Indien
Indien liegt auf einer südlichen Halbinsel des asiatischen Kontinents. Wegen seiner Größe kann dieses Land auch als ein Subkontinent bezeichnet werden.
Indien gliedert sich in einige Großlandschaften. Zur Gebirgskette im Norden gehört der weltbekannte Himalaja mit seinen majestätischen, schneebedeckten Gipfeln. In diesem Gebirge entspringen der Ganges und der Brahmaputra sowie viele ihrer Nebenflüsse.
Vor dem Himalaja breiten sich fächerförmig die großen Tiefländer aus, vom fruchtbaren Gangesdelta im Osten bis zur Halbwüste Rajasthan im Westen. Das Ganges-Brahmaputra-Tiefland ist eines der fruchtbarsten Gebiete der Erde. Unter den am dichtesten besiedelten Flußtälern der Welt steht es an zweiter Stelle.
Vom Arabischen Meer im Westen bis zum Golf von Bengalen im Osten erstreckt sich das Hochland von Dekhan. Seine westliche Steilstufe ist atemberaubend schön. Die majestätischen Berge und die Wasserfälle, die in ausgewaschenen Rinnen herabstürzen, sind eindrucksvolle Beispiele für die Schönheiten der Schöpfung Gottes. Weit unten erstrecken sich bis in die Ferne tief eingeschnittene Täler, die in unterschiedlichem Grün leuchten. In dieser westlichen Bergkette entspringen drei bedeutende Ströme: der Godavari, der Krishna und der Kaveri.
Indien ist ein tierreiches Land, was sowohl wildlebende Tiere als auch Haustiere betrifft. Der seltene Schneeleopard hält sich im Himalaja verborgen, während der schwer arbeitende Elefant in den Wäldern im Süden anzutreffen ist. Im Westen wird der zahlenmäßig zurückgegangene asiatische Löwe vor dem Aussterben geschützt, während der Panther in fast allen Waldgebieten zu Hause ist. Der stattliche Tiger, der an Zahl abnimmt, durchstreift die meisten Wälder Indiens, doch das immer seltener werdende Rhinozeros lebt nur noch im Nordosten in freier Wildbahn. In mehreren Gebieten gibt es verschiedene wildlebende Antilopen, Büffel, Hunde, Hyänen, Bären und Affen sowie Rotwild.
Als Haustiere werden vor allem Wasserbüffel gehalten, da sie Milch geben. Für die Landwirtschaft ist der Ochse immer noch unentbehrlich. Auch Esel werden als Lasttiere verwendet.
VOLK UND RELIGION
Die Einwohner Indiens machen ein Siebtel der Menschheit aus und setzen sich hauptsächlich aus sieben Rassen zusammen. Aber die beiden vorherrschenden Volksgruppen sind die Arier mit ihren ausgeprägten europäischen Zügen (sie leben in Nordindien) und die dunkelhäutigen und schmächtigen Drawidas (die hauptsächlich die südlichen Gebiete bewohnen).
Die indische Verfassung erkennt fünfzehn offizielle Sprachen an, die wichtigste davon ist Hindi, das angeblich von 181 Millionen Menschen gesprochen wird. Doch insgesamt werden von den verschiedenen Stimmen und ethnischen Gruppen 872 Sprachen und Dialekte gesprochen. Englisch ist heute immer noch die Sprache des Handels und der Industrie.
Der Hinduismus ist die älteste Religion, die sich in Indien gehalten hat. Sie gewann die Oberhand, als sich im 6. Jahrhundert v. u. Z. das persische Weltreich bis nach Indien ausdehnte. Weitere einheimische Religionen sind der Buddhismus und der Dschainismus, beides Religionen, die zu der Zeit aufkamen, als sich die Juden im 6. Jahrhundert v. u. Z. in der Babylonischen Gefangenschaft befanden. Später, im 15. Jahrhundert u. Z., entstand der Sikhismus. Ungefähr 10 Prozent der Bevölkerung sind Moslems. Diese kamen im 8. Jahrhundert u. Z. nach Indien. Nur 2,5 Prozent der 609 Millionen Menschen Indiens gehören Glaubensgemeinschaften der Christenheit an. Im Jahre 1973 gab es nahezu 14 Millionen sogenannte Christen in Indien, die zum größten Teil in Kerala (Südindien) lebten.
DAS WAHRE CHRISTENTUM KOMMT NACH INDIEN
Einige behaupten, der Apostel Thomas habe den ersten Samen des wahren Christentums in Indien ausgesät. Das ist jedoch nur eine Legende. Es gibt keinen zuverlässigen Beweis dafür, obgleich in einem Vorort von Madras ein kleiner Hügel liegt, der als der St.-Thomas-Berg bekannt ist. Dort soll der Apostel den Märtyrertod gestorben sein. Auf dem Hügel steht eine Kapelle, die ihm gewidmet ist. Wenn diese Geschichte wahr wäre, müßte man sagen, daß Satan mit dem Aussäen seines „Unkrauts“ unter den vortrefflichen Samen, die Söhne des Königreiches, sehr erfolgreich war, denn das Scheinchristentum ist in jenem Teil Südindiens gut gediehen (Matth. 13:24-30, 36-43).
Wahr ist indes folgendes: Im Jahre 1905 traf S. P. Davey, ein Student aus Indien, in Amerika Charles Taze Russell, den ersten Präsidenten der Watch Tower Society. Nachdem Russell einige Zeit mit Davey die Bibel studiert hatte, kehrte dieser noch im selben Jahr in die Provinz Madras, seine Heimat, zurück, um das Königreichswerk zu eröffnen. Er predigte unter seinen Landsleuten, die Tamil sprachen, und gründete schließlich vierzig Bibelstudiengruppen in und um Nagercoil auf der äußersten Südspitze der indischen Halbinsel.
Im selben Jahr begann A. J. Joseph, ein 21jähriger Student, nach der biblischen Wahrheit zu suchen. Joseph und seine Eltern gehörten zur Gemeinde der Kirche von England. Seine Eltern hatten bei ihm große Wertschätzung für die Bibel geweckt. Aber er hatte viele Fragen. Nachdem Joseph einige Veröffentlichungen der Adventisten gelesen hatte, suchte er deutlichere Erklärungen über die Bibel. Ihn störten das Dreieinigkeitsdogma und die Lehre von der Kindertaufe. Weder sein Vater noch irgend jemand anders konnte ihm eine zufriedenstellende Erklärung darüber geben.
Josephs Vater machte den Vorschlag, er solle an P. S. Pulicoden, den Leiter der Adventistenbewegung in Südindien, schreiben und anfragen, ob er irgendwelche Bücher habe, in denen die Dreieinigkeitslehre erklärt werde. Pulicoden sandte Joseph den von Charles T. Russell herausgegebenen Band Die Versöhnung des Menschen mit Gott. Durch dieses Buch konnte der junge Joseph die Wahrheit über Jehovas Oberhoheit, das Verhältnis zwischen Jehova und seinem Sohn, Jesus Christus, und die Bedeutung des heiligen Geistes erkennen. Nachdem er diesen Band der Schriftstudien gelesen und die Adresse der Gesellschaft daraus entnommen hatte, dauerte es nicht lange, bis Joseph sich alle Veröffentlichungen Russells aus Amerika schicken ließ. Er las regelmäßig die Zeitschrift Zions Wacht-Turm und Verkünder der Gegenwart Christi. Joseph begann auch, das Monatsheft Der Schriftforscher und ähnliche Traktate zu verbreiten.
Anfang des Jahres 1906 zog die Familie Joseph in die Nähe von Kottayam, einem Handelszentrum für Gewürze und Gummi im Fürstenstaat Trawankur (ein Teil des heutigen Kerala). Joseph befaßte sich eifrig mit dem Übersetzen des Buches Der göttliche Plan der Zeitalter (Band I der Schriftstudien) in seine Muttersprache Malayalam. Josephs Vater, Oommen, sein Cousin, und er selbst verbreiteten dann mit Hilfe der Studie 12 und der „Karte der Zeitalter“ eifrig die biblische Wahrheit unter ihren Freunden und Verwandten. Sie mußten durch von Moskitos verseuchte Reisfelder und durch den dampfenden Dschungel, um in die Dörfer der Reisbauern und auf die Kokosnußplantagen zu gelangen, wo sie mit den Menschen über ihren neugefundenen Glauben sprachen.
Gegen Ende des Jahres 1906 zog sich Joseph eine schwere Lungenkrankheit zu. Auf ärztlichen Rat suchte er sich ein trockeneres Klima aus und zog nach Cuddapah, einer Stadt, die im östlichen Bezirk des Bundesstaates Madras liegt, ungefähr 640 Kilometer nordöstlich seines Heimatortes. Hier, in einem fruchtbaren Flußtal, das zwischen den Velikonda- und den Palkondabergen eingebettet ist, ergriff er die Gelegenheit, die Bibel intensiv zu studieren. Schon vor seiner Genesung verbreitete er begeistert die Wahrheit, indem er Traktate verteilte, die er von Bruder Russell aus Amerika erhalten hatte. Zu diesem Zweck lernte Joseph sogar Telugu, die Sprache, die von den Leuten gesprochen wurde, unter denen er nun lebte. Ob der Monsunregen herniederprasselte oder die Sonne brannte — Joseph arbeitete in Städten und Dörfern, um die Menschen mit der Königreichsbotschaft zu erreichen.
EIN BEDEUTSAMER BESUCH
Als begieriger Leser des Wacht-Turms erfuhr Joseph davon, daß Bruder Russell auf einer Weltreise im Jahre 1912 Indien besuchen werde. Auf dem Plan stand die Stadt Madras. Joseph ergriff daher die Gelegenheit, Russell zu hören und persönlich mit ihm zu sprechen. Bruder Russell hielt einen Vortrag im Saal des CVJM in Madras, und trotz seines gedrängten Zeitplans unterhielt er sich mit Joseph zwei Stunden lang. Dadurch wurde eine echte Grundlage für die Verbreitung der biblischen Wahrheit in Indien gelegt. Russell und seine Reisegesellschaft trafen auch Vorbereitungen für eine künftige Ausdehnung, indem sie in ganz Indien Vorträge hielten, so zum Beispiel in der Stadt Benares, einem religiösen Zentrum der Hindus, in der historischen Stadt Lucknow und in Trivandrum, Kottarakara, Nagercoil, Puram und Vizagapatam sowie in den Hafenstädten Kalkutta und Bombay.
Als Russell, von Madras kommend, in Trivandrum eintraf, wurde er auf dem Bahnhof von S. P. Davey empfangen, der ihm bei der Begrüßung auf typisch indische Art eine Girlande umhängte. Der britische Regierungsvertreter, der als der politische Resident bekannt war, empfing Bruder Russell gastfreundlich und lud ihn ein, in der Residenz zu wohnen. Er sorgte dafür, daß der erste Präsident der Gesellschaft im Victoria-Jubilee-Rathaus sprechen konnte. Russell sprach auch in dem nahe gelegenen Dorf Nyarakad, wo Davey wohnte. Danach wurde der Name des Dorfes in Russellpuram abgeändert, was „Ort Russells“ bedeutet, und diesen Namen trägt es bis heute.
Der Maharadscha von Trawankur erfuhr von diesen Zusammenkünften und lud C. T. Russell in den Fürstenpalast ein. Der Hinduherrscher verhielt sich Russell gegenüber sehr respektvoll und bat ihn um ein Foto. Später hing Bruder Russells Bild im Palast des Maharadschas. Russell sorgte dafür, daß der Maharadscha sechs Bände der Schriftstudien und eine Bibel als Geschenk erhielt.
In Nagercoil, weiter im Süden, traf Bruder Russell Bruder Joshua Jacob, der ihn auch mit einer Girlande empfing. Der biblische Vortrag Bruder Russells erregte unter den dortigen Kirchenmitgliedern der Londoner Mission ziemliches Aufsehen. Wie sich Bruder Jacob erinnert, geschah einige Zeit später folgendes: „Ich hielt eines Tages einen Vortrag direkt vor der Kirche, wo mich ein Rowdy zu Boden schlug. Als ich wieder auf den Beinen war, sagte ich: ,Wir verkündigen das zweite Kommen unseres Messias, und ihr solltet uns nicht so behandeln.‘ Aufgrund dieses Handgemenges konnten wir einigen Kirchenmitgliedern der Londoner Mission helfen, die Wahrheit zu erkennen.“
Kurze Zeit nach diesen Ereignissen wurde S. P. Davey ein starker Trinker. Mit Geld, das er von Bruder Russell erhalten hatte, hatte er Räumlichkeiten zum Abhalten von Zusammenkünften erworben. Doch als er in finanzielle Schwierigkeiten geriet, verkaufte er den Besitz an eine kirchliche Mission am Ort. Personen, die er zu Bibelstudienklassen organisiert hatte, wurden zerstreut. Die meisten von ihnen gingen in ihre Kirche zurück. Andere blieben jedoch treu und verbanden sich mit Bruder Joseph im Königreichswerk.
TRAWANKUR VERNIMMT DIE KÖNIGREICHSBOTSCHAFT
In der Zwischenzeit hatte Bruder Russell Bruder Joseph eingeladen, die Verkündigung der guten Botschaft als Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen. Bruder Joseph war nicht besonders gesund und war sich demütig seiner Grenzen bewußt. Überdies war es eine tiefgreifende Entscheidung, seine weltliche Stellung in einem staatlichen Amt am Ort aufzugeben. Sehr zaghaft nahm er Bruder Russells Einladung an. Er fühlte sich wie Jeremia unfähig, eine solche Last der Verantwortung zu tragen (Jer. 1:4-8).
Joseph bat um Hilfe und erhielt sie. Bruder R. R. Hollister aus den Vereinigten Staaten wurde beauftragt, in Indien zu arbeiten, und traf im Jahre 1912 dort ein. Zusammen mit Joseph stellte er einen Plan auf, die Veröffentlichungen der Gesellschaft in die Sprache Malayalam zu übersetzen und sie überall in dem mit Kokospalmhainen geschmückten Staat Trawankur zu verbreiten.
Ihr erstes Produkt war das Traktat Die Zeichen der Zeit, dessen Inhalt aus dem Schriftforscher übernommen wurde. Hollister beauftragte Joseph, eine Anzahl dieser Traktate einem Bruder namens Devasahayam in Neyyattinkara zu bringen, einer Stadt, die in einem Reisanbaugebiet lag, ungefähr 16 Kilometer südöstlich von Trivandrum. Devasahayam vertrat auch die Gesellschaft in Trawankur.
Joseph reiste mit einem Ochsenkarren und verteilte unterwegs die Traktate. Er kam auf den gewundenen Pfaden entlang den schimmernden grünen Reisfeldern nur langsam vorwärts. Auf seinem Weg durch Betelnußpalmhaine ertrug Joseph geduldig die umherschwirrenden Insekten und die große Hitze, während er beständig Mitgliedern christlicher Kirchen die befreienden biblischen Wahrheiten verkündigte. Joseph durchquerte viele Flüsse und zog um die mit Palmen bestandenen Lagunen des Staates Trawankur. Auf seinem Weg durch diese pittoreske Gegend gelangte er immer weiter nach Süden, wobei er das „Wort des Lebens“ verbreitete. Schließlich traf er in Neyyattinkara mit Devasahayam zusammen (Phil. 2:14-16).
Trawankur genoß den ehrenvollen Ruf, prozentual die wenigsten Analphabeten von ganz Indien zu haben. Das war wahrscheinlich darauf zurückzuführen, daß es unter der Malayalam sprechenden Bevölkerung viele christliche Missionen gab, die Schulen unterhielten. In allen Teilen der Bevölkerung, ob unter den Fischern an der Küste, unter den Reisbauern in den Ebenen oder den Arbeitern auf den Teepflanzungen, den Teakholzfällern oder den Kautschukerzeugern, haben die Erziehungsprogramme der Missionen in diesem Staat mehr bekennende Christen hervorgebracht als in irgendeinem anderen Staat Indiens. Da Trawankur und der Nachbarstaat Madras ein fruchtbares Feld zur Ausbreitung der biblischen Wahrheiten waren, machte unser Werk Fortschritte. Aber Joseph war nicht zufrieden; er bat um mehr Hilfe, da sich Bruder Hollister nicht für dauernd in Indien niedergelassen hatte.
Bruder Russell lud A. A. Hart aus London und S. J. Richardson, einen Kolporteur aus Singapur, ein, nach Indien zu gehen. Nach seiner Ankunft im Jahre 1913 besuchte Hart mit Joseph zusammen Devasahayam in Neyyattinkara, und sie arbeiteten zu dritt Pläne zur Förderung des Werkes aus. Aber Devasahayam harrte nicht aus, und außer dem, was er mit den Veröffentlichungen tat, wird weiter nichts über ihn berichtet. Fest steht jedoch, daß er den vielen unabhängigen „Evangelisten“ in Indien glich: Er war bestrebt, die Menschen zu veranlassen, ihm nachzufolgen, statt sie zu Christus zu führen. Sein Werk wurde zunichte.
In Tiruvella in Nordtrawankur richteten der treue Bruder Joseph und sein Gefährte, Bruder Hart, vorübergehend eine Zentrale ein, von der aus der nördliche Teil des Staates bearbeitet werden sollte. Zu jener Zeit bestand die Tätigkeit hauptsächlich darin, daß Traktate verteilt und öffentliche Vorträge über den „Göttlichen Plan der Zeitalter“ gehalten wurden. Das Werk machte gute Fortschritte, besonders in diesem nördlichen Gebiet. In der Zwischenzeit war Bruder Richardson aus Singapur eingetroffen und hatte in der Stadt Madras seine Tätigkeit aufgenommen. Er predigte in der Hauptsache Leuten, die lesen und schreiben konnten, und der angloindischen Bevölkerung, die sich bereits zum Christentum bekannte. So wurde im Jahre 1913 in der Stadt Madras eine kleine Bibelstudiengruppe gegründet.
In Trawankur machte das Werk zwar schnell Fortschritte, doch nicht ohne erheblichen Widerstand. In den meisten sogenannt christlichen Zentren und in bedeutenden Städten wurden öffentliche Vorträge gehalten. Nach kurzer Zeit entstanden an vielen Orten kleine Bibelstudiengruppen. Doch bald sollte der Erste Weltkrieg ausbrechen.
Angesichts dessen, daß wegen des Krieges alle Verbindungen zu Amerika und Europa abreißen konnten, wurden Hart und Richardson im November 1914 nach England zurückgerufen. Voll Eifer und Begeisterung tat Joseph sein Bestes, allein zurechtzukommen, doch schon bald bat er wieder um Hilfe aus dem Ausland. Bruder Russell bat Hart daraufhin, aus London nach Indien zurückzukehren. Bruder Hart ging bald in die nördlichen Provinzen des Landes und verbreitete Bibelstudienhilfsmittel in Englisch, vor allem unter den Angloindern, die von Engländern abstammten und christlichen Kirchen angehörten.
BEDEUTSAME „ERSTLINGE“
Im Jahre 1916 veranstalteten die Brüder den ersten Kongreß des Volkes Jehovas in Indien. Er fand im Dezember in Tiruchirapalli im Süden des Staates Madras statt. Bruder Hart organisierte diesen allindischen Kongreß der „Bibelforscher“. Von der Insel Ceylon kamen zumindest vier Freunde, und so waren zu jenem denkwürdigen Anlaß insgesamt 35 Personen versammelt.
Damals wurde häufig das Heureka-Drama gezeigt, das aus Lichtbildern des von der Watch Tower Society hergestellten Photo-Dramas der Schöpfung bestand. Viele Menschen in Indien lernten dadurch Gottes Vorhaben mit der Erde und den Menschen kennen. Zu jener Zeit gab es natürlich an noch nicht so vielen Orten wie heute elektrischen Strom. Daher wurden die Lichtbilder mit Hilfe von Acetylengasgeneratoren vorgeführt.
Viele Traktate mit dem Thema Wo sind die Toten? und Die Wiederkunft unseres Herrn wurden gedruckt. Die Brüder waren auch begeistert, daß im Jahre 1917 die Übersetzung des Buches Der göttliche Plan der Zeitalter in Malayalam fertiggestellt worden war und in einem Band zur Verfügung stand. Mehrere aufrichtige Kirchenmitglieder wurden geistig wach und verbanden sich mit den Bibelstudienklassen, die es überall in den Dörfern gab. Entlang der Küstentiefebene Trawankurs entstanden diese kleinen Gruppen an Orten wie Kottayam, Aymanam, Chingavanam, Talapady, Meenadom, Ayerkunnam, Kanghazha, Valiyamala und Neermankuzhy. Unter diesen Städten zeichnet sich Meenadom dadurch aus, daß dort die erste Versammlung der Zeugen Jehovas in Indien gegründet wurde.
WIDERSTAND UND VERBOT
Nach der Veröffentlichung des Buches Das vollendete Geheimnis im Jahre 1917 begannen wirkliche Prüfungen. A. A. Hart fing selbst an, dem Werk Widerstand zu leisten, das in Gang zu setzen er mitgeholfen hatte. Einige der in Trawankur ansässigen Gläubigen strauchelten über Das vollendete Geheimnis und schlossen sich Hart an. Er veröffentlichte einen offenen Brief an die „Bibelforscher“ von Trawankur und kehrte selbst dorthin zurück, um die Brüder zu überreden, ihn in seinem Widerstand gegen die Watch Tower Society zu unterstützen Einige fielen ab und unterstellten sich der Führerschaft von Paul S. L. Johnson aus den Vereinigten Staaten, der dort einen ähnlichen Aufstand angeführt hatte. Doch im allgemeinen riefen diese Bewegungen in Indien nicht viel Aufregung hervor.
Widerstand machte sich aber aus einer anderen Richtung bemerkbar. Nachdem Bruder Rutherford und seine Mitarbeiter im Jahre 1918 in den Vereinigten Staaten verhaftet und unter der Falschanklage des Aufruhrs ins Gefängnis gekommen waren, tauchte die Nachricht darüber in der indischen Presse auf. Als Folge davon ging die britische Regierung gegen unsere Brüder in Indien vor.
A. A. Hart, der zwar nicht mehr mit der Gesellschaft zusammenarbeitete, schloß damals gerade eine Predigtreise durch Ceylon und Südindien ab. Als er im Haus von Bruder Joseph in Kottayam (Trawankur) ankam, wurde ihm eine Mitteilung des Maharadschas übergeben. Gestützt auf die Anweisungen der britischen Behörden, wurde Hart darin aufgefordert, das Land innerhalb von sieben Tagen zu verlassen. Er ging nach Australien. Die Bücher der Watch Tower Society wurden danach verboten, doch man war bemüht, die vorhandenen Bestände in Sicherheit zu bringen.
Trotzdem ging das Königreichswerk während des Verbots weiter. Gerade damals, im Jahre 1919, kam Bruder K. K. Ipe mit der Wahrheit in Berührung. Ipe war ein Hindu und sah die Bibel zum erstenmal, als er eine Missionsschule besuchte. Er hatte auch etwas Gemeinschaft mit der „Brüder“-Organisation gepflegt. Als er aber in Kottayam von der Wahrheit hörte, erkannte er die Stimme des „vortrefflichen Hirten“ und „weihte“ sich Jehova Gott oder gab sich ihm hin (Joh. 10:14, 15).
Was hielt Bruder Ipe von den Anhängern Paul Johnsons, die in jener Gegend sehr aktiv waren? „Für mich“, so gibt er zu, „war alles sehr verwirrend, nachdem ich den Hinduismus aufgegeben hatte. Johnsons Anhänger täuschten mich, und ich lief einige Zeit mit ihnen. Aber bald begann ich den Irrtum ihrer Lehren zu erkennen, und ich wandte mich von ihnen ab und dem Volke Jehovas zu, und hier bin ich geblieben.“
Unter Verbot wurde unser Werk nur mit Hilfe der Bibel durchgeführt. Treue Brüder hielten mit unvermindertem Eifer weiterhin öffentliche Vorträge und leiteten Zusammenkünfte, die dem Bibelstudium gewidmet waren. Im Jahre 1920 verließ K. C. Chacko aus Puthuppally „Babylon die Große“ und nahm auf der Seite Jehovas Stellung. Von den ersten christlichen Zusammenkünften, die er in Trawankur besuchte, berichtete er: „Es war Brauch, daß der Vorsitzende Schwestern zum Gebet aufforderte.“ Als die Sache jedoch richtiggestellt wurde, hielten sich die Brüder daran.
DIE WAHRHEIT BREITET SICH TROTZ WIDERSTAND AUS
Im Jahre 1920 wurde das Verbot aufgehoben. Bruder Joseph bat J. F. Rutherford bald darauf um die Erlaubnis, das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter in Malayalam wieder drucken zu lassen. Es wurde Geld dafür zur Verfügung gestellt, und im Jahre 1923 wurden 1 000 Exemplare geliefert. Das verlieh dem Werk, besonders in Trawankur, erneut großen Auftrieb.
In dem Maße, wie sich die Wahrheit ausbreitete, nahm auch der Widerstand der Geistlichkeit zu. T. J. Andrew, ein Geistlicher der Kirche von England, forderte Joseph zu einer öffentlichen Debatte zum Thema Seele heraus. Die Herausforderung wurde angenommen. Andrew stellte seine Kirche in der Stadt Thottakad zur Verfügung, und die Debatte wurde in der Öffentlichkeit durch Handzettel angekündigt. So waren am Sonntagnachmittag ungefähr 300 Personen anwesend. Die Behauptung lautete: „Die Bibel lehrt deutlich, daß die Menschenseele unsterblich und ewig ist, also nicht sterben kann.“ Andrew sollte sie bestätigen, Joseph sie widerlegen.
Andrew sprach zuerst eine Stunde, doch führte er als einzigen Text 1. Korinther 2:11 an: „Denn welcher Mensch weiß, was im Menschen ist, als allein der Geist des Menschen, der in ihm ist?“ (Luther). Joseph antwortete darauf mit mehreren Schriftstellen, in denen der Unterschied zwischen Geist und Seele gezeigt wird. Das hinterließ bei den Anwesenden einen sehr günstigen Eindruck, und viele kamen nach der Debatte zu Joseph und wollten mehr hören. Später wurde in Thottakad, dieser kleinen Stadt im Herzen des Landwirtschaftsgebiets von Trawankur, eine neue Versammlung gegründet.
Joseph bat die Gesellschaft nun um weitere Vollzeithelfer in Indien. Es wurden vier Brüder ausgewählt: Bruder K. C. Oommen, sein eigener Cousin, und Bruder Mani aus Thottakad, K. C. Chacko aus Kottayam und K. M. Varughese aus Talapady. Varughese war Lehrer und konnte sehr gut Malayalam schreiben. Er schrieb mehrere Jahre für den Drucker die Manuskripte ab, die Bruder Joseph in Malayalam ausgearbeitet hatte. Die fünf Brüder arbeiteten als ein Team zusammen und besuchten die Städte und Dörfer in Trawankur, hielten Vorträge zeigten, wie Bibelstudienklassen arbeiten, und verbreiteten die Traktate und andere Bibelstudienhilfsmittel.
Bruder Joseph bemühte sich nun, seine Tätigkeit auf andere Teile Indiens auszudehnen. Während er sich siebzehn Jahre zuvor in Cuddapah im Staate Madras (nun Andhra Pradesh) von einer Krankheit erholt hatte, hatte er Telugu gelernt. Er trat nun eine Reise durch den alten Staat Haiderabad an, auf der er biblische Traktate verbreitete und Vorträge hielt. Dabei stieß er auf die Zeitschrift Millennial Light (Tausendjähriges Licht) in Telugu, die einige Auszüge aus Veröffentlichungen der Watch Tower Society enthielt. Das veranlaßte Joseph, Bruder Rutherford zu bitten, einige unserer Veröffentlichungen in Telugu herausgeben zu dürfen. So wurden 2 000 Traktate Wo sind die Toten? und 5 000 Traktate Die Wiederkunft unseres Herrn gedruckt. Daraufhin unternahm Joseph eine ausgedehnte Reise durch den damaligen Staat Haiderabad und verbreitete diese Traktate. Er beschaffte sich ein Adreßbuch christlicher Missionen in Indien und war dadurch in der Lage, die meisten christlichen Missionszentren zu besuchen.
Mittlerweile wurde an einem anderen Ort in Indien der Versuch unternommen, die biblische Wahrheit zu verbreiten. Frederick James, ein englischer Soldat, der allgemein unter dem Namen Jimmy James bekannt war, quittierte seinen Dienst in der Armee, „weihte“ sich Jehova, dem Gott des Friedens, und ließ sich in Cawnpore (Kanpur) in den nördlichen United Provinces (Uttar Pradesh) nieder, wo er als Elektroingenieur arbeitete.
Bruder James, der auf sich allein gestellt war, predigte Gottes Wort vor allem unter seinen früheren Kameraden. Besonders ein Soldat zeigte aufrichtiges Interesse. Es war Jack Nathan. Während seines Dienstes in der britischen Armee erfuhr er von einem Geistlichen, daß ein „komischer Kauz“ namens James etwas über die Wiederkunft des Herrn zu sagen habe. Aber es war für Nathan nicht leicht, Jimmy James ausfindig zu machen. Als ihm das schließlich gelang, unterhielten sie sich bis 3 Uhr morgens, während sie acht Kilometer zur Kaserne Nathans zurückgingen. Nathan erkannte sofort, daß es die Erklärung war, die er gesucht hatte. Im Jahre 1921 wohnte er im Hause von James in Cawnpore dem Abendmahl des Herrn bei. Insgesamt waren fünf Personen anwesend. Danach predigte Jack Nathan seinen Kameraden, und nachdem er im Jahre 1923 nach England zurückgekehrt war, konnte er die Armee verlassen, sich Jehova hingeben und ein gottgefälliges Leben führen. Heute dient er als Glied der Bethelfamilie in Toronto, (Ontario, Kanada).
GEGNERN MIT BEGEISTERUNG GEGENÜBERGETRETEN
In der zweiten Hälfte des Jahres 1923 hielt Joseph einmal in seinem früheren Heimatstaat Trawankur, und zwar in dem Dorf Pallam südlich von Kottayam, einen biblischen Vortrag. Joseph sprach auf der Straße unter einem schattigen Baum zu einer größeren Zuhörerschaft, als ein brutaler Kerl ankam und die Zusammenkunft sprengte. Er ergriff Bruder Joseph an seinem herabwallenden Bart (den er sich aufgrund seiner früheren Krankheit auf Anraten seines Arztes zum Schutze seines Kehlkopfes und seiner Lunge hatte wachsen lassen) und zerrte ihn buchstäblich fast sechs Kilometer bis an den Stadtrand von Kottayam, bevor er ihn gehenließ. Aber Bruder Josephs Begeisterung wurde dadurch nicht gedämpft.
Ein Passant, der die Szene miterlebt hatte, besuchte Joseph zu Hause, drückte sein Mitgefühl aus und lud ihn für eine Woche nach Chingavanam, seinem Heimatort, ein, um dort biblische Vorträge zu halten. Dieser gottesfürchtige Mann errichtete aus Bambus und Palmblättern eine Versammlungsstätte. Joseph ließ zur Ankündigung der Zusammenkünfte Handzettel drucken, und während einer Woche konnten 300 bis 400 Personen Unterweisung aus Gottes Wort empfangen. Der freundliche Mann nahm die Wahrheit an, und in Chingavanam wurde eine Versammlung gegründet.
Diese Vorgänge erregten ziemliches Aufsehen. Die katholische Kirche sowie syrische christliche Kirchen und die Kirche von England taten sich zusammen, um der Wahrheit Widerstand zu leisten. Sie nannten die Zeugen Atheisten, weil sie nicht an die Dreieinigkeitslehre glaubten, und sie veröffentlichten skandalöse Artikel, in denen sie Charles Taze Russell verunglimpften. Daher beschaffte sich Joseph Exemplare der von J. F. Rutherford herausgegebenen Broschüre A Great Battle in the Ecclesiastical Heavens und verteilte sie an alle Geistlichen in diesem Gebiet, von denen er wußte, daß sie Englisch lesen konnten. Man beachte, daß dieser Widerstand von Leuten kam, die vorgaben, Christen zu sein, nicht etwa von Moslems oder Hindus. Bei jeder Zusammenkunft, die unsere Brüder damals abhielten, wurde von feindlicher Seite Druck ausgeübt, oder es kam zu Störungen durch Rowdys. Eine bevorzugte Taktik der Gegner bestand darin, daß sie schrien und mit Trommeln und Blechbüchsen Lärm schlugen, um die Königreichsbotschaft zu übertönen — das einzige, was sie auf die biblische Wahrheit erwidern konnten.
Das Dorf Kozhencherry liegt in einem Gebiet Trawankurs, in dem Pfeffer und Ingwer angebaut werden, und ist eine Hochburg der Reformierten Thomaschristen. Die Brüder beschlossen, den Einwohnern von Kozhencherry das Photo-Drama der Schöpfung zu zeigen, hatten aber Schwierigkeiten, einen passenden Saal zu erhalten. Schließlich erlaubte man ihnen, die staatliche Schule am Ort zu benutzen. Joseph kam mit seiner Ausrüstung dort an, stellte den Projektor mit dem Acetylenbrenner auf und begann mit der Vorführung. Plötzlich tauchten irregeleitete Religionsanhänger auf, die von ihrem wütenden Priester angeführt wurden. Laut schreiend unterbrachen sie die Zusammenkunft. Die Polizei wurde zwar um Hilfe gebeten, erschien aber nicht.
In Kundara, weiter im Süden, ist die Jakobitische Kirche zu finden. Sie unterhält dort ein theologisches Seminar. Auch in Kundara flammte der Widerstand auf. In der friedlichen Umgebung stattlicher Palmen und üppiger Bananenbäume hielt Bruder Joseph einen Vortrag, in dem er die „Karte der Zeitalter“ erklärte, als eine Pöbelrotte auftauchte, die von einem Priester angeführt wurde. Diese religiösen Rowdys machten einen ohrenbetäubenden Lärm, indem sie durcheinanderschrien und auf Blechbüchsen schlugen und so die Worte des Redners übertönten. Sie rissen die „Karte der Zeitalter“ herunter und nahmen sie mit. Einige bewarfen Bruder Joseph mit Kuhmist. Ein Hindu kam dazu und wollte sehen, was es mit dem Tumult auf sich hatte. Er fragte den Priester, ob man damit das Beispiel Jesu Christi oder das der Gegner Christi nachahme, und drohte, die Polizei zu rufen. Daraufhin stahl sich der Priester davon, und der Pöbel zerstreute sich.
DAS WERK VORANGEDRÄNGT
Unser Werk in Trawankur machte Fortschritte. Die Brüder verbreiteten das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter in Malayalam, und im Jahre 1920 wurde Band 2 der Schriftstudien, betitelt Die Zeit ist herbeigekommen, gedruckt.
Im Jahre 1924 ging vom Schweizer Zweigbüro der Gesellschaft Papier ein, und es wurde die Broschüre Millionen jetzt Lebender werden nie sterben in Malayalam veröffentlicht.
Im selben Jahr sandte Bruder Rutherford Geld an Bruder Joseph, damit dieser Land kaufen und eine Zusammenkunftsstätte in Meenadom errichten lassen konnte, wo es die älteste Versammlung von Indien gab. Es entstand eine hübsche Zusammenkunftsstätte, die eingebettet war zwischen von Palmen gesäumten Reisfeldern und mit Früchten beladenen Jackbäumen.
1924 unternahm Bruder A. J. Joseph auch eine ausgedehnte Reise mit der Eisenbahn durch ganz Indien und sprach über Themen wie „Die Wiederkunft des Herrn“ und „Wo sind die Toten?“ Von Kottayam (Trawankur) aus führte ihn seine Vortragsreise im Nordosten bis Kalkutta.
Von diesem berühmten Zentrum des Jutehandels aus fuhr er dann in westliche Richtung nach Allahabad, einem Wallfahrtsort der Hindus, und von da aus in den Norden, und zwar nach Cawnpore, einer Stadt, in der die Textilindustrie zu Hause ist. Die nächste Station auf seiner Reise war Agra, die Stadt des Tadsch Mahal; dann ging es in nordwestliche Richtung zu einer großen Garnison in Ambala. Als er endlich in seine Heimat, weit im Süden Indiens, zurückkehrte, hatte er rund 5 800 Kilometer zurückgelegt. So etwas allein zu unternehmen war sicherlich ein edles Bemühen, doch es konnte nur mit der Kraft Jehovas vollbracht werden (Phil. 4:13). Auf diese Weise wurde der „Boden“ Indiens für das spätere Werk, das Gottes Volk in diesem großen Land durchführte, zubereitet.
Das darauffolgende Jahr brachte für Bruder Joseph tragische Ereignisse mit sich. Doch lassen wir ihn selbst zu Wort kommen: „Im Jahre 1925 kam großes Unglück über meine Familie. Drei meiner Kinder erkrankten an einer schweren Art von Ruhr und starben. Das war für mich und meine Frau ein harter Schlag, aber wir wurden durch unseren festen Glauben an die Auferstehung getröstet. Jehova verlieh uns beiden die Kraft und den Mut, dieses Unglück zu ertragen und in dem Werk voranzudrängen.“
DIE AUSDEHNUNG BEGINNT
Als die Kriegshysterie nach dem Ersten Weltkrieg vorbei war, wurde ein weiterer Versuch unternommen, das Königreichswerk auf einer „allindischen“ Grundlage zu befestigen. Auf dem Kongreß der „Bibelforscher“, der im Mai 1926 im Alexandra-Palast in London (England) stattfand, erkundigte sich Joseph F. Rutherford nach Brüdern, die von England nach Indien gehen könnten, um mitzuhelfen, das Königreichswerk dort zu festigen und auszudehnen. George A. Wright und Leslie Shepherd wurden dafür ausgewählt, doch aus irgendeinem Grund wurde Leslie Shepherd durch Edwin Skinner ersetzt.
