruth, und welche Fragen in bezug auf das Verhältnis dieser Personen zueinander müssen geklärt werden?
3 Der Name der jungen Frau, die an diesem bedeutungsvollen Tag in die Stadt kam, war Ruth, und die ältere Frau, die sie beim Betreten des Hauses grüßte, war ihre Schwiegermutter Noomi, die Witwe Elimelechs. Noomi war eine geborene Jüdin, Ruth dagegen nicht. Sie war eine Moabiterin. Wie kam es aber, daß sie Noomis Schwiegertochter wurde und in Bethlehem lebte, weit von ihrer Heimat und ihrem Volk entfernt? In welchem Verhältnis stand sie zu Boas, dem älteren Mann, dem so sehr daran gelegen war, mit Soundso eine bestimmte Sache zu besprechen? Worum handelte es sich bei dieser Sache, die so wichtig war, daß die damit verbundene Herausforderung heute, dreitausend Jahre später, noch unser Leben beeinflussen kann?
4. Wen oder was stellen die Hauptpersonen dar?
4 Das Drama, das sich nach dem Bericht im Buche Ruth im alten Israel abzuspielen begann, wies prophetisch auf Ereignisse unserer Zeit hin, die mit einer Herausforderung von ebenso großer Tragweite verbunden sind, wie dies damals der Fall war. (1. Kor. 10:11; Röm. 15:4) Auch die einzelnen Personen, die damals an dem Drama beteiligt waren, versinnbildlichen etwas. Elimelechs Name bedeutet „Gott ist König“. Er stellt daher den Herrn Jesus Christus dar; ebenso Boas, ein naher Verwandter Noomis, dessen Name möglicherweise „in Stärke“ bedeutet. Es ist somit anzunehmen, daß Noomi, deren Name „mein Ergötzen“ bedeutet, diejenigen darstellt, die Jesus zur Ehe versprochen sind, die also seine Braut ausmachen, besonders diejenigen, die in der „Zeit des Endes“, in der dieses Drama seine bedeutsame Erfüllung findet, noch auf der Erde sind. Ruth, deren Name wahrscheinlich „Freundschaft“ bedeutet, wurde Noomis Schwiegertochter und wäre so in der Lage gewesen, für Noomi Nachkommen hervorzubringen. Sie dürfte deshalb ebenfalls die Glieder der Braut Christi darstellen, allerdings von einem etwas anderen Gesichtspunkt aus betrachtet und unter etwas anderen Umständen. Wen stellt aber der sogenannte „Soundso“ dar, der ebenfalls ein naher Verwandter Noomis war? Wir überlassen die Klärung dieser Frage der Entwicklung der Ereignisse in unserer Zeit.
EINE VERLASSENE
5. (a) Wovon wurde Bethlehem in den Tagen Noomis heimgesucht, und was tat ihr Mann Elimelech deshalb? (b) Wie erfüllte sich dies in der heutigen Zeit?
5 Wir kehren nun in die Zeit zurück, in der die glückliche Familie Elimelechs — Noomi, seine Frau, und Machlon und Kiljon, die Söhne der beiden — noch zusammen in Bethlehem oder Ephratha im Gebiet von Juda wohnt. Bethlehem bedeutet „Haus des Brotes“; Ephratha bedeutet „Fruchtbarkeit“. Diese beiden Namen haben mit Überfluß zu tun, dem Gegenteil von Hungerleiden oder Hungersnot; doch zu dieser Zeit (im 13. Jahrhundert v. u. Z.) werden Bethlehem und das ganze Gebiet des Stammes Juda von einer Hungersnot oder Nahrungsmittelknappheit heimgesucht, die den Mangel darstellt, unter dem Jehovas Organisation während des Ersten Weltkrieges in geistiger Hinsicht zu leiden hatte. Elimelech zieht mit seiner Familie aus Bethlehem aus, ungeachtet dessen, ob auch andere Bewohner die Stadt verlassen. Er überquert den Jordan und läßt sich im Lande oder in den Gefilden Moabs nieder und wohnt dort als zeitweilig Ansässiger, wie auch Jehovas Diener heute in Satans System der Dinge zeitweilig Ansässige sind. (Joh. 17:16; 1. Joh. 5:19) Elimelech läßt dadurch einen Erbbesitz im Land zurück. — Ruth 1:1, 2.
