Moses, der Mann des wahren Gottes
HAST du dich schon einmal bemüht, einen Menschen zu sehen oder kennenzulernen, der wegen hervorragender Leistungen, wegen seines Reichtums oder aus anderen Gründen Berühmtheit erlangt hat? Freutest du dich dann nicht, wenn du ihn persönlich kennengelernt hattest? Hast du aber schon jemals daran gedacht, daß du jederzeit die hervorragendsten Menschen, die je gelebt haben, kennenlernen kannst, wenn du die Bibel zur Hand nimmst?
Es mag zwar nicht so aufregend sein und die menschliche Eitelkeit nicht so befriedigen, wenn man solche Personen durch ein Buch kennenlernt. Es kann jedoch in jeder Hinsicht ein ebenso interessantes und freudiges Erlebnis sein wie eine persönliche Begegnung, ja es kann sogar eine weitaus größere Belohnung für Herz und Sinn bedeuten. Wenn wir uns diesem Buch zuwenden, lernen wir Jehova Gott und die vortrefflichen Männer und Frauen, von denen es berichtet, noch mehr lieben und besser kennen. Gleichzeitig werden wir auch ermuntert, ihr gutes Beispiel nachzuahmen und aus ihren Fehlern zu lernen, um sie zu vermeiden. — Röm. 15:4.
Alles dieses trifft besonders auf Moses, den „Mann des wahren Gottes“, zu. Er diente Gott und seinem Volk mit seiner ganzen Kraft und solange er konnte. Vierzig Jahre lang gebrauchte ihn Gott als seinen Propheten, um sein Volk zu befreien, um als Mittler zwischen ihm und den Menschen zu amten, um den Israeliten seine Gesetze zu geben, um sie zu richten, ihr Herrscher zu sein, ihr Heiligtum zu errichten und sie bei ihren erfolgreichen Kriegszügen anzuführen. Darüber hinaus gebrauchte ihn Jehova Gott auch dazu, mit dem Schreiben der Bibel zu beginnen, und seine Schriften übertreffen alle anderen an Schönheit und Umfang. — Esra 3:2, NW.
Er wird öfters „der Mann des wahren Gottes“ (NW) genannt, und gegen vierzigmal wird er als Knecht Gottes oder Diener Gottes bezeichnet. Er wird etwa in der Hälfte der Bücher der Hebräischen und der Christlichen Griechischen Schriften ungefähr achthundertmal erwähnt. Er erreichte das hohe Alter von 120 Jahren, während die normale Lebensspanne damals nur siebzig bis achtzig Jahre betrug, und „sein Auge war nicht schwach geworden, und seine Kraft nicht geschwunden“, als er starb. — 5. Mose 34:7; Ps. 90:10.
Wohlverdient und treffend war daher der Nachruf: „Und es stand in Israel kein Prophet mehr auf wie Mose, welchen Jehova gekannt hätte von Angesicht zu Angesicht, nach all den Zeichen und Wundern, die Jehova ihn gesandt hatte zu tun im Lande Ägypten, an dem Pharao und an allen seinen Knechten und an seinem ganzen Lande, und nach all der starken Hand und nach all dem Großen und Furchtbaren, das Mose vor den Augen des ganzen Israel getan hat.“ — 5. Mose 34:10-12.
ACHTZIG JAHRE VORBEREITUNG
Vor etwa hundert Jahren begannen Bibelkritiker die Echtheit der Schriften Moses’ in Frage zu ziehen, aber durch die Ergebnisse der heutigen palästinischen Altertumsforschung haben sich ihre Theorien als dermaßen töricht erwiesen, daß wir uns Zeit und Papier sparen können, sie zu widerlegen. Es wäre auch sinnlos, auf die phantastischen Geschichten einzugehen, die Josephus und andere, die den Bibelbericht über Moses angeblich ergänzen wollten, berichten, denn sie stehen im krassesten Widerspruch zu den nüchternen, vernünftigen und den dem wirklichen Tatbestand entsprechenden Darlegungen der Bibel.
Man nimmt an, daß Moses 1593 v. Chr. geboren wurde. Seine gottesfürchtigen Eltern waren Amram und Jokebed aus dem Stamm Levi. Zu jener Zeit hatte der Pharao gerade das Gesetz über die Rassenausrottung erlassen. „Jeden neugeborenen Knaben werft in den Nil“, besagte dieses Gesetz. Aber Moses’ Eltern hatten Glauben an Jehova Gott, und so wurde er „nach seiner Geburt drei Monate lang von seinen Eltern verborgengehalten, weil sie sahen, daß das kleine Kind schön war, und sie fürchteten den Befehl des Königs nicht“. — 2. Mose 1:22, Me; Hebr. 11:23, NW.