Wright und Skinner, die beide jung und ledig waren, verließen im Juli 1926 per Schiff London und kamen gegen Ende des Monats mitten im strömenden Monsunregen in Bombay an. Am Pier wurden sie von A. J. Joseph und einem seiner Gefährten namens Abraham empfangen. Joseph blieb einige Tage, um sie aus erster Hand über den Umfang des Werkes, das in Indien bereits getan worden war, und über die erzielten Ergebnisse zu unterrichten. Sie erhielten Namen und Adressen von interessierten Personen, die als Leser des Wacht-Turms bekannt waren und bei denen es sich meistens um Angloinder handelte, die im staatlichen Telegrafendienst oder bei der Eisenbahn angestellt waren. Es waren nur einzelne Familien oder kleine Gruppen die über ganz Indien, von Quetta im Norden bis Madras im Süden verstreut waren. Deshalb bot das zentraler gelegene Büro der Watch Tower Society in Bombay günstigere Voraussetzungen, das Königreichswerk in Indien zu beaufsichtigen.
Bruder Wright und Bruder Skinner mieteten ein Haus in der Lamington Road in der Innenstadt von Bombay. Die Verwaltung des Zweiges wurde geändert, und Edwin Skinner wurde der neue Zweigaufseher. Das Gebiet des erweiterten Zweiges umfaßte ganz Indien, Birma, Ceylon, Persien und Afghanistan — ein weites Gebiet mit einer gewaltigen Bevölkerungszahl.
Ihre ersten Bemühungen bestanden darin, zwei öffentliche Vorträge anzukündigen, und zwar „Millionen jetzt Lebender werden nie sterben“ und „Wo sind die Toten?“ Sie mieteten für diese Vorträge das alte Wellington-Kino in Dhobi Talao, einem Stadtteil Bombays. Dadurch kamen sie mit einigen Außenstehenden in Berührung, die die Vorträge besuchten und ihren Namen und ihre Adresse abgaben. Das Interesse wurde weiter gepflegt, und eine kleine Gruppe fand sich zum Bibelstudium im Zweigbüro zusammen. Diese Leute waren nominelle Christen. Sie waren mit der Basler Mission verbunden, die hauptsächlich in Mangalore im westlichen Teil der damaligen britischindischen Präsidentschaft Madras tätig war, wo Kanaresisch gesprochen wurde. Die Vorträge wurden in Englisch gehalten, der Sprache, die in Bombay im allgemeinen von den Leuten gesprochen wurde, die im Handel und in der Industrie tätig waren.
Die unmittelbaren Nachbarn von Bruder Wright und Bruder Skinner waren zufällig nominelle Christen, die zur angloindischen Gemeinde gehörten. Sie erklärten den beiden Neuankömmlingen bereitwillig, wo es die meisten „Christen“ gab, und zwar hauptsächlich englisch sprechende Angloinder. Die Brüder besuchten diese Gebiete und verbreiteten unter diesen Menschen das Buch Die Harfe Gottes. Auf diese Weise kamen sie auch in den Stadtteil Parel, ein nördliches Viertel von Bombay, wo sich die großen Werkhallen der staatlichen Eisenbahn (Great Indian Peninsula Railway) befanden sowie Aufenthaltsräume und ein Saal für die Öffentlichkeit.
Unsere Brüder mieteten diesen Saal und kündigten weitere biblische Vorträge an. Die Vorträge erwiesen sich als erfolgreich. Man lernte George Waller kennen, einen Eisenbahner, der in einer Werkhalle arbeitete und der schon früher einige Veröffentlichungen der Gesellschaft erhalten hatte und mit unserer Botschaft bereits etwas vertraut war. Dann wurde ein wöchentliches Bibelstudium in der Wohnung eines Arbeiters eingerichtet. Das war der Beginn des organisierte Predigtwerkes in der Stadt Bombay. George Waller erwies sich als ein überaus eifriger Zeuge Jehovas. Er blieb treu bis zu seinem Tod im Jahre 1963.
IN DAS LANDESINNERE
Im Jahre 1926 waren im Zweigbüro in Bombay nur zwei Brüder. Das bedeutete, daß nur einer in das große Landesinnere vordringen konnte, während der andere in Bombay bleiben und sich um die Arbeiten im Zweigbüro kümmern mußte. Bruder Skinner nahm sich zuerst vor, das Gebiet kennenzulernen und interessierte Bibelforscher ausfindig zu machen, von denen man bereits wußte. Er reiste zunächst mit dem Zug in die Stadt Madras, um Bruder Wrightman zu besuchen, der mit seiner Frau und drei Kindern in sehr ärmlichen Verhältnissen im Bezirk Royapuram lebte. In seinem Haus versammelte sich jede Woche eine kleine Gruppe zum Bibelstudium. Damals war ein britischer Soldat in Madras stationiert, der etwas Interesse zeigte und freundlicherweise eine Unterkunft für Bruder Skinner zur Verfügung stellte.
Drei Tage später reiste Bruder Skinner von der Ostküste quer durch das Land nach Westen und zwar nach Kottayam in Trawankur, das damals ein autonomer Staat war, der von einem Maharadscha regiert wurde. Hier hatte das Königreichswerk zufolge der eifrigen Tätigkeit von A. J. Joseph zuerst Fuß gefaßt. Es ging bereits gut voran. Skinner hielt sich ungefähr eine Woche in Trawankur auf und diente auf einem kleinen Kongreß. Auf diese Weise war es ihm möglich, mit ungefähr 40 sehr aktiven und eifrigen Brüdern und Schwestern zusammen zu sein.
Auf seiner Reise weiter nach Süden stattete Skinner der Insel Ceylon auf der Tee angebaut wird und die heute unter dem Namen Sri Lanka bekannt ist, einen Besuch ab. In Colombo bemühte er sich der örtlichen Versammlung zu helfen, die aus zwanzig Bibelforschern bestand und von Bruder van Twest geleitet wurde.
EINE WEITERE WIRKUNGSVOLLE REISE
Anfang 1927 unternahm Skinner eine weitere Reise, diesmal in die nördlichen Teile Indiens. Mit den Namen und Adressen von Wacht-Turm-Abonnenten und Bibelforschern in der Tasche machte er sich von Agra, wenige Kilometer südlich von Delhi, auf den Weg. In Agra besuchte er Frank Barrett, einen Angloinder, der im Telegrafenamt arbeitete.
Barrett war ein begeisterter Verkündiger, der einmal in Allahabad, der heiligen Stadt der Hindus, stationiert gewesen war. Dorthin kommen regelmäßig Hunderttausende von Pilgern, um am Zusammenfluß der „heiligen“ Ströme Jumna und Ganga (mehr unter dem Namen Ganges bekannt) ihre Hindugötter zu verehren. Bruder Barrett stellte daher einen Stand auf, wo er die Schriften und Traktate der Gesellschaft auslegte, die er den Menschen, von denen es nur so wimmelte, gegen einen Beitrag bzw. kostenlos anbot. Barrett hatte dafür gesorgt, daß ein Traktat mit dem Titel Aabadi Zindagi (Ewiges Leben) in Hindustani übersetzt wurde.
Von Agra aus wandte sich Skinner nordwärts und kam in die Bezirkshauptstadt Ambala im Ostpandschab. Dort traf er Clarence Manning an, der im staatlichen Telegrafenamt wohnte, und ermunterte ihn, alles zu tun, was er konnte, um die gute Botschaft vom Königreich zu verkündigen. Damals stellte der Zweigaufseher fest, daß es im Januar in Nordindien unbequem kalt sein kann, denn er berichtet: „Ich erinnere mich noch gut daran, daß ich bei Familie Manning am Abendbrottisch saß und wegen der Kälte einen Mantel anhatte. Die Wohnungen in diesem Gebiet haben dicke Wände und hohe Decken, damit die heißen Sommermonate erträglicher sind; es besteht aber keine Möglichkeit, im Januar zu heizen.“
Auf seiner weiteren Reise durch das Pandschab (was „Fünfstromland“ bedeutet) überquerte Skinner den Sutlej, einen Nebenfluß des Indus. Er machte in der Universitätsstadt Labore, der Hauptstadt des Pandschabs, die vorwiegend moslemisch ist, halt. Hier besuchte er V. C. W. Harvey, einen weiteren Telegrafisten, und wohnte bei ihm. Harvey traf Vorkehrungen für einen öffentlichen Vortrag in der Stadthalle. Aus Prestigegründen überredete er einen einflußreichen Anwalt, der nicht in der Wahrheit war, als Vorsitzender zu dienen. Später kehrte Skinner auf dem gleichen Wege, auf dem er gekommen war, wieder nach Bombay zurück.
DIE VERKÜNDIGUNG DES KÖNIGREICHES AUSGEDEHNT
Ende 1926 wurde mit dem Haus-zu-Haus-Dienst am Sonntag begonnen. In Bombay hatte diese Tätigkeit einen weiteren Fortschritt im Königreichswerk zur Folge. Doch man bemühte sich in der Hauptsache, Literatur zurückzulassen, und war — außer in besonderen Fällen, in denen man eindeutiges Interesse feststellte — nicht darauf bedacht, wieder vorzusprechen, um zum Studium der Bibel zu ermuntern. Und selbst dann wurde kein Heimbibelstudium durchgeführt. Man lud diese Leute vielmehr zu Gruppenstudien in den allgemeinen Zusammenkunftsstätten ein. In der Annahme, daß Harmagedon sehr bald kommen werde, bemühten sich die Brüder, soviel Gebiet wie möglich mit der Königreichsbotschaft in gedruckter Form zu bearbeiten.
Ungefähr ein Jahr nach seiner Ankunft in Indien erhielt Bruder Skinner eine Sendung von 10 000 broschierten Exemplaren des Buches Befreiung, das 1926 freigegeben worden war. 10 000 Bücher für nur zwei Pioniere! Im Zweigbüro gab es für diese Menge keinen Lagerraum, deshalb suchten sie sogleich größere Räumlichkeiten. Aufgrund einer Zeitungsannonce konnten sie in Colaba, einem Vorort, eine Wohnung und einen großen Lagerraum mieten. So wurde das Zweigbüro von Byculla, dem Stadtzentrum, in den südlichen Vorort verlegt. Dort, in der Colaba Road 40, war zwölf Jahre lang die Zentrale des Werkes.
In den ersten Jahren reisten Wright und Skinner abwechselnd an entfernte Orte, besonders in „christliche“ Zentren, allein in der Absicht, Literatur zu verbreiten. Sie taten es hauptsächlich in Eisenbahnsiedlungen, wo es immer angloindische „Christen“ in größerer Zahl gab. Diese Eisenbahnsiedlungen bestanden aus zwanzig bis dreißig, manchmal bis zu einigen hundert Familien. Unterkünfte gab es meistens in den sogenannten „running rooms“ der Eisenbahn, in denen das Zugpersonal übernachtete.
Bald nach dem Eingang dieser Büchersendung begab sich Bruder Skinner auf eine zweite Reise in die nördliche Provinz, das Pandschab. Dieses Mal nahm er ein Schiff nach Karatschi. In dieser Hafenstadt, die ein wichtiger Weizenumschlagplatz ist, blieb er eine Woche. Wie gewohnt, suchte er wieder nach Namenchristen, besonders in der Eisenbahnsiedlung und in angloindischen Gebieten, wo er viele Exemplare des Buches Befreiung verbreitete.
Mit dem Zug verließ er Karatschi, die Stadt im Indusdelta, und fuhr in nördliche Richtung nach Quetta, der Hauptstadt von Britisch-Belutschistan, die 1 676 Meter über dem Meer und 863 Kilometer von Karatschi entfernt liegt. Hier wohnte Walter Harding, ein Wacht-Turm-Leser. Harding war Bahnwärter und lebte in der Eisenbahnsiedlung. Seine Frau, die der Kirche am Ort angehörte, war den biblischen Wahrheiten, die ihr Mann verkündigte, nicht besonders zugetan.
Skinner wurde einem ziemlich jovialen Methodistengeistlichen vorgestellt, der ihn zu einem Abendessen einlud. Dort hatte Skinner Gelegenheit, andere Mitglieder der Methodistenkirche kennenzulernen und mit ihnen über Gottes Königreich und die Hoffnung auf ein wiederhergestelltes irdisches Paradies zu sprechen. Harding selbst war auf diesem Außenposten der Christenheit wie eine einsame Stimme, ‘die in der Wildnis rief’.
Nach dem Tod eines ihrer Söhne nahm Frau Harding die Wahrheit an; ebenso alle ihre Kinder, und einige von ihnen wurden Vollzeitprediger. Familie Harding zog später von Quetta nach Rawalpindi, Karatschi und Lahore. Es kann gesagt werden, daß dadurch das Königreichswerk in diesem nördlichen Teil Indiens, dem späteren selbständigen Staat Pakistan („heiliges Land“), festen Fuß faßte.
DIE GUTE BOTSCHAFT ÜBER RADIO BEKANNTGEMACHT
Man versuchte, die Botschaft vom Königreich über Rundfunk zu verbreiten. Im Jahre 1928 wurde in Bombay eine Radiostation eröffnet und man erhielt die Erlaubnis, die Königreichsbotschaft über Rundfunk zu senden.
Bruder James, der in dem weit entfernten Cawnpore wohnte, konnte die erste zehnminütige Ansprache von Bruder Skinner hören. Er schrieb danach an das Zweigbüro und äußerte sich über den Vortrag. Nach einigen solchen Ansprachen wurde jedoch unter dem Vorwand, daß nur den orthodoxen Kirchen gestattet sein sollte, Sendungen über religiöse Themen auszustrahlen, die weitere Erlaubnis für die Benutzung der Sendeanlagen verweigert.
VERSUCHE, DIE VIELSPRACHIGE BEVÖLKERUNG ZU ERREICHEN
Da man sich stets des Sprachenproblems in Indien bewußt war, wo fünfzehn Hauptsprachen gesprochen werden, suchte man nach Möglichkeiten, den Menschen die Königreichsbotschaft in mehr indischen Sprachen zugänglich zu machen. Im Staat Trawankur hatten die Malayalam sprechenden Brüder bereits das Buch Der göttliche Plan der Zeitalter in ihrer Sprache. Nun wurden Die Harfe Gottes und die Broschüre Freiheit für die Völker in Malayalam gedruckt.
Als nächstes konnte die Broschüre Welt in Not — Warum? Das Heilmittel in Kanaresisch unter den Anhängern der Basler Mission sowohl in Bombay als auch in ihrem Heimatstaat im Süden verbreitet werden.
In Mangalore, einem Zentrum des Kaffee- und Sandelholzexports an der Küste, wohnen ziemlich viele Katholiken und Protestanten. Dort war der Hauptsitz der Basler Mission, die über großen Grundbesitz verfügte und ein College unterhielt. Auf seiner Reise dorthin sprach Bruder Skinner mit einem gewissen Mister Aiman, der selbst ein Mitglied der Basler Mission und Herausgeber einer kleinen religiösen Zeitschrift in Kanaresisch war. Aufgrund dieser Unterhaltung über biblische Themen ließ Aiman einige Auszüge aus unserem Buch Befreiung veröffentlichen. Auf diese Weise lernten die Kirchenmitglieder zusätzliche Wahrheiten aus der Bibel in ihrer eigenen Sprache kennen. Es wurden auch Vorkehrungen getroffen, daß Bruder Skinner im Collegesaal der Basler Mission einen öffentlichen Vortrag halten konnte. Zum Abschluß des Vortrages bot Skinner das Buch Die Harfe Gottes an. Bald danach wurde dafür gesorgt, daß Mitglieder der Basler Mission anhand dieses Buches in kanaresischer Sprache wöchentlich die Bibel studieren konnten.
Trotz Schwierigkeiten machte unser Werk in Trawankur unaufhaltsam Fortschritte. Die Brüder mußten viele Kilometer in sengender Sonnenhitze zu Fuß gehen und genossen nicht viele Annehmlichkeiten des Lebens. Während des Jahres 1928 gelang es den 14 einheimischen Versammlungen, mit denen insgesamt 41 aktive Königreichsverkündiger und 13 Pioniere verbunden waren, 550 öffentliche Zusammenkünfte abzuhalten, bei denen ungefähr 40 000 Personen zugegen waren.
Ja, damals gab es 62 sogenannte „Bibelklassen-Arbeiter“, die treu dienten und ihr Bestes taten, um die gute Botschaft von Jehovas Königreich in Indien zu verkündigen. Es zeigte sich, daß mehr Arbeiter benötigt wurden, um das ganze Land erfassen zu können. Deshalb wurde das Hauptbüro der Gesellschaft um mehr Pioniere gebeten. Daraufhin schifften sich vier Briten von England aus nach Bombay ein. Im August 1929 gingen Claude Goodman und sein Partner Ron Tippin an Land — nur wenige Monate nachdem Ewart Francis aus Gloucester und sein Partner Stephen Gillett eingetroffen waren. Sie wurden den Brüdern in Bombay kurz vorgestellt, und nachdem man sie mit den indischen Bräuchen vertraut gemacht hatte, wurden ihnen bestimmte Gebiete zugeteilt.
ETWAS ERFOLG IM PANDSCHAB
Nun wurden weitere Anstrengungen gemacht, die Königreichsbotschaft im Pandschab zu verkündigen. Claude Goodman und Ron Tippin machten eine kurze Seereise nach Karatschi.
Die folgende Erfahrung zeigt, wie Jehova für seine treuen Diener sorgt. Nachdem die beiden Brüder eine Woche lang die billigsten Unterkünfte hatten, die sie bekommen konnten, gab Ron Tippin der Besitzerin eines großen Hotels in Karatschi Zeugnis. Sie nahm Literatur entgegen und fragte ihn, wo er wohne. Als sie es erfuhr, lud sie die beiden Brüder ein, so lange ihre Gäste zu sein, wie sie sich in der Stadt aufhielten. Das kam den beiden Brüdern sehr gelegen, da die Pioniere von der Gesellschaft keine finanzielle Unterstützung erhielten. So konnten beide ihren Dienst auf würdige Weise fortsetzen und die Geldmittel für die vor ihnen liegende Arbeit sparen.
Von Karatschi aus begaben sich Goodman und Tippin nach Haiderabad, der im Norden gelegenen Wüstenstadt in der Provinz Sind. Hier trennten sich ihre Wege. Tippin reiste nach Quetta weiter, um der Familie Harding zu helfen, während Goodman nach Ambala ging, um die Familie Manning zu ermuntern. Im Sommer jenes Jahres (1930) war es außerordentlich heiß, und ein Großteil der englisch sprechenden Bevölkerung hatte sich an den kühlen Höhenkurort Mussoorie geflüchtet, der 2 012 Meter über dem Meeresspiegel im Himalaja liegt. Goodman folgte ihnen mit dem Zug und zu Pferd, um ihnen die Königreichsbotschaft zu überbringen. Während seines dortigen Aufenthaltes erfuhr Goodman, daß Mohandas K. Gandhi in Mussoorie bei einem reichen Kaufmann zu Gast war. Goodman berichtet:
„Gandhis Name sagte mir damals nichts weiter, als daß dieser Mann ein sehr umstrittener Politiker war, der sich dafür einsetzte, daß Indien von der britischen Herrschaft befreit wurde. Aber er war ein Mensch wie jeder andere und mußte die Königreichsbotschaft ebenso hören. Als ich daher beim Bearbeiten des Gebiets an seine vorübergehende Wohnung kam, entschloß ich mich, um ein persönliches Gespräch zu bitten. Nach einer Weile kam er, in sein bekanntes einfaches, schlichtes Gewand gekleidet, mit einem Stab in der Hand und lud mich ein, mit ihm etwas durch die wunderschönen Anlagen zu gehen. Wir unterhielten uns im Gehen, und ich malte ihm in Worten ein Bild von der bevorstehenden neuen Welt. Gandhi versprach, daß er unsere Veröffentlichungen lesen werde, da sie sein Gastgeber bereits in seiner Bibliothek habe.“ Auf diese Weise wurde dem Mann, der Indien die Unabhängigkeit gab und den man als „Vater der Nation“ bezeichnete, siebzehn Jahre vor seiner Ermordung persönlich die Gelegenheit gegeben, die Herrschaft der Regierung Gottes anzuerkennen.
Nachdem sich Goodman einige Zeit in Ambala aufgehalten hatte, traf er wieder mit Tippin zusammen. Sie reisten gemeinsam nach Lahore, da viele Briefe aus den Dörfern in der Umgebung dieser Stadt des Pandschabs eingegangen waren. Es stellte sich heraus, daß der Schreiber dieser Briefe ein Prediger war. Da sie nicht Pandschabi sprachen und über keine biblische Literatur in dieser Sprache verfügten, konnten sie nur Vorträge über die „Karte der Zeitalter“ halten, wobei ihnen dieser Prediger als Übersetzer diente. Sie hatten viele Zuhörer, doch wie sich später herausstellte, waren die Dorfbewohner hauptsächlich daran interessiert, daß unsere „Mission“ ihnen eine Schule oder ein Krankenhaus baute.
DIE PREDIGTTÄTIGKEIT MIT DEM WOHNAUTO
Wohnautos waren im Jahre 1929 etwas Neues in unserer Predigttätigkeit in Indien. Je zwei Brüder erhielten ein solches Fahrzeug, in dem ein großer Vorrat an Literatur mitgeführt werden konnte und das mit den allernötigsten häuslichen Einrichtungen ausgestattet war. Mit diesen Wagen konnte die Gesellschaft die Verkündigung des Königreiches weiter in ländliche Gebiete ausdehnen, und man war von Hotels und öffentlichen Verkehrsmitteln unabhängig. Die Besatzungen dieser „fahrenden Missionarheime“ machten überall auf dem großen Subkontinent die sogenannt christlichen Zentren ausfindig und überbrachten diesen Menschen die gute Botschaft der Rettung.
An vielen Orten, wo unsere umherreisenden Brüder Missionen der Christenheit besuchten, genossen sie sogar die Gastfreundschaft der Geistlichen am Ort in deren komfortablen Bungalows. Zu jener Zeit erkannte man den krassen Gegensatz zwischen „Babylon der Großen“ und Jehovas Organisation noch nicht so deutlich (Offb. 17:3-6; 18:4, 5). Es trat allerdings eine Trennung ein, als man die öffentlichen Vorträge gehört und unsere Literatur gelesen hatte. Einige dieser europäischen Geistlichen waren mehr daran interessiert, die Jungen und Mädchen in ihren Schulen und Instituten auf einen Beruf vorzubereiten, als daran, ihnen religiöse Unterweisung aus der Bibel zu erteilen.
In jenen Tagen waren Reisen mit dem Wohnauto ein ziemlich gewagtes Unterfangen, da die Wege oft nichts weiter waren als eine Ochsenkarrenspur und über die Flüsse keine Brücken führten. In der Trockenzeit waren die Flußbetten mehr oder weniger ausgetrocknet. Um seichte Flüsse und sandige Stellen zu überwinden, mußten die Brüder oft die Luft zum Teil aus den Reifen lassen und manchmal den Wagen entladen und zu Fuß die Sachen durch den seichten Fluß tragen. Wenn sie das andere Ufer sicher erreicht hatten, mußten sie die Reifen mit der Handpumpe wieder aufpumpen und den Wagen wieder beladen. Zur Regenzeit wurde an Ort und Stelle eine Art Fähre gebaut, indem man zwei kleine Boote mit Holzplanken verband, so daß eine Plattform entstand, auf der ein Wagen oder kleiner Bus befördert werden konnte. Aus den Ochsenkarrenspuren wurden im Regen natürlich Schlammfurchen. Doch ungeachtet der zu überwindenden Schwierigkeiten wurden nun Gebiete, die früher unzugänglich waren, mit der biblischen Wahrheit erreicht.
Damals reiste George Wright einmal kurz vor Beginn der heißen Jahreszeit in die United Provinces (Uttar Pradesh). Bruder Skinner schloß sich ihm in Cawnpore an. Die beiden Pioniere waren bei einer gewissen Familie James zu Gast. Sie übernachteten im Freien, weil es im Haus selbst wegen der tagsüber herrschenden Hitze zu heiß war. Am nächsten Tag machten sie sich auf eine 362 Kilometer lange Reise nach Naini Tal, einem bedeutenden Erholungsort, der 1 951 m über dem Meer im Himalaja liegt. Sie fuhren die enge, gewundene Straße zum tal oder See von Naini hinauf. Die einzige befahrbare Straße in Naini Tal war die um den See führende ebene Straße, die jedoch nur der Vizekönig benutzen durfte. Alle anderen Fahrzeuge mußten auf dem öffentlichen Parkplatz am Basar in der Nähe des Sees abgestellt werden.
Unsere Brüder kamen in der CVJM-Herberge unter und bearbeiteten die Wohnhäuser, die an den steilen Bergabhängen verstreut lagen. Auf den Pfaden, die im Zickzack die Berge hinaufführten war der Haus-zu-Haus-Dienst etwas mühevoll. Skinner, der etwas jünger und kräftiger war als Wright, nahm sich die größeren Berge vor. Bruder Wright, der ein schwaches Herz hatte, besuchte in der Zwischenzeit die Häuser an den unteren Abhängen. Sie konnten bei diesen Leuten viel Literatur zurücklassen.
Von Naini Tal aus zogen unsere Brüder durch das Gebirge nach Ranikhet, einem Lager, in dem verheiratete englische Soldaten stationiert waren. Sie konnten dort etwas Literatur verbreiten. Auf ihrer Weiterreise erreichten sie in Almora das Ende der befahrbaren Straße. Von dort aus konnten sie die atemberaubenden mächtigen schneebedeckten Gipfel des Himalaja sehen. In dieser abgeschiedenen Stadt hatten sich einige religiöse Missionen der Christenheit niedergelassen. Auch diesen Menschen wurde die Gelegenheit gegeben, die Botschaft von Jehovas aufgerichtetem Königreich zu hören.
IN EIN ABGESCHIEDENES TAL
Während sich Skinner und Wright in diesem Hochland in der Nähe von Nepal aufhielten, hörten sie, daß Dr. Stanley Jones, der berühmte Methodistenbischof, seine ashram oder Einsiedelei in ein abgeschiedenes Tal namens Sath Tal („Sieben Seen“) verlegt hatte. „So machten wir uns auf den Weg, um mit diesem bekannten amerikanischen Missionar zu sprechen“, berichtet Bruder Skinner. „Wir fuhren auf einem gewundenen Kiesweg und erreichten schließlich den Ort, wo, eingebettet in dieses Tal, ein ziemlich umfangreiches Anwesen lag, das aus einem Hauptgebäude und einigen Hütten bestand. Das Hauptgebäude war komfortabel eingerichtet und verfügte über ein geräumiges Eßzimmer, das ganz mit Teppichen ausgelegt war ...
Wir sprachen im Hauptgebäude vor. Dort stellte man uns Dr. Stanley Jones vor, der uns gastfreundlich aufnahm und uns einlud, mit ihm und etwa zwanzig weiteren Missionaren, die in der ashram wohnten, zu speisen. Das Mahl wurde auf echt indische Art serviert: Curryreis auf einer thali oder Metallplatte. Jeder saß auf dem Fußboden und aß mit den Fingern. George Wright und mir gab man aber Löffel.
Nach dem Mittagessen unterhielten wir uns ungezwungen über die Arbeit dieser Missionare, die alle Protestanten waren, aber verschiedenen Kirchen angehörten. Ich erinnere mich noch gut, daß Jones betonte, der Individualismus sei der Schlüssel zum Fortschritt und diese Missionare sollten an der Selbstbestimmung festhalten. Über eine biblische Grundlage für ihre missionarische Tätigkeit wurde nicht gesprochen. Nachdem wir das Eßzimmer verlassen hatten, versuchten wir, uns mit Dr. Jones über biblische Lehren zu unterhalten, doch er wehrte ab und nahm auch kein Buch der Gesellschaft.“
Hier machte Bruder Skinner kehrt. Während Bruder Wright weiter die Gegend von Naini Tal bearbeitete, fuhr Bruder Skinner mit dem Bus die Gebirgsstraße bis nach Kathgodam, der Endstation der Eisenbahn, hinunter. Dort stieg er in einen Zug nach Lucknow und reiste durch die von der Sonne ausgedörrten Ebenen an das andere Ende des Subkontinents, nach Bombay.
FORTSCHRITT IM PANDSCHAB
Anfang 1931 machte sich Bruder Skinner auf eine weitere Reise in das Pandschab. Diese Reise sollte sich jährlich während der kühleren Jahreszeit wiederholen und normalerweise Anfang Januar beginnen. Skinner begab sich besonders in das Gebiet der großen Flüsse der Industiefebene — ein Land mit Dörfern, die entlang der großen Bewässerungskanäle liegen.
Ein „christlicher“ Inder namens Samuel Shad, ein Schullehrer der in Khanewal lebte, bot sich an, die Broschüren der Gesellschaft in Urdu zu übersetzen und Skinner auf seiner Reise in diese Dörfer als Dolmetscher zu begleiten. Sie entschieden sich für mehrere Dörfer, deren Bevölkerung hauptsächlich aus Namenchristen bestand. Ihre Reise begannen sie zunächst mit dem Zug von Lahore aus, dann setzten sie sie in einem zweirädrigen Pferdewagen fort, und manchmal ritten sie auch. Gewöhnlich blieben sie zwei oder drei Tage in einem Dorf.
Die Dorfbewohner lebten in Häusern, die aus in der Sonne getrocknetem Lehm errichtet waren und Stroh- oder Holzdächer hatten. Die Inneneinrichtung war sehr einfach. Man schlief auf einem charpoy, einer Art Feldbett.
Aber diese Besuche waren stets freudige und erfrischende Erlebnisse. Die Farmer setzten sich, nachdem sie von den Zuckerrohrplantagen oder Maisfeldern zurückgekommen waren, mit der Bibel in der Hand auf ihre Charpoys. Einige rauchten eine hookah (eine wassergekühlte Pfeife mit einem 60 bis 90 cm langen Stiel). Diese Leute schlugen eine Schriftstelle nach der anderen nach, während ihnen Gottes Wahrheit erklärt wurde. Sie gehörten alle irgendeiner der vielen sogenannt christlichen Glaubensgemeinschaften an, mit Ausnahme der katholischen Kirche. In diesem Gebiet gab es nur wenige Katholiken.
In größeren Orten wie Raiwind, Renala Khurd und Okara wurden öffentliche Vorträge gehalten. Einige Personen nahmen schließlich sogar den Pionierdienst auf, aber durch den Zweiten Weltkrieg verschwand dieses Interesse größtenteils. Der Boden wurde vorbereitet und besät — jedoch für die Gileadabsolventen, die später in dieses Gebiet kommen sollten, nachdem der neue Staat Pakistan entstanden war.
Die Leute wurden von ihren Missionsherren sehr unterdrückt. Die Regierung hatte den Missionen Land zur Bebauung überlassen, und diese übergaben es ihrerseits wieder an Landwirte. Das geschah unter der Bedingung, daß die Landwirte jährlich einen Teil des Wertes ihrer Ernte an die Mission abgaben, und zwar so lange, bis das Land abbezahlt wäre, dann sollte es ihr Eigentum werden. Doch in den meisten Fällen war das nur Theorie. Es brauchte nur wenig Regen zu fallen und einige Male recht trocken zu sein, dann ging der Wert ihrer Ernte zurück, was zur Folge hatte, daß diese Leute fast immer ihren Missionen gegenüber verschuldet waren.
Als diese Menschen von der Königreichsbotschaft hörten, wollten sie die Bindung zu den Missionen abbrechen, doch sie konnten oder wagten es nicht. Etliche gerieten wirklich in Not, nachdem ihnen ihr Land weggenommen worden war. Viele gingen Kompromisse ein und konnten sich nie aus den Klauen Babylons der Großen befreien. Als mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges der enge Kontakt mit dem Zweigbüro in Bombay nicht mehr möglich war, kehrte selbst Samuel Shad, der so viel dazu beigetragen hatte, dieses Gebiet für die Königreichsbotschaft zu erschließen, um des Geldverdienens willen zu seiner Kirche zurück und starb als Angehöriger Babylons der Großen.
NACH PARIS UND WIEDER ZURÜCK
Im Mai 1931 veranstaltete die Gesellschaft in Paris einen internationalen Kongreß. Bruder Skinner erhielt die Erlaubnis, diesen Kongreß zu besuchen. Weil nicht genügend Zeit verblieb, um eine Schiffsreise nach Europa zu buchen, fuhr er den Persischen Golf aufwärts und dann auf dem Landwege über Basra, Bagdad und Istanbul nach Paris.
Auf dem Pariser Kongreß hatte Skinner das Vorrecht, persönlich mit Joseph F. Rutherford, dem zweiten Präsidenten der Watch Tower Society, zu sprechen. Weil das Königreichswerk in Indien vorangetrieben werden sollte, erhielt Bruder Skinner die Erlaubnis, ein weiteres Fahrzeug zu kaufen, das als Wohnauto dienen sollte.
NEUE ARBEITER IM PREDIGTWERK IN INDIEN
Während eines kurzen Ferienaufenthalts bei seiner Familie in Sheffield (England) traf Bruder Skinner Bruder Randall Hopley und Bruder Clarence Taylor, die Kolporteure (heute Pioniere genannt) waren. Seine Frage, ob sie Jehova gern in Indien dienen würden, bejahten sie. So traten Bruder Hopley und Bruder Taylor zusammen mit dem Kolporteur Gerald Garrard von London aus mit Genehmigung der Gesellschaft eine Schiffsreise nach Bombay an, wo sie im September 1931 eintrafen. Bruder Skinner war gekommen, um diese Pioniere auf indischem Boden willkommen zu heißen.
Nachdem sich die Kolporteure in Bombay ungefähr nach einer Woche an das feuchtheiße Klima gewöhnt hatten, reisten sie in ihre neuen Zuteilungen ab. Hopley und Taylor fuhren durch die malerischen Westghats nach Puna. Sie waren bald eifrig damit beschäftigt, unter den Bewohnern dieser verhältnismäßig großen Garnisonsstadt die Veröffentlichungen der Gesellschaft zu verbreiten.
Nachdem sie einige Monate in Puna tätig gewesen waren, zwang sie eine Krankheit, die 193 Kilometer nach Bombay zurückzufahren. Nach ihrer Genesung traten sie eine neue Dienstzuteilung in der Provinz Sind und im Pandschab (Nordwestindien) an. Mit Literaturkartons und Bettzeug ausgerüstet, fuhren Hopley und Taylor mit dem Zug an den Aravalli-Bergen entlang über Marwar Junction und Luni weiter nach Haiderabad und Karatschi. Drei Tage dritter Klasse zu fahren war zwar kein Vergnügen, doch es war am billigsten.
Während Bruder Hopley und Bruder Taylor bei Florence Seager Unterkunft fanden, die sie mit außerordentlicher Menschenfreundlichkeit behandelte, predigten sie in großen Gebieten von Karatschi das Wort Gottes. Dann verließen sie die Industiefebene und fuhren durch die Kirthar-Berge nach Quetta (1 676 m über dem Meer). Quetta selbst liegt auf einer Hochebene und ist von Bergen umgeben, die teilweise über 3 300 m hoch sind. Hopley und Taylor freuten sich über das frische Klima, das sie nach der Hitze in der Tiefebene als sehr angenehm empfanden. Sie predigten etliche Tage die Botschaft vom Königreich und machten dabei viele schöne Erfahrungen. Aber bald waren unsere beiden Brüder wieder unterwegs, diesmal nach Delhi, der Hauptstadt Britisch-Indiens und dem Sitz des historischen Großmoguls.
Delhi besteht aus zwei Stadtteilen, Alt-Delhi und Neu-Delhi. Es war viel größer als die Städte, die Bruder Hopley und Bruder Taylor bis dahin besucht hatten, und so blieben sie entsprechend länger dort. In Delhi war es für sie leicht, Literatur abzugeben, doch Hindus und andere davon zu überzeugen, daß man nur aufgrund des Loskaufsopfers Jesu Christi Leben erlangen kann, war nicht so leicht.
Der Sommer in Delhi war für die Brüder unerträglich heiß, deshalb flüchteten sie sich in den Höhenkurort Naini Tal, der in den Ausläufern des Himalaja eingebettet liegt. Dort gab es einige europäische Schulen, und unsere Brüder konnten den Lehrern und den Bewohnern der Ebenen sowie wohlhabenden Geschäftsleuten, die vor der Sommerhitze dort Zuflucht suchten, die Botschaft der Bibel predigen.
Nach ihrer Tätigkeit in Naini Tal begaben sich die beiden Brüder mit der Eisenbahn auf eine ausgedehnte Reise, die sie während der folgenden zweieinhalb Jahre beschäftigt halten sollte. So wie frühere Pioniere machten auch sie an jedem Ort die sogenannt christlichen Gebiete ausfindig und verbreiteten dort Hunderte von Büchern und Broschüren. Auf diese Weise bearbeiteten sie große Gebiete des Landes besonders in den United Provinces. Sie besuchten Mathura, die angebliche Geburtsstadt Krischnas, eines unsittlichen „Gottes“ der Hindus; Agra, die alte Hauptstadt des Großmoguls Akbar; Lucknow, einen wichtigen Eisenbahnknotenpunkt; Cawnpore, eine Stadt, in der Lederwaren hergestellt werden; Allahabad, einen Wallfahrtsort der Moslems und der Hindus, und Benares, die „ewige“ Stadt der Hindus. Alle diese Städte wurden nacheinander besucht, und ihre Bewohner erhielten die Gelegenheit, Jehovas Vorsätze und seine Organisation kennenzulernen.
Unterdessen waren Claude Goodman und Ron Tippin von einer Zuteilung in Birma nach Indien zurückgekehrt. Sie waren während des Monsuns im Binnenhafen von Kalkutta angekommen. Als sie die Unmengen Menschen sahen, fragten sie sich, wie diese Stadt, in der es von Menschen nur so wimmelte, je die gute Botschaft hören könnte. Soweit ihnen bekannt war, gab es in Kalkutta niemand, der zu dem „Wege“ gehörte (Apg. 9:1, 2). In der Nähe der Free School Street erhielten sie ein unmöbliertes Zimmer. Kartons dienten ihnen als Stühle und Tische, und der Boden war ihr Bett. Sehr viele Menschen sprachen nur Bengali. Deshalb konnten sich die Pioniere nur auf die wenigen konzentrieren, die Englisch sprachen. Das war der Anfang des Werkes in Kalkutta.
„DAS KÖNIGREICH, DIE HOFFNUNG DER WELT“
Im Juli 1931 nahmen die Bibelforscher ihren neuen Namen, „Jehovas Zeugen“, an. Nun wurde in allen bedeutenden Ländern während eines besonderen Feldzugs die Broschüre Das Königreich, die Hoffnung der Welt an die Geistlichkeit, die Politiker und an führende Männer der Geschäftswelt verteilt, um diese prominenten Persönlichkeiten über unseren neuen Namen zu unterrichten.