6. Was geschah in Moab mit Noomis Angehörigen?
6 Nach einiger Zeit stirbt der betagte Elimelech und hinterläßt Noomi als Witwe. Noomi hält es dann für gut, ihre beiden Söhne im Lande Moab zu verheiraten. Machlon, offenbar der ältere, heiratet die Moabiterin Ruth; Kiljon heiratet Orpa, ebenfalls eine Moabiterin. Schließlich sterben aber auch Machlon und Kiljon und hinterlassen eine verwitwete Mutter, Noomi, und zwei verwitwete Frauen, Ruth und Orpa. (Ruth 1:3-5) Es sind kinderlose Witwen; sie haben für Noomi keine Nachkommen hervorgebracht. Da Noomi selbst zu alt ist, um Kinder zu gebären, fällt die ganze Schmach auf sie. Der Tod Machlons (dessen Name „kränklich, gebrechlich“ bedeutet) und Kiljons (dessen Name „Schwäche“ bedeutet) stellt den geistigen Tod einiger dar, die während jener prüfungsreichen Zeit mit Gottes Organisation verbunden waren. Es war für Jehovas Volk eine sehr kummervolle Zeit.
7. Wie betrachtete Noomi ihre Lage, und welche Lage sagte Jesaja Jahrhunderte später voraus?
7 Noomi betrachtete sich als eine Verlassene, die keine Nachkommen hatte und auch keine Nachkommen mehr haben konnte. Es war, wie wenn sie „ein gänzlich verlassenes und im Geiste verletztes Weib“ gewesen wäre und „wie ein Weib der Jugendzeit, das dann verworfen wurde“. Da die Leibesfrucht damals als ein Segen Jehovas betrachtet werden konnte, Unfruchtbarkeit dagegen als ein Fluch, glaubte Noomi mit Recht sagen zu können: „Es [ist] Jehova ..., der mich erniedrigt hat.“ (Ruth 1:21) Einige Jahrhunderte später wurde der Prophet Jesaja dazu inspiriert, über eine ähnliche Erniedrigung zu schreiben, die aber unmittelbar die Folge des Mißfallens Jehovas war. Um die volle Bedeutung der Herausforderung zu erfassen, der sich Noomi in ihrer Lage gegenübersah, müssen wir diese Prophezeiung Jesajas richtig verstehen und wissen, durch welche Ereignisse sie sich in unserer Zeit erfüllt hat. „‚Denn Jehova rief dich, wie wenn du ein gänzlich verlassenes und im Geiste verletztes Weib wärest und wie ein Weib der Jugendzeit, das dann verworfen wurde‘, hat dein Gott gesprochen. ,Für einen kleinen Augenblick verließ ich dich gänzlich, doch mit großen Erbarmungen werde ich dich sammeln. In der Flut des Zornes verbarg ich mein Angesicht nur einen Augenblick vor dir, doch mit liebender Güte auf unabsehbare Zeit will ich mich deiner erbarmen‘, hat dein Rückkäufer, Jehova, gesagt.“ — Jes. 54:6-8.
JEHOVA, EIN „EHELICHER BESITZER“
8, 9. (a) An wen sind die Worte in Jesaja 54:6-8 gerichtet, und wie zeigt dies der Zusammenhang, in dem dieser Text erscheint? (b) Welche Gruppe, die ebenfalls durch Noomi dargestellt wurde, gehört dazu?
8 Aus dieser Prophezeiung könnte man schließen, daß Jehova, der Gott der ganzen Schöpfung, ein Weib hat. Ist das möglich? Sinnbildlich gesprochen, ja. An sie sind die Worte in Jesaja 54:5 gerichtet: „Denn dein großer Erschaffer ist dein ehelicher Besitzer, Jehova der Heerscharen ist sein Name; und der Heilige Israels ist dein Rückkäufer.“ Das wurde nicht zu Noomi gesagt, die in den Tagen Jesajas bereits fünfhundert Jahre tot war, auch nicht zu einer anderen buchstäblichen Frau, sondern zu einer Organisation, zu dem himmlischen Zion, der aus Geistsöhnen bestehenden Universalorganisation Gottes im Himmel. In den vergangenen neunzehnhundert Jahren ist die Zugehörigkeit zu Gottes Universalorganisation nicht mehr nur auf die immer noch heiligen und Jehova Gott loyal ergebenen Engel im Himmel beschränkt gewesen, sondern es sind auch geistgezeugte irdische Söhne Gottes — es werden schließlich 144 000 sein — in diese Organisation aufgenommen worden. (Offb. 14:1) Es sind dies alles Fußstapfennachfolger dessen, der die höchste Stellung in Gottes Universalorganisation innehat, des Herrn Jesus Christus.