Als es nicht mehr möglich war, das Dasein des Kindes zu verheimlichen, legte es seine Mutter in ein Kästchen, das sie aus Papyrus und Pech angefertigt hatte, und setzte es im Schilf am Ufer des Nils ins Wasser. Gleichzeitig hieß sie seine Schwester Miriam aufzupassen, was mit ihm geschehen werde. Durch göttliche Vorsehung fand die Tochter des Pharaos das Kind, als sie baden gehen wollte. Da das Kind sehr schön war und gerade weinte, erregte es ihr Mitleid, und sie war sofort einverstanden, als seine Schwester fragte, ob sie eine Hebräerin holen solle, die das Kind für sie nähre. So kam es, daß Moses in einer gottesfürchtigen Familie, nämlich bei seinen eigenen Eltern, aufwuchs. Nachdem er ein gewisses Alter erreicht hatte, wurde er der Tochter des Pharaos gebracht, die ihn Moses nannte. „Weil ich ihn aus dem Wasser gezogen habe“, sprach sie. — 2. Mose 2:10, NW.
Seine Eltern erzogen ihn so gut „in der Zucht und im autoritativen Rate Jehovas“, daß er, obgleich er danach „in aller Weisheit der Ägypter unterwiesen“ wurde, auch im Alter nicht davon abwich. Mit vierzig Jahren war Moses ein reifer Mann, körperlich und geistig stark, „mächtig in seinen Worten und Taten“. — Eph. 6:4, NW; Spr. 22:6; Apg. 7:22, NW.
Zu dieser Zeit traf Moses die wichtigste Entscheidung seines Lebens. „[Er] erwählte es sich, eher mit dem Volke Gottes übel behandelt zu werden, als den zeitweiligen Genuß der Sünde zu haben, weil er die Schmach des Christus [des von Gott ernannten Dieners] für größeren Reichtum achtete als die Schätze Ägyptens.“ Er schritt gegen einen Ägypter ein, der einen Israeliten mißhandelte, und tötete ihn. Als er aber merkte, daß die Israeliten seine Bemühungen zu ihren Gunsten nicht schätzten, fand er es ratsam zu fliehen. — Hebr. 11:25, 26, NW; Apg. 7:25-29.
Er floh ostwärts und kam in das Land Midian, wo er von einem Scheich und Priester namens Jethro freundlich aufgenommen wurde, weil er dessen Töchtern beim Tränken der Herde beigestanden hatte. Moses blieb dort und hütete die Herden Jethros vierzig Jahre lang. Als Hirte lernte Moses in all diesen Jahren Geduld, Demut, Sanftmut und Gottvertrauen. Als er in Midian war, heiratete er eine Tochter Jethros und hatte von ihr zwei Söhne. Ohne es zu wissen, wurde er von Jehova darauf vorbereitet, seinem Volk in besonderer Weise zu dienen. Wie oft müssen in diesen vierzig Jahren seine Gedanken bei seinen Brüdern geweilt haben, die sich in ägyptischer Knechtschaft befanden. — 2. Mose 2:15-25; Apg. 7:30.
MOSES UND DIE WUNDERMACHT GOTTES
Eines Tages wurde dann Moses von Jehova Gott zu einer Aufgabe berufen, die er vierzig Jahre früher schon gern erfüllt hätte: zur Befreiung seines Volkes. Diese Berufung war keine unklare und zweideutige Angelegenheit. Moses kam nicht selbst auf diesen Gedanken. Das geht aus der Tatsache hervor, daß er den Auftrag nur zögernd annahm, als er ihm von dem Engel Jehovas übermittelt wurde, der ihm in einem brennenden Dornbusch erschien, welcher von den Flammen nicht verzehrt wurde. Dann lesen wir zum erstenmal in der Schrift von einem Menschen, der Wunder wirken konnte. Moses’ erstes Wunder bestand darin, einen Stab in eine Schlange und diese dann wieder in einen Stab zurückzuverwandeln. Damit war er in der Lage, seinem Volk zu beweisen, daß Jehova ihm tatsächlich erschienen war. — 2. Mose 3:1 bis 4:31.