Dieser Feldzug erstreckte sich schließlich auch auf Indien, und während des größten Teils des Jahres 1932 war man damit beschäftigt, die Königreichs-Broschüre in eine Reihe indischer Sprachen zu übersetzen. Die Pioniere in ganz Indien freuten sich, daß sie die Broschüre in Urdu, Gudscharati und Hindi unter der Bevölkerung des Pandschabs, in Bombay und in den United Provinces verbreiten konnten. In Trawankur und Madras arbeiteten die Brüder eifrig mit der Königreichs-Broschüre in Malayalam und Tamil. Gleichzeitig gaben die Pioniere die englische Ausgabe an Geistliche ab. Von den 7 320 englischen Exemplaren und den 14 603 Exemplaren in den einheimischen Sprachen gingen 2 468 an die Geistlichkeit der Christenheit. Es war erfreulich, zu sehen, daß unsere Übersetzungstätigkeit einen größeren Umfang angenommen hatte.
MIT DEM WOHNAUTO DURCH ZENTRALINDIEN
Auch die Predigttätigkeit mit Hilfe des Wohnautos dehnte sich aus. Es gab nun zwei dieser Fahrzeuge, die auf den Straßen und Wegen Indiens verkehrten. Im August 1932 wurden Claude Goodman und Ron Tippin nach Jhansi, der historischen Hauptstadt der Mahratta-Krieger — heute ein Handelszentrum für landwirtschaftliche Produkte —, gesandt, um dort ein Wohnauto zu übernehmen. Nachdem Goodman und Tippin eilig das Fahren gelernt hatten, beluden sie den Wagen mit den notwendigen Vorräten, zu denen Kartons mit englischer Literatur sowie Broschüren in Urdu und Hindi gehörten.
Diese mutigen Pioniere bahnten sich ihren Weg mitten durch Zentralindien. Sie wurden Experten im Durchqueren von Flüssen, und es konnte sie praktisch nichts davon abhalten, den Menschen Gottes Wort zu bringen. Wenn sie einen Fluß durchquerten, ließen sie gewöhnlich einen Teil der Luft aus den Reifen, bauten den Auspuff am Krümmer ab, nahmen den Keilriemen ab, fetteten die Zündkabel ein und dichteten das Kurbelgehäuse und andere Teile ab. Sobald der ungeheure Lärm des Motors zu hören war, tauchten sozusagen wie aus dem Nichts neugierige Eingeborene auf. Bei der Durchquerung des Mahanadi in der Nähe der Stadt Sambalpur stützten sie eine gebrochene Feder so gut wie möglich provisorisch ab und waren entschlossen, bis Cuttack durchzufahren, ohne in den Orten unterwegs anzuhalten, um zu predigen.
Nachdem sie Rampur hinter sich gelassen hatten, stellten sie das Wohnauto etwa 16 Kilometer davon entfernt im Dschungel ab und bereiteten sich darauf vor, die Nacht dort zu verbringen. Später hörten sie einen Wagen auf der Straße vorbeifahren, was sehr selten geschah und etwas später noch einmal. Bald wurden die schlafenden Brüder durch laute Rufe aufgeweckt. Es war eine Schar Polizisten mit ihrem Inspektor. Der einheimische Radscha war zuvor vorbeigefahren und hatte Licht in dem Wohnauto gesehen. Er verlangte, daß die Brüder nach Rampur zurückkehrten und dort blieben oder daß eine bewaffnete Wache die ganze Nacht den „Wagen“ bewachte, da dies ein gefährliches Gebiet war, in dem sich Elefanten und Tiger aufhielten. Widerwillig fuhren die Brüder mit ihrem hoppelnden Wagen unter Polizeischutz zurück. Am nächsten Tag entschlossen sie sich, den Ort zu bearbeiten. Jeder hatte die Geschichte des Radschas gehört, und die Brüder waren fast berühmte Leute geworden. Sie gaben praktisch alles ab was sie an Literatur bei sich hatten. Dabei mußten sie daran denken wie Jona geholfen wurde, ein Stück des Weges in sein Gebiet nach Ninive zu kommen (Jona 1:17; 2:10; 3:1-3).
NACH SÜDEN
Cuttack liegt im Mahanadidelta und ist der Mittelpunkt des Bewässerungssystems von Orissa. In diese Stadt „hoppelten“ unsere Reisenden mit ihrem defekten Wagen, den sie dort entluden. Nachdem Goodman und Tippin einige Tage damit zugebracht hatten, das Wohnauto zu reparieren, und nachdem sie neue Literaturvorräte aus Bombay erhalten und ihren Vorrat zur Deckung der leiblichen Bedürfnisse aufgefüllt hatten, wandten sie sich nach Süden und fuhren die indische Ostküste entlang in Richtung Kap Comorin.
Die beiden Pioniere schliefen im Dschungel und wuschen sich in den Flüssen. Sie predigten überall, wohin sie kamen, und gelangten so immer weiter in den Süden. Da sie das Zweigbüro in Bombay unterrichtet hatten, wo sie zu einer bestimmten Zeit sein würden, wurde ihnen Literatur gesandt, um ihren Vorrat immer wieder aufzufüllen. Auf diese Weise ließen sie Tausende von Büchern und Broschüren bei den Menschen zurück und gaben vielen Familien Gelegenheit, aus der Bibel Hoffnung zu schöpfen.
In Puri sahen die Brüder einen riesigen religiösen Festwagen, der fast 20 Tonnen wog und auf dem der Hindugötze Dschagannath thronte. Dschagannath ist ein Beiname der heidnischen Götter Wischnu und Krischna. Der Götze wird alljährlich in der Stadt umhergefahren. Hunderte von Menschen werfen sich vor ihm nieder, während viele andere an den dicken Stricken des Wagens ziehen. Welch ein Segen ist es doch, die Wahrheit zu kennen, die Menschen frei macht! (Joh. 8:32).
PREDIGEN IN TON UND BILD
Im Jahre 1933 besuchte Florence Seager das Zweigbüro in Bombay und spendete ein von der Gesellschaft hergestelltes Grammophon, das in Indien verwendet werden sollte. Dieses batteriegespeiste Gerät hatte — als das erste seiner Art in diesem Land — einen eigenen Verstärker und einen 40-cm-Plattenteller. Dieses Geschenk bot uns eine neue Möglichkeit, unser Werk in Indien durchzuführen. Nun konnten die Wohnautos in Lautsprecherwagen umgebaut werden. Die Tätigkeit mit dem Grammophon begann in Bangalore, wo in jenem Jahr ein kleiner Kongreß stattfand.
Diese Wohnautos leisteten einen überaus wertvollen Dienst, da sie die Botschaft der Rettung an unzählige Orte trugen. In wenigen Minuten konnten die beiden Trichterlautsprecher auf dem Dach des Wohnautos befestigt und mit dem Verstärker verbunden werden. Auf diese Weise waren die auf Schallplatten festgehaltenen biblischen Vorträge in Basaren, in Parks und auf Hauptstraßen — überall, wo es Menschen gab — zu hören. An Sonntagen wurden in der Nähe von Kirchen Vorträge mit Themen wie „Das Fegefeuer“, „Die Dreieinigkeit“ und „Warum widersteht die Geistlichkeit der Wahrheit?“ abgespielt, während die Leute aus den Kirchen kamen und auf dem Heimweg waren. Oft kamen einige zum Wagen und baten um Literatur. Häufig versuchte die Geistlichkeit, die Leute zu Gewalttätigkeiten anzustacheln. Manchmal kletterten naive Eingeborene überall am Wohnauto herum, um festzustellen, woher die „Stimme“ kam.
Eines der Wohnautos führte auch einen Filmprojektor mit, und so machten eingeborene Inder an weit abgelegenen Orten mit einem für sie neuen Phänomen Bekanntschaft: mit dem Photo-Drama der Schöpfung.
Um sein Wohnauto als Lautsprecherwagen verwenden zu können, kaufte sich George Wright einen Generator, den er mit einer selbstgebauten Kupplung am Motor anschloß. Auf diese Weise erzeugte er selbst den Strom für die Vorführung der Lichtbilder des Photo-Dramas. In jenen Tagen mußten die Brüder improvisieren, um ihre Ausrüstung in Ordnung zu halten. Als Projektionslampe verwandte Wright oft die Lampe eines Lokomotivscheinwerfers, die ihm ein freundlicher Lokomotivführer zur Verfügung stellte.
Ungefähr zu dieser Zeit begleitete Bruder Skinner Bruder Wright auf einer Reise durch die United Provinces. In einer Stadt wurde zur Vorführung des Photo-Dramas ein Schulsaal gemietet. Während sich George Wright im Saal befand, um die Lichtbilder zu zeigen, blieb Edwin Skinner im Wagen sitzen, hatte das Voltmeter im Auge und achtete darauf, daß der Motor gleichmäßig lief, damit die Birne nicht durchbrannte.
MUTIGE ARBEITER IM PREDIGTDIENST
Mitte der 1930er Jahre wurden Schritte unternommen, um Literatur in den einheimischen Sprachen für ganz Indien herzustellen, indem verschiedene Broschüren in Tamil und Urdu gedruckt wurden. 1934 wurde zum erstenmal in der Geschichte unseres Werkes in Indien mit der Verbreitung von 102 792 Büchern und Broschüren in der Literaturabgabe eine sechsstellige Zahl erreicht.
Um die gleiche Zeit predigte Gerald Garrard, ein großer, hagerer, leutseliger Pionier, neun Monate lang in Kalkutta. Es ging ihm gesundheitlich nicht gut, hauptsächlich wegen der Hitze. Aber ein Erlebnis entschädigte ihn für alle Unbequemlichkeiten. Während Garrard allein in den Geschäftshäusern von Kalkutta arbeitete, traf er einen Mann an, dessen Vater in London ein Zeuge Jehovas war. Bruder Garrard entfachte das Interesse dieses Mannes namens William King, der dann auch schnell zur Wahrheit kam.
Garrards späterer Partner war Bruder Vanderbeek, der früher als Kapitän zur See gefahren war. Er war immer ein liebevolles Vorbild, während er in Kalkutta mit Bruder Garrard zusammenarbeitete, doch leider starb er an Typhus. Es war eine schreckliche Situation. Vanderbeek starb an einem Sonntagabend, und Garrard beerdigte ihn am Montagmorgen und feierte noch am selben Tag das Abendmahl des Herrn.
Maude Mulgrove, eine schmächtige, aber lebhafte Frau, die Krankenschwester gewesen war, kam in Bombay sehr schnell zur Wahrheit. Sie nahm im Jahre 1935 den Pionierdienst auf und wurde sofort nach Bangalore, der Hauptstadt des Eingeborenenstaates Mysore, gesandt — ein Ort, der für seine vorzügliche Seide bekannt ist. Bangalore, das 949 m über dem Meer liegt, eignete sich aufgrund seines gesunden Klimas gut für die britischen Truppen, die dort in großen Kasernen untergebracht waren. Hier begann Schwester Mulgrove, einer der erfolgreichsten Pioniere Indiens, ihre Laufbahn im Vollzeitpredigtdienst.
DAS INDIEN ENDE DER 1930ER JAHRE
Um diese Zeit bereiste Bruder Randall Hopley den größten Teil Südostindiens. In Negapatam (dem heutigen Nagapattinam) schloß sich ihm ein junger Pionier namens George Puran Singh an. Singh war früher ein Anhänger des Sikhismus gewesen und hatte den wahren christlichen Glauben angenommen, während er in Malaysia gelebt hatte. Hopley konnte diesem jungen Pionier helfen, seine Fähigkeiten im Predigtdienst zu entwickeln.
Im Norden, im Pandschab, leisteten vier indische Pioniere und sechs andere Königreichsverkündiger eine sehr gute Arbeit. In dieser fruchtbaren Provinz gab es sechzehn Städte und Dörfer, in denen regelmäßig Zusammenkünfte stattfanden, die von 166 interessierten Personen besucht wurden. Mut und Entschlossenheit waren erforderlich, um im Werk auszuharren, denn es mangelte an der richtigen Führung, und es gab viele Schwache, die gestärkt werden mußten. Acht Männer wurden von der Heilsarmee von dem Land, das sie bearbeiteten, vertrieben, weil sie mit dieser religiösen Organisation nichts mehr zu tun haben wollten und sich mit Jehovas Organisation verbunden hatten. Es war im Pandschab immer noch viel zu tun, und der Arbeiter waren wenige.
Im Dezember 1938 besuchte Alex MacGillivray, der Zweigaufseher von Australien, zusammen mit Alfred Wycke Indien. Damals fand in Lonavla, einem Höhenkurort, 129 km südöstlich von Bombay, ein Kongreß statt. Um zu erkunden, ob sich die Tiefe eines nahe gelegenen Sees für die Taufe eignete, begaben sich Claude Goodman und Ewart Francis in das Wasser und schwammen noch etwas umher, bevor sie Bericht erstatteten. Zwei Wochen später lag Bruder Goodman, lebensgefährlich an Typhus erkrankt, im Hospital, und Ewart Francis starb. Wahrscheinlich war dies auf eine Infektion durch verseuchtes Wasser zurückzuführen. Der Verlust eines unserer wirkungsvollsten Pioniere war natürlich ein Schlag für das Werk.
Aufgrund des Besuchs von Bruder MacGillivray wurden mit Zustimmung der Gesellschaft Vorkehrungen dafür getroffen, daß das australische Zweigbüro eine kleine Druckpresse nach Indien sandte.
Während der Jahre 1926 bis 1938 wurde in Indien in einem ungeheuren Ausmaß harte Pionierarbeit geleistet. Die Brüder legten Zehntausende von Kilometern zurück und verbreiteten große Mengen Literatur. An vielen Orten war gepredigt worden. Doch gemessen an all den Anstrengungen, zeigte sich kaum eine Zunahme. Im Jahre 1938 gab es 18 Pioniere und 273 „Gruppenverkündiger“, was für das ganze Land eine Gesamtzahl von etwa 300 Zeugen bedeutete. Diese treuen Brüder waren mit 24 Versammlungen verbunden, die über ganz Indien verstreut waren. Den Brüdern wurde immer mehr die Notwendigkeit zum Bewußtsein gebracht, Verkündiger und Lehrer der guten Botschaft zu sein, und die Tätigkeit wurde allmählich besser organisiert, was das Berichterstatten über den Predigtdienst, die Rückbesuche und die Heimbibelstudien betraf.
Man hatte schon eine Zeitlang daran gedacht, daß das Zweigbüro der Gesellschaft in Indien würdigere Räume als die in der Colaba Road 40 haben sollte. Nachdem die Genehmigung dafür erteilt worden war, bezog das Büro im Geschäftsviertel von Bombay, und zwar in der Bastion Road 17, neue Räume. Außer daß es sich um bessere Räumlichkeiten handelte, bestand vom neuen Büro aus auch eine günstigere Verbindung zur Eisenbahnstation und zu anderen für die Tätigkeit der Gesellschaft wichtigen Zentren. Doch bald nach diesem Umzug brach der Zweite Weltkrieg aus.
WÄHREND DER KRIEG WÜTETE
Der Krieg brachte ständig größere Einschränkungen mit sich. Deshalb wurde das Zweigbüro an den früheren Ort zurückverlegt. In der Provinz Sind und im Pandschab beschränkte sich das Königreichswerk nun mehr oder weniger auf die beiden größeren Städte Karatschi und Lahore. Anderswo in diesen Provinzen wurde nicht viel gepredigt. Trotzdem wurden einige Fortschritte in dem Gebiet des heutigen Pakistan erzielt.
Die britische Regierung, unter deren Herrschaft Indien damals stand verlangte die Namen aller männlichen Europäer, die die englische Staatsbürgerschaft hatten, um diese Leute möglicherweise für den Militärdienst heranziehen zu können. Jehovas Zeugen in Indien kamen dieser Aufforderung des „Cäsars“ nach, und Bruder Skinner, der Zweigaufseher, sandte in einem Brief, in dem er die neutrale Stellung eines Christen deutlich erklärte, eine Namenliste ein (Matth. 22:21; Joh. 15:19; 17:14; 2. Tim. 2:3, 4).
Aufgrund dieser Erklärung wurden die Brüder, die für diesen National Service Act in Frage kamen, zwar vom Militärdienst befreit, doch versuchte die britische Regierung, unsere männlichen Pioniere für einen nationalen Dienst heranzuziehen. Sie wurden gefragt, ob sie etwas dagegen einzuwenden hätten, auf dem Postamt zu arbeiten. Bruder Skinner antwortete darauf sinngemäß, daß wir gegen die Arbeit auf dem Postamt an sich nichts einzuwenden hätten, doch unsere christliche Tätigkeit bestehe darin, den Menschen Gottes Königreich zu verkündigen, und wir würden Einspruch dagegen erheben, daß man uns aus dieser Tätigkeit herausreiße. Die weltlichen Behörden gestatteten daher den Pionieren, den ihnen von Gott aufgetragenen Dienst der Verkündigung der guten Botschaft ungehindert fortzusetzen.
DEM EINFLUSS DER FALSCHEN RELIGION ENTGEGENGETRETEN
Der schlechte Einfluß der falschen Religion zeigte sich durch Vorfälle, die sich 1940 ereigneten. In einer kleinen Stadt versuchten eine Anzahl Katholiken, ‘durch Verordnung Unheil zu schmieden’, indem sie die Behörden soweit bringen wollten, den Gebrauch unseres Grammophons zu verbieten (Ps. 94:20). 150 Personen, darunter drei katholische Priester, unterzeichneten eine Petition, die sie an die Stadtverwaltung sandten und in der sie sich über eine angebliche Beschimpfung ihrer Kirche beklagten. Der Friedensrichter untersuchte die Angelegenheit und warnte die 150 Unterzeichner davor, Jehovas Zeugen etwas in den Weg zu legen, und erlaubte uns, unsere Tätigkeit fortzusetzen.
Zu einer weiteren Auseinandersetzung kam es im selben Jahr in einer anderen Stadt. Zwei indische Pioniere wurden von einem Pastor angegriffen, als sie Literatur unter „seiner“ Herde verbreiteten. Die Pioniere ließen sogleich Flugblätter drucken, durch die auf diesen unchristlichen „Kampf“ aufmerksam gemacht wurde, und verbreiteten sie in der ganzen Stadt. Man rief in aller Eile einen Lautsprecherwagen herbei und spielte einige biblische Vorträge ab. Eine Gruppe indischer „Christen“ erkannte daraufhin den Unterschied zwischen der Christenheit und dem Christentum und nahm die Verkündigung der Königreichsbotschaft auf.
MIT DEM BOOT IN ABGELEGENE GEBIETE
In die entlegenen Gebiete an den Oberläufen der von Bäumen gesäumten Flüsse Trawankurs wurde die gute Botschaft mit Hilfe eines Bootes getragen. Eine Gruppe Malayalam sprechender Pioniere mietete sich ein Ruderboot. Auf ihren Reisen in abgelegene Dörfer an den Oberläufen konnten die Brüder öffentliche Vorträge halten und an über tausend Menschen Literatur abgeben. In 16 Dörfern, die auf dem Landwege nicht zu erreichen waren, wurden 600 Bücher und Broschüren verbreitet. Auf diese Weise konnte in dem Land der unzähligen Reisfelder und schlanken Palmen ein wirkungsvolles Zeugnis von Gottes Königreich gegeben werden.
VERMEHRTE ANSTRENGUNGEN IN TRAWANKUR
Das Werk in Trawankur erreichte im Jahre 1941 einen Höhepunkt, als Der Wachtturm in Malayalam zum erstenmal auf der eigenen Presse der Gesellschaft gedruckt wurde. Du erinnerst dich vielleicht, daß das australische Zweigbüro der Gesellschaft im Jahre 1938 eine kleine Druckpresse nach Indien gesandt hatte. Der Pionier Claude Goodman erhielt den Auftrag, das Drucken des Wachtturms für die Malayalam sprechenden Brüder zu beaufsichtigen.
„Ich verstand nichts vom Drucken, und noch weniger verstand ich Malayalam, die Sprache, in der Der Wachtturm gedruckt werden sollte, gab Bruder Goodman zu. „Das erste Problem überwand ich, indem einschlägige Bücher las; das zweite dadurch, daß ich Bruder K. M. Varughese durch Zeichensprache erklärte, was ich in den Büchern gelesen hatte. Nach einigen Monaten druckten wir unsere eigenen Zeitschriften in Malayalam ebenso gut oder noch besser, als es die Druckerei vor uns getan hatte.“ Zweifellos war die Inbetriebnahme der Druckpresse für das Königreichswerk in Südindien ein entscheidender Schritt.
Die Umstände zwangen uns nun, unsere Tätigkeit mit den Lautsprecherwagen einzustellen. Die Restriktionen während des Krieges hatten zu einer empfindlichen Benzinknappheit geführt, und die Rationierung hinderte uns daran, größere Strecken zu reisen. Außerdem ging die finanzielle Unterstützung, die das Zweigbüro der Gesellschaft in Indien von ausländischen Zweigen erhielt, merklich zurück. So betrachtete man es als den Willen Jehovas, daß die Wohnautos verkauft wurden und das Geld anderen Zweigen des Königreichswerkes zugute kam. Diese Fahrzeuge hatten uns einen großen Dienst geleistet. Mit ihrer Hilfe konnte die Verkündigung des Königreiches Gottes in alle Teile Indiens ausgedehnt werden.
DIE VERKÜNDIGUNG DER GUTEN BOTSCHAFT UNTER VERBOT
Im Frühjahr 1941 predigte Bruder Underwood als Pionier in Patna, der Hauptstadt des Staates Bihar, von Haus zu Haus. Plötzlich tauchte die Polizei auf und verhaftete ihn. Man nahm ihn mit zur Polizeiwache. Dort beschlagnahmte man alle Literatur, die er in seiner Tasche hatte. Daraufhin wurden die Veröffentlichungen, die Underwood besaß, von der Regierung offiziell verboten. Was in Bihar geschah, ereignete sich automatisch in jedem Staat Indiens. So gab die Regierung die Verordnung Nr. 21-C vom 14. Juni 1941 heraus, aufgrund deren alle Veröffentlichungen der Gesellschaft beschlagnahmt wurden.
Das Zweigbüro der Watch Tower Society in Bombay wurde geräumt und die gesamte Literatur wurde konfisziert. Aber Jehovas Hand war nicht zu kurz. Da keine größeren Mengen Literatur mehr gelagert werden mußten und keine finanzielle Unterstützung aus dem Hauptbüro in Brooklyn mehr eintraf, wurde das indische Zweigbüro in kleinere und billigere Räume im Bezirk Colaba verlegt. Der Wachtturm war nun zwar verboten, doch fiel während der ganzen Zeit keine einzige Ausgabe aus. Jehova sorgte dafür, daß die Brüder geistige Speise erhielten. Häufig hatten Handelsschiffe, die im Hafen von Bombay anlegten, Seeleute an Bord, die Zeugen Jehovas waren, und diese brachten regelmäßig die neueste Ausgabe des Wachtturms ins Zweigbüro.
Dann stellte man furchtlos, aber im geheimen Matrizen her und machte auf einer Vervielfältigungsmaschine Abzüge, die an die Brüder in ganz Indien verteilt wurden. In späteren Jahren wurden auch von den Büchern „Die Wahrheit wird euch frei machen“ und „Das Königreich ist herbeigekommen“ sowie von einigen Broschüren Vervielfältigungen hergestellt, die gebunden und an die Brüder verteilt wurden. So stand während der gesamten Verbotszeit dank der liebenden Güte Jehovas Material zum Bibelstudium zur Verfügung.
Im Predigtdienst wurden den Brüdern durch Regierungsbeamte, die von der Kriegshysterie erfaßt waren, immer wieder Schwierigkeiten bereitet. In Kottayam kreuzte eines Tages vor dem Lager der Gesellschaft ein Polizeiwagen auf. Man beschlagnahmte die kleine Druckpresse. Sie wurde während des Zweiten Weltkrieges von der Polizei verwahrt. In Kalkutta sperrte die Polizei unsere Pioniere ein und nahm ihnen alle ihre Schriften weg.
Wir stellten einen Antrag auf Gottesdienstfreiheit beim englischen Vizekönig, Lord Linlithgow, der aber für die Bitten des Volkes Jehovas nur taube Ohren hatte. Die Brüder waren jedoch entschlossen, ‘die Schlacht ans Tor zurückzudrängen’. Sie versandten die Broschüre Gott und der Staat an alle gesetzgebenden Körperschaften und an viele sogenannt christliche Bildungsstätten, während alle Geistlichen, die ausfindig gemacht werden konnten, die Broschüre Gottesherrschaft erhielten.
Im Januar 1942 starb unser geliebter, treuer Bruder Joseph F. Rutherford. Nathan H. Knorr, der neue Präsident der Watch Tower Society, wandte sich unverzüglich mit liebevollen Briefen an alle Zweige und stellte die Verbindung mit ihnen her. Es war beruhigend, inmitten der Kriegswirren diesen engen Kontakt mit dem Hauptbüro zu haben.
Bald wurde ein neuer Heimbibelstudienfeldzug durchgeführt, wobei jeder Königreichsverkündiger sein eigenes Gebiet systematisch bearbeitete, interessierte Personen notierte und bei ihnen wieder vorsprach, um, wenn möglich, ein regelmäßiges Bibelstudium durchzuführen. Außerdem wurden alle englisch sprechenden Vollzeitdiener in Indien eingeladen, Sonderpioniere zu werden und monatlich 175 Stunden im Predigtdienst zu verbringen.
In Lahore diente Jacob Forhan, ein Perser, mit seinem englischen Partner, Clarence Taylor, als Sonderpionier. Im März 1942 wurden beide plötzlich verhaftet und ohne Anklage in Gewahrsam gehalten. Taylor wurde wieder freigelassen, aber Forhan blieb drei Monate in Haft. Durch wiederholte Gesuche und persönliche Vorsprachen bemühte man sich, von den staatlichen Behörden herauszubekommen, wegen welches Vergehens man Bruder Forhan eingesperrt hatte. Es bestand starker Verdacht, daß ein Geistlicher der Kirche von England namens Johnson der Polizei böswillig einen falschen Bericht über diesen Pionier zugestellt hatte. Als man Johnson direkt die Frage stellte, ob das zutreffe, leugnete er es. Bruder Forhan erfuhr nicht, welches Vergehens er beschuldigt wurde, doch er setzte nach seiner Entlassung seine Predigttätigkeit im selben Gebiet mutig fort.
Schwester Kate Mergler, ein weiterer Sonderpionier, hatte ebenfalls Schwierigkeiten. In dem hübschen Gebirgsort Kotagiri in den Nilgiri-Bergen (Südindien) wurde sie im Juli aufgefordert, den Distrikt innerhalb einer Woche zu verlassen. Diese Aufforderung erging durch den Gouverneur der Provinz Madras, einen Katholiken. Als Grund wurde angegeben, daß ihre Anwesenheit in Kotagiri als „schädlich für die wirksame Durchführung des Krieges“ betrachtet wurde. Unsere junge Schwester entschloß sich, ‘Gott mehr zu gehorchen als Menschen’, und setzte das von Gott gebotene Predigtwerk fort (Apg. 5:29). Sie wurde verhaftet und zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt, die sie im Frauengefängnis in Vellore (Provinz Madras) verbringen sollte. Doch auf ein Gesuch hin wurde Schwester Mergler nach ungefähr sechs Monaten Haft wieder freigelassen.
Eine Zeitlang mußten sich der Zweigaufseher und seine Mitarbeiter im Büro in Bombay den entsetzlichen Lärm anhören, der jedesmal dann entstand, wenn Kriegsmaterial nachts durch die Straßen transportiert wurde. Das Büro lag nämlich an der Straße, die zum Militärgelände in Bombay führte, wo außer englischen Panzern und Kanonen noch anderes schweres Kriegsmaterial gelagert wurde. Es war immer ein ungeheures Getöse. Deshalb wurde mit Einwilligung der Gesellschaft das Zweigbüro erneut verlegt, diesmal in die Love Lane 167. Diese größeren und wirtschaftlich günstigeren Räumlichkeiten in Byculla, einem ruhigeren Stadtbezirk, dienten während der folgenden achtzehn Jahre als Mittelpunkt unserer christlichen Tätigkeit in Indien bis die Gesellschaft im Jahre 1960 in Santa Cruz, einem 21 km nördlich von Bombay gelegenen Vorort, ein eigenes Gebäude erwarb.
Da die Druckpresse der Gesellschaft beschlagnahmt worden war und weltliche Druckereien sich davor scheuten, für uns zu arbeiten konnten die Malayalam sprechenden Brüder in Südindien keine Literatur für den Predigtdienst erhalten. Dennoch predigten sie weiter, wenn auch nur mit der Bibel. Eine kleinere Menge englischer Literatur konnte allerdings ins Land gebracht werden. Der Widerstand seitens der katholischen Kirche nahm zu. Einmal sprengte eine Meute von Katholiken eine öffentliche Zusammenkunft, indem sie den Redner mit Kuhmist bewarfen. Am nächsten Tag besuchten unsere mutigen Bruder in demselben Dorf jedes Haus und verkündigten den Leuten die Botschaft des Lebens.
Obgleich die Regierung unsere Literatur verboten hatte, versuchten wir immer wieder, etwas drucken zu lassen. Im Jahre 1942 traf ein Muster der Broschüre Hoffnung aus Brooklyn ein. Da diese Broschüre offensichtlich außerhalb des Anwendungsbereiches irgendwelcher Verteidigungsgesetze Indiens lag, erbat das Zweigbüro von der Regierung die Garantie, daß sie die Broschüre nicht beschlagnahmen lasse, wenn sie gedruckt werde. Nach einer erheblichen Verzögerung war die Zentralregierung damit einverstanden, bei dieser Broschüre eine Ausnahme zu machen, wobei sie allerdings darauf hinwies, daß Provinzregierungen dadurch nicht davon abgehalten würden, ein Verbot auszusprechen, wenn sie dies für notwendig hielten. Die Broschüre Hoffnung wurde von der Uniform Printing Press in Bombay gedruckt. Jede Broschüre trug auf der Rückseite den Vermerk: „Gemäß amtlicher Genehmigung der indischen Regierung unterliegt diese Broschüre nicht der Wirksamkeit der Regierungsmitteilung Nr. 21-C vom 14 Juni 1941.“
Zu den bedeutenden Kongressen des Volkes Gottes in jener Zeit zählte eine dreitägige Zusammenkunft, die im Januar 1943 in Bombay stattfand. Es war der größte englischsprachige Kongreß, der bis dahin in Indien veranstaltet worden war. 77 Verkündiger waren anwesend, darunter 2 aus Ceylon.
ERNSTHAFTE BEMÜHUNGEN BELOHNT
Mehrere birmanische Brüder und Schwestern waren vor der japanischen Besetzung Birmas geflohen und hatten sich in Neu-Delhi, der Hauptstadt Indiens, niedergelassen. So wurde in dieser Stadt, die mit ihren breiten Boulevards Schauplatz von Feierlichkeiten des Imperiums war, eine kleine Versammlung von Zeugen Jehovas gegründet. Ein Verwandter von Schwester Phyllis Tsatos arbeitete im britischen Militärhauptquartier in Delhi. Eines Tages stellte er ihr drei englische Soldaten vor, mit denen Bibelstudien begonnen wurden. Einer dieser Soldaten war Peter Palliser, der Zeuge Jehovas wurde, in England einige Zeit als Kreisaufseher diente und später die Aufsicht im Zweigbüro der Gesellschaft in Kenia hatte. Der älteste der drei Soldaten war in England verheiratet. Seine Frau war eine Zeugin und schickte ihm regelmäßig den Wachtturm. Die Brüder in Delhi waren in der Lage, jede Ausgabe an das Büro in Bombay zu senden, wo sie für die Verbreitung in Indien vervielfältigt wurde.
Viele Kilometer südöstlich, in Puna, wirkten die beiden Pionierschwestern Maude Mulgrove und Edith Newland eifrig und beharrlich in ihrem Gebiet. Ziemlich unerwartet befahl ihnen ein Richter des Distrikts, Puna zu verlassen. Man machte bei der Regierung in Bombay zwar eine Eingabe, doch die Anordnung wurde aufrechterhalten. Die beiden Schwestern traten an einem anderen Ort in derselben Provinz eine Zuteilung an, aber das willkürliche Vorgehen, das zu ihrer Abreise führte, wurde öffentlich bekannt. Fred Hurst, ein Baptistenprediger, las darüber in der Zeitung und bemühte sich daraufhin um Literatur der Watch Tower Society. Er suchte alle Buchläden ab, bis er schließlich ein Buch, betitelt Rechtfertigung, fand. Diesem Buch entnahm er die Adresse der Gesellschaft in Indien. Auf einen Brief hin, den er an das Büro in Bombay geschrieben hatte, besuchte Edwin Skinner ihn persönlich. Hurst erkannte sofort, daß die Lehre von der „Dreieinigkeit“ unbiblisch ist, und interessierte sich für die Wahrheit. Seine Frau war eine hartnäckige Gegnerin, doch er war von Herzen aufrichtig. Nach sorgfältiger Erwägung trat er aus der Baptistenkirche aus, ging nach Australien, um für seinen Lebensunterhalt zu sorgen und wurde ein sehr eifriger Zeuge Jehovas.
Die ernsthaften Bemühungen in Trawankur wurden fortgesetzt, und unser Werk machte stetig Fortschritte. Es wurde hauptsächlich unter den eingeborenen Indern in der Landessprache durchgeführt. Die Brüder dort waren in bezug auf weltliche Güter größtenteils arm und hatten einen durchschnittlichen Tageslohn von acht Anna. 1943 war das ein Wert von nur ungefähr zwei amerikanischen Cent. Ihre Behausungen waren Hütten aus getrockneten Palmblättern oder Häuser aus Laterit (rostbraune Erde, die hart wird, wenn man sie trocknet). Wegen der schwierigen Verhältnisse waren die Menschen so sehr damit beschäftigt für ihren Lebensunterhalt zu sorgen, daß sie wenig Zeit für unsere Botschaft hatten. Einige wurden durch die Verhältnisse allerdings veranlaßt, nach dem einzigen Heilmittel, dem Königreich Gottes, Ausschau zu halten.
Die Sonderpioniere leisteten einen beachtenswerten Dienst. Sie waren im ganzen Land verstreut — der eine hier, der andere dort. Zu ihnen gehörten treue Kämpfer wie George Wright, Clarence Taylor, Randall Hopley, Gerald Garrard und Jacob Forhan. Die große Masse der Bevölkerung, die sich nicht zum Christentum bekannte, war für die Bibel nicht zugänglich. Es gab daher nur vereinzelte Gebiete, die die Brüder wirklich bearbeiten konnten. Sie hatten nie ganze Häuserblocks, in denen sie mehrere Bibelstudien durchführten. Es bedurfte einer Menge Zeit und Kraft, Personen ausfindig zu machen, die vielleicht Interesse zeigten oder die geistig in der Lage waren, die Botschaft der Bibel zu verstehen. In einem solchen Gebiet bei einer Temperatur von 27 bis 46 Grad Celsius 175 Stunden monatlich im Predigtdienst zu verbringen erforderte sowohl körperliche als auch geistige Widerstandsfähigkeit. Aber durch Jehovas unverdiente Güte leisteten diese treuen Diener gute Arbeit, und sie konnten einige Ergebnisse ihres jahrelangen Dienstes sehen, denn 1943 gab es in Indien 37 Versammlungen mit insgesamt 20 Pionieren und 381 Verkündigern.
DAS WERK GEHT TROTZ VERBOT WEITER
Die Brüder waren finanziell in einer schwierigen Lage, da sie vom Hauptbüro der Gesellschaft in Brooklyn (New York) abgeschnitten waren. Doch wiederum war Jehovas Hand nicht zu kurz (Jes. 59:1). Von verschiedenen Seiten trafen Spenden ein, so daß das Werk fortgesetzt werden konnte.
In Delhi gingen 13 Geistliche von 6 verschiedenen Glaubensrichtungen zu einem vereinten Angriff auf Jehovas Zeugen über. Sie veröffentlichten ein verleumderisches Flugblatt mit dem Titel Eine Warnung an alle Christen in Delhi. Darin wurde unter anderem fälschlicherweise behauptet, Jehovas Zeugen seien aus politischen Gründen verboten worden. Bruder Basil Tsatos antwortete darauf, indem er ein Traktat mit der gleichen Aufmachung und demselben Titel herausgab, das jedoch wörtliche Zitate aus der Bibel enthielt. Obwohl dieses Traktat nicht von der Gesellschaft stammte, wurde sowohl der Drucker als auch Basil Tsatos verklagt.
Diese Probleme konnten die Glieder des Volkes Jehovas jedoch nicht davon abbringen, ihr überaus wichtiges Werk fortzusetzen, das darin bestand, Gottes Königreich zu predigen und christliche Jünger zu machen. Im Januar 1944 fand z. B. ein Kongreß in Bombay statt, diesmal in Bandra, einem äußerst katholischen Gebiet. Im Jahre 1944 wurde in Indien auch die Vorkehrung der „Diener für die Brüder“ (Kreisaufseher) wiedereingeführt. Einer der Sonderpioniere, Ronald Tippin, wurde geschult, um diese Tätigkeit unter den englisch sprechenden Verkündigern durchzuführen. Er besuchte die Versammlungen in Delhi, Kalkutta, Bombay, Bangalore und vier weiteren Orten. A. J. Joseph, der Lagerdiener in Kottayam (Trawankur), nahm diese Tätigkeit unter den 28 Versammlungen auf, die seine Muttersprache sprachen.
Die Brüder in Trawankur gut zu organisieren ging äußerst langsam vor sich. Nicht jeder von ihnen besaß eine Uhr. Es war daher ein Problem, die Zusammenkünfte pünktlich zu beginnen und abzuschließen. Manchmal war die Stellung der Sonne am Himmel oder ein bestimmtes Gefühl in der Magengegend der einzige Anhaltspunkt dafür, wie spät es war. Die Brüder waren so sehr ins Studium vertieft, daß es völlig unmöglich schien, die Studien auf eine Stunde zu beschränken. Diese treuen Brüder in Trawankur mußten den ganzen Stoff für das Wachtturm-Studium mit der Hand abschreiben. Doch sie waren mit den wöchentlichen Studien auf dem laufenden.