9 Diese 144 000 Fußstapfennachfolger Jesu Christi sind mit ihm verlobt, um mit ihm im Himmel vermählt zu werden; sie sind also seine voraussichtliche Braut, die in Offenbarung 21:9 als „die Braut, das Weib des Lammes“, bezeichnet wird. Die Glieder dieser Brautklasse sind in den vergangenen neunzehnhundert Jahren ausgewählt worden. Deshalb kann sich heute nur noch ein Überrest von ihnen auf der Erde befinden. Diejenigen, die den Ersten Weltkrieg miterlebten, die sich also vor dem Jahre 1919 Gott hingegeben hatten und getauft worden waren, werden in diesem Drama durch Noomi dargestellt. Wie gerieten sie denn in eine Lage, in der sie der kinderlosen und verlassenen Noomi im Lande Moab glichen?
10. Welches Verhältnis besteht zwischen dem Überrest und Gottes Universalorganisation, und in welcher Zeit „starb“ der größere Elimelech gegenüber der Noomi-Klasse?
10 Um diesen Teil des Dramas über Noomi und Ruth zu verstehen, müssen wir noch eine andere Seite des Verhältnisses zwischen dem Überrest auf der Erde und den übrigen, den himmlischen Gliedern der Universalorganisation Gottes kennenlernen. Da die Glieder des Überrestes der Brautklasse zur Universalorganisation Gottes gehören, berührt das, was sie, die zwar geistige Söhne Gottes, aber noch im Fleische sind, berührt, auch Gottes Weib, das himmlische Zion oder die Universalorganisation. Das wird uns klar, wenn wir die Prophezeiung in Jesaja 54:6-8 im Lichte der Ereignisse betrachten, die sich in Verbindung mit der Tätigkeit der Noomi-Klasse im Ersten Weltkrieg abspielten. In jener Zeit (1918 bis 1919) „starb“ nämlich der größere Elimelech gegenüber der Noomi-Klasse, und danach war sie verlassen, wie wenn sie ohne „ehelichen Besitzer“ gewesen wäre. Als Jehova, der Mann dieser Universalorganisation, sein Weib, vertreten durch die geistgezeugten Glieder auf der Erde, verwarf und sich dadurch Jesaja 54:6-8 erfüllte, war dies eine Erniedrigung.
JEHOVAS MISSFALLEN ÜBER SEIN WEIB
11. Wann und warum zog sich der Überrest Jehovas Mißfallen zu, wovon die ganze Universalorganisation berührt wurde, und wie zeigte sich dies?
11 Beachten wir, daß Jehova sein Weib in Jesajas Prophezeiung als ein verlassenes und im Geiste verletztes Weib schildert, von dem er sein Angesicht abgewandt hatte. Das deutete an, daß sie sich sein Mißfallen zugezogen hatte. Deshalb sagt er gemäß dem elften Vers zu ihr: „O Niedergedrückte, Sturmbewegte, Ungetröstete.“ Die Noomi-Klasse, der Überrest, kam besonders im Jahre 1918 in eine Situation, in der sie in einem gewissen Sinne aus Jehovas Gunst verstoßen wurde. In jenem Jahr kam Jehova Gott, begleitet von dem Boten des Bundes, dem Herrn Jesus Christus, plötzlich zu seinem Tempel. Er prüfte die Glieder des Überrestes, die noch auf der Erde waren, und sie mißfielen ihm. (Mal. 3:1, 2) Sie nahmen damals die Herausforderung, sich in den Dienst des Königreiches Jehovas zu stellen, nicht vorbehaltlos an. Menschenfurcht hielt sie zurück, und sie verfehlten auch, sich ‘von der Welt völlig unbefleckt zu halten’. (Jak. 1:27, Luther) Jehova ließ daher zu, daß sie in die Gefangenschaft Groß-Babylons und dessen politischer Verbündeter gerieten. Während dieser Zeit wurden sie verfolgt und mißhandelt, und im Jahre 1918 kam es schließlich so weit, daß die Vertreter des Hauptbüros der Gesellschaft verhaftet, wegen Spionage fälschlich unter Anklage gestellt und eingesperrt wurden.a Das bedeutete, daß Gottes Universalorganisation als Ganzes, sein Weib, von seinem Mißfallen berührt wurde, denn gemäß der Prophezeiung sollte die gesamte Organisation wie ‘ein gänzlich verlassenes Weib’ sein.