Moses wirkte aber noch weitere Wunder. Er bewirkte, daß zehn Plagen über Ägypten kamen. Diese Plagen können nicht auf natürliche Ursachen zurückgeführt werden. Kamen sie nicht gerade dann, wenn Moses sagte, sie würden kommen, und verschwanden sie nicht wieder auf seine Veranlassung oder zu der von ihm angegebenen Zeit? Dann kam die große Befreiung seines Volkes am Roten Meer: die Israeliten zogen trockenen Fußes hindurch, die nachfolgenden Ägypter dagegen kamen in seinen Fluten um. Während der ganzen vierzigjährigen Wüstenwanderung seines Volkes geschahen Wunder, unter anderem wurden sie stets mit Speise und Trank versorgt. An sechs Tagen in der Woche fiel das Manna, das man nicht bis zum nächsten Tag aufbewahren konnte, außer wenn dieser nächste Tag ein Sabbat war, an dem keines fiel. Während all dieser Zeit nutzten sich auch ihre Kleider und Schuhe nicht ab. — 2. Mose 7:19 bis 16:36; 5. Mose 29:5.
Besonders erwähnenswert ist auch das furchteinflößende Schauspiel, das das Erdbeben, das Feuer, der Rauch, die Blitze, der Posaunenschall und die machtvolle Stimme als passende Begleiterscheinungen dafür boten, daß Jehova Gott selbst das Gesetz gab. Danach verbrachte Moses zweimal vierzig Tage auf dem heiligen Berg, wo er in der Gegenwart Gottes und dessen Engel Anweisungen betreffs des Gottesdienstes der Israeliten erhielt. Er sah soviel von der Herrlichkeit Gottes, wie ein Mensch auf Erden sehen kann, ohne zu sterben, und als er zu seinem Volk hinabstieg, strahlte sein Angesicht so hell, daß er eine Zeitlang einen Schleier tragen mußte. Bis zum Kommen des Sohnes Gottes gab es zweifellos keinen Menschen, der auf solch eindrucksvolle Weise und in so ausgedehntem Maße in Verbindung mit Gottes Wundermacht gebraucht wurde wie Moses. — 2. Mose 19:1-25; 33:20; 34:27-35.
„DER SANFTMÜTIGSTE ALLER MENSCHEN“
Auch als Persönlichkeit zeichnete sich Moses besonders aus, denn „der Mann Moses war bei weitem der sanftmütigste aller Menschen, die auf der Fläche des Erdbodens lebten“. (4. Mose 12:3, NW) Man hat sich schon über diese Worte gewundert, doch wenn wir die Tatsachen in Betracht ziehen, müssen wir bedenken, daß sie unter göttlicher Inspiration niedergeschrieben wurden.
Im Sinne der Bibel hat das Wort Sanftmut nichts mit Schwäche zu tun, im Gegenteil, es deutet auf Stärke hin. Sanftmütig sein heißt geduldig und nachsichtig sein, Schädigungen ohne Rachegefühl ertragen, Selbstbeherrschung und Milde bekunden, nicht schnell aufgebracht oder verärgert sein, ein gleichmäßig mildes und sanftes Verhalten zeigen. Daraus ergibt sich, daß eine sanftmütige Person auch belehrbar ist.
Moses bekundete seine Sanftmut dadurch, daß er von früh bis spät geduldig als Richter amtete und mit den Israeliten, die von der Zeit an, da sie sich noch in Ägypten befanden, bis kurz vor dem Einzug in das Verheißene Land immer wieder murrten, stets Nachsicht übte. Da er unvollkommen war wie wir alle, war es manchmal beinahe zu viel für ihn, doch er trug ihre Lasten weiter. Mehrmals verweigerten ihm sein eigener Bruder und seine Schwester, die Obersten seines Stammes und das ganze Volk den Gehorsam. Nur ein einziges Mal konnten sie ihn jedoch so sehr reizen „daß er unbedacht redete mit seinen Lippen“, und „es erging Mose übel ihretwegen“. — 4. Mose 11:10-15; Ps. 106:33, 32.
Man beachte: diese Begebenheit unterstreicht die Tatsache, daß Moses’ Sanftmut kein Zeichen der Schwäche war. Er war eine eindrucksvolle Persönlichkeit, denn wir lesen, er sei mächtig gewesen in Wort und Tat. Zweifellos war er auch körperlich stark. Er war auch sehr gebildet, besser als sonst jemand unter seinem Volk. Eine höhere Bildung bewirkt gewöhnlich, daß ein Mensch weniger sanftmütig ist, doch bei Moses war dies nicht der Fall.