DIE AUFHEBUNG DES VERBOTS
Verschiedene Umstände führten schließlich dazu, daß das Verbot der Literatur der Gesellschaft in Indien aufgehoben wurde. Margrit Hoffman, eine junge Schweizerin, die bei einem bekannten Offizier der britischen Armee in Indien als Kindermädchen diente, erhielt Veröffentlichungen der Gesellschaft und korrespondierte einige Zeit mit dem Zweigbüro in Bombay. Nachdem ihr Vertrag abgelaufen war, ließ sie sich taufen und nahm später den Pionierdienst auf. Als Pionier sprach Schwester Hoffman in Neu-Delhi im Haus eines Parlamentsabgeordneten aus Madras vor. Dieser Politiker hörte ihr zu, während sie den Charakter unseres Werkes erklärte. Sie kam auch auf das von der Regierung erlassene Verbot unseres Werkes zu sprechen und erwähnte, daß es von der Geistlichkeit angeregt worden sei. Dieser freundliche Politiker sicherte ihr zu, die Angelegenheit im Parlament zur Sprache zu bringen.
Unterdessen war Basil Tsatos als Physiotherapeut tätig. Er behandelte Sir Srivastava, den Ernährungsminister im Kabinett des Vizekönigs. Während der Behandlung gab Tsatos ihm Zeugnis. Er sprach über das Verbot und erwähnte, wie die Geistlichkeit zu unserem Werk eingestellt war. Er sagte auch, daß Herr Skinner, der Leiter unseres Zweigbüros in Bombay, erfolglos versucht habe, die Angelegenheit mit Herrn Jenkins, dem Home Member, zu erörtern. Zur Freude des Bruders antwortete Sir Srivastava darauf: „Gut, seien Sie unbesorgt. Herr Jenkins geht in einigen Tagen in Pension. Seinen Platz im Kabinett des Vizekönigs wird ein sehr guter Freund von mir einnehmen. Sobald das geschehen ist, sagen Sie bitte Herrn Skinner, er solle kommen, und ich werde ihn Sir Francis Mudie vorstellen.“
Bruder Skinner fuhr schließlich nach Delhi und sprach mit Sir Francis Mudie, dem neuernannten Home Member der Zentralregierung. Daraufhin wurden alle Mitglieder der zentralen gesetzgebenden Körperschaft gebeten, uns dadurch zu helfen, daß sie vor der gesetzgebenden Versammlung offizielle Fragen darüber aufwarfen, weshalb das Verbot erlassen worden sei. Zwei nichtchristliche Abgeordnete nahmen unseren Fall auf. Sie wurden über alle Einzelheiten unterrichtet und legten 13 Fragen vor. Es wurde ein Datum festgesetzt, an dem diese Fragen im Parlament vorgebracht werden sollten. Bruder Skinner, Margrit Hoffman und Basil Tsatos hielten sich an dem Tag, da die Fragen behandelt wurden, auf der Besuchergalerie auf.
Der kritische Augenblick kam, als die Frage gestellt wurde: „Stimmt es, daß die indische Regierung die Veröffentlichungen der Watchtower Bible and Tract Society verboten hat, und wenn ja, aus welchen Gründen?“ Man stelle sich die Freude und Begeisterung unserer Brüder vor, als sie Sir Francis Mudie darauf antworten hörten: „Das Verbot wurde als Vorsichtsmaßnahme erlassen, doch die Regierung hat nun entschieden, das Verbot rückgängig zu machen.“ Diese Erklärung wurde am 21. November 1944 abgegeben. 18 Tage später, am 9. Dezember, wurde das Verbot offiziell aufgehoben. Nun konnten wir die Veröffentlichungen der Gesellschaft wieder einführen oder drucken und sie in ganz Indien verbreiten, ohne befürchten zu müssen, daß sich die Behörden einmischten.
Für die letzte Woche des Jahres 1944 war ein Kongreß in Jubbulpore (Jabalpur) vorgesehen, einer bedeutenden Garnisons- und Eisenbahnstadt (990 km nordöstlich von Bombay). Als Zentrum der Missionare der Christenheit in den Zentralprovinzen (Madhya Pradesh) war es der geeignete Ort, um die Christenheit wissen zu lassen, daß Jehovas Zeugen nicht mehr vom Staat verboten waren. Zum erstenmal nach dreieinhalb Jahren verbreiteten wir öffentlich Literatur auf der Straße und in den Häusern, ohne eine Einmischung der Behörden befürchten zu müssen.
AUSDEHNUNG TROTZ WIDERSTAND IN BOMBAY
Das Verbot hatte natürlich die Ausdehnung in Bombay nicht aufgehalten. Bruder Kaunds erhielt die Adresse von Benjamin Soans. Wie Arthur Kaunds, so stammte auch Benjamin Soans aus dem Gebiet von Südkanara an der Südwestküste von Indien, und beide sprachen Kanaresisch. Soans kannte die Bibel. Er schrieb zwar für eine kanaresische Zeitung, arbeitete jedoch mit ungefähr 20 anderen, die derselben Glaubensgemeinde, nämlich der protestantischen Basler Mission, angehörten, in der Telefonwerkstätte in Bombay.
Schon nach kurzer Zeit sprach Soans mit seinen Arbeitskollegen über die Botschaft, und bald nahmen einige an dem Bibelstudium in seiner Wohnung teil. Nach einem Monat führte Benjamin Soans mit mehreren Freunden bereits selbst ein Bibelstudium durch, und nach neun Monaten — Anfang 1946 — wurde er getauft. Er erhielt sogleich den Auftrag, die von Schwester Rose Robello begonnene kanaresische Übersetzung des Buches „Die Wahrheit wird euch frei machen“ zu Ende zu führen. Danach war Bruder Soans der Übersetzer der kanaresischen Ausgabe des Wachtturms, bis er im Dezember 1966 starb. Seine Tochter, Joanna Soans, wurde die Nachfolgerin ihres Vaters als Übersetzerin der Gesellschaft für den Wachtturm in Kanaresisch.
An einem Abend verrichteten viele Verkündiger der Versammlung Bombay in Flora Fountain Straßendienst, als eine Menge aufsässiger katholischer Jugendlicher auftauchte und Traktate verkaufte, in denen für ihre Gottesdienste geworben wurde. Wenn jemand stehenblieb, um sich mit einem Zeugen zu unterhalten oder eine Zeitschrift zu nehmen, hielt ein katholischer Jugendlicher unverschämt seine Broschüre der Person unter die Nase und versuchte, den Zeugen zu behindern.
Von Woche zu Woche änderten diese Anhänger der katholischen Aktion ihre Taktik. Bei einer späteren Gelegenheit stellten sich mehrere katholische Rowdys um einen einzigen Zeugen auf und versuchten, die Aufmerksamkeit von ihm abzulenken. Die Zeugen wurden durch solche Methoden nicht eingeschüchtert, sondern ermutigt. Die Brüder reagierten darauf mit dem Ausrufen von Schlagworten wie „Weshalb der Papst die Freiheit bekämpft!“ Die Passanten lächelten zwar darüber, doch den Gegnern bereitete es Unbehagen. Sie verschwanden daher und überließen den Zeugen das Feld.
UNRUHEN NACH DEM KRIEG
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945 verschlechterten sich die Verhältnisse in Indien zusehends. Im ganzen Land kam es zu Unruhen. Viele Menschen wurden arbeitslos. Politiker, die aus der Haft entlassen worden waren, nahmen ihren Kampf für die nationale Unabhängigkeit wieder auf. Es hieß, England habe den Vorschlag gemacht, dem Volk die Selbstverwaltung zu geben. Der Verfall der öffentlichen Ordnung schritt derart schnell voran, daß beinahe Anarchie herrschte. Religiöse Gruppen wetteiferten miteinander um die Macht, ja kämpften um ihre Weiterexistenz. Schließlich kam es in Kalkutta und Bombay zu heftigen Zusammenstößen. Indiens Kriegsmarine und die Luftwaffe meuterten. Post- und Telegrafenarbeiterstreiks legten das Fernmelde- und Nachrichtenwesen lahm. Hunger und Tod wüteten im Land und bedrohten das Leben von Hunderttausenden. Das war die Situation im Jahre 1945.
Lassen wir Bruder Garrard erzählen, was sich damals unter anderem ereignete: „Während der Aufstände gegen die Weißen war es nichts Angenehmes, wenn man dem Pöbel in die Hände fiel Wir blickten aber stets zu Jehova auf. Ich erinnere mich noch, als zum erstenmal eine Menge von ungefähr 50 Leuten drohte, mich umzubringen; sie wußten aber nicht, wie sie es anfangen sollten. Schließlich ließen sie mich laufen, weil ich ein Prediger war. Ein andermal sahen sich drei von uns von einer Pöbelrotte umzingelt. Bevor die Sache losgeht, hat man ein komisches Gefühl im Magen, doch wenn es einmal begonnen hat, ist man völlig ruhig. Jehovas Geist scheint die Furcht aufzuheben. Man vertraut ganz einfach auf Gott. Man kann nichts weiter tun und ist erstaunt, wie gut alles ausgeht.“
Das ganze Land schien vor Unzufriedenheit zu kochen. Aber mitten in diesem aufgewühlten Menschenmeer blieb eine zahlenmäßig unbedeutende Gruppe gelassen und standhaft. Unbeeinflußt von den Verhältnissen und unerschütterlich in ihrer Entschlossenheit, Gott zu dienen und sein Königreich zu verkündigen, luden Jehovas Zeugen die Nationen ein, mit Gottes Volk fröhlich zu sein (5. Mose 32:43).
GEISTIG LEBENDIG INMITTEN VON UNRUHEN
Um die junge Versammlung in Kalkutta zu ermuntern hielt die Gesellschaft im Jahre 1946 dort einen Kongreß ab. Man glaubte, der Vortrag „Der Fürst des Friedens“ sei lindernder Balsam auf die gräßlichen Wunden, die kurze Zeit zuvor in Kalkutta durch ein schreckliches Blutbad entstanden waren. Die Moslemliga hatte den 16. August zum „Tag der direkten Aktion“ erklärt. An jenem Tag wurden sehr viele Hindus in Kalkutta ermordet. Ihr Besitz wurde geplündert und zerstört. Die Stadt war Schauplatz eines der brutalsten Bürgeraufstände.
Seit 1940 war die Moslemliga für einen selbständigen Moslemstaat — Pakistan — eingetreten. M. A. Dschinnan, ein bekannter Jurist, schlug dafür Nordwestindien vor, da dies vorwiegend moslemisch war. In der Provinz Sind und im Pandschab wurde der Haß zwischen Hindus und Moslems bis zum Siedepunkt geschürt. Unter diesen Verhältnissen versuchten einige Pioniere in Karatschi, Rawalpindi und Lahore, das Königreichswerk aufrechtzuerhalten, doch die furchterregenden Verhältnisse machten die Massen taub für die Botschaft. Selbst viele indische Verkündiger beteiligten sich nicht mehr am Predigtfeldzug der Gesellschaft. Anscheinend waren sie ursprünglich mit dem Hintergedanken Zeugen geworden, finanziell unterstützt zu werden. So ging die Tätigkeit in dem Gebiet, das der Staat Pakistan werden sollte, stark zurück.
VERSUCH DAS DENKEN DER HINDUS ZU ERGRÜNDEN
Der Königreichsverkündiger sieht sich in einem Gebiet in Indien gewöhnlich zuallererst der Schwierigkeit gegenüber, für eine Unterhaltung mit den Menschen eine gemeinsame Grundlage zu finden. Für einen akademisch gebildeten Hindu kann etwas sowohl wahr als auch nicht wahr sein. Wenn du glaubst, daß Feuer brennt, dann ist das für dich Wahrheit, und wenn der Hindu denkt, daß Feuer nicht brennt, dann ist das für ihn Wahrheit. Er wird zustimmen, daß dein sorgfältiges, logisches Argument die Wahrheit ist, und im nächsten Moment wird er genau das Gegenteil denken. Für ihn ist beides wahr.
Der Hindu zollt der Bibel vielleicht äußerlich Respekt, doch in Wirklichkeit mißt er der Heiligen Schrift als Ganzem keine Bedeutung bei. Für ihn gibt es nicht so etwas wie Wahrheit und Irrtum. Alles ist Wahrheit, und alles ist Irrtum. Es gibt nicht so etwas wie Böses und Gutes. Das Böse ist gut, und das Gute ist bös. Es gibt keinen Gott, und es gibt keinen Satan. Wir sind Gott, und wir sind Satan. Alles ist Gott. Denkst du vielleicht, der Stuhl, auf dem du sitzt, lebe nicht? Das kommt nur daher, daß du seine höheren Denkwellen nicht wahrnehmen oder mit seiner Intelligenz nicht in Verbindung treten kannst, die, wie der Hindu sagt, höher ist als die deine. Für den Hindu ist der Stuhl auch Gott.
EIN SEHR NÜTZLICHER BESUCH
Das ist die Eigenart eines Gebiets, in dem eine Handvoll Pioniere viele Jahre lang gekämpft hatte und in dem nun Missionare von der Gileadschule dienen sollten. Als 1947 die ersten Gileadabsolventen eintrafen, stattete zur gleichen Zeit auch Bruder N. H. Knorr Indien einen Besuch ab. Es war der erste Besuch eines Präsidenten der Watch Tower Bible and Tract Society seitdem Pastor Russell im Jahre 1912 hiergewesen war.
Am Montag, dem 14. April 1947, reiste Bruder Knorr in Begleitung von Bruder M. G. Henschel von Rangun (Birma) mit einem Luftkissenboot ab. Sie legten auf dem Hooghly River in der Nähe von Kalkutta an. Am Ufer wurden sie von den Brüdern empfangen. Die Lage war noch nicht allzu ruhig. Hindus und Moslems waren in Kampfstimmung und in einigen Stadtteilen bestand Ausgehverbot. Während Bruder Knorr und Bruder Henschel in einem schäbigen Bus durch Kalkutta fuhren, sammelten sie folgende Eindrücke:
„Die Kleidung der Menschen fesselte uns zuerst ... Die meisten Männer dort trugen dhotis, die nichts weiter zu sein schienen als ein paar Meter Baumwollstoff, der um die Lenden geschlungen und in Taillenhöhe befestigt wurde. Viele trugen bunte pugris auf dem Kopf. Das sind turbanähnliche Gebilde, an denen man erkennt, zu welchem Volk jemand gehört. In anderen Gebieten sah man mehr den Fes. Es war interessant, die gutgekleideten Hindus zu sehen. Sie trugen Hemden, wie man sie in der westlichen Welt kennt, nur über der Hose. Die Frauen trugen ihre hellen saris und ganze Reihen silberner oder goldener Arm- und Fußreifen. Einige Frauen trugen Ohr- und Nasenringe, andere hatten Schmucksteine an den Nasenflügeln. ...
Dann sahen wir zum erstenmal eine Kuh auf einem Bürgersteig dahintrotten. Sie schien das Wegerecht zu haben, und alle Leute ließen ihr völlige Freiheit. Schließlich sahen wir noch mehr Kühe und heilige Stiere, was für uns etwas ganz Neues bedeutete. Wir waren es gewohnt, Kühe auf der Weide, im Hof oder im Stall zu sehen, aber daß man sie auf den Hauptstraßen einer 4-Millionen-Stadt umherlaufen läßt, wo sie bei einem Laden an der Straße Gemüse fressen können und, wenn sie vertrieben werden, nur zu einem anderen Laden zu gehen brauchen oder auf dem Bürgersteig etwas fressen können, was jemand weggeworfen hat — all das war so ganz anders als das, was wir von anderen Ländern kannten, die wir besucht hatten. Das also waren ,heilige‘ Tiere. ...
Bald kamen wir im Königreichssaal an, und die Zusammenkunft fand in Anwesenheit von 15 Brüdern statt. Das von der Polizei bekanntgegebene Ausgehverbot hatte einige ferngehalten. ... Wir konnten ... [den Brüdern] die lieben Grüße aus anderen Teilen der Welt übermitteln und ihnen auch Rat in geistigen Dingen erteilen. In dieser Metropole ist die Luft im allgemeinen schwül, heiß und muffig. Am Abend [des nächsten Tages] jedoch wehte eine erfrischende Brise nicht zu kühl, sondern angenehm für die hundert Versammelten, die Bruder Knorr sprechen hörten. ... Dies war auch die letzte Zusammenkunft, die wir mit den Brüdern in Kalkutta hatten, und es hieß Abschied nehmen.“
In Bombay gab es viel Arbeit im Zweigbüro. Der Bericht lautet weiter: „Während wir arbeiteten, erschollen den ganzen Tag die Rufe der Bettler und das unaufhörliche Tuten der Taxis und Autobusse. Auf den Straßen gibt es so viele Menschen, daß die Autofahrer einfach ständig hupen.“
Der Kongreß nahm einen guten Anfang in der Aula der Hochschule für Volkswirtschaft und Soziologie auf dem Gelände der Universität Bombay — ein herrlich gelegener Ort im Herzen der Stadt. Am Dienstag, dem 22. April, dem ersten Tag des Kongresses, waren 114 Personen anwesend, und 6 wurden getauft.
Das, was Bruder Knorr und Bruder Henschel beobachteten, als sie am zweiten Tag auf dem Weg zum Kongreß waren, ist ein Beispiel für den religiösen Aberglauben der Hindus. Sie berichteten: „Am nächsten Morgen begegneten wir auf unserem Weg zum Versammlungslokal einem Mann, der Wasser trug. Wir hörten, dies sei ,heiliges‘ Wasser aus einer nahen Quelle. Die Hindus betrachten die Quelle als heilig, und einige trinken von diesem Wasser regelmäßig. Man berichtete uns, daß vor einiger Zeit einer der ,Unberührbaren‘, der Wasser haben wollte, einen Eimer in den Brunnen hinabließ und Wasser für sich selbst heraufzog. Dies ,entweihte‘ die Quelle, und ein Volksauflauf entstand, doch dadurch wurde das Wasser nicht rein. Das einzige, was die Religionisten tun konnten, um das Wasser wieder ,heilig‘ zu machen, war folgendes: Sie mußten sieben Eimer Mist von heiligen Stieren nehmen und ins Wasser werfen. Danach konnten die Hindus dieses ,heilige‘ Wasser wieder trinken und es zu heiligen Zwecken gebrauchen. Man sagt auch, dieser Brunnen sei eine der Hauptursachen der Cholera in Bombay.“
An jenem Vormittag umriß Bruder Knorr das Werk in Indien und zeigte, was für die Zukunft geplant war. Die Brüder nahmen seine Ausführungen sehr gut auf und freuten sich über die Ankündigung, daß das Werk in Indien reorganisiert werde. Die 120 Anwesenden kamen aus Karatschi, Delhi, Madras, Trawankur, Kalkutta, Ceylon und vielen anderen Orten. Auffallend war ihre Entschlossenheit, die gute Botschaft vom Königreich zu verkündigen.
Den öffentlichen Vortrag „Freude für alles Volk“ hörten 504 Personen Die Ausführungen waren besonders für die Menschen im Orient vorgesehen. Der Abschied von diesem Kongreß fiel nicht leicht. Aber unsere Besucher verließen Indien, das Land, das von vielen Schwierigkeiten heimgesucht wurde.
EIN LAND IN FLAMMEN!
Am 20. Februar 1947 gab die britische Regierung ihre Absicht bekannt, bis Juni 1948 ihre Vertreter aus Indien zurückzuziehen, und beauftragte Lord Mountbatten als Vizekönig mit der Machtübergabe. Die Moslemliga reagierte darauf mit blutigen Aufständen. Morde, Plünderungen, Brandstiftungen und allgemeine Gewalttätigkeiten versetzten Ostbengalen, das Pandschab und die nordwestliche Grenzprovinz in Aufruhr. Das führte dazu, daß sich Indiens Kongreßpartei mit einer Teilung des Landes einverstanden erklärte, so daß der selbständige Staat Pakistan entstand.
Die grauenhaften Vorgänge nahmen am 15. August ihren Anfang, als das Land in das moslemische Pakistan und den Hindustaat Indien aufgeteilt wurde. Angestachelt von religiösem Fanatismus, von Furcht und Armut, fielen Hindus, Sikhs und Moslems mit allen möglichen Waffen, deren sie habhaft werden konnten, übereinander her — mit Messern, Äxten, Schwertern und mit Feuer. Karawanen in beispielloser Größe zogen in beide Richtungen. Millionen waren unterwegs: Moslems flohen von Indien nach Pakistan, und Sikhs und Hindus aus dem Pandschab begaben sich auf die Flucht nach Indien. Ein Korrespondent schrieb, daß eine bestimmte Karawane 116 km lang gewesen sei. In einem anderen Bericht ist von einem Flüchtlingsstrom von 400 000 Menschen die Rede — wirklich etwas Aufsehenerregendes! Der Weg dieser Flüchtlingszüge war in beiden Richtungen von Elend, Hunger und Tod gekennzeichnet. Es kam zu einer teuflischen Kettenreaktion von Vergeltungsmaßnahmen. Man verübte alle Arten von Grausamkeiten und schlachtete Menschen einfach hin. Unter diesen fürchterlichen Verhältnissen wirkte Bruder Cotterill auf der pakistanischen Seite der Grenzlinie und diente den Brüdern in Karatschi.
Cotterills nächste Zuteilung war ein Kreiskongreß in Dehra Dun, einem Zentrum der Unruhen. Der Schalterbeamte versuchte, ihn von der Reise abzubringen, da es eine Reise ins Unglück werden könnte. Aber Bruder Cotterill sagte sich: „Wenn es Jehovas Wille ist, werde ich versuchen, dorthin zu gelangen.“ Er schrieb:
„So reiste ich, nachdem ich einige schöne Tage bei den Brüdern in Karatschi verbracht hatte, ab. Vorsichtig, wie es schien, fuhr der Zug in Richtung Norden über Multan und Montgomery. Als wir uns Lahore näherten, sahen wir große Verwirrung, denn viele Menschen flohen aus Pakistan und andere aus Indien. Ein gläubiger Moslem in meinem Abteil breitete viele Male seinen Gebetsteppich aus und betete zu Allah, zweifellos um Schutz. Die Szene erinnerte mich an London während des Zweiten Weltkrieges. Nachdem ich die ganze Nacht auf der Plattform zugebracht hatte, bekam ich einen Zug, der nach Indien fahren sollte. Der Wagen war überfüllt, und man konnte die Angst förmlich spüren. In meinem Abteil war alles still. Ich las den Wachtturm und gab einem Mann neben mir eine Ausgabe der Zeitschrift Erwachet! zum Lesen. In unserem Abteil erster Klasse, das für sechs Personen gedacht war, befanden sich schließlich 40!
Auf jeder Station drängten sich Menschenmengen auf den Bahnsteigen. Unterwegs beobachtete ich zahlreiche Flüchtlingszüge mit Kamelen, Pferden, Ponys, Schafen und Ziegen. Glücklicherweise sah ich nicht, daß jemand ermordet wurde. Aber ganze Eisenbahnladungen von Menschen wurden niedergemetzelt, auch all diejenigen, die mit dem Zug vor uns gefahren waren. In Amritsar durchsuchten Sikhs, die mit langen Messern und Stöcken bewaffnet waren, jeden Waggon, bereit zu töten, wenn sie es für richtig hielten. Ich bat Jehova durch Christus Jesus, seinen Sohn, mir zu helfen, die Ruhe zu bewahren, und mich zu beschützen, wenn es sein Wille sei. Ich fühlte mich wirklich ganz ruhig, während ich weiter in seinem Wort, der Bibel, las.
Männer, Frauen und Kinder kletterten mit ihren Habseligkeiten und selbst mit Ziegen auf die Waggondächer Ein Quäker aus Amerika gab mir ein amerikanisches Heerespaket, und ich aß einige Kekse und etwas Schokolade. Schließlich kamen wir in Saharanpur, jenseits der Grenze, an, wo ich mir zusammen mit dem jungen Mann, der in der Zeitschrift Erwachet! gelesen hatte, etwas zu essen besorgte. Ich erfuhr, daß er ein Moslem war. Er diente in der indischen Armee und befand sich auf dem Rückweg ins Hauptquartier. Es sei der schrecklichste Tag seines Lebens gewesen, sagte er. Hätten die anderen gewußt, daß er ein Moslem war, so hätten sie ihn umgebracht. Er war wahrscheinlich der einzige Moslem in diesem Zug.
Am darauffolgenden Vormittag fuhr ich mit dem Bus nach Dehra Dun, wo ich über das passende Thema sprach: ,Gesegnet sind die Friedenstifter‘. In jenem Gebiet brachten sich die Sikhs und die Moslems gegenseitig um. Bruder Gerald Garrard und ich begleiteten die Schwestern nach Hause, damit sie sicher ankamen. Beim abschließenden Programm des Kongresses waren wegen des strengen Ausgehverbots nur 6 Personen anwesend. Die nächste Station auf meiner Reise war Kalkutta, wo Bruder Randall Hopley als ,Diener für die Brüder‘ tätig war. Unser Kreiskongreß fand im Saal des CVJM in Chowringhee statt, wo ich zum erstenmal mit den Bengali sprechenden Brüdern zusammen sein konnte. Nun begann eine lange Zugreise nach Trawankur. In Talapady sangen die Malayalam sprechenden Brüder das Eröffnungslied, wobei alle älteren Brüder wie in einem Chor zusammensaßen. ... Ich mußte den Malayalam sprechenden Freunden klarmachen, daß wir Zeugen Jehovas sind. Einige von ihnen hatten beim Ausfüllen eines Zählbogens der Regierung als Religion ,Russelliten‘ angegeben. Man stelle sich das vor!
Von hier aus fuhr ich fast wieder denselben Weg zurück nach Bangalore, wo ich den Brüdern eindringlich die Notwendigkeit vor Augen führte, Jehovas Einladung zur Unterstützung der Kreiskongresse anzunehmen. Ich reiste nach Madras weiter, um einen kleinen, aber schönen Kongreß abzuhalten. Dort lernte ich es, tiefe Liebe zu meinen Tamil sprechenden Brüdern zu empfinden. Von Madras aus kehrte ich nach Bombay zurück, um mich Bruder Carmichael in unserer Missionarzuteilung wieder anzuschließen, wo Marathi gesprochen wurde.“
MEHR HILFE VON GILEAD
Homer und Ruth McKay, die im Jahre 1947 die Gileadschule absolviert hatten, fanden sicherlich, daß sich ihre neue Heimat in Indien völlig von Kanada, ihrem früheren Heimatland, unterschied. Nach einer langen Reise wurden sie in Bombay von ihren Klassenkameraden Dick Cotterill und Hendry Carmichael sowie weiteren Brüdern empfangen.
Bei seinem Besuch im Bethel Bombay Anfang 1947 sah sich Bruder Knorr auch in der Küche um. Dabei sagte er lakonisch: „Das würde einer amerikanischen Frau ja im Herzen weh tun.“ Daraufhin wurde Ruth McKay die Aufgabe übertragen, im Bethel zu kochen und die Zimmer in Ordnung zu halten. Doch lassen wir sie selbst erzählen: „Es war eine Wohnung, wie ich noch keine gesehen hatte. In der Küche gab es kein Spülbecken, nur einen Wasserhahn in einer Ecke mit einer niedrigen Zementeinfassung, die verhinderte, daß der ganze Boden naß wurde. Es gab nicht den ganzen Tag Wasser, sondern man mußte es speichern, um etwas zu haben, wenn es abgestellt wurde. Der Küchenofen war ein tragbarer Metallbehälter, sigri genannt, der mit Holzkohle geheizt wurde und nur für eine Pfanne Platz bot. Es gab keine Kühlvorrichtungen. Deshalb kaufte man die Nahrungsmittel täglich auf dem Basar. Man mußte alles abdecken, denn wenn man es offen liegen ließ, wurde es, wie ich selbst erlebte, eine willkommene Beute der Krähen. Mehr als einmal stahlen sie mir ein Ei oder fraßen aus einem Pudding oder aus einem Obstkuchen ein Stück heraus, bevor ich diese Lektion gelernt hatte.“
Über die Verhältnisse, in denen die Menschen lebten, berichtete Schwester McKay: „Als wir die ärmlichen Verhältnisse der Leute sahen und die Art, wie sie lebten, fragten wir uns, wie wir unter solchen Verhältnissen zurechtkommen würden. Es war sehr bedrückend. Doch im Laufe der Zeit verdrängte die Notwendigkeit, ihnen zur Erkenntnis der Wahrheit zu verhelfen, solche Gedanken. Immer wieder sagten wir uns, daß es wirklich nur durch Harmagedon möglich ist, dieses alte weltliche System durch ein neues System der Dinge zu ersetzen.“
Homer McKay war während eines Teils seiner Zeit im Gebiet von Bombay als „Diener für die Brüder“ tätig. Sein Kreis umfaßte zwar ein großes Gebiet mit vielen Einwohnern, doch gab es nur wenig Königreichsverkündiger. Um einen einzigen Verkündiger zu besuchen reiste er mit dem Zug die 792 km von Bombay nach Haiderabad — etwa 15 Stunden. Ein andermal fuhr er von Bombay eine Strecke von 490 km, um eine Familie in Ahmedabad aufzusuchen. Über einen öffentlichen Vortrag, der dort stattfand, berichtete Homer McKay:
„Ahmedabad ist eine große Stadt mit vielen Baumwollspinnereien. Sie zählt über eine Million Einwohner. Wir hatten einen Saal für unseren Vortrag gemietet. Die Ankündigung beschränkte sich jedoch auf das wenige, was wir während der Woche tun konnten, und auf ein selbstgefertigtes Plakat, das an dem Gebäude hing. Außer der interessierten Familie waren nur noch drei weitere Personen — Moslems — anwesend. So stand ich in dem großen Saal mit 500 Sitzplätzen vor einer siebenköpfigen Zuhörerschaft!“
ZEITSCHRIFTEN WIEDER AUF EIGENER PRESSE GEDRUCKT
Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die Gesellschaft die Genehmigung zum Kauf einer Flachdruckpresse von Chandler & Price aus Amerika. Die Presse wurde schließlich in einer kleinen Werkhalle, ungefähr 3 km vom Zweigbüro in Bombay entfernt, aufgestellt. Schriftsätze für Malayalam wurden aus Trawankur beschafft, und auch einige Schriftsätze für Englisch wurden gekauft. Claude Goodman nahm die Maschine zusammen mit seinem Gehilfen K. T. Matthew in Betrieb. Früher war Der Wachtturm in Malayalam im Zweigbüro in der Love Lane gesetzt worden; gedruckt wurde in einer kommerziellen Druckerei. Nun konnten wir sowohl selbst setzen als auch selbst drucken. Veröffentlichungen in einer anderen Sprache mußte man jedoch bei kommerziellen Druckereien in Auftrag geben.
Nebenbei bemerkt, hatte die Presse, auf der Der Wachtturm in Malayalam gedruckt wurde, ursprünglich Fußantrieb. Das bedeutete während der schwülen Sommermonate harte Arbeit. Später kaufte die Gesellschaft einen Elektromotor, und die Antriebsschwierigkeiten waren beseitigt.
NEUGEFUNDENES INTERESSE IN BOMBAY
Als Bruder Harsha Karkada sen. und Bruder Satyanathan im Jahre 1949 einmal in der Nähe von Flora Fountain Zeitschriftendienst auf der Straße machten, gaben sie an Mr. Rocky D’Souza eine kanaresische Zeitschrift ab. Es stellte sich heraus, daß sein Haus eine Art Wohnheim für etwa 50 Junggesellen war, denen ein Teil des Gebäudes als Männerklub diente, wo sie sich zur Unterhaltung aufhielten. Praktisch alle diese Klubmitglieder waren Namenchristen aus der Gegend von Brahmavar in Konkan an der Westküste Indiens. Jede Woche, wenn Bruder Karkada sen. und Bruder Satyanathan bei Rocky D’Souza vorsprachen, trafen sie andere Klubmitglieder an und unterhielten sich mit ihnen über die Bibel. Allmählich nahm das Interesse so weit zu, daß daraus ein regelmäßiges Studium wurde, an dem sich 20 bis 30 Personen beteiligten.
Andere Klubmitglieder waren gegnerisch eingestellt. Im Gemeinschaftsraum stand ein großer Altar mit einem Kreuz und brennenden Kerzen. Diejenigen, die am Studium teilnahmen, erkannten bald, daß Götzendienst Gott mißfällt. Sie warteten daher auf eine Gelegenheit, das Kreuz aus dem Klub verschwinden zu lassen. Diese Gelegenheit kam, als die Mitglieder das Innere des Gebäudes putzten und der Altar für den Frühjahrsputz weggenommen wurde. Er wurde nicht mehr aufgestellt, denn das Kreuz und der Altar waren einfach verschwunden. Dadurch entstand große Aufregung unter den Klubmitgliedern, und es kam zu einer Spaltung. Man beschloß, darüber abzustimmen Es ergab sich eine knappe Mehrheit für die Interessierten, die für eine Beseitigung waren. Der Vorsitzende des Klubs, P. P. Lewis, wurde ein ergebener Zeuge Jehovas, ebenso Rocky D’Souza und noch eine Anzahl anderer. Sonntags morgens wurden im Klub regelmäßig öffentliche Vorträge gehalten, denen 40 bis 50 Personen beiwohnten, unter anderem ganze Familien nicht im Hause wohnender Klubmitglieder. Dieses neugefundene Interesse erwies sich für das Werk in Bombay als ein richtiger Ansporn.
RÜCKBLICK AUF DIE ANFÄNGE DES KREISDIENSTES
Im Jahre 1949 trat Hendry Carmichael seine neue Zuteilung an, die darin bestand, als Kreisaufseher ganz Indien zu bereisen. Neue Orte, die besucht werden mußten, kamen hinzu, unter anderem Kolar Gold Fields, wo Bruder Ponniah, ein Arzt, und Robert Rushton und seine Familie mit der örtlichen Versammlung zusammenarbeiteten. Dieser Besuch erwies sich in mehr als einer Hinsicht als interessant. Carmichael schrieb: „In Kolar Gold Fields gibt es, wie der Name schon sagt, Goldminen. Es sollen die tiefsten der Welt sein. In den 1 981 m tiefen Clifford-Schacht, den tiefsten Einzelschacht der Welt, einzufahren war ein aufregendes Erlebnis. Es war begeisternd, das Ausmaß der Förderarbeiten in dieser Tiefe zu sehen. Dort gab es Werkstätten, eine Feuerwehr, Sprengstofflager und ein Schienennetz für Beförderungsmittel. Ich hatte auch die Gelegenheit, in den über 2 740 m tiefen Heathcote-Schacht einzufahren, wo die Temperatur trotz der großen Klimaanlage auf 43 Grad Celsius stieg. Hier ließ man mich ein Loch in einen Felsen bohren, wo man zu einer neuen Goldschicht durchstoßen wollte. ...
Etwas Besonderes in jenem Jahr war die Bildung eines Kreises aus 12 Versammlungen und einer einzelnen Familie in Trawankur. Im August legten Bruder A. J. Joseph, der bei unseren Malayalam sprechenden Brüdern als Dolmetscher diente, und ich mit Hilfe der verschiedenen Verkehrsmittel ungefähr 970 km zurück, und 80 km gingen wir zu Fuß. Ich erinnere mich noch an einen Besuch in Upputhara (High Range), wo alle Brüder in ihrem strohgedeckten Königreichssaal bis spätabends auf mich warteten, um den Vortrag zu hören. ...
Um die Versammlung in dem entlegenen Kangazha zu besuchen, nahmen wir einen Bus. Wir setzten uns auf die Holzbänke, die die ganze Breite des Fahrzeugs einnahmen, in das sich von beiden Seiten die Menschen mit den Dingen drängten, die sie eingekauft hatten, u. a. auch Ziegen, Hühner und andere Tiere, bis im Bus kein Platz mehr war. (Aber die Zahl der Fahrgäste ist nicht begrenzt. Wenn daher noch weitere mitreisen wollen, klammern sie sich überall, wo sie stehen und sich festhalten können, an den Bus. Sie steigen auf das Dach, bis das Fahrzeug einem Menschenknäuel gleicht, unter dem ein Motor tuckert.)
Das war nur die erste Etappe unserer Reise. An einer bestimmten Stelle stiegen wir aus und gingen zu Fuß auf einem einsamen Pfad durch den Palmenwald weiter. Da die Dunkelheit hereinbrach, banden wir Palmwedel zu einer Fackel zusammen, um unseren Pfad zu beleuchten. Der Weg schien endlos zu sein, doch nach etlichen Stunden erreichten wir unser Ziel und wurden herzlich willkommen geheißen ...
Trawankur hat ein feuchtheißes Klima und ist reich geschmückt mit Hainen von verschiedenartigen Palmen. Dazwischen liegen kleine Dörfer mit Reisfeldern. Wenn auch die Bewohner nicht über viel Bargeld verfügen, so bauen sie doch vieles, was sie benötigen, selbst an, und sie machen reichlich Gebrauch von Palmblättern. Diese verwenden sie nicht nur zum Dachdecken, sondern auch als Eßschalen. Aus Kokosnußschalen stellen sie verschiedene Gebrauchsgegenstände her. Das Reisanbaugebiet wird kreuz und quer von Bewässerungskanälen durchzogen. Die einzigen Brücken sind gefällte Palmen, was den Haus-zu-Haus-Dienst noch viel risikoreicher macht. Worüber ich staunte, war, daß man mich, wenn ich einen öffentlichen Vortrag halten sollte, zu einer Lichtung oder einer Kreuzung von Feldwegen mitten in einem Palmenhain führte. Dort wartete ich geduldig, und meistens dann, wenn ich dachte, daß niemand komme, erschienen die Brüder. Wie sie erfuhren, wo der Versammlungsort war, habe ich nie herausgefunden. Gewöhnlich waren 200 bis 300 Zuhörer versammelt, und mit nur einer Stunde waren sie nicht zufrieden. Es war ein großes Ereignis, und sie wollten soviel erfahren, wie sie konnten. Sie saßen in Hockstellung oder ließen sich auf umgefallenen Bäumen oder auf dem Boden nieder und hörten aufmerksam zu, während sie in ihrer Bibel nachschlugen ...