12. Wieso kann gesagt werden, der Umstand, daß Jehova sein Angesicht vor seinem Weib verborgen habe, entspreche dem Tod Elimelechs, wenn Elimelech doch den Herrn Jesus Christus darstellt?
12 Wieso kann aber gesagt werden, der Umstand, daß Jehova sein Angesicht vor seinem Weib verborgen habe, entspreche dem Tod Elimelechs, wenn Elimelech doch den Herrn Jesus Christus darstellt? Wie stirbt der himmlische Jesus Christus dem Sinne nach gegenüber der Noomi-Klasse auf der Erde? Während seiner irdischen Tätigkeit gab Jesus deutlich zu erkennen, daß er sich an den Grundsatz hielt: ‘Was ich meinen Vater tun sehe, das tue auch ich.’ Wenn daher Jehova sein Weib in der Zeit seines Mißfallens über den Überrest verlassen hatte und sein Angesicht vor ihr verbarg, dann muß sein Sohn dies ebenfalls getan haben, besonders gegenüber dem Teil der Universalorganisation Gottes, der zu seiner Braut gehört, gegenüber dem geistgezeugten Überrest hier auf der Erde. Auf diese Weise „starb“ Jesus Christus dem Sinne nach gegenüber denen, die Jehova verlassen hatte.
EINE HERAUSFORDERUNG, DIE EINE SCHWERWIEGENDE ENTSCHEIDUNG VERLANGT
13. Wozu entschließt sich Noomi nun, und wieso bedeutet dies für Ruth und Orpa eine Herausforderung?
13 Mittlerweile sind in dem Drama der alten Zeit zehn Jahre vergangen, und Noomi hört nun, daß sich die Lage in Bethlehem geändert hat. Jehova hat seinem Volk wiederum seine Aufmerksamkeit zugewandt und ihm Brot gegeben. Noomi beschließt deshalb zurückzukehren. Sie faßt diesen Entschluß aber noch aus einem wichtigeren Grund. Sie hat in Bethlehem im Lande Juda noch einen Erbbesitz, und will sie ihn übernehmen, so muß sie dahin zurückkehren. Ruth und Orpa, ihre beiden „Töchter“, sehen sich vor eine Herausforderung gestellt, die eine schwerwiegende Entscheidung verlangt. Was werden sie tun? Offenbar ohne Bedenken machen sie sich mit Noomi auf den Weg nach Bethlehem. (Ruth 1:6, 7) Unterwegs versucht Noomi, sie davon abzubringen, den Weg mit ihr fortzusetzen. „‚Geht, kehrt zurück, jede in das Haus ihrer Mutter. ... Jehova gebe euch eine Gabe, und ihr sollt einen Ruheort finden, eine jede im Hause ihres Mannes.‘ Dann küßte sie sie, und sie begannen ihre Stimme zu erheben und zu weinen. Und immer wieder sprachen sie zu ihr: ‚Nein, sondern mit dir werden wir zu deinem Volke zurückkehren.‘ Aber Noomi sprach: ,Kehrt zurück, meine Töchter, warum solltet ihr mit mir gehen? Habe ich noch Söhne in meinem Innern, und werden sie eure Männer werden? Kehrt zurück, meine Töchter, geht, denn ich bin zu alt geworden, um einem Mann zu eigen zu werden. ... Nein, meine Töchter, denn es ist für mich euretwegen sehr bitter, daß die Hand Jehovas wider mich ausgegangen ist.‘“ — Ruth 1:8-13.