Trotz seiner Sanftmut war er sehr mutig. Es erforderte Mut, immer wieder vor den Pharao hinzutreten, das Volk Israel aus Ägypten hinauszuführen, mit ihm durch das Rote Meer zu ziehen und es durch die Wüste zu leiten. Moses neigte aber auch sehr stark zu gerechtem Zorn. Das veranlaßte ihn, einen Ägypter umzubringen, der einen seiner Brüder ungerecht behandelt hatte, und auch den Töchtern Jethros zu Hilfe zu kommen, als die Hirten sie bedrängten. Diese starke Neigung zu gerechtem Zorn ist auch besonders daran zu erkennen, daß er die Gesetzestafeln zerschmetterte, als er den Götzendienst seines Volkes sah. Diese natürliche Veranlagung macht seine Sanftmut noch bewundernswerter. — Apg. 7:23-28.
Das ist aber noch nicht alles. Verstand er es nicht auch, sein Volk zu einem geordneten Heer und einer geordneten Nation zu organisieren? Wurde er nicht auf einzigartige Weise gebraucht, um Wunder zu wirken? Wer wurde dazu inspiriert, soviel vom Worte Gottes niederzuschreiben wie er?a Und wer hatte sonst noch das Vorrecht, achtzig Tage in der Gegenwart Gottes und seiner Engel zuzubringen und mit dem Schöpfer sozusagen von Angesicht zu Angesicht zu reden? Dennoch war er sanftmütig! War er tatsächlich „der sanftmütigste aller Menschen, die auf der Fläche des Erdbodens lebten“? Zweifellos!
Was half Moses, so sanftmütig zu sein? Vor allem sein Glaube. Da er einen starken Glauben hatte, konnte er in allem auf Gott vertrauen und hatte nicht nötig, sich selbst zu rechtfertigen. Jehova Gott war für ihn Wirklichkeit, das kann man schon daraus erkennen, daß er oft mit Gott redete. Ein weiterer wesentlicher Faktor war seine Demut. Charakteristisch dafür war seine Reaktion auf den Versuch Josuas, einige Israeliten vom Prophezeien abzuhalten, so als ob Moses darauf das Monopol besäße: „Eiferst du für mich? Möchte doch das ganze Volk Jehovas Propheten sein, daß Jehova seinen Geist auf sie legte!“ — 4. Mose 11:29.
Ohne den Geist Jehovas und vor allem ohne die Frucht dieses Geistes, die Liebe, hätte Moses bestimmt nicht sanftmütig sein können. Er liebte Jehova mit ganzem Herzen, ganzem Sinn, ganzer Seele und ganzer Kraft und eiferte für seinen Namen und seine reine Anbetung. Liebe ermöglichte es ihm, alles hinzunehmen, was Gott zuließ.
Seine Nächstenliebe und seine Liebe zu seinem Volk halfen Moses ebenfalls, sanftmütig zu sein und ohne Groll alles zu ertragen, was ihm sein Volk antat. Wie undankbar doch sein Volk war! Obgleich er in seinem gerechten Zorn über die Götzendienereien der Israeliten die Gesetzestafeln zerbrach, trat er gleich danach bei Gott wieder als ihr Fürbitter ein. Das gleiche tat er, als sie davon sprachen, ihn wegen des schlechten Berichts der Kundschafter zu steinigen. In ganz besonderer Weise enthüllt das 5. Buch Mose seine Liebe zu seinem Volk. Es ist gewissermaßen ein Liebesbrief an die Israeliten. Welche Zuneigung, welcher Ernst, welche Sorge um ihr Wohl doch darin zum Ausdruck kommen!
Moses war ein treffliches prophetisches Vorbild für Jesus Christus. Was Moses in verhältnismäßig kleinem Umfang tat, wird Jesus als Rechtfertiger des Namens Jehovas sowie als Befreier und als Mittler zwischen Gott und Menschen in erdenweitem, ja universellem Ausmaß tun. — Apg. 3:22, 23.
Moses verrichtete seinen Dienst ohne jede materielle Belohnung. Er hatte die Genugtuung, Gottes Willen zu tun und seine Anerkennung erlangt zu haben. Zweifellos freute er sich auf eine zukünftige Belohnung, die er von Gott auch erhalten wird.
Was seinen Glauben, seine Demut, seinen Eifer für Gerechtigkeit, seinen unermüdlichen Dienst, seine Sanftmut und seine Liebe zu Jehova und seinem Volk betrifft, war Moses ein wunderbares Beispiel für alle Diener Jehovas. Er war zwar nicht vollkommen, denn gelegentlich machte er auch Fehler. Aber während wir uns bemühen, sie zu vermeiden, können wir all das, was er zu tun das Vorrecht hatte, nur voller Ehrfurcht bewundern und danach trachten, seine vorzüglichen Eigenschaften nachzuahmen.
[Fußnote]
a Er schrieb den Pentateuch, bestehend aus den fünf Büchern Mose, außerdem das Buch Hiob und mindestens einen Psalm.