Höhepunkt dieser Reise durch Trawankur war ein 3tägiger Kongreß, der vom 2. bis 4. September 1949 in Talapady stattfand. Wir freuten uns darüber, daß Bruder Skinner aus Bombay kam, um den öffentlichen Vortrag zu halten, zu dem 800 Personen erschienen.“
MISSIONARE ZEIGEN AUSDAUER IN KALKUTTA
Die neueingesetzten Missionare in Kalkutta strengten sich an, Bengali zu lernen, die Sprache, die in diesem Gebiet gesprochen wird. Um den Anfang des Königreichswerkes dort zu erleichtern, gab die Gesellschaft im Jahre 1949 die Broschüre Freude für alles Volk in Bengali heraus. Natürlich dauerte es einige Zeit, bis sich die Missionare unter den für sie neuen Verhältnissen zurechtgefunden hatten. Schwester Marie Zavitz erinnert sich: „Ich machte einmal Straßendienst. Als ich mich umwandte, stand ein Mann mit einer ungefähr 3 m langen Pythonschlange da. Die Schlange hatte ihre Augen auf mich gerichtet. Ich mag Schlangen nicht. So schrie ich und lief die Straße hinunter.“ Es handelte sich nur um einen berufsmäßigen indischen Schlangenbeschwörer, der etwas verdienen wollte.
Schwester Zavitz berichtet weiter: „Ein andermal ging ich von Haus zu Haus. Eine Frau wollte eine Zeitschrift haben, bat mich aber, die Zeitschrift auf die Stufen zu legen. Ich tat es. Dann nahm die Frau die Zeitschrift weg und gab mir den Unkostenbeitrag, indem sie das Geld in meine Hand fallen ließ, so daß ihre Hand die meinige nicht berührte. Ich fühlte mich verletzt, weil sie sich für so heilig hielt, daß sie die Zeitschrift nicht aus meiner Hand entgegennehmen konnte. Dies war auf die in den Kasten herrschenden Bräuche zurückzuführen.
Einmal führte ich ein Studium mit einer Inderin, einer ,Christin‘, durch. Ich nahm sie mit zu einem anderen Studium. Unterwegs trafen wir einen Mann, bei dem ich ein Buch abgegeben hatte. Ich blieb daher stehen, um mich mit ihm über das Buch zu unterhalten. Als ich das nächste Mal die Inderin besuchte, um mit ihr zu studieren, sagte sie mir, sie könne nicht mehr mit mir weggehen. Nach dem Grund befragt, antwortete sie: ,Ich bin eben eine Inderin, und ich darf nicht im Gespräch mit einem Mann auf der Straße gesehen werden, sonst würde ich bei der ganzen Nachbarschaft in Ungnade fallen. Ich darf mit keinem Mann auf der Straße sprechen, selbst nicht mit einem Verwandten.‘ Doch einige Zeit danach machte sie selbst den Vorschlag, mich wieder zu begleiten, da sie dieses Problem überwunden hatte. Sie kam in die Wahrheit, wurde schließlich Sonderpionier, und nun macht es ihr nichts mehr aus, allein durch die Straßen zu gehen.“
Gerald Zavitz erinnert sich: „Wir dachten zuerst, es sei ein fruchtbares Feld, doch fanden wir bald heraus, daß das Interesse der Leute nur oberflächlich war. Sie hörten uns gern zu, aber sie glaubten nicht. Sie hielten an ihrer eigenen Philosophie fest. Anfangs dachte ich, ich sollte es versuchen, mit ihnen beispielsweise über ihre Vorstellung vom Karma zu diskutieren. Die Lehre vom Karma besagt, daß alles dem Willen Gottes entspreche und an allem stets etwas Gutes sei. Ich versuchte daher, den Mord an Mohandas Gandhi als praktisches Beispiel anzuführen. Bestimmt war es ein teuflisches Verbrechen; es konnte nichts Gutes daran sein. Aber nein, es sei etwas Gutes daran; wir verstünden nur nicht, was es sei. Ich gab daher den Versuch auf, mit ihnen über diese Theorie zu argumentieren. Hier in Kalkutta ist zwar ein Hinduehepaar zur Wahrheit gekommen, doch finden wir es nützlicher, mit ,christlichen‘ Indern zu studieren.“
WEITERE FORTSCHRITTE IN BENGALEN
Ende 1949 besuchte der Gileadabsolvent Hendry Carmichael als Kreisaufseher Bengalen. Er schrieb: „Während ich der neugegründeten Versammlung in Kanchrapara einen Besuch abstattete, wurde eine Reise nach Chapra, einem Dorf, das 126 km nördlich von Kalkutta liegt, geplant. ,Christliche‘ Geistliche und Missionare versuchten alles, um zu verhindern, daß in Chapra ein öffentlicher Vortrag stattfand. Trotzdem fanden sich in einer hellen Mondnacht ungefähr 60 Personen auf einer Lichtung ein. Als künstliche Beleuchtung diente uns eine Petroleumlampe. Nach der Ansprache sagte eine alte Bengalin: ,Mein ganzes Leben habe ich auf die Geistlichkeit gehört und nie erfahren, daß all das in der Bibel steht!‘ “
Carmichael schrieb weiter: „Als ich in Chapra von Haus zu Haus ging, wurde ich anfangs von zwei Personen begleitet; am Schluß waren ungefähr 15 Personen in meinem Gefolge. Die Häuser standen auf etwa 60 cm hohen, in der Sonne getrockneten Lehmterrassen, und ihr mit Palmblättern gedecktes Dach reichte tief herab und deckte selbst noch die Terrasse ab, wodurch verhindert werden sollte, daß bei stürmischem Regen Wasser in den Innenraum spritzte. Wenn wir aufgefordert wurden einzutreten, bückten wir uns, stiegen auf die Terrasse und setzten uns dann mit den anderen 15 zusammen auf den Boden. Alle hörten zu und dachten über die Schriftstellen nach, die ich mit ihnen besprach. In dieser Gegend war ich oft bis in die frühen Morgenstunden auf und erklärte biblische Wahrheiten, zog dann aber trotzdem beim Morgengrauen weiter, um die gute Botschaft zu verkündigen.“
EIN BLICK AUF DEN FORTSCHRITT
Im Jahre 1949 gab es in Indien einen Kreisaufseher, der 270 Verkündiger und 23 Sonderpioniere in insgesamt 29 Versammlungen bediente — 13 Malayalam, 1 Bengali und 15 Englisch sprechende.
Ungefähr zu der Zeit, als die Republik Indien geboren wurde (26. Januar 1950), ließ das Büro der Gesellschaft in Bombay seine Druckpresse aus dem Vorort Sewri in ein Lagerhaus in der Nähe des Büros in der Love Lane transportieren. Es handelte sich um eine relativ neue Druckpresse. Beim Entladen rutschten einige Holzstützen ab, und die Presse fiel auf den Boden, wobei ein wichtiges Teil in der Maschine brach. Sie wurde jedoch repariert und lief dann wieder genauso gut wie zuvor.
DURCH WIRBELSTURM UND STEINSCHLAG
Als sich der Kreisaufseher Hendry Carmichael einmal anschickte, Darjeeling zu verlassen, jagte ein Wirbelsturm über dieses Gebiet hinweg. Er wurde begleitet von wolkenbruchartigen Regenfällen, die in zwei Tagen eine Niederschlagsmenge von 127 cm ergaben. Dadurch kam es zu vielen Erdrutschen, die überall in der Gegend Verheerungen anrichteten. Ganze bustis oder Dörfer verschwanden vom Erdboden, und alle ihre Bewohner kamen ums Leben. Ja, das Haus, neben dem Bruder Carmichael wohnte, wurde weggerissen. Felsbrocken und Schutt türmten sich an dem Haus auf, in dem er sich aufhielt, wodurch Wasser und Schlamm eindrangen. Als Hendry Carmichael und der Pionier Melroy Wells-Jansz erfuhren, daß Darjeeling von der Außenwelt abgeschnitten war und es Monate dauern konnte, bis die Verbindung wiederhergestellt wurde, entschlossen sie sich, sich auf eigene Faust durchzuschlagen. Außerdem war geplant, daß sie auf der nächsten Station ihrer Reise in dem Kreis eine Taufe durchführen sollten.
„Zunächst stiegen wir 300 m zu einer alten Militärstraße hoch, die sich am Gebirge entlangzog“, berichtete Bruder Carmichael. „Als wir die Straße erreichten, stellten wir fest, daß sie sich in einem schrecklichen Zustand befand. ... Wir bahnten uns den Weg über Berge von Schutt und Bäumen hinweg und kamen schließlich nach Ghoom. Von dort aus kämpften wir uns, vom Hunger angetrieben, mühsam auf der Straße voran, die oft hinter uns von Steinlawinen zerstört wurde, die von den Bergen herabdonnerten und die Straße wegrissen. Eine solche Lawine ging einmal zwischen uns beiden nieder, doch wir kamen wieder zusammen. Schließlich waren wir gezwungen stehenzubleiben. Vor uns gähnte ein Abgrund mit einer Breite von 12 m und einer Tiefe von etwa 600 m, in den sich donnernd ein Sturzbach ergoß. Alles, was von der früheren Eisenbahnbrücke übriggeblieben war, waren die beiden Schienen, die von den Schwellen zusammengehalten wurden. Sie hingen frei in der Luft, knapp über den tosenden Wassermassen ...
In jener Nacht suchten wir in einer Eisenbahnhütte Zuflucht, die sich an den Berg anschmiegte. Darüber erhoben sich Felsbrocken, die jeden Augenblick herabzustürzen drohten. Nach einer schlaflosen, unbeschreiblich harten Nacht traten wir hinaus, um uns die Schienen nochmals anzusehen. ... Der Regen prasselte hernieder, und die Schienen schwangen im Wind hin und her, doch schließlich gelangten wir auf die gegenüberliegende Seite. Aber unsere Schwierigkeiten waren damit noch nicht zu Ende, denn bald kamen wir in Sonada an, wo wir vor einer weiteren Schlucht standen. Diesmal gab es allerdings keine Eisenbahnschienen mehr. ... Wir kletterten den Abhang bis in eine Höhe von über 900 m hinauf, wobei wir uns manchmal mit dem Rücken zum Berg sehr vorsichtig und nur langsam auf gefährlichen Vorsprüngen bewegen konnten, bis es nicht weiterging. Erdrutsche hatten sogar die Vorsprünge weggerissen. Wir mußten daher wieder so weit zurückgehen, bis wir eine andere Möglichkeit fanden weiterzuklettern. Schließlich kamen wir auf allen vieren oben an. Dann mußten wir durch einen Wald, in dem wilde Bären hausten. Nach einem Marsch von zwei Tagen und einer Nacht kamen wir hungrig und über und über verschmutzt in Kurseong an. Unsere Füße hatten Blasen und bluteten, doch wir waren in Sicherheit und ansonsten gesund. Ein katholischer Priester, der uns ankommen sah, verbreitete die Nachricht davon unter den Einwohnern. Trotzdem wurde der Zweck unseres Besuches erreicht.“
EINE LOHNENDE REISE NACH SÜDINDIEN
Man entschied, daß Bruder Skinner eine Reise nach Südindien machen sollte, um die Brüder in Südkanara und Trawankur zu besuchen. Obwohl Hendry Carmichael, der Kreisaufseher, erst von einer schweren Operation genesen war, begleitete er den Zweigaufseher auf dieser Reise. Die beiden Brüder verließen Bombay mit einem Küstendampfer und gingen in Mangalore für eine Woche an Land. Dort fanden sie eine Gruppe von 14 interessierten Personen vor, die ziemlich regelmäßig den Wachtturm in Kanaresisch studierten. Keiner von ihnen konnte sehr gut Englisch, und es gab keinen Dolmetscher. Daher wurde der öffentliche Vortrag, den Bruder Skinner halten sollte, als eine Zusammenkunft in englischer Sprache angekündigt. Obwohl nur ein Tag verblieb, um den Vortrag anzukündigen, waren erstaunlicherweise 90 Personen anwesend.
Auf der nächsten Station, in Kotschin, sollte ein Kongreß stattfinden, um dem Werk in dieser Gegend Auftrieb zu verleihen. Unter der britischen Herrschaft gehörte Kotschin nicht zu Trawankur, sondern war ein eigener Staat mit einem Maharadscha und einer eigenen Regierung, obgleich die Bewohner des Staates Kotschin wie diejenigen Trawankurs Malayalam sprachen. Bis zu jener Zeit wurde jedoch, soweit es das Werk unter der Malayalam sprechenden Bevölkerung betraf, meistens in Südtrawankur gepredigt. Zu Beginn des Kongresses in Kotschin waren 210 Personen anwesend. Aus Trawankur waren 30 bis 40 Interessierte gekommen, und 110 Zeugen nahmen während des Kongresses an der Zeugnistätigkeit teil. Die Bevölkerung von Kotschin machte ziemlich große Augen, als sie 20 bis 30 Schwestern mit Plakaten durch die Stadt gehen sah, auf denen der öffentliche Vortrag angekündigt wurde. So etwas hatte man in Kotschin noch nie erlebt. In der Stadt gibt es viele Katholiken und sogar einen Bischof. Beim öffentlichen Vortrag zum Abschluß des Kongresses stieg die Anwesendenzahl auf 1 022, so daß dieser Kongreß damals der größte war, der je in Indien stattgefunden hatte. Es war befriedigend, zu sehen, daß sich 25 Personen taufen ließen und eine Gruppe von 5 englisch sprechenden Männern den Wunsch äußerte, eine Versammlung zu gründen.
EINE BEWERTUNG DER ZUNAHME
Daß überall im Land Missionare eingesetzt wurden, wirkte sich auf die einheimischen Brüder in Indien festigend und vertrauensstärkend aus, während sie vereint tätig waren.
In Kalkutta wurden mehrere Bibelstudien mit Hindus begonnen. Konnte das ein Durchbruch bei den Hindus sein? Mit Bengali sprechenden Hindus wurden 38 Bibelstudien durchgeführt, und in einem Bericht darüber hieß es: „Das ist nur der Anfang.“ Doch außer diesen hoffnungsvollen Worten enthielt der Bericht auch noch folgende charakteristische Äußerungen: „Sie studieren aus Höflichkeit“, „um ihr Englisch zu verbessern“; „zu Vergleichszwecken, doch sind sie entschlossen, ihre Religion nie aufzugeben.“ Ein Bericht enthielt eine allgemeingültige Tatsache, die die Einstellung der meisten Hindus zeigte: „Es besteht eine allgemeine Antipathie gegen jede geoffenbarte Religion, und das hindert sie, die Lehre von einem Lösegeld anzunehmen.“
Im Jahre 1950 wurde ein Fragebogen an die Brüder versandt, um festzustellen, wie viele Bibelstudien mit Personen durchgeführt wurden, die sich nicht zum Christentum bekannten. Das Ergebnis zeigte, daß in ganz Indien 114 Heimbibelstudien mit Hindus, Buddhisten und anderen Personen durchgeführt wurden, die keine „Christen“ waren. Ungefähr 100 Studien waren begonnen, aber wieder eingestellt worden. 34 Personen besuchten unsere Zusammenkünfte, 11 beteiligten sich am Predigtdienst, und 2 hatten sich taufen lassen. Im Jahre 1951 zeigten die Antworten, daß es 83 Bibelstudien gab — also 31 weniger. Aber 13 Personen, die keine nominellen Christen waren, beteiligten sich am Predigtwerk, und 3 hatten sich taufen lassen. Die Mehrung kam somit hauptsächlich aus dem Personenkreis, der sich zum Christentum bekannte. Es war ermunternd, daß in jenem Jahr 59 neuen Jüngern geholfen werden konnte, sich Gott hinzugeben und sich taufen zu lassen, wodurch eine Höchstzahl von 499 Zeugen erreicht wurde.
SCHWIERIGKEITEN IN PUNA
Die Ausbreitung des wahren Christentums in Indien gefiel gewissen religiös-politischen Bewegungen nicht, besonders nicht den R. S. S., den Rashtriya Seva Sangh (Diener des Landes), die im ganzen Land als die Gruppe bekannt waren, die für den Mord an Mohandas K. Gandhi im Jahre 1948 verantwortlich war. Im Oktober 1951 versuchten sie, während eines Kreiskongresses in Puna Schwierigkeiten zu machen. Am 14. Oktober sollte Bruder Skinner im Gokhale-Saal, der sich in einer ausgesprochenen Hindugegend befand, den öffentlichen Vortrag halten. Aber eine Bande christenfeindlicher Rowdys sprengte die Zusammenkunft, und die Brüder mußten unter den höhnischen Rufen „Verlaßt Indien!“ den Saal verlassen. Man drohte außerdem mit Gewalttätigkeiten. Selbst der Polizei gelang es nicht, Ruhe und Ordnung wiederherzustellen.
Alle Brüder kamen daraufhin im Königreichssaal von Puna zusammen, wo das Kongreßprogramm zu Ende geführt wurde. Danach gingen Bruder Skinner und Bruder Carmichael zur Polizeiwache und reichten eine Klage ein. Es wurde geplant, am 31. Oktober im selben Saal einen weiteren öffentlichen Vortrag zu halten, doch diesmal unter Polizeischutz. Die Brüder organisierten wiederum einen Bekanntmachungsfeldzug und verteilten insgesamt 10 000 Handzettel in Marathi und in Englisch. Vor Beginn der Zusammenkunft waren zwei Polizeibeamte und ungefähr 12 Hilfspolizisten anwesend. Bruder Skinner war kaum mit seiner Einleitung fertig, als erneut Unruhe entstand. Die Polizei griff ein, doch sie war nach kurzer Zeit zahlenmäßig unterlegen. Bald war eine große Meute schreiender Menschen zusammen, so daß den versammelten Brüdern und interessierten Personen Gefahr drohte.
Man hatte jedoch mit einem Nachbarn vereinbart, daß dieser die Hintertür seines Hauses, die auf das Grundstück des Saales führte, öffnen würde, falls Schwierigkeiten entständen, so daß die Brüder entkommen könnten. Während die Polizei vor dem Saal gegen die Übermacht ankämpfte, schlichen sich die Brüder unbemerkt und unversehrt davon. Später schrieben die Zeitungen ziemlich viel über die Angelegenheit, und das meiste davon warf ein ungünstiges Licht auf Jehovas Volk. In einem Brief, der an den Innenminister der Regierung von Bombay gerichtet war und von dem Durchschriften an Ministerpräsident Nehru und an den Generalinspekteur der Polizei des Staates Bombay gingen, protestierte der Zweigaufseher gegen die Verletzung des den Zeugen Jehovas durch die Verfassung zugesicherten Rechts auf Rede- und Gottesdienstfreiheit.
EIN WEITERER BESUCH WECKT OPTIMISMUS
Ein außergewöhnliches Ereignis für Indien war im Januar 1952 der Besuch Bruder Knorrs und Bruder Henschels. Die beiden Brüder reisten von Karatschi (Pakistan) aus getrennt weiter. Bruder Henschel ging nach Delhi und Kalkutta, Bruder Knorr nach Bombay und Südindien.
In Madras traf sich Bruder Knorr mit einer Gruppe von Missionaren. Noch am selben Tag fanden sich um 16 Uhr 57 Brüder zu einer Ansprache ein. Um 18 Uhr waren 95 Personen zum öffentlichen Vortrag anwesend.
Am nächsten Tag waren Bruder Knorr und Bruder Skinner von Kotschin aus mit dem Schiff unterwegs zu einem Kongreß in Ernakulam. Mit strahlenden Gesichtern warteten 260 Brüder aus Trawankur darauf, die Reisenden zu begrüßen. „Wir konnten zu ihnen zwar nur mit Hilfe eines Dolmetschers sprechen, doch nahmen wir ihre theokratische Liebe wahr, wie sie überall unter Jehovas Volk anzutreffen ist“, schrieb Bruder Knorr. Die Kongreßteilnehmer waren begeistert über die Freigabe des Buches „Gott bleibt wahrhaftig“ in Malayalam. Zur Zusammenkunft für die Öffentlichkeit, die am Abend stattfand, erschienen 700 Personen.
„Am nächsten Tag nahmen wir ein Flugzeug nach Bombay, wo ich mit Bruder Henschel wieder zusammentraf und von seinen Erfahrungen in Delhi und Kalkutta hörte“, schrieb Bruder Knorr. In Delhi war Bruder Henschel mit mehreren interessierten Personen in Berührung gekommen, besonders als er mit einem einheimischen Bruder, einem Pionier, von Haus zu Haus arbeitete. Die Brüder waren für den Vortrag, den er am ersten Abend hielt, sehr dankbar. Am zweiten Tag besuchten 73 Personen den öffentlichen Vortrag, was bis dahin die größte Anwesendenzahl war.
In Kalkutta füllten anläßlich des Besuchs von Bruder Henschel 75 Personen den Königreichssaal. Die dortige Versammlung war zwar klein, doch sie wuchs. Sie hatte die Unterstützung von fünf Missionaren: Bruder und Schwester Zavitz, Marjorie Haddrill, Florence Williams und Joyce Larke. Bruder Knorr berichtete: „Das Kunsthaus, das für seine Gemälde- und Webwarenausstellung bekannt ist, wurde für den öffentlichen Vortrag gemietet. Es kamen 205 Personen, die die Antwort auf die Frage: ,Ist die Religion der Weltkrise gewachsen?‘ hörten. Das war erneut ein ermutigendes Anzeichen für weiteres Interesse, das auf künftige Ausdehnung schließen ließ.“ Interessanterweise schrieb Bruder Knorr auch: „Ein Pionier, der in Darjeeling an der Grenze nach Nepal tätig ist, berichtete, daß Hunderte von Missionaren gewisser Sekten wegen der in China herrschenden Verfolgung nach Darjeeling gekommen waren. Diese Stadt ist nicht sehr groß, und man fragt sich, was so viele Missionare dort tun könnten. Der Bruder erzählte, daß sie nicht besonders viel tun. Einige von ihnen lassen kleine Kinder zusammenkommen und bringen ihnen Lieder bei. Sie versprechen den Kindern dafür Reis. Wegen der Nahrungsmittel finden sie Widerhall, und wenn es im Land wenig zu essen gibt, kommen mehr. Aber die Kinder lernen nicht die Lehren der Bibel kennen. Andere Missionare veranstalten nachmittags kostenlose Teepartys. Wenn die Leute zum Tee zusammen sind und die Kinder singen, machen die Missionare Fotos, die sie mit Vorliebe nach Amerika oder anderswohin senden, um zu zeigen, was sie ,leisten‘. Aufgrund dessen bitten sie um weitere finanzielle Unterstützung und begehen auf diese Weise Betrug.
Weil die Wahrheit solchen Schwindel und solche Heuchelei bloßstellt, sind Jehovas Zeugen und die Anwesenheit ihrer Missionare in Indien für diese Sektierer ein Dorn im Auge. Oft versuchen sie die Leute dazu zu zwingen, unsere Botschaft abzulehnen, indem sie ihnen mit dem Verlust ihrer Arbeitsstelle oder mit dem Wegfall einer ärztlichen Behandlung oder der Erziehung ihrer Kinder drohen. Doch es wird schnell deutlich, wer die wahren Freunde der Menschen sind. Wenn durch einen Regierungswechsel von Zeit zu Zeit sogenannte Heiden an die Macht gelangen, ziehen sich diese pseudochristlichen Missionare häufig an andere Orte zurück, wo es sich leichter leben läßt. Da sie also nicht den apostolischen Maßstäben entsprechen, ... sind sie weitgehend daran schuld, daß die Menschen von der falschen Religion enttäuscht sind.“
Der wichtigste für Indien geplante Kongreß fand in Bombay statt. Er begann am 14. Januar 1952. Damals wurden die Missionare in einer gesonderten Zusammenkunft ermuntert, die Sprache zu erlernen, die jeweils am Ort von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen wurde.
„Große Freude erfaßte den Kongreß bei der Freigabe des Buches ,Gott bleibt wahrhaftig‘ in Kanaresisch“, schrieb Bruder Knorr. „Ein weiterer Höhepunkt kam mit dem öffentlichen Vortrag. Ich hatte eine schriftliche Drohung erhalten, die mit Hammer und Sichel — dem kommunistischen Symbol — gekennzeichnet war. Der Schreiber wies auf eine frühere Störung hin, durch die einige Monate vorher in Puna ein öffentlicher Vortrag gesprengt worden war. Die Polizei wurde benachrichtigt, doch alles ging glatt vonstatten, und eine große Zuhörerschaft von 784 Personen hörte den Vortrag. Viele stellten hinterher Fragen. Ich muß noch erwähnen, daß 43 bereit waren, sich im Wasser taufen zu lassen.“
Nebenbei bemerkt, waren 29 Personen von denen, die auf diesem Kongreß getauft wurden, Kanaresisch und Konkani sprechende Brüder, die zu dem Klub gehört hatten, mit dem Bruder Karkada sen. und Bruder Satyanathan im Jahre 1949 in Verbindung gekommen waren. Auf dem Kongreß erwähnte Bruder Knorr gegenüber Arthur Kaunds, daß es schön wäre, wenn 6 dieser Kanaresisch und Konkani sprechenden Brüder als Sonderpioniere in ihrem Sprachgebiet tätig wären. Bald nachdem Kaunds mit den Brüdern darüber gesprochen hatte, verließen die Pioniere John Maben und Raphael Louis die Stadt Bombay, um dort zu dienen, wo Hilfe dringender benötigt wurde. Später folgten noch andere, zu denen auch Ruzario Lewis gehörte. Er ging nach Coondapur, dann nach Brahmavar, wo er tatkräftig arbeitete, um Versammlungen zu gründen.
In der kurzen Zeit zwischen den Besuchen Bruder Knorrs in den Jahren 1947 und 1952 war Wachstum zu verzeichnen. 1947 gab es in Britisch-Indien nur 198 Verkündiger. Im November 1951 wurde jedoch eine Höchstzahl von 514 erreicht. Außerdem dienten in Indien 23 Missionare und 18 einheimische Pioniere. Unsere Besucher vom Hauptbüro der Gesellschaft reisten verständlicherweise in hoffnungsvoller Stimmung ab, soweit es eine verstärkte Verkündigung des Königreiches in diesem großen Land betraf.
MISSIONARE — EINE QUELLE DER ERMUNTERUNG
Die Mehrung hielt im Jahre 1952 trotz religiösen Widerstandes noch an. Da Schwester Jeffries Bombay verließ, um mit Marjorie Haddrill im Missionarheim in Kalkutta zusammen zu arbeiten, wurde Nasreen Mall, eine indische Pionierin, die neue Partnerin von Margrit Hoffman.
In Bandra waren Schwester Hoffman und Schwester Mall in einer Gegend tätig, in der viele notleidende Menschen in armseligen Hütten lebten. Dort stießen sie auf erheblichen Widerstand seitens eines katholischen Priesters. Als sich Margrit Hoffman einmal in einer Hütte mit einem gewissen William Parmar über die Bibel unterhielt kam dieser Geistliche dazu. Er verlor völlig die Fassung, riß Schwester Hoffman einige Broschüren aus der Hand und wollte ihr einen Fußtritt geben. Er zerriß die Broschüren und drohte, Schwester Hoffman anzugreifen. Diese Leute seien „seine Herde“, sagte er. Schnell liefen die Nachbarn zusammen, und jedesmal, wenn Schwester Hoffman wieder in die Nähe kam, wurden die Kinder aufgehetzt, sie zu beschimpfen. Aber sie war beharrlich, und der Mann, in dessen Hütte sich diese Szene abgespielt hatte. wurde ein regelmäßiger Verkündiger des Königreiches. Bruder William Parmar hatte den Mut, für das einzutreten, was recht war. Sieben Königreichsverkündiger aus dieser armen Gegend freuten sich schließlich, aus der Gefangenschaft der katholischen Kirche befreit worden zu sein.
Ein weiteres Missionarheim wurde in Delhi, der Hauptstadt Indiens, eingerichtet. Anfang 1952 trafen Bernard Funk und Peter Dotchuk — zwei Brüder aus Kanada —, von Gilead kommend, in Indien ein. Sie wurden bald in die Hauptstadt geschickt. Dorthin sandte die Gesellschaft auch George Singh und Arthur Sturgeon aus Madras, mit denen sie in der kleinen, wachsenden Versammlung zusammen tätig sein sollten.
Bald wußten die neuen Missionare, woran sie bei der nichtchristlichen Bevölkerung waren. Bernard Funk „schienen Hindus in allem, was zur Sprache kam, ausweichend und schwer zu fassen“ zu sein. Er beobachtete auch eine Neigung, sich um Verantwortung zu drücken. Darüber sagte er zum Beispiel: „Ein Wohnungsinhaber verwies uns an den ,älteren Bruder‘, der ältere Bruder an den Vater und der Vater an den Hausbesitzer.“ Bruder Funk beobachtete auch, daß die Kirchen der Christenheit die Menschen gelehrt hatten, von der Religion materielle Vorteile zu erwarten, „so daß viele vorgaben, interessiert zu sein, während sie im Herzen eigentlich einen anderen Beweggrund hatten“. Außerdem stellte er fest, daß die gesellschaftlichen Bräuche so eng mit der Anbetung verbunden waren, „daß ein Wechsel der Religion einen Bruch mit den meisten Bräuchen bedeutete, wozu sich viele nicht entschließen konnten“. Aber die Missionare ließen nicht nach. Sie verkündigten die Königreichsbotschaft und waren für die Zeugen am Ort eine Quelle der Ermunterung.
GUTE ERGEBNISSE IN BRAHMAVAR
Die Tätigkeit der Missionare wirkte sich auch förderlich auf das Königreichswerk in Brahmavar aus. In den vielen Flußmündungen, die es an der Küste von Konkan in der Gegend von Brahmavar gibt, liegen zahlreiche kleine Inseln verstreut. Auf vielen davon wohnten Familien, die an der Wahrheit interessiert waren. Bruder Carmichael erinnert sich an seine dortige Tätigkeit im Kreisdienst: „Das Verkehrsmittel im Mündungsgebiet war ein ausgehöhlter Baumstamm, der mit langen Stangen fortbewegt wurde. Überall, wo wir unter freiem Himmel zu Hunderten von Menschen sprachen, zeigte sich Interesse.“
Arthur Kaunds schrieb über dieselbe Tätigkeit: „Auf den Inseln in den Flüssen in der Gegend von Brahmavar zeigten viele Menschen Interesse, und es konnten manche Studien eingerichtet werden. Diese ,Christen‘, die der syrischen oder der römisch-katholischen Kirche angehörten, lernten die Wahrheit kennen. Wir saßen mit ihnen bei einer Kerosinlampe in ihren Lehmhäusern, belehrten sie und sangen mit ihnen Königreichslieder. In diesen Dörfern sind mehrere ,christliche‘ Bewohner dadurch Zeugen Jehovas geworden, daß sie die Wahrheit ursprünglich von ihren gläubigen Verwandten aus dem Klub in Bombay erfuhren.“
Auf dieser Reise nach Brahmavar und Umgebung wurde in einem Dorf ein öffentlicher Vortrag in einem aus Grasmatten errichteten Theater gehalten. 130 Personen kamen, um den Vortrag zu hören, doch alle wurden völlig durchnäßt, als es plötzlich regnete. Unbekümmert setzte man eine Wiederholung für den folgenden Tag an. Diesmal erschienen 300 Personen, und viele gaben ihren Namen und ihre Adresse ab, so daß sie von den Pionieren besucht werden konnten. In einer nahe gelegenen Stadt sollte ein öffentlicher Vortrag gehalten werden, doch Gegnerschaft machte es unmöglich, einen Saal zu bekommen. Der Vortrag sollte daher im Freien stattfinden. Da er angekündigt worden war, war die ganze Stadt gespannt darauf. Schließlich hörten dem Redner 150 Personen zu. Wieder wurden einige Namen abgegeben, und die Kanaresisch sprechenden Pioniere hatten einen guten Start in ihrer neuen Zuteilung.
DIE EINREISE VON MISSIONAREN ERSCHWERT
Von da an wurde es für Missionare immer schwieriger, eine Einreiseerlaubnis für Indien zu erhalten, besonders für amerikanische Staatsbürger. Die Hindubevölkerung als Ganzes war über die Gegenwart „christlicher“ Missionare aufgebracht. Einige kleinere Hindusekten hatten sich bereits mit der Bitte an die Regierung gewandt, die Tätigkeit der Missionare einzuschränken. Diese Bewegung begann im Jahre 1953. Abgesehen von Lärmbelästigungen und Störungen an einigen Orten, wurde das Werk der Zeugen Jehovas ansonsten nicht davon betroffen.
Während die Regierung veranlaßt wurde, die Arbeit mehrerer Missionare der Christenheit zu überprüfen, und gegen einige anscheinend deshalb vorging, weil sie sich in politische Angelegenheiten einmischten, waren wir Jehova dankbar, daß Jehovas Zeugen keine ernsthafte Behinderung verspürten. In der Presse wurde das Für und Wider der Tätigkeit „christlicher“ Missionare häufig erwogen. Wortführer im Kampf gegen das Evangelisieren veranstalteten öffentliche Versammlungen, um gegen die Tätigkeit der Missionare Stimmung zu machen. In einer Zeitungsmeldung hieß es: „Der Präsident der extremen Mahasaba-Partei der Hindus erklärte in einer öffentlichen Versammlung, daß die Tätigkeit von 5 000 Missionaren hier in Indien eine Bedrohung für das Zusammengehörigkeitsgefühl und für die Integrität Indiens ist.“
Im Jahre 1952 gab es längere Zeit Schwierigkeiten wegen der Einreiseerlaubnis für einen Wachtturm-Missionar. Nach vielen Unannehmlichkeiten erhielt Howard Benesch die Einreiseerlaubnis Er heiratete nach seiner Ankunft die Missionarin Molly Thompson aus Bangalore. Sie blieben in Bangalore, doch erhielt er keine Erlaubnis sich längere Zeit in Indien aufzuhalten. Die Regierung weigerte sich nach 12 Monaten, seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern. So schickte die Gesellschaft Bruder und Schwester Benesch nach Dacca in Ostpakistan, wo sie versuchen sollten, das Königreichswerk in Gang zu bringen. Sie waren die einzigen Zeugen Jehovas in Ostpakistan.
Einige Gileadabsolventen, die amerikanische Staatsbürger waren, wurden im Jahre 1953 als Missionare Indien zugeteilt, erhielten aber einfach keine Einreiseerlaubnis. Von da an wurden nur Bürger des britischen Commonwealth, die in Gilead ausgebildet worden waren, nach Indien gesandt, da dieses Land ebenfalls Mitglied des Commonwealth war.
KONGRESS FÜR ALLE MALAYALAM SPRECHENDEN
Da nun in Ernakulam in Trawankur ein Missionarheim eröffnet worden war, entschloß man sich, einen Kongreß für alle Malayalam sprechenden Brüder zu veranstalten. Man wählte dazu Upputhara (High Range) aus, und der Kongreß wurde von dem Kreisaufseher V. C. Itty organisiert. Dieses Dorf befand sich außerhalb des Teeanbaugebiets, etwa 24 km vom nächsten Postamt entfernt. Im Jahre 1953 gab es dort eine kleine Versammlung von 20 Verkündigern. Die Brüder am Ort verdienten ihren Lebensunterhalt mit dem Anbau von Pfeffer, Ingwer und anderen Gewürzen. Bruder Skinner besuchte diesen Kongreß und berichtet darüber:
„Die Brüder hatten ein pandal errichtet, d. h. ein schützendes Dach aus geflochtenen Palmblättern, das von Bambusstangen gestützt wurde. Da keine Seitenwände vorhanden waren, wehte ein Lüftchen, das bei der Hitze als sehr angenehm empfunden wurde. Man mietete einen tragbaren Generator, der für drei Lampen auf der Bühne und für eine Lautsprecheranlage von 30 Watt Strom erzeugte. Die Ankündigung erfolgte im Umkreis von 8 bis 16 km durch Transparente, Plakate und Handzettel. Zu Beginn waren 283 Personen anwesend, darunter viele Interessierte, und beim öffentlichen Vortrag wurden 522 Zuhörer gezählt. Aber noch viele andere konnten den Vortrag aus der Ferne hören, da außerhalb des pandal zwei Lautsprecher an Bäumen befestigt waren. Unglücklicherweise zog vor dem öffentlichen Vortrag ein Gewitter auf. Der Regen hielt zweifellos einige davon zurück zu kommen. In einem nahen Fluß wurden 27 Personen getauft.
Am meisten freute ich mich darüber, wie die beiden Missionare mit der Sprache, dem Malayalam, fertig wurden. Douglas Fraser hielt eine Ansprache in Englisch, aber mit einer fünfminütigen Einleitung in Malayalam. Er schloß auch in Malayalam ab. Sein Bruder Donald war an einer 40minütigen Demonstration beteiligt, in der zwei einheimische Brüder mitwirkten und die ganz in Malayalam ablief.“
DER NEUE-WELT-GESELLSCHAFT-KONGRESS
Im Jahre 1953 fand In New York der Neue-Welt-Gesellschaft-Kongreß der Zeugen Jehovas statt. Die Brüder in Indien waren begeistert, als angekündigt wurde, daß indische Delegierte den Kongreß besuchen würden und daß unter den Studenten der Gileadschule, die dort ihre Abschlußfeier hätten, zwei gebürtige Inderinnen seien. Welch eine Freude war es doch für Bruder A. J. Joseph, daß Gracie, seine jüngste Tochter, zusammen mit ihrer indischen Klassenkameradin Nasreen Mall die Gileadschule besuchen durfte! Die beiden hätten nicht gedacht, daß mit ihnen noch eine ganze Anzahl weiterer Missionare ihrem Heimatland zugeteilt würden. Unter den Delegierten, die aus Indien zu diesem denkwürdigen internationalen Kongreß gekommen waren und die Abschlußfeier miterlebten, befand sich auch Bruder A. J. Joseph. Später ließen die Delegierten auf einem Kongreß, der unter demselben Motto in Bombay stattfand, ihre Brüder an den guten Dingen, die sie gehört hatten, teilhaben. 358 Brüder waren auf diesem Kongreß in Bombay zugegen, und 48 Personen ließen sich taufen. Den öffentlichen Vortrag „Nach Harmagedon — Gottes neue Welt“ hörten schließlich 707 Personen.