14. Wozu entschließt sich Orpa, und welchen ähnlichen Lauf schlagen heute die ein, die sie darstellt?
14 „Darauf erhoben sie ihre Stimme und weinten noch mehr, worauf Orpa ihre Schwiegermutter küßte. Was Ruth betrifft, sie hielt fest zu ihr. Da sprach sie: ,Siehe! Deine verwitwete Schwägerin ist zu ihrem Volke und ihren Göttern zurückgekehrt. Kehre mit deiner verwitweten Schwägerin zurück.‘“ (Ruth 1:14, 15) Orpa stellt Personen dar, die mit der treuen Noomi-Klasse in Verbindung kommen und eine Zeitlang ein gewisses Interesse und einen gewissen Eifer bekunden, dann aber, gleichsam noch in ihrer christlichen Jugend, zurückweichen. Eigennutz und persönliche Wünsche hindern sie daran, Jehovas Herausforderung anzunehmen und ihn ‘auf die Probe zu stellen, ob er ihnen nicht die Schleusen der Himmel auftun und tatsächlich Segen über sie ausschütten würde, bis kein Bedarf mehr wäre’. — Mal. 3:10; Hebr. 10:38, 39; 2. Petr. 2:22.
15, 16. Wie reagierte Ruth auf die Herausforderung?
15 Die Ruth-Klasse dagegen opfert alle ihre persönlichen Vorteile, um mit der Noomi-Klasse an der Erfüllung des Vorhabens Jehovas, sie betreffend, teilzuhaben. „Und Ruth sprach dann: ,Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, davon umzukehren, dich zu begleiten; denn wohin du gehst, werde ich gehen, und wo du die Nacht verbringst, werde ich die Nacht verbringen. Dein Volk wird mein Volk ein und dein Gott mein Gott. Wo du stirbst, werde ich sterben, und dort werde ich begraben werden. Möge Jehova mir so tun und dazu hinzufügen, wenn irgend etwas außer dem Tod eine Trennung zwischen mir und dir herbeiführen sollte.‘“ — Ruth 1:16, 17.
16 Mit den Worten: „Möge Jehova mir so tun und dazu hinzufügen“ legte Ruth Jehova einen Eid ab, durch den sie sich verpflichtete, diese Dinge zu tun. Sie nahm die Herausforderung, Noomis Gott zu dienen und an Noomis Seite zu bleiben, selbst bis in den Tod, vorbehaltlos an. Orpas Umkehr brachte Ruth nicht von ihrem Entschluß ab und dämpfte ihren Eifer nicht. Noomis Einfluß hatte Ruths Bekehrung bewirkt, und nun erfüllte sich Noomis Herzenswunsch: Ruth war bereit, auch die weitere Herausforderung anzunehmen, die auf die beiden Frauen zukommen würde, wenn sie nach Bethlehem kamen.
EINE WEITERE HERAUSFORDERUNG
17. Was sagte Noomi zu ihren Nachbarinnen, als diese sie nach ihrer Rückkehr nach Bethlehem begrüßten?
17 Die Verbitterung und Enttäuschung, die Noomi zum Ausdruck brachte, als sie mit Ruth und Orpa über ihre Aussichten in Bethlehem sprach, weichen nicht nach ihrer Heimkehr. Sie ist zwar wieder zu Hause, aber nun empfindet sie den Verlust noch mehr und wird sie sich ihrer Hilflosigkeit erst recht bewußt, und das verbittert sie noch mehr und macht sie noch trauriger. Die ganze Stadt spricht von ihrer Rückkehr, besonders die Frauen; sie trauen ihren Augen nicht. Wo ist denn Elimelech? Wo sind Machlon und Kiljon? Und wer ist diese Moabiterin? „Und die Frauen sagten immer wieder: ,Ist das Noomi?‘ Und sie sprach jeweils zu den Frauen: ,Nennt mich nicht Noomi [was „mein Ergötzen“ bedeutet]. Nennt mich Mara [was „bitter“ bedeutet], denn der Allmächtige hat es mir sehr bitter gemacht. Voll bin ich ausgezogen, und mit leeren Händen hat Jehova mich zurückkehren lassen. Warum solltet ihr mich Noomi nennen, wenn es Jehova ist, der mich erniedrigt hat, und der Allmächtige, der mir Unglück zugefügt hat?‘“ — Ruth 1:18-22.