GRUNDLAGE FÜR AUSDEHNUNG
Unmittelbar nach diesem Kongreß wurde eine Grundlage für weitere Ausdehnung in Indien geschaffen, da zusammen mit Schwester Gracie Joseph und Schwester Nasreen Mall weitere Gileadabsolventen eintrafen. Ein zweites Missionarheim wurde in Trichur (Trawankur) eingerichtet, und zwar wurde die dortige Missionarfamilie dem malayalamsprachigen Gebiet zugeteilt, und Schwester Joseph unterwies die Missionare in dieser Sprache.
Weiter im Norden, in Ahmednagar, schloß sich Percy Gosden, ein neuer Missionar, der aus Australien stammte, Bruder Cotterill an. Sie bearbeiteten dort gemeinsam das Gebiet, in dem Marathi gesprochen wurde. Noch weiter nördlich, in Dschullunder, das in den Ebenen des Sutlej im Ostpandschab liegt, wurde ein weiteres Missionarheim gekauft. Dorthin wurden fünf Missionare zugeteilt. Zu ihnen gehörte Nasreen Mall, die nun in einem Gebiet tätig sein konnte, in dem ihre Muttersprache, Urdu, gesprochen wurde. Insgesamt waren 13 neue Gileadabsolventen in Indien eingetroffen, wodurch die Zahl dieser gutgeschulten Arbeiter auf 31 angestiegen war.
EIN SIKH NIMMT DIE WAHRHEIT AN
Etwa um diese Zeit war Samuel Waller aus Bombay einmal im Straßendienst tätig und kündigte einen öffentlichen Vortrag an. Ein junger Mann, der zu den Sikhs gehörte, nahm einen Handzettel entgegen. Man stelle sich die Überraschung der Brüder vor, als dieser Sikh, der einen Turban trug, in den Königreichssaal kam, um sich den Vortrag anzuhören! Sein Name war Harjit Singh Dadyala. Er war mit einem Bibelstudium anhand des Buches „Gott bleibt wahrhaftig“ einverstanden.
Alle männlichen Sikhs schneiden ihr Haar nicht, sondern lassen es wachsen. Sie stecken ihr langes Haar, auf das sie sehr stolz sind, auf dem Kopf zu einem Knoten zusammen, den sie mit einem Turban bedecken. Deshalb waren die Brüder noch mehr erstaunt, als dieser Sikh eines Tages mit einem Haarschnitt in westlichem Stil und glatt rasiert in den Königreichssaal in Bombay kam. Es zeigte sich deutlich, daß er demütig genug war, um belehrt zu werden, und daß er sich nicht fürchtete, den Weg der Wahrheit zu gehen. Für Harjit Singh Dadyala war es nicht leicht, sich Jehova hinzugeben und getauft zu werden. Zweimal wurde er von zu Hause fortgejagt. Man schlug ihn und drohte, ihn zu töten, wenn er das Christentum nicht aufgeben werde. Später bewarb sich Bruder Dadyala um den Pionierdienst. Er machte im Laufe der Zeit so weit Fortschritte, daß ihm die Gelegenheit eingeräumt wurde, die Gileadschule zu besuchen.
INDISCHE ZEUGEN LEISTEN GUTE ARBEIT
Überall leisteten indische Brüder vorzügliche Arbeit. Bruder Addison arbeitete in einem Büro der Zentralregierung in Delhi. Jeden Tag gab er seinen Kollegen an der Bushaltestelle Zeugnis. Viele verspotteten ihn, doch einige befaßten sich näher mit der Sache. Ein Hindu studierte nach kurzer Zeit die Bibel und besuchte einige Zusammenkünfte. Er ließ sich bald in die Theokratische Schule eintragen und beteiligte sich regelmäßig am Predigtdienst. Auf einem Kreiskongreß in Dschullunder ließ er sich taufen. Dieser neue Bruder, R. P. Nigam, brachte seinen Neffen, I. P. Nigam — auch ein Hindu —, so weit, daß dieser die Bibel studierte und ebenfalls regelmäßig die Zusammenkünfte besuchte.
Auch in Südindien breitete sich das wahre Christentum unter Nichtchristen aus. Der junge Bruder Eric Falcon, der am südlichen Stadtrand von Bangalore einen landwirtschaftlichen Betrieb unterhielt, fing an, mit seinen Arbeitern über die Wahrheit zu sprechen. Falcons Landarbeiter waren größtenteils Analphabeten. Ihre Muttersprache war Telugu. Bruder Falcon beherrschte diese Sprache und konnte ihnen von dem wahren Gott, Jehova, und seinem Sohn, Jesus Christus, erzählen. In diesem landwirtschaftlichen Betrieb müssen ungefähr 100 Arbeiter mit ihren Familien tätig gewesen sein. Etwa 20 dieser Arbeiter gaben sich Jehova hin und wurden getauft. Wiewohl sie Analphabeten waren, gingen sie an den Wochenenden in benachbarte Dörfer, um über das, was sie über Christus und Gottes Königreich kennengelernt hatten, mit anderen zu sprechen.
ERNEUTE SCHWIERIGKEITEN IN PUNA
Zur Zeit des Gedächtnismahls im Jahre 1954 kam es in Puna erneut zu Schwierigkeiten. Richard Cotterill, der in Ahmednagar als Missionar tätig war, erhielt den Auftrag, nach Puna zu fahren und dort die Gedächtnismahlansprache zu halten. Am Samstag feierte die kleine Gruppe das Gedächtnismahl, und Cotterill blieb bis Sonntag, um noch einen öffentlichen Vortrag zu halten. Er berichtet, was sich ereignete:
„Das Wachtturm-Studium war gerade zu Ende, da kam kurz vor Beginn des Vortrags eine große Menge Marathi sprechender Hindus unter einem Anführer, der bereits frühere Zusammenkünfte gesprengt hatte, herein. Schon nach den ersten Sätzen schrien sie: ,Sprich in Marathi! Sprich in Marathi!‘ Sie wurden darauf hingewiesen, daß angekündigt worden war, der Vortrag werde in Englisch gehalten, und daß wir in Puna oftmals Vorträge in Marathi angesetzt und gehalten hatten. Aber sie waren darauf aus, Unruhe zu stiften. Wir versuchten in die Hotelhalle zu gehen, da wir uns im Garten befanden. Doch sie hinderten uns daran, den Vortrag dort zu halten. Dann ließen sie Schwester Mulgrove, Schwester Newland und mich von Polizisten auf die Polizeiwache bringen. Einer ihrer Anführer stand auf einem erhöhten Podest ... und sang: ,Wir lieben Sie, Mister Skinner.‘ Dann setzte die Meute im Chor mit den Worten ein: ,Aber verschwinden Sie aus Indien.‘ ,Wir lieben Sie, Mister Cotterill‘ — darauf der Chor: ,Aber verschwinden Sie aus Indien.‘ Später hörten wir, daß sie die Leute im Wohngebiet von Puna aufforderten, keine Literatur von Jehovas Zeugen entgegenzunehmen.“
Kurze Zeit nach diesem Vorfall wurden Bruder Cotterill und Bruder Percy Gosden von Ahmednagar nach Puna versetzt. Dieser Wechsel erschien vorteilhaft, da Puna ein größeres und weltoffeneres Gebiet war. Einige Marathi sprechende Familien in Puna zeigten etwas Interesse an der Wahrheit, und den beiden Missionaren war es möglich, die dortige kleine Versammlung zu erbauen. Um die Brüder in ihrer Tätigkeit zu unterstützen und zu ermuntern, gab die Gesellschaft in jenem Jahr das Buch „Gott bleibt wahrhaftig“ in Marathi heraus.
WIDERSTAND NUTZLOS
Aufgrund des guten Beispiels der Missionare nahmen immer mehr einheimische Brüder den Sonderpionierdienst auf. Ruzario J. Lewis, einer der Konkani und Kanaresisch sprechenden Brüder, wurde Sonderpionier und arbeitete in seinem ursprünglichen Heimatbezirk an der Küste von Konkan in der Gegend von Brahmavar. Seine tatkräftige Arbeit entging nicht der Aufmerksamkeit führender katholischer Kreise am Ort, die ihre Kirchenmitglieder aufforderten, seine Tätigkeit zu bekämpfen. Bei einer Gelegenheit verbrannten sie sogar sein kleines Kanu. Bruder Lewis hatte damit das Mündungsgebiet von Brahmavar bearbeitet. Er harrte dennoch in seiner Zuteilung aus und fand bei aufrichtigen Personen Widerhall. Die katholische Geistlichkeit und führende Kirchenmitglieder versuchten zum Beispiel, seine Tätigkeit verbieten zu lassen, um ihn aus der Gegend zu vertreiben. Doch Bruder Lewis legte bei dem Dorfältesten, Patel genannt, Berufung ein. Der Patel verlangte ein Zusammentreffen der Katholiken mit Lewis, um beide Seiten zu hören. Nachdem Bruder Lewis das von Gott gebotene Werk anhand der Bibel erklärt hatte, entschied der Dorfälteste — wiewohl er ein Hindu war —, daß Lewis bleiben und seine Predigttätigkeit fortsetzen durfte.
Damit gaben sich die Katholiken allerdings nicht zufrieden. Sie hatten es darauf abgesehen, Bruder Lewis zu ermorden. Eines Abends, nachdem er den Tag im Predigtdienst verbracht hatte, kehrte er nach Hause zurück Er ging im Dunkeln auf einem Dschungelpfad. Als er sich einem Teich näherte, überfiel ihn ein brutaler Kerl, der ihn in den Teich stoßen und ertränken wollte. Es kam zu einem Ringkampf am Ufer. Doch glücklicherweise näherte sich jemand; der Angreifer riß sich los und ergriff die Flucht. Von da an wählte Bruder Lewis immer andere Wege ins Gebiet und zurück.
In einem Dorf starb das zehn Tage alte Baby einer Interessierten. Bei den Bewohnern dieses Dorfes drehte sich die häufigste Entschuldigung dafür, daß sie sich nicht für die Wahrheit interessierten, um die Frage: „Wer wird mich begraben, wenn ich sterbe?“ Der Tod dieses Babys löste deshalb Spekulationen darüber aus, was Jehovas Zeugen tun würden.
Die katholische Kirche am Ort wollte nicht erlauben, das Baby auf ihrem Friedhof zu bestatten. Daher unternahm nun Ruzario Lewis etwas. Nachdem er an die örtlichen Behörden herangetreten war, wurde ihm ein Stück Land zugestanden, damit Jehovas Zeugen einen eigenen Friedhof haben konnten. Bruder Lewis hielt eine solch ausgezeichnete Beerdigungsansprache, daß Hunderte von Personen davon erfuhren und großes Interesse geweckt wurde. Nebenbei bemerkt hat Ruzario Lewis vom Jahre 1954 an in 22 Jahren 94 Personen geholfen, Gott hingegebene Verkündiger des Königreiches zu werden.
UNTER BESCHRÄNKUNGEN
Das Buch Was hat die Religion der Menschheit gebracht? war für die Völker Asiens sehr passend, da es auf viele wichtige Tatsachen in Verbindung mit dem Buddhismus, dem Islam und dem Hinduismus aufmerksam machte. Einigen Leuten gefiel jedoch das, was es über diese nichtchristlichen Religionen sagte, nicht. So verbot die indische Regierung im Jahre 1955 die öffentliche Verbreitung dieses Buches. Die Brüder durften aber ein persönliches Exemplar besitzen. Sie konnten dieses Buch gemeinsam studieren und das, was sie kennenlernten, im Predigtdienst verwenden.
Allen ausländischen Missionaren wurden Beschränkungen in der Absicht auferlegt, die missionarische Tätigkeit auf rein soziale, erzieherische oder ärztliche Arbeiten zu beschränken. Es wurde ein staatliches Komitee ins Leben gerufen, das die Tätigkeiten christlicher Missionen überprüfte. Im Jahre 1955 sandten wir ein Exemplar der Broschüre Christenheit oder Christentum — was ist „das Licht der Welt“? an den Vorsitzenden dieses Komitees. Er bestätigte den Erhalt und schrieb unter anderem: „Wie sich die Christenheit vom Christentum unterscheidet (was Ihre Broschüre zeigt), so unterscheidet sich das Christentum von Jesus, dem Sohn Gottes. Mir scheint, der menschliche Verstand hat die traditionellen Religionen (mit ihren Tempeln, Kirchen und Moscheen) überlebt und sucht nach einem neuen Licht, in dem sich der Mensch mit dem Menschen unter dem weiten Baldachin des Himmels treffen wird, wobei die Wahrheit seine heilige Schrift ist und sein Herz von liebevoller Freundlichkeit beseelt wird.“ Der Schreiber war ein Hindu, und diese Worte lassen wahrscheinlich das allgemeine Denken des durchschnittlich gebildeten Hindus erkennen. Viele betreten keinen ihrer Tempel. Sie behaupten, die Wahrheit zu suchen, doch bauen sie auf menschliche Philosophien (Kol. 2:8).
ÄNDERUNGEN BEI DEN MISSIONAREN
Nun entstand ein neues Missionarzentrum in Ahmedabad (Gudscharat). Damit wurde, abgesehen von der Stadt Bombay, begonnen, das gudscharatisprachige Gebiet zu erschließen. Ahmedabad ist als eine Stadt bekannt, in der sich hinduistische, islamische und dschainistische Baukunst begegnen. In dieser Stadt hatte sich die Baumwoll- und Seidenindustrie niedergelassen, und an kunstgewerblichen Erzeugnissen wurden Spitzen, Schmuck und Holzschnitzereien hergestellt. Schließlich nahmen mehrere Gudscharati sprechende Familien, die sich zum Christentum bekannten, die Wahrheit an.
Bruder Cotterill wurde nun als Kreisaufseher eingesetzt. Sein Dienst führte ihn praktisch von einem Ende Indiens bis zum anderen. Er besuchte die Missionarheime in Trawankur, Bangalore und Madras, reiste dann nach Kalkutta und weiter nach Darjeeling und Kalimpong. Im Jahre 1955 traf Cotterill in Darjeeling, dem Ausgangspunkt der Himalajabergsteiger, den Sherpa-Bergführer Tenzing Norgay, der zusammen mit Sir Edmund Hillary als erster den Gipfel des Mount Everest erreicht hatte. Bruder Cotterill gab Tenzing Zeugnis und sprach mit ihm über das ewige Leben und über die Möglichkeit, sich unter vollkommenen Verhältnissen an den herrlichen Bergen, die Jehova erschaffen hat, zu erfreuen. Tenzing reagierte freundlich und versprach, die Broschüre Grundlage für den Glauben an eine neue Welt zu lesen.
Zufolge verschiedener Umstände entstanden in einigen Missionarfamilien Lücken. Zum Beispiel wurde Nasreen Mall, die damals Kanpur (Cawnpore) zugeteilt war, sehr krank und mußte sich einer schweren Operation unterziehen, von der sie sich nicht mehr erholte. Ihr Tod war ein schwerer Schlag für das Missionarwerk.
SCHWIERIGKEITEN, SICH ANZUPASSEN
Im Juli 1955 fand im Yankee-Stadion in New York die Abschlußfeier der 25. Klasse der Gileadschule statt. Einer der Absolventen war Mammoottil Aprem Cheria, ein früheres Glied der Bethelfamilie in Bombay, der auch in Trawankur als Pionier gedient hatte. Er wurde zusammen mit anderen Missionaren Indien zugeteilt.
Als die beiden Missionarinnen June Riddell und Brenda Stafford am 17. November 1955 in Bombay ankamen, gab es dort gerade Straßenunruhen. Es wurde geschossen, und Busse wurden in Brand gesteckt. Das erleichterte natürlich nicht gerade die Aufgabe, sich den neuen Verhältnissen anzupassen. Schwester Riddell (jetzt June Pope) berichtete über ihre ersten Eindrücke: „Als das Schiff nach einer langen Seereise endlich anlegte und wir an Land gingen, schien uns die Hitze wie eine Decke einzuhüllen. Plötzlich sahen wir eine hübsche Frau, die ein Kleid trug, das für meine Begriffe das reizendste Kleid war, das ich je gesehen hatte. Ja, es war ein Sari. Die Frau sah aus wie eine indische Prinzessin. Sie winkte uns zu, und als wir sie ansprachen, stellte sie sich als Schwester Agnes Kamlani vor. Unterwegs erzählte sie uns in ihrem Wagen, daß ihr Mann, der auch in der Wahrheit war, früher ein Hindu war. Er war ein Filmschauspieler, ein Komiker, doch nun konnte er sich darüber amüsieren, wie wir auf die Dinge reagierten, die für uns neu waren. ...
In der Nacht heulten Schakale. Wir schlossen eilends alle Fenster, da wir dachten, es könnte auch Tiger geben. In der ersten Woche wurde im Haus der Familie Kamlani eingebrochen. Der Einbruch und die Straßenunruhen trugen dazu bei, daß uns immer mehr ein Gefühl der Trostlosigkeit überkam.
Die Armut, die Krankheiten, die Hitze und ganz besonders die philosophische Mentalität der Hindus ließen mich in zunehmendem Maße erkennen, daß ich in dieser Zuteilung in Indien nur mit Hilfe des Geistes Jehovas würde ausharren können. Jehova hat sich auch stets als eine Zuflucht erwiesen und sein Interesse an denen gezeigt, die ihm dienen. Es lohnt sich durchaus, in diesem Land zu predigen. Ich betrachte es als ein Vorrecht. Wie in allen anderen Ländern gibt es auch hier liebenswerte Menschen, und die Freude, einen kleinen Anteil daran zu haben, anderen zu helfen, Diener Jehovas zu werden, macht alle Entbehrungen wieder wett.“
Schwester Stafford und Schwester Riddell erhielten eine Zuteilung für Kanpur, wo sie mit Schwester Moss und Schwester Haddrill zusammen arbeiten sollten. Auf ihrer 1 347 Kilometer langen Bahnfahrt waren sie so aufgeregt, daß sie alle Türen und Fenster schlossen. Schwester Stafford (jetzt Brenda Norris) berichtete von einem peinlichen Vorfall auf dieser Reise: „Als der Zug in Jhansi Junction einfuhr und stehenzubleiben schien, beschlossen June und ich, von einem Verkäufer auf dem Bahnsteig einige Bananen zu holen. Ich sprang beherzt aus dem Zug. Als ich die Bananen entgegennahm, setzte sich der Zug plötzlich wieder in Bewegung. Ich rannte hinter dem Zug her, doch je schneller ich rannte, desto schneller schien der Zug zu fahren. June winkte mir wie wild aus dem Fenster zu und spornte mich an, schneller zu laufen. Schließlich hielt der Zug genauso unerwartet wieder an, wie er angefahren war. Er wurde nur auf ein anderes Gleis rangiert. Wie erleichtert war ich doch, daß ich in einem fremden Land nicht allein zurückbleiben mußte! Aber es war mir kolossal peinlich, als ich auf dem Rückweg gesenkten Hauptes an all den Leuten vorbeiging, die verwundert zugesehen hatten, wie ich den Bahnsteig hinuntergerannt war.“
NACH MANGALORE GESANDT
Die Gesellschaft hatte vorgesehen, daß die neuen Missionare Christiansen und Norris das Königreichswerk im kanaresischsprachigen Gebiet eröffneten. Mangalore sollte der Mittelpunkt sein. Auch sie hatten einige Schwierigkeiten, sich anzupassen. Hendry Carmichael, der erst ganz kurz zuvor eine einheimische anglonepalesische Schwester, Joyce Webber, geheiratet hatte, wurde beauftragt, die beiden neuen Missionare nach Mangalore zu bringen, eine passende Wohnung zu suchen und ihnen zu helfen, sich in ihrer Zuteilung niederzulassen. Bruder Carmichael berichtete: „Ich werde nie vergessen, wie sie furchtsam dreinblickten, als wir auf so viele Einwohner Mangalores stießen, die an der schrecklichen Elefantiasis erkrankt waren. Jeder vierte in dieser Stadt soll an dieser Krankheit leiden. Doch sie beruhigten sich, als ich ihnen erklärte, daß sie sich vor dieser Krankheit schützen könnten, wenn sie unter einem Moskitonetz schliefen.
Es dauerte zwei Wochen, bis ein Haus in Mangalore ausfindig gemacht und eingerichtet werden konnte. Die drei Brüder blieben solange in einem Hotel. „In diesen zwei Wochen gingen wir wie betäubt umher“, gab Bruder Norris später zu. „Wir nutzten die Zeit, um mit der seltsamen Umgebung und den ungewöhnlichen Anblicken vertraut zu werden. Der erste Fall von Elefantiasis war der schlimmste, den ich je sah. Wir bekamen diesen Kranken, einen Hindu-Brahmanen, zwei Wochen lang jeden Tag zu Gesicht. Es war ein Bettler, der täglich zu unserem Hotelzimmer kam und um Geld bettelte. Man sagte uns von Anfang an, daß wir keine Bettler aufnehmen sollten.
Der Kellner, der uns unser erstes Essen in Mangalore servierte, trug nur ein schmutziges Lendentuch und hatte einige Schnüre um die Schulter, um anzuzeigen, daß er ein Brahmane war. Er legte drei große Bananenblätter auf den rauhen Holztisch und goß Wasser darüber. Damit sollten wir die Blätter waschen. Als nächstes brachte er eine große Portion gekochten weißen Reis und stellte sie zwischen unsere Bananen,teller‘. Dann holte er mit einem Löffel aus einigen Gefäßen verschiedene mit Curry zubereitete Gemüsestückchen, die wir aber nicht unterscheiden konnten, so scharf waren sie gewürzt. Es gab kein Eßbesteck. Wir griffen daher mit den Fingern zu. Bald standen uns die Tränen in den Augen, die Nase lief, und unsere Zunge brannte. Wir blickten uns an und fragten uns, was wir da wohl aßen.“
Doch trotz der Schwierigkeiten, sich anzupassen, harrten die Missionare aus. Bruder Norris schrieb: „Wir gewöhnten uns in unserer Zuteilung ein, wo wir mit einer Versammlung von ungefähr 30 Kanaresisch sprechenden Verkündigern zusammenarbeiteten sowie mit den beiden Sonderpionieren Harsha Karkada jr. und Raphael Louis. Harsha Karkada jr. brachte uns Kanaresisch bei. Schon bald begann ich mit einer gewissen Frau Soans, die nicht Englisch konnte, ein Bibelstudium. Jeden Freitag saßen wir beisammen und lasen langsam in dem Buch ,Gott bleibt wahrhaftig‘ in Kanaresisch. Das war für mich eine große Hilfe im Erlernen der Sprache. Als ich schließlich eine andere Zuteilung anzutreten hatte, begann Frau Soans die Zusammenkünfte zu besuchen. Wir lernten, unsere Kanaresisch sprechenden Brüder aufrichtig zu lieben.“
FORTSCHRITT IM TAMILSPRACHIGEN GEBIET
Ein großer Schritt nach vorn in der Förderung des Königreichswerkes unter der Tamil sprechenden Bevölkerung Indiens und der übrigen Welt wurde im Jahre 1956 getan, als die Gesellschaft begann, den Wachtturm als Monatszeitschrift in Tamil zu drucken. Das war die vierte indische Sprache, in der Der Wachtturm erschien. Seit 1927 gab es diese Zeitschrift in Malayalam, seit 1953 in Urdu und seit 1954 in Kanaresisch.
Das große Problem war stets, fähige und zuverlässige Übersetzer zu haben. In Madras übersetzte eine Schwester in Tamil. Sie war Witwe und hatte für zwei Kinder zu sorgen. Um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, war Lily Arthur als Lehrerin tätig. Die Gesellschaft ernannte sie zum Sonderpionier. Auf diese Weise konnte Schwester Arthur ihre ganze Zeit dem Übersetzen und dem Pionierdienst in der Stadt Madras widmen. Lily Arthur zeigte in ihrem Dienst für Jehova Ausharren und entwickelte sich zu einer vortrefflichen und zuverlässigen Mitarbeiterin. Rathna, ihre Tochter, wurde „in der ernsten Ermahnung Jehovas“ erzogen; sie nahm den Sonderpionierdienst auf und heiratete den Sonderpionier Richard Gabriel. Alle drei besorgten dann gemeinsam die Redaktionsarbeit der Gesellschaft in Tamil und dienten in Madras als Pioniere (Eph. 6:4).
Schwester Lily Arthur berichtet über den Fortschritt, der unter den Tamil sprechenden Brüdern seit 1956 zu verzeichnen ist: „Als wir unser Predigtwerk begannen, hatten wir keine Literatur in unserer Muttersprache. Es fiel uns sehr schwer, die Königreichsbotschaft in Tamil zu verkündigen. Wir ließen im Dienst die Wohnungen der Leute aus, die nur Tamil sprachen, weil wir immer noch den Wortschatz der Christenheit gebrauchten. Da mein Vater Geistlicher war, kannte ich nichts anderes. Wir mußten unseren alten Wortschatz völlig aufgeben und den neuen, theokratischen lernen, bevor wir das reine Wort der Wahrheit der Tamil sprechenden Bevölkerung erklären konnten. Der Wachtturm in Tamil half uns Tamil sprechenden Brüdern dabei sehr. Im Laufe der Jahre durfte ich beobachten, wie sich die Brüder allmählich mit Hilfe des Wachtturms einen neuen Wortschatz erwarben und freimütig ein wirkungsvolles Zeugnis geben konnten. Als Folge davon haben wir mit dem Segen Jehovas eine Zunahme der Tamil sprechenden Brüder erlebt.“
EINE ZEIT DER VERÄNDERUNGEN
Die neue Republik Indien sah sich gezwungen, einige Grenzkorrekturen vorzunehmen. Daher wurde im Jahre 1956 ein großer Plan für staatliche Reorganisation verwirklicht. In vielen Fällen wurde die frühere Aufgliederung in Teilstaaten geändert, indem zum Beispiel kleinere Staaten zusammengelegt und somit vergrößert, größere hingegen verkleinert wurden. Auch einige Namen änderten sich. Ausschlaggebend für diese Neuaufgliederung war hauptsächlich die Sprache. In den beiden früheren Staaten Trawankur und Kotschin wurde beispielsweise Malayalam gesprochen. Daher wurden diese beiden Staaten und der Teil des Staates Madras, in dem Malayalam gesprochen wurde, unter dem neuen Namen Kerala zusammengeschlossen. Bestimmte Teile des Staates Madras, in denen man Kanaresisch sprach, wurden abgetrennt und mit dem Staat Mysore verschmolzen, wo hauptsächlich Kanaresisch gesprochen wurde. Das erzeugte unter bestimmten Teilen der Bevölkerung Unwillen, besonders in den Grenzgebieten, wo diese Änderungen am meisten empfunden wurden. Dieser Unwille entlud sich in heftigen Aufständen und Schießereien und war auch einer der Gründe für die damaligen Unruhen in Bombay. Die Stadt Bombay wurde dem Staat Maharashtra angeschlossen, was die Gudscharati sprechende Bevölkerung sehr übelnahm. Sie zeigte ihren Ärger durch gewalttätige Unruhen in den Straßen Bombays. Aber schließlich beruhigte sich die Lage, und die Leute haben sich nun an die neuen Staatsgrenzen gewöhnt.
Die katholische Bevölkerung im neuen Staat Kerala war für unsere Verkündiger ein fruchtbares Feld. Bruder K. T. Varghese traf in Trivandrum einen jungen Mann, einen gewissen Mr. Joseph. Dieser trat standhaft für die Wahrheit ein, wiewohl seine Angehörigen gegnerisch eingestellt waren. Seine Eltern wollten ihn als katholischen Priester ausbilden lassen und hatten ihn daher auf ein katholisches Seminar in der portugiesischen Besitzung Goa gesandt. Aus gesundheitlichen Gründen war Mr. Joseph nach Trivandrum zurückgekehrt, wo er in einem Büro, in dem auch Bruder K. T. Varghese arbeitete, angestellt wurde. Bruder Varghese unterhielt sich taktvoll mit diesem 21jährigen Mann, der glaubte, nur die katholische Kirche habe die Wahrheit, und ging freundlich auf alle seine Einwände ein. Nachdem seine Fragen biblisch beantwortet worden waren, erklärte sich Mr. Joseph mit einem Heimbibelstudium einverstanden. Bald war er davon überzeugt, daß er wirklich die Wahrheit gefunden hatte, und er konnte die Irrtümer in der katholischen Lehre erkennen. Er gehörte früher der „Legion of St. Mary“ in Trivandrum an. Diese Organisation versuchte vergeblich, seine Treue zu Jehova zu brechen. Nach kurzer Zeit ließ er sich taufen.
EIN ERMUTIGENDER BESUCH
Im Jahre 1956 kam Bruder F. W. Franz, ein Vertreter des Brooklyner Bethels, auf einer Dienstreise rund um die Welt auch nach Indien. Nachdem er sich in Pakistan acht Stunden in Quarantäne hatte gedulden müssen, konnte er wenigstens an den darauffolgenden neun Tagen seine Vereinbarungen ohne Verzögerung einhalten. Bruder Stephen Smith in Neu-Delhi war sehr überrascht, als Bruder Franz am Montag, dem 24. Dezember, morgens bei ihm vorsprach. Die Missionare und die einheimischen Brüder von Delhi hatten vor, ihn um 18.40 Uhr auf dem Flughafen Palam zu empfangen, und nun war er bereits in der Stadt, ohne daß die meisten Brüder etwas davon wußten! So wurde das Gegenteil Tatsache. Bruder Franz fuhr zum Flughafen Palam, um unsere indischen Brüder dort zu treffen. Es war eine sehr nette Überraschung, als er im Wagen eines Interessierten vorfuhr und die Menge, die ihn willkommen heißen wollte, begrüßte. Nach indischem Brauch hängte ihm eine junge Schwester eine Girlande aus süßduftenden Rosen und Chrysanthemen um den Hals, um ihn traditionsgemäß auf diesem großen Subkontinent willkommen zu heißen.
Am nächsten Tag war „Weihnachten“. In Indien machen die Hindus und die Namenchristen um den 25. Dezember das größte Aufsehen. Sie senden sich gegenseitig Karten und sind von dem sogenannten Weihnachtsgeist wie besessen. Die Brüder in Delhi nutzten den Feiertag, um im Zeitschriftendienst tätig zu sein. Insgesamt beteiligten sich an diesem Vormittag 28 Brüder und Schwestern am Predigtdienst. Bruder Franz und Bruder Smith waren gemeinsam unterwegs und gaben abwechselnd Zeugnis.
Die Brüder versammelten sich dann im Kongreßsaal des Corporation Public Works Department. Nach einem guten Mittagessen lauschte um 16 Uhr eine Zuhörerschaft von 85 Personen Bruder Franz, der über das Thema sprach: „Der Friede einer neuen Welt in unseren Tagen — Warum?“ Unter den Anwesenden befanden sich Hindus, Sikhs, Dschainisten, Mohammedaner und Namenchristen. Nach der Ansprache mischte sich der Redner zwanglos unter die Zuhörer und freute sich, mit ihnen über weitere Punkte, an denen sie interessiert waren, im einzelnen zu sprechen.
Dies war nur ein eintägiger Kongreß. So konnte Bruder Franz am nächsten Tag einige berühmte Sehenswürdigkeiten in Delhi besichtigen. In dem modernen Tempel, der Birla Mandir genannt wird, waren die Hindu-Gottheiten Brahma, Wischnu und Schiwa sowie die Göttin Durga zu sehen. An der rechten Seite des Haupteingangs war eine Inschrift in Sanskrit, Hindi und Englisch angebracht. Sie lautete: „Der als Wischnu Bezeichnete ist eigentlich Rudra, und Rudra ist Brahma, ein einziges Wesen, das wie drei Götter handelt, das heißt Rudra, Wischnu und Brahma.“ Welch erstaunliche Ähnlichkeit mit der Dreieinigkeitslehre der Christenheit!
Bruder Franz reiste dann weiter nach Kalkutta, wo ein zweitägiger Kongreß geplant war. Dieser Kongreß wurde auf 200 Plakaten und mit Hilfe von 5 000 Handzetteln angekündigt. Das zweitägige Programm machte es möglich, daß an einem Vormittag Predigtdienst verrichtet werden konnte und auch Vorträge in Bengali stattfanden. Mit Hilfe eines Dolmetschers sprach Bruder Franz zu 69 Bengali sprechenden Brüdern. Er hob die Notwendigkeit hervor, nicht auf Personen zu hören, die gegen Jehovas Organisation und ihre theokratischen Predigtmethoden sprechen. Er rief dazu auf, in der Verkündigung des Königreiches Pionierdienst zu leisten.
Am zweiten Tag des Kongresses ließen sich zehn Taufbewerber untertauchen — drei Bengali und drei Hindustani Sprechende, ein Bihari Sprechender sowie drei Angloinder. Am Abend waren die Kongreßbesucher sehr glücklich, als das Kunsthaus mit der größten Zuhörermenge gefüllt war, die sich je in Kalkutta versammelt hatte: 281 Personen lauschten aufmerksam dem Vortrag „Der Friede einer neuen Welt in unseren Tagen — Warum?“ Zu den abschließenden Programmpunkten blieben noch 135 Personen, um die Worte von Bruder Franz zu hören, der die Notwendigkeit zeigte, Reinheit, Gehorsam und Treue zu pflegen, um in der Organisation bleiben zu können. Am darauffolgenden Vormittag fanden sich 49 Brüder am Flughafen Dum Dum ein, um Bruder Franz zu verabschieden, der nach Rangun (Birma) weiterflog.
EIN WEITERER BESUCHER ERBAUT UNS
Während sich F. W. Franz in Delhi und Kalkutta aufhielt, besuchte Bruder N. H. Knorr Bombay. Der schönste Saal der Stadt, der Sir-Cowasji-Jehangir-Saal, war bereits von der Eisenbahn-Passagier-Gesellschaft für eine Konferenz gemietet worden. Aber der Sekretär dieser Gesellschaft willigte ein, das Konferenzdatum zu ändern, so daß wir den Saal benutzen konnten, während Bruder Knorr in Bombay war. Das einzige, was wir an Unkosten zu tragen hatten, war das Porto für die Mitteilung an ihre Mitglieder, daß der dritte Tag ihrer Konferenz ausfiel.
Der Kongreß war Wochen im voraus gut angekündigt worden, und die Brüder fühlten sich reich belohnt, als 1 080 Personen den Saal füllten — die größte öffentliche Zuhörerschaft, die bis dahin bei einem unserer Kongresse in Indien gezählt worden war. Das Thema lautete: „Der Friede einer neuen Welt in unseren Tagen — Warum?“
In einem Bericht über diesen Indienbesuch im Jahre 1956 schrieb Bruder Knorr: „Es wurde nötig, daß Bruder Skinner und ich in verschiedene Stadtviertel Bombays fuhren, um einen besseren Ort zu suchen, wo wir einen Königreichssaal, ein Zweigbüro und eine kleine Druckerei bauen können, um unser Werk fortzusetzen. ... Es scheint nun, daß wir bald einen geeigneten Platz haben werden und soweit sind, unser eigenes Gebäude zu bauen, um dann von unserem jetzigen Heim an der Love Lane wegzuziehen. ... Als dies am Schluß des Kongresses bekanntgegeben wurde, löste es bei den Brüdern gewaltige Begeisterung aus, denn sie freuten sich zu erfahren, daß für Indien etwas Neues gebaut werden sollte, da dies ein weiterer Beweis dafür ist, daß sich unser Werk in diesem großen Land mit so vielen Millionen Einwohnern mehr und mehr ausdehnt. ...
Die Brüder in Indien waren hoch erfreut, daß sie in der Lage waren, eine eigene Cafeteria, die erste in Indien, zu betreiben, und sie machten ihre Sache sehr gut. Die Brüder im Zweigbüro standen früh auf und begaben sich zum Saal, um alles für die ,Speisung‘ der Menge vorzubereiten.“
MIT GEISTIGER SPEISE REICHLICHER VERSORGT
Im Jahre 1957 kam die erste Ausgabe des Wachtturms in Bengali aus der Druckpresse. Von da an erhielten die Brüder im bengalisprachigen Gebiet — in Städten wie Kalkutta und den Orten um Kanchrapara sowie im übrigen Teil dieses Distrikts — regelmäßig genügend Schriften für ihre Predigttätigkeit und um sich selbst geistig zu stärken.
In jenem Jahr stellte die Gesellschaft von jeder Ausgabe des Wachtturms 2 100 Exemplare in Tamil her, die teilweise nach Ceylon, Birma, Singapur, den Fidschiinseln, Mauritius, Südafrika und Surinam versandt wurden. Dann wurden jedoch Vorkehrungen getroffen, die Wachtturm-Ausgabe in Tamil auf einer Presse zu drucken, statt sie zu vervielfältigen.
INDISCHE PIONIERE HALTEN AN IHRER TÄTIGKEIT FEST
Betrachten wir nun die Arbeit, die von den indischen Pionieren geleistet wurde. Es war etwas Außergewöhnliches, als es einem Pionier gelang, einen Hindu zum Studium der Bibel zu bewegen. Der Interessierte hatte einen Bruder, der ein sanyasi (ein Asket) war und schon fast jeden Wallfahrtsort in Indien besucht hatte. Er kam für einige Zeit zu seinem Bruder zu Besuch und war überrascht, daß dieser die Bibel studierte. Auch er begann in der Bibel zu lesen. Das führte zu vielen Unterhaltungen mit dem Pionier. „Jetzt“, so schrieb der Pionier, „waren zu unserem Erstaunen das lange, schmutzige, verfilzte Haar und der Bart, die schon viele Jahre weder parfümiertes Öl noch Haarcreme gesehen hatten, verschwunden. Er ... besuchte mit seinem Bruder das Wachtturm-Studium.“
KONGRESSE „GÖTTLICHER WILLE“
Einundzwanzig Delegierte aus Indien besuchten im Jahre 1958 den internationalen Kongreß der Zeugen Jehovas „Göttlicher Wille“ in New York. Vier der Absolventen der Gileadschule, die dort ihre Abschlußfeier hatten — Noel Hills, Gerald Seddon, Alice Itty und Sarah Matthew —, stammten aus Indien.