18. Warum mußte Gottes Weib, das auf der Erde durch die Noomi-Klasse, den Überrest, vertreten wurde, erlöst werden?
18 Die Noomi-Klasse konnte während dieser Trübsalzeit in der Tat sagen: „Nennt mich Mara, die Bittere.“ In Jesaja 12:1 wird auf diese harte Züchtigung Bezug genommen, denn wir lesen dort, daß der Prophet zu Jehova Gott sagte: „Obwohl du über mich in Zorn gerietest, hat sich dein Zorn allmählich abgewandt. In Jesaja 52:3 heißt es: „Denn dies ist, was Jehova gesprochen hat: ,Umsonst wurdet ihr verkauft, und ohne Geld werdet ihr zurückgekauft werden.‘“ Mit anderen Worten, diejenigen, die Gottes hingegebene Diener auf der Erde gefangennahmen, bezahlten nichts für sie, sie bekamen sie umsonst. In den Versen fünf und sechs heißt es weiter: „‚Und nun, welche Interessen habe ich hier?‘ ist der Ausspruch Jehovas. ,Denn mein Volk wurde für nichts weggenommen. ... Aus diesem Grunde wird mein Volk meinen Namen erkennen, ja aus diesem Grunde an jenem Tage, weil ich der Eine bin, der redet.‘“ Gott ließ also zu, daß sein Volk für nichts weggenommen wurde, daß die Feinde es in ihren Besitz bekamen, ohne es zu kaufen. Gottes Weib, auf der Erde vertreten durch den Überrest, die Noomi-Klasse, mußte also von Babylon der Großen erlöst oder zurückgekauft werden.
19. Besonders an welche Verheißung, die Jakob dem Juda gegeben hatte, dachte Noomi wohl in ihrer Verlassenheit?
19 In der gleichen Lage befand sich auch Noomi aus Bethlehem und aus dem Stamme Juda als anscheinend von Jehova gezüchtigte, kinderlose Witwe. Dennoch war es ihr innigster Wunsch, einen Anteil zu haben an der Verwirklichung des Vorhabens Jehovas, das die Frauen in Israel betraf, besonders einige begünstigte aus dem Stamm Juda, denn die Frauen dieses Stammes hatten die Aussicht, daß sich die Verheißung Jakobs, des Vaters Judas, an ihnen erfüllte. Kurz bevor Jakob im Jahre 1711 v. u. Z. in Ägypten starb, segnete er Juda mit den Worten: „Das Zepter wird nicht von Juda weichen, noch der Befehlshaberstab zwischen seinen Füßen hinweg, bis Schilo kommt; und ihm wird der Gehorsam der Völker gehören.“ (1. Mose 49:10) Dieser Schilo, dessen Name „Der, dessen es ist“ oder „Der, dem es gehört“ bedeutet, muß der Befehlshaber werden, der den Stab führt. Er muß der sein, der das königliche Zepter ergreift. Er muß der Messias sein, der wahre Same Abrahams, durch den sich alle Familien der Erde segnen sollen. (1. Mose 22:17, 18) Wessen Sohn in der Abstammungslinie Judas, des Urenkels Abrahams, würde er sein? Welcher Mutter in Juda würde die außergewöhnliche Ehre zuteil werden, ihn an ihrer Brust zu tragen? „Nicht mir“, mag Noomi in ihrem Herzen gedacht haben, denn sie war ja kinderlos und zu alt, um Kinder zu gebären. Kein Wunder, daß sie in ihrer Einsamkeit ausrief: „Nennt mich Mara.“
JEHOVA ERSCHLIESST EINEN WEG
20. Was verhieß Jehova einige Jahrhunderte später durch Jesaja?
20 Jehova ließ diese treue Frau, deren Flehen er gehört hatte, jedoch nicht im Stich. Mit Recht hätte der Prophet zu ihr das sagen können, was er Jahrhunderte später im Auftrag Jehovas zu dem Weib sagte, das sie darstellte: „‚Ich [verbarg] mein Angesicht nur einen Augenblick vor dir, doch mit liebender Güte auf unabsehbare Zeit will ich mich deiner erbarmen‘, hat dein Rückkäufer, Jehova, gesagt.“ (Jes. 54:8) Wie sollte sich das an Noomi erfüllen? Wenn sie ohne einen natürlichen Nachkommen sterben würde, so hätte sie keinen Erben, dem sie das Besitztum ihres verstorbenen Mannes hinterlassen könnte. Und sollte Jehovas Vorhaben, Schilo aus dem Stamme Juda hervorzubringen, durch sie verwirklicht werden, dann müßte sie einen männlichen Erben haben. Was konnte sie tun?