Für Indien selbst fand der Kongreß „Göttlicher Wille“ vom 27. bis 30. Oktober 1958 in Bombay statt. Die dortigen Zeugen suchten eifrig nach Unterkünften für ihre Brüder, die aus ganz Indien kamen. Jehovas Segen zeigte sich darin, daß man die leerstehende Villa eines früheren indischen Maharadschas erhielt. Fünfundsechzig Brüder, die ihr eigenes Bettzeug mitbrachten, schliefen in dieser Villa auf dem Marmorfußboden. Eine karitative Organisation der Moslems stellte zwei ganze Stockwerke einer kurze Zeit vorher errichteten vierstöckigen Herberge zur Verfügung, wo fünfzig Brüder Platz fanden.
Das Kongreßprogramm wurde in sieben Sprachen dargeboten. Zu dem öffentlichen Vortrag „Gottes Königreich herrscht — Ist das Ende der Welt nahe?“ war der Saal zu unserer großen Freude mit 1 009 Personen gefüllt. Auf diesem Kongreß symbolisierten auch 45 neue Brüder und Schwestern ihre Hingabe an Jehova durch die Wassertaufe.
MEHR ALS TAUSEND PREDIGER!
Zu dieser Zeit waren in verschiedenen Gebieten Indiens 40 Gileadabsolventen tätig. Sie hatten in Gemeinschaft mit ihren Brüdern fleißig gearbeitet, und das Jahr 1958 brachte für sie alle große Freude mit sich. Zum erstenmal in der Geschichte Indiens hatten wir über 1 000 Verkündiger! Im Jahre 1958 betrug die monatliche Verkündigerzahl im Durchschnitt 1 091. Es hatte dreiundfünfzig Jahre gedauert, bis wir die ersten tausend Königreichsverkündiger erreichten.
Da es nun über 1 000 Verkündiger gab, die in ganz Indien verstreut waren, sowie weitere 1 000 Personen, die Interesse zeigten, was die Zahl der Anwesenden beim Gedächtnismahl im Jahre 1958 erkennen ließ, bestand die Notwendigkeit, den Bezirks- und Kreisdienst in diesem Land auszubauen. Das wiederum trug zur Stärkung der gesamten Organisation bei.
Etwa um diese Zeit führte Schwester Pope bei einer gewissen Mrs. K. Peters, einer Arztfrau, die als Lehrerin für die Adventisten vom Siebenten Tag tätig war, ein Bibelstudium durch. Als diese Frau einmal von der Wahrheit überzeugt war, konnte sie selbst nicht mehr durch den Besuch eines ihrer führenden europäischen „Pastoren“ davon abgebracht werden. Nach der Unterredung sagte dieser „Pastor“ zu Schwester Pope: „Sie machen uns eine unserer besten indischen Mitarbeiterinnen abspenstig.“ Tatsächlich wurde Schwester Peters eine außerordentlich fleißige Zeugin. Mit ihrer akademischen Bildung leistete sie der Gesellschaft durch die Übersetzung der Schriften in Hindi gute Dienste.
Als sich das Werk in Indien ausbreitete, nahmen alle Arten von Menschen Gottes Botschaft an, und bei vielen dauerte es lange, bis sie die unreinen Bräuche dieses Systems der Dinge aufgaben. Einige konnten einfach nicht die erforderlichen Änderungen vornehmen, und andere kehrten wieder zu ihrer früheren Lebensweise zurück. Seitdem die Maßnahme des Gemeinschaftsentzugs im Jahre 1952 deutlich erklärt worden war, gab es unter den Zeugen in Indien eine kaum merkliche Zahl von Ausschlüssen. Als aber 1959 innerhalb eines Jahres 14 Personen die Gemeinschaft entzogen worden war, wurde die Aufmerksamkeit des Zweigbüros zwangsläufig auf die Notwendigkeit gelenkt, Jehovas Organisation rein zu erhalten. Bis dahin war 81 Personen die Gemeinschaft entzogen worden. Dadurch wurde aber die Voraussetzung für eine stärkere und gesündere Organisation geschaffen.
VERHÄLTNISSE, DIE DER VERBESSERUNG BEDURFTEN
Es bestand keine einheitliche Methode für die Durchführung des Bezirks- und Kreisdienstes. Zum Beispiel fanden Kreiskongresse nur dann statt, wenn es gelegen erschien. Die Versammlungen wurden nicht regelmäßig von den Kreisaufsehern besucht. Solche Besuche konnten zwei oder drei Tage dauern. Es fanden hauptsächlich besondere Zusammenkünfte statt, bei denen der Kreisaufseher lange Ansprachen hielt. Man betrachtete den Kreisaufseherbesuch nicht als eine Zeit vermehrten Predigtdienstes.
Bruder Hadyn Sanderson berichtete von seiner Reisetätigkeit zum Beispiel, daß in einer Versammlung in Kerala über 100 Personen, von denen die meisten getauft waren, regelmäßig die Zusammenkünfte besuchten. Aber nur 16 berichteten als Verkündiger. Die Frage: „Bist du ein Russellit?“ wurde von der Mehrzahl mit Ja beantwortet. Beim Besuch der Zusammenkünfte richteten sich die Brüder nach der Stellung der Sonne am Himmel. Es gab keine festgesetzten Anfangszeiten. In einigen Versammlungen läutete vor Beginn fünf Minuten lang eine Glocke, und die Zusammenkunft begann erst, wenn alle Brüder eingetroffen waren. Die Brüder saßen auf der einen Seite im Saal und ihre Frauen und andere Schwestern auf der anderen Seite, wie es der religiöse Brauch am Ort war. Die Familien saßen also im Königreichssaal nicht zusammen.
Bruder Sanderson erwähnte auch, daß man sich sehr über die Kreiskongresse freute, doch schenkte man dem Programm nicht besonders viel Aufmerksamkeit. Einige Brüder hatten die Gewohnheit, nach dem Programm in kleinen Gruppen auf die Bühne zu kommen und biblische Texte zu bekannter Filmmusik zu singen. Die Vorsitzenden bei den öffentlichen Vorträgen brauchten stets viel Zeit für die Einleitung. Ein Bruder sprach einmal zwanzig Minuten, bevor er den Redner einführte.
Während Bruder Sanderson als Bezirksaufseher reiste, lehrte er nicht nur biblische Grundsätze, sondern legte auch Nachdruck auf organisatorische Einzelheiten. Die Kreisaufseher wurden geschult, und danach wurde auch anderen Aufsehern geholfen. Die Bereitwilligkeit war vorhanden, doch die Brüder wußten nicht, wie etwas zu tun war. Regelmäßige Besuche in den Versammlungen wurden geplant, und auch die Kreise wurden systematisch besucht und nun zum erstenmal so eingeteilt, daß in jedem Kreis alle sechs Monate ein Kongreß stattfinden konnte.
Ab Dezember 1959 gab es in Indien acht Kreise. Das Reisen war für Bruder und Schwester Sanderson damals anstrengend. Er berichtete darüber: „Unsere Überseekoffer befanden sich im Missionarheim in Madras, doch wir hatten kein Zimmer dort. Wir nahmen lediglich auf der Durchreise das mit, was wir in den nächsten sechs Monaten brauchten. Am Sonntag dienten wir auf einem Kongreß in Bangalore, und am Dienstag wurden wir in Darjeeling erwartet, das 2 680 Kilometer entfernt liegt. Auf der Bahnfahrt dorthin mußten wir fünfmal umsteigen.“ Die Grenze dieses einen Bezirks lief von Trivandrum über Bombay und Ahmedabad nach Delhi, Darjeeling und Kalkutta und dann nach Madras und wieder zurück über Bangalore nach Trivandrum — ungefähr 6 450 Kilometer.
EIN NEUES ZWEIGGEBÄUDE
In der Zwischenzeit gingen in Bombay beachtenswerte Veränderungen vor sich. Die wachsende Zahl von Zeugen in Indien erforderte ein neues Zweiggebäude mit günstigeren Räumlichkeiten, damit die Brüder im Predigtdienst unterstützt werden konnten. Deshalb wurde im November 1959 ein Bauvertrag für ein Gebäude unterzeichnet, das in der hübschen Wohngegend von Santa Cruz errichtet werden sollte, 20 km nördlich vom Stadtzentrum Bombays. Das Grundstück maß 38 × 27 Meter. Am 2. November 1959 begann die Baufirma mit der Arbeit. Es war schwierig, Zement zu erhalten. Die Bestände wurden staatlich überwacht und rationiert. Schließlich gelang es der Gesellschaft, die erforderliche Menge zu bekommen, wenngleich es lange dauerte, da viele Formalitäten zu erledigen waren.
Während der nächsten zwölf Monate nahm das Gebäude allmählich Form an. Der zweigeschossige Bau bestand aus einem Betonskelett, das mit Ziegeln ausgemauert war. Die gesamte Vorderfront hatte eine Natursteinverblendung, die dem Gebäude Schönheit und Würde verlieh. Auf der einen Seite befand sich der Haupteingang, der mit grauen Marmorplatten eingefaßt war, und zu beiden Seiten der Stufen waren Aussparungen für Blumenkästen vorgesehen. Die Eingangshalle bildete den Empfangsraum. Dieser war mit einer Glasplatte verschönert, einer Art Relief, das die paradiesische Erde darstellte. Im Parterre befanden sich der Speisesaal, die Küche, verschiedene Lagerräume und das Zweigbüro. Außerdem gab es im Gebäude sechs Schlafräume und einen geräumigen, hellen Königreichssaal, der 150 Personen Platz bot. Auf der Dachterrasse war genügend Platz für Zusammenkünfte im Freien. Das ganze Gebäude stand in einem Garten von paradiesischer Schönheit.
Im November 1960 bezogen wir das Gebäude — gerade zwölf Monate nachdem mit dem Bau begonnen worden war. Das neue Zweiggebäude wurde im darauffolgenden Monat, im Dezember, eingeweiht, als G. D. King als Zonenaufseher Indien besuchte. Bruder Skinner, einer der Redner, umriß die Anfänge des Königreichswerkes in Indien und das Wachstum bis zu jener Zeit und brachte es mit der Prophezeiung aus Sacharja 8:23 in Verbindung. Bruder King drückte in der Einweihungsansprache Dankbarkeit gegenüber Jehova aus, der den Bau dieses schönen neuen Gebäudes, das ausschließlich dem Tun seines Willens gewidmet sein sollte, ermöglichte.
VIELE SPRACHGRUPPEN ERREICHT
Ein Pionier berichtet, wie die Brüder oft Sprachenprobleme überwinden mußten. Die meisten wissen zwar, daß Indien ein vielsprachiges Land ist, doch kann man sich wohl nur schwer ein Bild davon machen, welche Probleme das in der Praxis mit sich bringt. Der Pionier fand viel Interesse bei einigen Tamil sprechenden Katholiken in einer Stadt, in der diese Sprache normalerweise nicht gesprochen wird. Die Muttersprache des Pioniers war Kanaresisch, aber er konnte auch Englisch. Um das Problem zu lösen und das Bibelstudium mit diesen Tamil sprechenden Personen durchzuführen, nahm der Pionier zweimal im Monat einen einheimischen Mann mit, der sowohl Tamil als auch Englisch sprach. Auf diese Weise konnte ein Heimbibelstudium anhand eines englischen Buches durchgeführt werden. Eine Schwester schrieb: „Oh, Ihr hättet am vergangenen Dienstag bei uns im Studium sein sollen! Wir waren zwölf Personen, die entweder Kanaresisch, Marathi oder Englisch sprachen. Ein Bruder erklärte das Besprochene in Kanaresisch, ein anderer dasselbe auf Malayalam, und ich sprach für diejenigen aus Maharashtra in Hindustani. Alle freuten sich sehr.“
Während die Brüder im Werk des Jüngermachens fähiger wurden, entstand mehr Bedarf an Literatur, besonders in den verschiedenen Sprachen, die in Indien gesprochen werden. Deshalb gab die Gesellschaft im Jahre 1960 die Zeitschrift Erwachet! zum erstenmal in einer indischen Sprache, und zwar in Malayalam, heraus. Im Jahre 1961 erschien in Madras die Zeitschrift Erwachet! in Tamil. Damals druckte die Gesellschaft den Wachtturm in sechs indischen Sprachen: Malayalam, Kanaresisch, Tamil, Urdu, Marathi und Bengali. In den drei Jahren von 1959 bis 1961 wurden weitere Veröffentlichungen (Bücher und oder Broschüren) in neun indischen Sprachen herausgegeben. Dabei handelte es sich um Bengali, Gudscharati, Hindi, Kanaresisch, Marathi, Telugu, Tamil, Malayalam und Urdu. Die Gesellschaft bemühte sich somit aufrichtig, die Brüder dazu anzuspornen, die Bevölkerung Indiens mit der Königreichsbotschaft bekannt zu machen.
Fünfundfünfzig Jahre lang war Bruder A. J. Joseph der Hauptübersetzer der Gesellschaft in Malayalam gewesen, doch mit zunehmendem Alter wurde er immer schwächer. Seine Gesundheit ließ immer mehr zu wünschen übrig, bis er schließlich nicht mehr übersetzen konnte und er 1961 im Alter von 77 Jahren von dieser Verantwortung befreit wurde.
DIE KÖNIGREICHSDIENSTSCHULE — EINE HILFE
Die offizielle Volkszählung im Jahre 1961 ergab für Indien eine Bevölkerungszahl von über 439 000 000. Davon konnten nur 24 Prozent lesen und schreiben. Wir hatten damals ein Verhältnis von einem Zeugen auf 303 129 Einwohner erreicht. 97 Prozent der Bevölkerung Indiens lebten in nichtzugeteiltem Gebiet. Das bedeutete, daß Jehovas Zeugen in Indien unter 4 392 347 Menschen oder nur 3 Prozent der Bevölkerung predigten. Gewiß ‘waren der Arbeiter wenige’! (Luk. 10:2).
Es war tatsächlich ein tatkräftiges Schulungswerk erforderlich, um die Brüder weiter auszurüsten, so daß ihre Anstrengungen zählten und sie die Qualität ihres Predigtdienstes verbessern konnten. Zu diesem Zweck richtete die Gesellschaft im Dezember 1961 die Königreichsdienstschule in Indien ein. In der ersten Klasse, die aus 25 englisch sprechenden Schülern bestand, waren Kreisaufseher, Sonderpioniere, Missionare und Versammlungsaufseher vertreten. Da die Schüler im Bethel in Bombay wohnten und mitarbeiteten, lernten sie einiges über die Zweigorganisation kennen. Sie waren für diese Erfahrung sehr dankbar.
Die Abschlußfeier der zweiten Klasse der Königreichsdienstschule war besonders eindrucksvoll, da einige Schüler neue Zuteilungen erhielten, weit entfernt von ihren Heimatorten. Man ging nun daran, neue Gebiete zu erschließen. M. A. Cheria, M. C. Joseph und P. J. Matthew wurden als Sonderpioniere nach Shillong (Assam) gesandt, das über 4 000 Kilometer von Bombay entfernt liegt.
In den ersten beiden Monaten nahmen diese drei Brüder in Shillong über 200 Abonnements auf. Schon nach kurzer Zeit wurde natürlich die Geistlichkeit alarmiert. Ein katholischer Priester eines Seminars am Ort und einige seiner Studenten suchten mit Bruder Cheria, Bruder Joseph und Bruder Matthew eine Unterredung herbeizuführen, die auch zustande kam. Dem Priester ging es vor allem um die Dreieinigkeitslehre. Offensichtlich trugen die Brüder in der Auseinandersetzung den Sieg davon, denn zwei Tage später traf einer der Studenten Bruder Matthew und drohte, ihn zu verprügeln, indem er sagte: „Ihr habt unseren ,Vater‘ in Verwirrung gebracht. Schließlich ist er unser Professor.“ Von den Kirchenkanzeln wurde daraufhin wiederholt vor Jehovas Zeugen gewarnt. Dennoch konnten viele gute Bibelstudien begonnen werden.
Ab Anfang 1963 zogen in etwa zwölf Monaten 68 Schüler in Indien Nutzen aus der zweiten Runde der Königreichsdienstschule. Sie verteilten sich ungefähr gleichmäßig auf drei verschiedene Sprachgruppen (Kanaresisch, Englisch und Malayalam). Da Bruder R. J. Masilamani fünf indische Sprachen spricht, konnte er diese drei Klassen unterrichten. Die Malayalam sprechenden Schüler kamen im Staat Kerala zusammen und die anderen beiden Gruppen im Bethel in Bombay.
EIN ZONENAUFSEHERBESUCH TRÄGT ZUM FORTSCHRITT BEI
Die jährlichen Besuche der Zonenaufseher trugen dazu bei, daß die Tätigkeit in Indien und das Zweigbüro mit der Weltzentrale der Watch Tower Society in New York noch mehr in Einklang gebracht wurden. Am 3. Februar 1962 besuchte M. G. Henschel als Zonenaufseher Indien. Er kam aus den Ländern des Nahen Ostens über das gebirgige Afghanistan. Bruder Henschel landete auf dem Flughafen Santa Cruz in Bombay und stattete dem Zweigbüro einen Besuch ab.
Gleichzeitig kamen aus allen Teilen Indiens Brüder nach Bombay zu einem Bezirkskongreß, der so geplant war, daß er mit Bruder Henschels Besuch zusammenfiel. Dorfbewohner aus Kerala sahen zum erstenmal in ihrem Leben eine moderne Stadt. Andere kamen aus dem fernen Norden. Eine Familie war sogar von Nepal im Himalaja angereist. Ihre viertägige Reise hatte im Schneetreiben begonnen und in tropischer Hitze geendet.
Bruder Henschel sprach auf dem Kongreß zu den 770 Anwesenden darüber, wie wichtig es ist, biblische Erkenntnis in sich aufzunehmen, weil der Teufel bemüht ist, Gottes Volk von der Bibel abzulenken. Er betonte außerdem die Notwendigkeit, unsere eigene Rettung mit Furcht und Zittern zu bewirken (Phil. 2:12). Bei einer weiteren Gelegenheit führte Bruder Henschel herrliche Farbdias vor, die die Tätigkeit unserer Brüder in der ganzen Welt zeigten. Es war begeisternd, zu erfahren, wie Jehova dafür sorgt, daß sein Name auf der ganzen Erde verkündigt wird. Das stärkte zweifellos alle versammelten Brüder in ihrer Entschlossenheit, treu zu Jehovas irdischer Organisation zu halten.
Die auf dem Kongreß Anwesenden sprachen neun verschiedene Sprachen, unter anderem Englisch. Die Zuhörerschaft war in Sprachgruppen unterteilt. Jede Gruppe hörte die englischen Vorträge über Lautsprecher, und die einzelnen Dolmetscher konnten den Stoff in den entsprechenden Sprachen wiedergeben. Dieser Kongreß war wirklich ein weiterer Meilenstein im Fortschritt der geeinten Organisation des Volkes Jehovas in Indien.
Bruder Henschels Besuch als Zonenaufseher brachte einige vorteilhafte Änderungen mit sich. Man dachte daran, daß es nützlich sei, indische Brüder für organisatorische Aufgaben im Zweigbüro zu schulen, falls die Missionare das Land verlassen müßten. Denn für Missionare war es äußerst schwierig geworden, nach Indien zu kommen und dort zu bleiben.
PROBLEME IN VERBINDUNG MIT DER HERAUSGABE VON SCHRIFTEN ÜBERWUNDEN
Für die wachsende Herde des Volkes Gottes in Indien gab es jedoch von seiten der neugebildeten Bundesregierung einige Schwierigkeiten. In dem Bemühen, einheimische Erzeugnisse zu fördern, erließ die Regierung Einfuhrbeschränkungen. Aufgrund einer offiziellen Bestimmung der staatlichen Einfuhrhandelsüberwachung, die besagte, daß Veröffentlichungen in indischen Sprachen nicht eingeführt werden dürften, versuchte man, die Einfuhr der englischen Publikationen der Gesellschaft zu verbieten. Man lockerte zwar die Bestimmung über englische Literatur, doch die Menge englischer Importe wurde sehr beschränkt. Deshalb durfte das Zweigbüro der Gesellschaft ab 1962 nur einmal im Jahr eine Importlizenz beantragen, und das nur für englische Veröffentlichungen.
Um dieser Einschränkung entgegenzuwirken, erlaubte Bruder Knorr dem Zweigbüro, Veröffentlichungen in den einheimischen Sprachen in Indien drucken zu lassen. Als sich die Brüder darum bemühten, stießen sie auf ein weiteres Hindernis: Es war schwierig, genügend Zeitungsdruckpapier zu bekommen. Auch die Papiereinfuhr wurde überwacht, und es war ungesetzlich, Druckpapier ohne staatliche Genehmigung einzukaufen. Der Kauf von Papier wurde auf die für die Gesellschaft erforderliche Auflage beschränkt. Das führte zu großen Problemen, wenn man versuchte, die Auflage der Zeitschriften zu erhöhen. Obwohl viele amtliche Formalitäten erforderlich waren, konnte das indische Zweigbüro die Brüder dennoch mit Schriften in den einheimischen Sprachen versorgen.
DER ANFANG IN GOA
Die portugiesische Besitzung Goa, eine Enklave, war für die indische Regierung schon immer „ein Dorn im Auge“ gewesen. So marschierte im Jahre 1961 die indische Armee in Goa ein und vertrieb die portugiesischen Machthaber. 1962 zog sich die Armee dann wieder aus Goa zurück und überließ es einer Zivilregierung.
Wir bemühten uns zwar, Pioniere in Goa einzusetzen, doch in den ersten Monaten durfte niemand ohne Erlaubnis einreisen. Selbst als diese Beschränkung nicht mehr bestand, war es für Bürger anderer Staaten schwierig, nach Goa zu kommen. Trotzdem gelang es der Gesellschaft, die Sonderpioniere Benedict und Gretta Dias in Margao im Distrikt Salcete (Goa) einzusetzen. Da Goa eine Hochburg der katholischen Kirche ist, machte das Werk in den ersten paar Jahren nur langsam Fortschritte. Doch Bruder Ruzario Lewis konnte die Interessierten so weit stärken, daß mit der Zeit eine blühende Versammlung entstand.
HILFE FÜR REISENDE AUFSEHER
Wegen der Größe der Kreise in Indien reisten die Kreisaufseher manchmal einen ganzen Tag, um die nächste Versammlung oder Verkündigergruppe zu besuchen. An einigen Orten mußten diese Brüder mit ihrer Frau bei sehr armen Zeugen bleiben, die keine Räume hatten, sie unterzubringen. An anderen Orten erhielten sie ein Hotelzimmer, doch kein Bettzeug. Wenn Bettzeug vorhanden war, war es gebraucht oder voller Wanzen. Deshalb stellte nun die Gesellschaft den Kreisaufsehern Bettmatten, Laken, Kopfkissen, Handtücher, einen Plastikeimer, ein Plastikwaschbecken und sogar Seife zur Verfügung. Dadurch hatten diese Brüder auf ihren langen Eisenbahnfahrten immer viel Gepäck bei sich. Doch es war die Mühe wert, diese Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen, da die Brüder für ihre privaten Bedürfnisse sorgen konnten und eine gute Nachtruhe hatten. Das bedeutete auch, daß sie ihren Glaubensbrüdern besser dienen konnten.
AUF DIE ANDAMANEN UND NIKOBAREN
Jehovas Volk in Indien nahm alle Gelegenheiten wahr, die Königreichsbotschaft in die äußeren Bereiche seines Gebietes zu tragen. Im Jahre 1963 begann Schwester Mariamma Enose, den Samen der Wahrheit in Port Blair und Umgebung auf den Andamanen auszusäen.
Die Andamanen und Nikobaren gehören zu einer hohen submarinen Gebirgskette, die aus dem Golf von Bengalen herausragt und sich über 805 Kilometer zwischen Birma und Sumatra erstreckt. Der 10-Grad-Kanal trennt die beiden Inselgruppen. Die Andamanen bestehen aus 239 größeren und kleineren Inseln, die Nikobaren aus 19 Inseln. Die Hauptstadt ist Port Blair, auf der Insel Südandaman gelegen.
Die meisten der 115 133 Bewohner der Andamanen und Nikobaren stammen aus Indien und verdienen ihren Lebensunterhalt in der Padouk- und Teakholzindustrie sowie durch den Anbau von Kautschuk, Pfeffer, Kaffee, Kokosnüssen und Cashewnüssen.
Im Jahre 1964 gab es auf diesen Inseln genügend Verkündiger, so daß es gerechtfertigt war, zu ihrer Ermunterung und Schulung einen Kreisaufseher dorthin zu senden. Bei seinem ersten Besuch in Port Blair wurden Robert Masilamani drei Hindus vorgestellt, die in demselben Steinbruch arbeiteten wie der Mann von Mariamma Enose. Sie zeigten alle großes Interesse an der biblischen Wahrheit. Früher hatte sich einer von ihnen dem Hindugott Schiwa geweiht. Um ein Gelübde zu erfüllen, trug er langes Haar und ließ sich einen Bart wachsen. Im Tempel sollte er dann geschoren werden. Seine religiöse Weihung hinderte ihn jedoch nicht daran, sich gleichzeitig mit Glücksspielen zu befassen.
Im Haus-zu-Haus-Dienst traf Bruder Masilamani zwei Telugu sprechende Männer an, die der Methodistenkirche angehörten. Der eine war der Vorsteher der Kirche am Ort und der andere der Kassierer.
Als Bruder Masilamani die Andamanen zum zweitenmal besuchte, bekundete der Kirchenvorsteher, Mr. Asirvadam, wirkliches Interesse. Er und seine Familie traten aus der Kirche aus und wurden später Gott hingegebene, getaufte Zeugen. Nach weiteren Besuchen lösten der Kassierer, Mr. Solomon Raju, und verschiedene Familien ebenfalls ihre Bindung zur Methodistenkirche und ließen sich taufen. Schließlich verbanden sich auch viele frühere Hindus mit der Versammlung Port Blair.
DER KONGRESS „EWIGE GUTE BOTSCHAFT“ IN DELHI
Die Kongresse „Ewige gute Botschaft“, die im Jahre 1963 rund um die Welt stattfanden, trugen mit Sicherheit zur Förderung der aufstrebenden Organisation Jehovas in Indien bei. Anläßlich dieser internationalen Kongresse reisten 583 Kongreßdelegierte rund um die Welt.
In Verbindung mit dem Kongreß in Neu-Delhi berichtete Edwin Skinner: „Einigen Brüdern und Schwestern wurde gestattet, das Zollgebiet auf dem Flughafen zu betreten, um den Besuchern bei den Paß- und Zollformalitäten zu helfen. Außerdem wurde jeder Delegierte von indischen Schwestern, die in ihre anmutigen und farbenprächtigen Saris oder die salwa-kamis Nordindiens gekleidet waren, mit einer Blumengirlande und dem traditionellen indischen Gruß Namaste („Ich grüße dich“) willkommen geheißen. Alle Delegierten wurden an den vier Ankunftstagen auf dieselbe Art begrüßt, ob bei Tag oder bei Nacht.
Aus 27 verschiedenen Ländern waren Kongreßdelegierte anwesend. Eine kleine Gruppe kam auf dem Landweg von Kabul (Afghanistan) durch die zerklüfteten Berge des Khaiberpasses über Pakistan nach Indien. ... 110 Delegierte aus Ceylon überquerten mit dem Schiff die sogenannte Adamsbrücke, die die Insel vom Festland trennt, und reisten dann mit der Bahn 2 304 Kilometer weiter nach Delhi. Eine 2 300 Kilometer lange Bahnfahrt in Indien in einem Wagen dritter Klasse ohne Schlafmöglichkeiten, ohne Klimaanlage und mit einer primitiven Toilette muß man erlebt haben, um sich einen Begriff davon machen zu können. Aber die Brüder waren glücklich.
Auch Brüder aus Südindien bildeten eine große Reisegesellschaft und legten über 1 600 Kilometer nach Delhi mit der Bahn zurück. Für sie war es wie eine Reise in ein fremdes Land. Sie hörten zum erstenmal in ihrem Leben Menschen eine andere Sprache sprechen, sahen Leute in anderer Kleidung, die andersartige Häuser bewohnten, und das in einem Land, das sich völlig von ihrer Heimat, Kerala oder Madras, unterschied. Viele wandten ihre sehr dürftigen Ersparnisse auf, um mit ihren Brüdern aus anderen Ländern zusammenzukommen.“
Über die Kongreßstätte schrieb Bruder Skinner: „Der Kongreß fand in dem imposanten Vigyan Bhavan (Haus der Wissenschaft) statt. Dieses Gebäude verfügt über einen luxuriösen Saal mit 1 069 Sitzplätzen — der schönste Saal Indiens.
Die Delegierten ließen sich in dem Saal, der ganz mit Teppichen ausgelegt ist und über eine Klimaanlage verfügt, auf bequemen Stühlen nieder. Jeder Sitz war mit einem Schreibtisch sowie mit Kopfhörern, einem Wählschalter und einem Lautstärkeregler versehen. Auf diese Weise konnte man entweder dem Redner auf der Bühne zuhören oder sich in eine der vier Sprachen einschalten, in die der Redner übersetzt wurde. Etwa die Hälfte des Saales war mit indischen Kongreßbesuchern besetzt, die die Ansprachen in Kanaresisch, Malayalam, Tamil und Urdu hörten. Auch für die Marathi sprechenden Brüder war gesorgt; sie hörten die Übersetzung der Vorträge entweder direkt von der Bühne aus oder in einem getrennten Raum.“
Die 583 Besucher, die rund um die Welt reisten, waren im Ashokahotel untergebracht, einem regierungseigenen Hotel mit 320 Zimmern. Fünf Tage lang war der Speisesaal während der Mahlzeiten hauptsächlich von Zeugen Jehovas besetzt, die alle ihr Kongreßabzeichen trugen. Es herrschte eine so herzliche Atmosphäre, daß sogar einige vom Hotelpersonal davon beeinflußt wurden und man sie zum Beispiel sagen hörte: „Die Brüder sitzen an diesem Tisch“ oder: „Der Bruder an dem Tisch dort drüben möchte Sie gern sprechen.“
Jemand, der einer sogenannt christlichen Kirche angehörte, fragte den Hoteldirektor, wie er denn mit all diesen „Jehova-Leuten“ zurechtkomme. Der Direktor antwortete: „Sie sind die besterzogenen Leute, die wir je im Hotel hatten. Wir würden gern tausend von ihnen aufnehmen, wenn wir den Platz dafür hätten.“ Er fügte hinzu: „Manchmal haben wir mit fünfzig Leuten mehr Umstände als mit diesen 583 Personen.“
Doch was ist über das Kongreßprogramm zu sagen? Es war in geistiger Hinsicht sehr segensreich. Zum Beispiel wies F. E. Skinner, der über das Thema „Treue Frauen in der Neuen-Welt-Gesellschaft“ sprach, darauf hin, daß es in Indien viele treue, fähige und reife Christinnen gebe. Doch Skinner sagte auch, daß viele Frauen in der Familie wie Sklaven unterdrückt würden und sehr wenig Zeit oder Ermutigung zum Studium hätten. Er appellierte an die Ehemänner, sich ebenso um ihre Frauen zu kümmern, wie Christus für seine weibesgleiche Versammlung sorgt (Eph. 5:21-33).
Der große Tag auf dem Kongreß in Delhi war Donnerstag, der 8. August, der Tag, an dem eine Resolution unterbreitet wurde, die 901 Kongreßdelegierte begeistert annahmen. Zu den aufrüttelnden Vorträgen zählte der öffentliche Vortrag von Bruder Knorr über das Thema „Wenn Gott König ist über die ganze Erde“. Bei diesem Vortrag wurde die höchste Besucherzahl erreicht, die Jehovas Zeugen in Indien bis dahin zu verzeichnen hatten: 1 296. Darunter befanden sich trotz des sehr regnerischen Wetters etwa 350 Außenstehende.
Bruder F. W. Franz sprach über das Thema „Welchen Gott vertrittst du als Zeuge?“ Dieser Vortrag, der sich auf Jesaja, Kapitel 43 und 44 stützte, war für einen anwesenden Hindu, der schon einige Jahre mit Jehovas Zeugen verbunden war, doch sich Gott noch nicht hingegeben hatte, der Wendepunkt. Als Bruder Franz beschrieb, wie ein heidnischer Anbeter einen Baum fällt, aus der Hälfte davon für sich einen Gott schnitzt, vor dem er sich niederbeugt, und mit der anderen Hälfte ein Feuer macht, um sich zu wärmen und Brot zu backen, erkannte dieser Hindu die Sinnlosigkeit all dessen. Noch am selben Abend gab er sich Jehova Gott hin, und am nächsten Tag ließ er sich taufen.
Unter den 44 Taufbewerbern auf diesem Kongreß befand sich Annabelle Lartius aus Allahabad, die beobachtet hatte, wie George, ihr Bruder, trotz des Widerstandes der Eltern standhaft geblieben war. Ihr hatte man verboten, in den Predigtdienst zu gehen. Es geschieht in Indien selten, daß eine Frau auf ihrem Recht besteht, Gott mehr zu gehorchen als Menschen, doch Fräulein Lartius war so eifrig im Predigtdienst tätig, wie sie nur konnte (Apg. 5:29). Für sie war es schwierig gewesen, den Kongreß zu besuchen, aber sie hatte sich Gott hingegeben und ließ sich taufen.
NEUARTIGE ERFAHRUNGEN IM PREDIGTDIENST
Worüber sich die Weltreisenden am meisten freuten, war der Predigtdienst. Die meisten der Besucher konnten mehrere Male in Englisch Zeugnis geben.
Ein amerikanischer Bruder jüdischer Abstammung unterhielt sich mit einem Hindu über die Bibel. Der Hindu unterbrach ihn mit den Worten: „Aber diese Botschaft ist mehr für die Menschen im Westen bestimmt als für uns. Wir sind ein friedliebendes Volk und sind für Gleichheit. Sie hingegen machen einen Unterschied zwischen schwarzen und weißen Menschen. Weshalb sollte ich Ihr heiliges Buch lesen?“ Der Bruder wies taktvoll darauf hin, daß er weder als ein Vertreter Amerikas noch irgendeines anderen sogenannt christlichen Landes vorsprach, sondern als ein Angehöriger einer Gruppe von Menschen, die sich an biblische Grundsätze halten. Er zeigte, daß die Bibel lehrt, daß Gott nicht parteiisch ist, sondern daß für ihn in jeder Nation der Mensch, der Gerechtigkeit wirkt, annehmbar ist (Apg. 10:34, 35). Er sagte, nur weil die sogenannt christlichen Nationen diese guten Grundsätze nicht befolgten, verliere die Bibel nicht an Wert. Vielmehr könne ihre Weisheit Angehörigen aller Nationen nützen. Der Hindu verstand dieses Argument und nahm gern Literatur entgegen, besonders als er erfuhr, daß der Bruder selbst wußte, was es heißt, diskriminiert zu werden, da er jüdischer Abstammung war.
AUFSCHLUSSREICHE BESICHTIGUNGSTOUREN
Die Besucher sammelten auch auf den für sie veranstalteten Besichtigungstouren viele neue Eindrücke. Einmal gerieten sie auf einer solchen Tour in strömenden Regen und erhielten so eine Vorstellung vom indischen Monsun. Doch sie waren guter Stimmung und freuten sich über alles. Mit tropfenden Regenschirmen, nassen Regenmänteln und durchnäßten Schuhen bestiegen sie ihre Busse für eine Fahrt durch typisch indische Basarstraßen. Hier sahen sie Bettler, die von Kindheit an verstümmelt waren und sich auf Händen und Beinstümpfen vorwärts bewegten, Fahrradrikschas, Ochsenkarren, Fahrräder, Fußgänger und Autos sowie die stets gegenwärtigen Kühe — alle erkämpften sich auf der engen, überfüllten Straße Platz. Überall gab es die kleinen, rauchgeschwängerten Tee- und Imbißstuben, in denen Männer mit nacktem Oberkörper an einem Holzkohlenfeuer standen und mit bloßen Händen die schmackhaften chappaties zubereiteten sowie andere Delikatessen für den indischen Gaumen.
Eine der Büffelkühe, die von den Indern wegen der Milch gehalten werden, stolzierte wie eine Königin durch die Straße. An einer Straßenecke hockte ein Mann vor einem Hydranten und nahm in aller Ruhe ein Bad. Zu alldem kamen Moslems in einem Leichenzug daher — nur Männer, die abwechselnd den Leichnam trugen, der auf einer offenen Bahre lag. Moslems begraben ihre Toten, Hindus verbrennen sie auf einem Scheiterhaufen.
Auf dem Bürgersteig fraß eine Kuh gerade Gemüse, das für die Hausfrauen zum Kauf ausgelegt war. Nicht wenig erstaunt waren die ausländischen Delegierten über die Geschichte von der „heiligen Kuh“. Tempeldiener sammeln für ihr Ritual den Urin von Kühen, den sie sogar tropfenweise in dem „heiligen Wasser“ verwenden, das sie trinken. Das tun nicht nur Hindus, sondern auch Parsen.
Der Kongreß „Ewige gute Botschaft“ war für den Fortschritt des Königreichswerkes in Indien ein Meilenstein. Für Brüder, die aus dem Iran und aus Afghanistan nach Neu-Delhi gekommen waren, erwies er sich als ein besonderer Segen, denn sie sind nur wenige und können in ihrem Land keine Kongresse abhalten. Für die indischen Brüder war es auch ein einzigartiges Erlebnis, mit ihren Glaubensbrüdern aus anderen Ländern Gemeinschaft zu pflegen und im Predigtdienst tätig zu sein. Welch ein wunderbarer Beweis für die Einigkeit, die in der Gesellschaft der neuen Ordnung herrscht, einer Gesellschaft, in der es keine nationalen Schranken gibt!
HILFE IN VERSCHIEDENER HINSICHT
Eine gute Hilfe und Schulung für die Brüder waren die im Wachtturm veröffentlichten Lebensberichte treuer Christen. Die Geschichte von Bruder A. J. Joseph erschien in der englischen Ausgabe vom 15. Januar 1964 (deutsch: 15. März 1964). Bruder Joseph, der sich zu den gesalbten Nachfolgern Christi zählte, starb am 18. Dezember 1964 im Alter von 80 Jahren. Er war es eigentlich, durch den das Königreichswerk in Indien seinen Anfang nahm, und er sah, wie die Organisation in diesem Land von einem Verkündiger auf über zweitausend anwuchs. Neunundfünfzig Jahre waren vergangen, seitdem Bruder Joseph im Jahre 1905 Jehova, den wahren Gott, gefunden hatte. Ja, das Werk machte in diesem nichtchristlichen Land zwar nur langsam Fortschritte, doch im Jahre 1964 waren überall in Indien deutlich die Merkmale einer theokratischen Organisation zu erkennen.