21. Wie kam das Gesetz Israels einer Witwe zu Hilfe, die sich in einer solch schwierigen Lage befand wie Noomi, und wieso war dies für Ruth eine Herausforderung?
21 Das Gesetz Israels kam jemandem, der sich in einer solch schwierigen Lage befand wie Noomi, zu Hilfe. Jehova hatte selbst verheißen, daß keine gottesfürchtige Israelitin unfruchtbar bleiben sollte. Er hatte gesagt: „Weil du fortfährst, auf die Stimme Jehovas, deines Gottes, zu hören: ... Gesegnet wird sein die Frucht deines Leibes.“ (5. Mose 28:2-4) Auch ein Mann sollte nicht ohne einen Nachkommen bleiben, durch den sein Name erhalten blieb. Das Gesetz Israels bestimmte: „Falls Brüder beisammenwohnen und einer von ihnen gestorben ist, ohne einen Sohn zu haben, sollte die Frau des Verstorbenen nicht die Frau eines fremden Mannes auswärts werden. Ihr Schwager sollte zu ihr gehen, und er soll sie sich zur Frau nehmen und die Schwagerehe mit ihr vollziehen. Und es soll geschehen, daß der Name seines verstorbenen Bruders auf den Erstgeborenen übergehen sollte, den sie gebären wird, damit sein Name aus Israel nicht ausgetilgt werde.“ (5. Mose 25:5, 6) Dieses Gesetz in Verbindung mit dem Gesetz über den Rückkauf war Noomis einzige Hoffnung. Wenn ein Bruder oder ein naher Verwandter gefunden werden könnte, dann könnte Noomi aufgrund dieser Vorkehrung des Gesetzes einen Ausweg suchen. Doch selbst wenn sich ein solcher Verwandter finden würde, könnte sie selbst kein Kind mehr haben. Ihre einzige Hoffnung wäre dann Ruth, ihre Schwiegertochter, die aufgrund dieser Vorkehrung an ihrer Stelle für Elimelech einen Nachkommen hervorbringen könnte. Wie würde Ruth diese Gelegenheit betrachten? Würde sie bereit sein, auf die Aussicht, einen jungen Mann zu finden, der ihr etwas bieten könnte, zu verzichten? Würde sie diese Herausforderung als eine Gelegenheit erkennen, Jehovas Vorhaben kennenzulernen und es zu ihrem Lebensinhalt zu machen?
22. Wen berührte diese Herausforderung damals in dem prophetischen Drama noch, und was sollte der weitere Verlauf dieses Dramas bei uns heute bewirken?
22 Und Boas und Soundso? Wie würden sie die Herausforderung betrachten, für Noomi einen Erben hervorzubringen, damit der Name Elimelechs, ihres verstorbenen Mannes erhalten bliebe? Würden sie darin eine Gelegenheit sehen, Jehova noch mehr zu dienen? Wie berührt diese Herausforderung und der weitere Verlauf dieses Dramas uns heute? Noomis Tröstung, die Erfüllung des Traumes ihres Lebens und die Rolle, die Ruth, Boas und Soundso in Verbindung mit dieser Herausforderung spielten — das alles gehört zu diesem begeisternden Drama, das sogar uns heute anspornt, Jehovas Vorhaben zu unserem Lebensinhalt zu machen. Der folgende Artikel zeigt uns den weiteren Verlauf dieses Dramas.
[Fußnote]
a Siehe das Buch Jehovas Zeugen in Gottes Vorhaben, S. 79—83.
[Bild auf Seite 269]
„Bleib sitzen, meine Tochter, bis du weißt, wie die Sache ausgeht, denn der Mann wird keine Ruhe haben, bis er die Sache heute zu Ende gebracht hat.“
[Bild auf Seite 273]
Ruth nahm die Herausforderung, Jehova zu dienen, an, indem sie zu Noomi sagte: „Dein Volk wird mein Volk sein und dein Gott mein Gott.“