Als im Jahre 1968 im Raja-Venkatarama-Saal in Bangalore ein Bezirkskongreß stattfand, versuchten einige fanatische Hindus die Zusammenkunft zu vereiteln. In der Nacht von Samstag auf Sonntag beschmierten sie sowohl das Transparent, auf dem der Vortrag angekündigt wurde, als auch die Eingangstüren und die Außenwände des Gebäudes mit Kuhmist. Doch einige Brüder säuberten noch vor Beginn des Vormittagsprogramms alles wieder, so daß die meisten im allgemeinen nichts davon bemerkten. Aufgrund der guten Ankündigung in den Zeitungen interessierte sich die Zentralregierung für den Kongreß. Man beauftragte Polizeiinspektor Dennis, allen Programmteilen beizuwohnen und der Regierung einen umfassenden Bericht über das zu geben, was sich auf dem Kongreß ereignen würde.
Inspektor Dennis sagte Bruder Hongal, dem Kongreßaufseher, er habe hauptsächlich zu berichten, ob es auf dem Kongreß zu irgendwelchen Bekehrungen gekommen sei, ob irgendeine Gruppe oder Religion kritisiert worden sei und ob politische Fragen erörtert worden seien. Am Schlußtag fragte Hongal den Inspektor, welche Meinung er sich gebildet habe. Dennis antwortete, er sei von allem, was er auf der Bühne gesehen und gehört habe, sowie von der reibungslosen Arbeit aller Abteilungen und der willigen Zusammenarbeit der Brüder beeindruckt.
Dann fragte Bruder Hongal den Inspektor freundlich, was für einen Bericht zu geben er denn vorhabe. Dennis antwortete: „Ich befinde mich da in einer Zwickmühle. Der Bericht soll an einen Minister der Regierungspartei gesandt werden, damit der Minister genauen Aufschluß über den Kongreß der Zeugen Jehovas geben kann, falls dieser von einem Mitglied der Opposition im Nationalkongreß zur Sprache gebracht wird. Wenn ich aber in meinem Bericht erwähne, daß alle Redner ständig sagten: ,Schlagen wir Offenbarung, Markus oder Psalm auf‘, werden weder der Minister noch die Mitglieder der Opposition mit dem Bericht zurechtkommen. Ich werde meinen Bericht daher einfach und kurz halten und nur erklären, daß nichts Anstößiges geschah.
Das herausragende Merkmal der Kongresse im Jahre 1968 war die Tatsache, daß bei den vier Veranstaltungen insgesamt 3 132 Anwesende gezählt wurden und sich 122 Personen taufen ließen. Das war vor allem im Vergleich zur Gesamtzahl von 2 337 Zeugen, die es damals in Indien gab, bemerkenswert. Es ließ erkennen, daß in Indien die Voraussetzung für ein weiteres Wachstum der Organisation bestand.
Durch die Kongresse in den Jahren 1964 bis 1968 wurden die indischen Brüder in organisatorischer Hinsicht wirkungsvoll geschult. Und es war erfreulich, daß 1968 die gesamte Verwaltung des Kongresses in Bangalore in den Händen indischer Brüder lag. Victor Hongal diente als Kongreßaufseher und Prabhakar Soans als Vorsitzender. Darüber hinaus wurden die Kongresse in Kerala mehrere Jahre ausschließlich von unseren indischen Brüdern organisiert. Es machte sich tatsächlich eine starke, geeinte christliche Organisation in Indien bemerkbar.
ZUNAHME DER PIONIERE
Jehova veranlaßte sein Volk offensichtlich, dem Bedürfnis nach mehr Vollzeitpredigern zu entsprechen, und so bewarben sich Jahr für Jahr mehr Verkündiger um den Pionierdienst. Von 1965 bis 1970 gab es eine Zunahme von 179 Pionieren (66 Sonderpioniere und 113 allgemeine Pioniere), so daß im Jahre 1970 insgesamt 375 Pioniere tätig waren. Die Pioniere bildeten das Rückgrat des Predigtdienstes in Indien. Sie trugen zu einer ansehnlichen Ausdehnung des Heimbibelstudienwerkes bei. Im Jahre 1970 wurden im Durchschnitt wöchentlich 3 024 Studien durchgeführt.
NEUTRALE CHRISTEN GERATEN IN PRÜFUNGEN
Während der Wirren des inoffiziellen Krieges zwischen Indien und Pakistan im Jahre 1965 wirkte die kleine Schar des Volkes Jehovas, die die aufgewühlten Millionen auf den Weg in die sichere Organisation Jehovas hinwies, wie ein Leuchtturm im Meer. In den Städten gab es durch Stromausfälle einige Schwierigkeiten, so daß die Zusammenkünfte in den Abendstunden behindert wurden. In Bombay war as nicht erlaubt, nach 20 Uhr noch auf der Straße zu sein, und kein Beförderungsmittel durfte nach dieser Zeit verkehren. Aber dieser 48tägige Krieg beeinträchtigte das Königreichswerk an und für sich nicht.
In Allahabad wurde Bruder Norris beschuldigt, ein Spion für Pakistan zu sein, nur weil er auf seinem Haus-zu-Haus-Notizen-Zettel im Predigtdienst Notizen gemacht hatte. Ein fanatischer Patriot verprügelte den Missionar und versammelte eine Menge, die ihn anzugreifen drohte, falls er eine verdächtige Bewegung mache. Man rief die Polizei herbei. Sie verhaftete den Missionar, während sie den Angreifer frei ausgehen ließ. Der Polizeioberinspektor des Distrikts wies den Fall mit den Worten ab: „Die Leute sind übermäßig patriotisch. Wir haben sie aufgefordert, das Gesetz nicht selbst in die Hand zu nehmen.“ Gottes Volk setzte jedoch sein wichtiges, lebenrettendes Werk unbeirrt fort.
Wegen des zunehmenden Hasses unter den Nationen ergriffen gewisse Staatsregierungen schärfere nationalistische Maßnahmen. Durch dieses Vorgehen kamen unsere Schulkinder in ernsthafte Schwierigkeiten. Da in allen Schulen das Singen der Nationalhymne eingeführt wurde, sahen sie sich vor die Frage der christlichen Neutralität gestellt. In einigen Fällen wurde es abgelehnt, die Kinder von der Teilnahme zu befreien. Mehrere Kinder von Zeugen Jehovas wurden von der Schule verwiesen, andere gingen einfach nicht mehr zur Schule. Einige Eltern handelten gemäß dem biblischen Rat, den sie erhielten, während andere diesen Rat außer acht ließen.
In Kerala hatte der Bezirksaufseher im Jahre 1965 die Gelegenheit, mit mehreren Schulleitern über die neutrale Stellung zu sprechen, die Jehovas Zeugen als Christen einnehmen. Bruder Funk unterhielt sich zum Beispiel mit dem Leiter einer Schule, die von einigen unserer Kinder besucht wurde. Der Schulleiter schenkte Bruder Funk wohlwollend Gehör und befreite die Kinder der Zeugen vom Singen der Nationalhymne. Als die nächste Prüfung stattfand, war jedoch der Schulleiter nicht anwesend, und ein katholischer Lehrer verweigerte unseren Kindern die Teilnahme an den Prüfungsarbeiten, weil sie am Morgen die Nationalhymne nicht mitgesungen hatten. In einem Brief an das Schulamt des Distrikts in Kanjirappalli (Kerala) reichten die Eltern der Kinder, die diese höhere Schule besuchten, eine Erklärung und eine Petition ein. Doch das zeitigte keine günstigen Ergebnisse. Einige der größeren Kinder, denen nun eine weitere Schulbildung verweigert wurde, nahmen den Pionierdienst auf und setzten so ihre Schulung für das Leben fort, wobei sie anderen behilflich waren, denselben Weg zu gehen.
Ein Rechtsanwalt, der am Obersten Gerichtshof Indiens tätig war, gab in Neu-Delhi die Zeitschrift The Indian Jurist (Der indische Jurist) heraus. Dieser Rechtsanwalt erhielt von der Gesellschaft die Erlaubnis, den Artikel „Die Fahne, das Treuegelöbnis und Gott“, der in der englischen Ausgabe der Zeitschrift Erwachet! vom 8. Juni 1965 (deutsch: 8. August 1965) erschienen war, in vollem Wortlaut abzudrucken. Dadurch wurde die Streitfrage des Fahnengrußes sowie der biblische Standpunkt, den Jehovas Zeugen in dieser Sache einnehmen, den Juristen Indiens deutlich vor Augen geführt (2. Mose 20:4, 5; 1. Joh. 5:21).
DIE HERAUSGABE WEITERER SCHRIFTEN
Die Arbeit in Verbindung mit der Herausgabe von Schriften nahm einen größeren Umfang an, als man die Veröffentlichung des Wachtturms in Hindi, der offiziellen Landessprache Indiens, vorbereitete. Wegen der notwendigen Formalitäten wurde die behördliche Genehmigung erst nach langem Hin und Her erteilt. Zunächst mußte der Vertreter der Gesellschaft vor einem Richter in der Stadt, in der die Zeitschrift veröffentlicht werden sollte — in diesem Fall Ranchi —, eine Erklärung abgeben. Dann ging die Angelegenheit einige Wochen nicht voran, doch schließlich wurde im November 1965 die Druckerlaubnis erteilt. Im Januar 1966 kamen die ersten Exemplare des Wachtturms in Hindi aus der Presse. Die Zeitschrift hatte damals eine Auflage von 1 500.
Anfang 1966 wartete der Sonderpionier George Gregory einmal an einer bestimmten Straßenkreuzung in Secunderabad auf einige Verkündiger. Er sah den Direktor der Bibelgesellschaft von Indien aus seinem Geschäft kommen. Bruder Gregory ging schnell auf ihn zu und bot ihm die Neue-Welt-Übersetzung der Heiligen Schrift an. Der Direktor nahm diese sowie einige Broschüren bereitwillig entgegen. Wenige Tage darauf erhielt Bruder Gregory einen Brief des Direktors, in dem dieser um drei weitere Exemplare der Neuen-Welt-Übersetzung bat. Als Gregory ihm die Bibeln überbrachte, erfuhr er, daß die Bibelgesellschaft an einer Revision der Übersetzung in Telugu arbeitete. Die Übersetzer waren von der Neuen-Welt-Übersetzung so sehr beeindruckt, daß sie sich entschlossen hatten, sie bei ihrer Übersetzung zu berücksichtigen. Der Bischof am Ort soll gesagt haben, die Neue-Welt-Übersetzung sei die beste englische Übersetzung, die er je gelesen habe.
Der Bischof und der Direktor kamen in den Königreichssaal, um sich den nächsten öffentlichen Vortrag anzuhören. Sie luden Bruder Gregory ein, tags darauf Zeuge der Arbeit des Übersetzungskomitees zu sein. Gregory kam dieser Einladung nach und konnte dabei vier weitere Exemplare der Neuen-Welt-Übersetzung abgeben.
DURCH RÜCKSCHLÄGE NICHT ENTMUTIGT
Besonders erfreulich war, daß sich die indischen Brüder für den Sonderpionierdienst zur Verfügung stellten, denn es wurde immer schwieriger, Missionare nach Indien zu senden. Sie durften nur als Ersatz für Missionare einreisen, die Indien verlassen hatten. Von 1965 bis 1970 verlor Indien aus verschiedenen Gründen mehrere Missionare.
Später machte die Regierung sogar die Genehmigung rückgängig, Missionare zu ersetzen. Heute dürfen keine ausländischen Missionare mehr einreisen.
Trotz dieser Rückschläge auf dem Gebiet der Missionartätigkeit machte das Werk in Indien Fortschritte. Indische Brüder waren mehr und mehr auf geistige Interessen bedacht und stellten sich für den Sonderpionierdienst und als Aufseher zur Verfügung. So wurden beispielsweise von 1965 bis 1970 mehrere indische Brüder als Kreisaufseher eingesetzt; zwei von ihnen waren ehemalige Hindus. Die Tatsache, daß Indien nun seine eigenen Kreisaufseher hervorbrachte, war ein weiterer Beweis dafür, daß sich eine reife theokratische Organisation entwickelte.
DAS „WAHRHEITS“-BUCH — EIN SEGEN
Im Jahre 1968 wurde das vorzügliche Bibelstudienhilfsmittel Die Wahrheit, die zu ewigem Leben führt herausgegeben. Die Veröffentlichung dieses Buches in Hindi, Kanaresisch, Malayalam, Tamil, Telugu und Urdu erforderte umfangreiche Arbeiten, was das Übersetzen, Korrigieren, Setzen und Drucken betraf. Die Druckarbeiten wurden von kommerziellen Firmen ausgeführt, doch das Zweigbüro konnte durch Sonderpioniere in den Städten, in denen das Buch gedruckt wurde, diese Arbeit beaufsichtigen. Alle Übersetzer waren Zeugen Jehovas, die sowohl gut Englisch verstanden als auch die betreffende indische Sprache beherrschten und eine genaue Erkenntnis der Wahrheit hatten.
Für das Zweigbüro glich die Leitung der gesamten Arbeit, die an weit entfernten Orten getan wurde, der Tätigkeit eines Flughafenkontrollturms, von dem aus mehrere Flugzeuge über Radar im Nebel gesteuert werden. Dennoch wurde die Arbeit dank der unverdienten Güte Jehovas vollbracht. So konnten viele Bibelstudien mit interessierten Personen anhand des Wahrheits-Buches in den entsprechenden Sprachen durchgeführt werden.
Zum Beispiel begann eine Gruppe von 40 Personen ein Studium anhand des Wahrheits-Buches in Malayalam. Als der Priester am Ort davon erfuhr, bezeichnete er Jehovas Zeugen von der Kanzel herab in verleumderischer Weise als Trunkenbolde und Rowdys. Sofort stand eine Frau auf und rief: „Das stimmt nicht. Mein Sohn war ein Trunkenbold, solange er Ihre Kirche besuchte, doch seitdem er mit Jehovas Zeugen studiert, sieht man ihn mit einer Bibel statt mit einer Flasche in der Hand.“
Ein Katholik las das Wahrheits-Buch innerhalb einer Woche durch. Als der Verkündiger ihn wieder besuchte, sagte er: „Dieses Buch sollten alle Christen haben.“ Sogleich wurde ein Studium mit ihm begonnen. Man besprach den Gedanken, daß man Gott mit Geist und Wahrheit anbeten sollte (Joh. 4:24). In der darauffolgenden Woche stellte der Verkündiger fest, daß alle religiösen Bilder von der Wand verschwunden waren und an ihrer Stelle der Schrifttext zu lesen war: „Ich aber und meine Hausgenossen, wir werden Jehova dienen“ (Josua 24:15).
EIN KURZER, JEDOCH NÜTZLICHER BESUCH
Im Mai 1968 befand sich Bruder Knorr auf einer ausgedehnten Dienstreise im Fernen Osten. Sein Rückweg nach Brooklyn führte über Indien und Europa. Er besuchte Indien hauptsächlich, um das Zweigbüro zu überprüfen. Bruder Knorr freute sich, das Gebäude nach dessen Errichtung im Jahre 1960 zum erstenmal zu sehen. Er sprach in Bombay auch zu den Brüdern, und zwar in einem Freilichttheater. Mehr als 600 Personen waren zugegen, um seinen Vortrag über das Thema „Vergiß es nicht!“ zu hören.
Anläßlich des Besuches von Bruder Knorr wurden auch anstehende Probleme in Verbindung mit dem Drucken und den Unterhaltskosten besprochen. Der Wachtturm wurde in sieben Sprachen veröffentlicht: Bengali, Hindi, Kanaresisch, Malayalam, Marathi, Tamil und Urdu. Die Zeitschrift Erwachet! wurde in zwei Sprachen gedruckt: Malayalam und Tamil. Alle Druckarbeiten wurden von kommerziellen Firmen ausgeführt, da es für die Gesellschaft nicht wirtschaftlich war zu drucken.
Bruder Knorr genehmigte den Kauf einer Bradma-Adreßplattenprägemaschine und der dazugehörigen Adressiermaschine, die in Indien hergestellt worden waren. Dadurch konnten die Zeitschriften schneller versandt und dauerhafte Adreßkarteien für Pioniere und Versammlungen angelegt werden.
Da das Zweigbüro damals nicht über genügend Lagerraum verfügte, genehmigte Bruder Knorr auch den Bau einer Garage für die Fahrzeuge des Zweigbüros. Die im Hauptgebäude vorhandene Garage konnte als zusätzlicher Lagerraum für Literaturvorräte verwendet werden.
DIE WIRKUNG UNSERER TÄTIGKEIT
Jehovas reine Organisation trat inmitten des Wirrwarrs der falschen Religionen immer mehr in den Vordergrund. Das zeigte sich in dem stillen, doch wirkungsvollen Einfluß, den sie auf bestimmte Glieder der großen Religionen des Landes ausübte. Wie ein steter Tropfen einen Stein höhlt, so brach die unaufhörliche Tätigkeit der Organisation Jehovas den hartnäckigen Widerstand, der der Königreichsbotschaft entgegengesetzt worden war. Die meisten Hindus machen sich nicht die Mühe, Jehovas geoffenbarten Vorsatz durch ein Studium der Bibel näher zu prüfen. Die falschen Lehren der Christenheit und ihre schlechte Handlungsweise haben viel zu der Voreingenommenheit aufrichtiger Hindus beigetragen. Doch bei einigen Hindus hat die Wahrheit allmählich Widerhall gefunden. Im Jahre 1969 waren sechs Prozent aller Verkündiger in Indien ehemalige Hindus.
Bruder Boothapaty, ein Sonderpionier, machte bei seiner Tätigkeit in Haiderabad folgende Erfahrung: „Als ich bei einer Hindufamilie vorsprach, beobachtete ich, daß der Mann und vier Kinder wie gebannt zuhörten und von der Aussicht auf ein gerechtes neues System begeistert waren. Sie nahmen bereitwillig eine Broschüre in Telugu entgegen, und beim Rückbesuch wurde ein Bibelstudium begonnen.
Der Vater, der Mechaniker war, hatte bald eine weitere Familie zum Studium eingeladen, so daß wir jede Woche zehn oder zwölf Personen waren. Als wir das Wahrheits-Buch bekamen, begannen wir es sofort zu studieren. Aufgrund der Einfachheit und Offenheit des Buches machten sie schnell Fortschritte. Da sie Hindus waren, zeigte sich bald Gegnerschaft unter ihren Angehörigen, die versuchten, das Studium zu unterbinden. Doch bei der Familie war bereits eine gute Grundlage vorhanden, so daß sie diesem Druck widerstehen konnte. Bald besuchten alle Glieder der Familie die Zusammenkünfte, obgleich diese sechs Kilometer entfernt stattfanden. Sie brachen alle ihre Bindungen zur babylonischen Religion ab und wurden regelmäßige Verkündiger der guten Botschaft.“
Eine Hindufamilie in neun Monaten so weit zu bringen ist in Indien eine ziemlich große Leistung. Die Ehre dafür gebührt selbstverständlich Jehova.
Andererseits waren im Jahre 1969 in Indien 93 Prozent der Königreichsverkündiger Personen, die vormals mit einer Religionsgemeinschaft der Christenheit verbunden gewesen waren. In jenem Jahr bestand ein Großteil der Zeugen Jehovas in Indien aus ehemaligen Katholiken. Einer von ihnen war ein junger Mann, der Theologie studiert hatte. Er stammte aus Melukavumattom (Kerala) und hatte sieben Jahre auf einem Seminar verbracht, weil er katholischer Priester werden wollte. Doch in dieser Zeit hatte er viel Parteilichkeit und Ungerechtigkeit beobachtet. Aufgrund dessen war er zu der Überzeugung gekommen, daß der Katholizismus nicht die Wahrheit sein konnte, und hatte deshalb das Seminar verlassen. Seine Tante, eine Zeugin Jehovas, besuchte ihn und weckte bei ihm Interesse an dem, was sie aus der Bibel kennengelernt hatte. Sie lud ihn zu sich nach Heaven Valley ein, einem Teeanbaugebiet in der High Range.
Während dieser frühere Seminarist noch bei seiner Tante war, besuchte V. P. Abraham, der damals als Kreisaufseher diente, die Versammlung. Er lernte den jungen Katholiken kennen und lud ihn ein, die Zusammenkünfte am Ort zu besuchen. Das war etwas ganz anderes! Dem jungen Mann fiel sofort die Liebe und Einheit auf, die unter den Zeugen herrschte. Tief beeindruckt kehrte er nach Melukavumattom zurück und begann unter Anleitung des Sonderpioniers A. D. Samuel anhand der Veröffentlichungen der Gesellschaft ein eifriges Studium der Bibel. Er besuchte regelmäßig die Zusammenkünfte, obgleich sie 32 Kilometer entfernt stattfanden. Bald sprach er mit anderen über die gute Botschaft und unterrichtete seine Freunde, seine Verwandten und seine früheren Lehrer am Seminar über seinen neuen Glauben.
EHRLICHKEIT UND ENTSCHLOSSENHEIT
Langsam, aber sicher entwickelte sich in Indien eine Organisation aufrichtiger Anbeter, die für ihre Treue gegenüber wahren christlichen Grundsätzen bekannt wurden. In Gadschalakonda (Andhra Pradesh), wo es eine kleine Versammlung von Zeugen Jehovas gab, ereignete sich zum Beispiel folgendes: Eine Schwester unterrichtete dort an einer Schule. Unter den Lehrern war es üblich, die Anwesendenzahl zu fälschen. Warum taten sie das? Um bei den Schulbehörden einen guten Eindruck zu machen. Unsere Schwester lehnte es jedoch ab, ihre Berichte zu fälschen, und wurde zum Direktor gerufen, dem sie erklären sollte, weshalb sie genaue Zahlenangaben mache, die doch den Durchschnitt der Schule drücken würden. Man drohte ihr mit einer Versetzung an eine andere Schule, falls sie sich nicht fügen würde. Unsere Schwester blieb ihrem biblisch geschulten Gewissen und ihrem christlichen Sinn für Ehrlichkeit treu. Sie erklärte ihren Vorgesetzten an der Schule, was sie unter Christentum verstand. Allem Anschein nach waren sie davon beeindruckt, denn sie blieb als Lehrerin an dieser Schule.
Ein weiterer Beweis dafür, daß sich in Indien eine starke Organisation geeinter Christen bemerkbar machte, waren die unerschrockenen Bemühungen der Brüder in der Stadt Madras, einen eigenen Königreichssaal zu bauen. Bruder F. P. Anthony, der als Ingenieur auf dem Amt für öffentliche Arbeiten der Stadt Madras tätig war, wurde die Verantwortung für den Kauf des Grundstücks und für die Errichtung des Gebäudes übertragen. Die Gesellschaft vermittelte der Versammlung ein Darlehen. Man kaufte ein passendes Grundstück an der Brick Kiln Road in Vepery, einem Vorort von Madras. Nach Fertigstellung der Pläne wurde ein neuer Königreichssaal errichtet, der ungefähr 150 Personen Platz bot. Die Versammlung machte danach schnell Fortschritte und wurde zur größten Versammlung in Indien. Sie wurde schließlich geteilt, so daß es in der Stadt Madras insgesamt vier Versammlungen gab.
DIE KONGRESSE „FRIEDE AUF ERDEN“
Diese Kongresse fanden in Bombay, Madras und Kotschin statt. Nach Bombay kamen 500 Brüder aus 14 verschiedenen Staaten, einige sogar aus Sikkim, dem im Himalaja gelegenen Königreich. Die Unterkünfte waren ein Problem, denn Bombay ist bekanntlich übervölkert. Gleich gegenüber dem Saal, in dem der Kongreß stattfand, befand sich eine katholische Mädchenschule. Der Leiter war sehr bereitwillig und stellte sie uns zur Verfügung. Etwa achtzig Brüder konnten dort untergebracht werden. Eine weitere Möglichkeit bot sich unerwartet im Bungalow eines Maharadschas, wo die Mutter eines Bruders arbeitete. Wir erhielten dort Unterkünfte für dreißig Brüder. Bruder Jack D’Silva aus Bombay konnte seine Firma dazu bewegen, eine luxuriöse Etagenwohnung, die für Firmengäste reserviert war, den Brüdern zur Verfügung zu stellen. Dort konnten weitere dreißig Personen untergebracht werden. Das Programm auf dem Kongreß in Bombay wurde in fünf verschiedenen Sprachen dargeboten. Während der Aufführung des biblischen Dramas über Jona kamen überraschenderweise zehn katholische Nonnen aus einem nahe gelegenen Kloster.
In Madras fand der Kongreß in dem geräumigen Museumstheater statt. Der Sektor der Telugu sprechenden Delegierten befand sich in einem anderen Saal. Das gesamte Programm wurde für unsere Tamil sprechenden Brüder im Hauptsaal übersetzt. Auf dem Gelände des Theaters wurde ein pandal, eine mit Palmblättern gedeckte Hütte, als Cafeteria errichtet. Zum öffentlichen Vortrag waren 814 Personen anwesend, und 42 ließen sich taufen.
Der dritte und letzte Kongreß fand in Kotschin statt, dem Seehafen und indischen Marinestützpunkt an der Westküste des heutigen Staates Kerala. Dieser Kongreß wurde im Nehru-Gedächtnissaal veranstaltet. Hunderte von Brüdern freuten sich, daß sie in dem gleichen Gebäude auch schlafen konnten; es war für sie billig und praktisch. Sogar der Bürgermeister von Kotschin half bei der Beschaffung von Unterkünften mit. Er stellte den Brüdern mehrere staatliche Bungalows zur Verfügung, die gewöhnlich für Offiziere reserviert waren. Alle Freiunterkünfte wurden Verkündigern zugeteilt, bei denen man damit rechnen konnte, daß sie einen günstigen Eindruck hinterließen. Viele Gastgeber besuchten den Kongreß. Nach Ende des Programms standen ihnen die Tränen in den Augen, als sie ihren christlichen Gästen auf Wiedersehen sagen mußten.
Zum öffentlichen Vortrag wurden 1 253 Anwesende gezählt, unter denen sich 153 Pioniere befanden. Außerdem hatten sich 43 Personen taufen lassen.
DIE BOTSCHAFT GELANGT ZU DER BEVÖLKERUNG VON SIKKIM
Sikkim untersteht dem indischen Zweigbüro der Watch Tower Society. Bruder Pope gibt folgende Beschreibung von einer seiner ersten Reisen, die er unternahm, um die Brüder in diesem gebirgigen Land zu besuchen:
„Wir bevorzugen als Verkehrsmittel hauptsächlich den Zug. Steilere Strecken muß man in einem Jeep oder einem Bus zurücklegen. Man sucht hier nach Fahrzeugen, die sich für die Wege eignen, doch meist gibt es sie nicht. ... Die Nerven und der Gleichmut der Fahrgäste werden daher oft auf eine harte Probe gestellt. So war zum Beispiel auf einer Fahrt nach Darjeeling durch die Ausläufer des Himalaja ungefähr nach jeder Meile in den Vorderrädern des Jeeps ein beunruhigendes Geräusch zu hören. Der Fahrer mußte heftig bremsen, um nicht die Kontrolle über das Fahrzeug zu verlieren. Nachdem wir auf einer schmalen Gebirgsstraße, vorbei an gähnenden Abgründen, ein steiles Gefälle hinter uns gebracht hatten, erreichten wir einen Polizeiposten, wo der Fahrer anhalten mußte. Eine eingehende Untersuchung ergab, daß das Steuerrad defekt war, denn man konnte es um 120° nach rechts oder links drehen, ohne daß sich die Vorderräder bewegten. Als man den Fahrer auf diesen schwerwiegenden Defekt hinwies, behauptete er, es sei thik hojāega, was bedeutet, es sei ,alles in Ordnung‘. Da wir es fertiggebracht hatten, 80 Kilometer auf der Gebirgsstraße zurückzulegen, ohne völlig von der Straße abzukommen, hatte der Fahrer mit dem, was er sagte, vielleicht recht. Doch die Kopfschmerzen, die wir dabei bekamen, zeigten, daß wir nicht mit ihm einiggingen.
Es war eine Freude, in der Nähe der Grenze nach Sikkim einen Besuch abzustatten. Wenn wir auch nicht einreisen durften, so nahmen sich doch die Brüder stets etwas Zeit, um uns in der Nähe von Darjeeling zu besuchen. Oft klopfte es früh am Morgen zaghaft an der Tür. Da waren sie und brachten uns als Zeichen ihrer Dankbarkeit Eier, Orangen und Gemüse. Je nach den vorhandenen Mitteln oder Verkehrsmöglichkeiten kamen sie oft die 23 Kilometer von Sikkim zu Fuß. Während der Woche kehrten sie auf dieselbe Weise in ihr Dorf zurück, um nach den älteren Gliedern der Familie zu sehen, und kamen dann wieder.
Das Außergewöhnliche an der Sache ist, daß die betreffenden Familien früher Hindus waren, doch durch ein einziges Glied einer Familie, das eifrig voranging, wurden die anderen sehr ermuntert. Dieser eifrige Mann, der nun ein Bruder ist, liebte den Klang der Wahrheit, als er ihn vernahm. Er leistet den anderen gute Hilfe, die in dieser abgelegenen Gebirgsgegend nach dem Weg suchen, der zurück in ein Paradies des Friedens führt.“
Sikkim liegt größtenteils im Himalaja. Der Buddhismus ist die Staatsreligion. Rund ein Viertel der 7 300 Quadratkilometer dieser gebirgigen Gegend ist bewaldet. Diese Wälder mit ihren riesigen Nadelbäumen reichen in Nordsikkim bis zur Schneegrenze. Orchideen schmücken den kleinen Himalajastaat. Rhododendronwälder erstrecken sich über ganze Bergabhänge. Die höher gelegenen Täler und Pässe sind von Hochgebirgsblumen bedeckt. In dieser bunten Umgebung leben 22 Verkündiger des Königreiches Jehovas, die unter den schätzungsweise 194 000 Bewohnern, die meistens Buddhisten oder Hindus sind, die gute Botschaft predigen.
DIE „GUTE BOTSCHAFT“ ERREICHT NEPAL
Der Nachbarstaat Nepal, der einzige unabhängige Hindustaat der Welt, tritt in der theokratischen Tätigkeit des indischen Zweiges auch in Erscheinung. Das Land erstreckt sich über die südlichen Ausläufer des Himalaja. Im Norden wird es von Tibet begrenzt, im Osten von Sikkim und im Süden und Westen von Indien. Nepal zählt ungefähr 12 Millionen Einwohner. Innerhalb seiner Grenzen liegt bekanntlich der höchste Berg der Erde, der Mount Everest. Das Land ist auch dafür bekannt, daß es einige der tapfersten Soldaten der Welt hervorgebracht hat: die Gurkha.
Vor einiger Zeit zog Bruder A. B. Yonzan, ein Nepalese, mit seiner Familie von Kalimpong (Indien) nach Katmandu, der Hauptstadt Nepals. Obgleich das Proselytenmachen verboten ist, weswegen nur in beschränktem Maße Predigtdienst verrichtet werden kann, leistete doch diese Familie im Verkündigen der guten Botschaft von Gottes Königreich in diesem Land ausgezeichnete Arbeit. Durch seine weltliche Tätigkeit kam Bruder Yonzan in engen Kontakt mit Regierungsbeamten und sogar mit dem Königshof. Auf diese Weise gelangte auch unsere christliche Literatur in die königliche Familie.
ENTWICKLUNGEN AUF ORGANISATORISCHEM GEBIET
Das Jahr 1971 brachte in Indien die Grundlage für etwas Neues in der theokratischen Organisation. Auf den Bezirkskongressen „Göttlicher Name“, die an sieben verschiedenen Orten stattfanden, wurde die apostolische Vorkehrung für die Leitung der frühchristlichen Versammlungen erläutert. In dem Vortrag „Die theokratische Organisation inmitten der Demokratien und des Kommunismus“ wurde gezeigt, wie wünschenswert es ist, daß die heutigen Versammlungen von einer Gruppe befähigter Ältester geleitet werden. Es war sehr passend, daß dieser Vortrag auch auf dem Kongreß im Staat Kerala gehalten wurde, wo sich die stärkste kommunistische Gruppe des demokratischen Indien befindet.
Dieser Kongreß war der größte des Volkes Jehovas, der je in dem Teil des Landes veranstaltet wurde, wo Gottes Werk in Indien den Anfang nahm. Da es in Kottayam keinen Saal gab, der groß genug war, fand der Kongreß auf dem großen Paradeplatz der Polizei statt. Man baute einen riesigen schattenspendenden Baldachin aus Kokospalmzweigen. In dieser tropischen Umgebung hörten dann 2 259 Personen, wie die Christenversammlungen künftig geleitet werden würden.
Anfang 1972 wurde der Kreisdienst in Indien völlig neu organisiert. Die reisenden Aufseher betonten nicht mehr so sehr Berichte und Zahlen. Nun wurde mehr Wert darauf gelegt, Brüdern im Predigtdienst zu helfen und ihren Glauben zu stärken.
Im September 1972 wurde in Indien damit begonnen, die Versammlungen durch eine Ältestenschaft zu leiten. Das führte zu einer wesentlichen geistigen Festigung der Versammlungen, und die meisten nahmen diese Vorkehrung begeistert auf.
Es zeigte sich aber auch, daß es den Brüdern noch ziemlich an geistiger Reife und an Erfahrung im Behandeln örtlicher Probleme mangelte. Einige anfängliche Schwierigkeiten ließen erkennen, daß bestimmte ernannte Brüder falsche Beweggründe hatten oder daß ihnen die geistige Befähigung fehlte. Die Ältestenvorkehrung zeigte außerdem, welche Versammlungen noch geistiger Hilfe bedurften. Bis Mitte 1976 hatten zum Beispiel von den insgesamt 247 Versammlungen (darin eingeschlossen sind Orte, wo nur ein oder zwei Brüder wohnen) nur 121 einen oder mehrere ernannte Älteste. Somit mußten viele der 416 ernannten Dienstamtgehilfen vertretungsweise in Aufseherstellungen dienen.
Zweifellos wurde in Indien durch die Ältestenvorkehrung das Niveau der Aufsicht im allgemeinen gehoben. Das hat auch dazu beigetragen, daß Jehovas Volk in Indien um 22 Prozent zugenommen hat, seitdem es eine Ältestenschaft gibt. Doch noch bedeutender ist der Umstand, daß diese neue organisatorische Entwicklung gezeigt hat, daß Gottes Werk nicht von einem Menschen abhängig ist. Die Aufmerksamkeit wurde vielmehr auf Christus, das Haupt der Versammlung, gerichtet, wobei die ernannten Ältesten als eine gemeinsam wirkende, vereinte Gruppe ihren Brüdern dienen.
UNBERÜHRTE REGIONEN ERSCHLOSSEN
Im äußersten Nordosten Indiens wurden unberührte Gebiete erschlossen, und die Wahrheit drang in fast unzugängliche Gegenden vor. Dieser Teil Indiens, der am Wendekreis des Krebses liegt, umfaßt sieben Territorien. Im Norden, an der Grenze nach Tibet und China, liegt Arunachel Pradesh. Südlich davon, an der Grenze nach Birma, kommt zunächst Nagaland, dann Manipur. Südöstlich von Manipur liegen Mizoram und Tripura. Meghalaya erstreckt sich zwischen Bangladesch und dem Brahmaputratal. Assam schließlich säumt den gewaltigen Brahmaputrastrom und bildet zum Teil die enge Landverbindung nach Bengalen und dem übrigen Indien.
Diese Gebiete liegen hauptsächlich in den östlichen Ausläufern der Gebirgskette des Himalaja, in Bergen, die zwischen 790 und 1 460 Meter hoch sind. Es ist eine Gegend von malerischer Schönheit mit aufragenden Berggipfeln, mit Sturzbächen, Wasserfällen, Bergseen, grünen Tälern und Matten. In diesen Tälern leben viele Volksstämme. Jedes Tal wird von einem anderen Stamm bewohnt, der seinen eigenen Dialekt spricht. Bei bestimmten Stämmen herrschen matriarchalische Bräuche. Andere waren bis vor einiger Zeit noch Kopfjäger. Nun hören diese Stämme zum erstenmal von der Königreichsbotschaft.
Mehrere Jahre wurde das Königreichswerk von Sonderpionieren verrichtet, die in Shillong (Assam) ihren Stützpunkt hatten, und von dort breitete sich die Wahrheit aus. Bruder Basumatary lernte die Wahrheit in Shillong kennen und ging später nach Dighaldong, seinem Heimatdorf im Dschungel, zurück, um seinen neugefundenen „Schatz“ mit seinen Verwandten und Nachbarn zu teilen (Spr. 2:1-5). Auf dieser Reise von ungefähr 200 Kilometern fuhr er zunächst mit dem Zug, dann mit dem Bus, als nächstes mit dem Ochsenkarren, und schließlich ging er noch zu Fuß durch den Dschungel.
Bruder Basumatary machte sich schnell an die Arbeit. Er baute einen einfachen Königreichssaal und hielt regelmäßig Zusammenkünfte ab. Ein Sonderpionier, der später dort zu Besuch weilte, war erstaunt, daß sich achtzehn Personen im Haus von Bruder Basumatary versammelten. Sie stellten viele biblische Fragen. Der Sonderpionier berichtete: „Zwölf waren bereits aus der lutherischen Kirche ausgetreten und besuchten die Zusammenkünfte im Königreichssaal. Es war sehr ermutigend, einen 70jährigen Mann zu treffen, der in einer lutherischen Kirche sechzehn Jahre Prediger gewesen war, doch nun all seine Bindungen zu dieser Religionsgemeinschaft gelöst hatte. Er verlor aufgrund dessen seinen Lebensunterhalt. Aber er rief aus: ,Ich habe „Babylon die Große“ verlassen und gehöre jetzt zu Gottes Organisation!‘ “ Die Verkündiger der Versammlung in Dighaldong (Assam) machen heute die gute Botschaft in den benachbarten Dörfern in diesem weit abgelegenen Gebiet bekannt.
Die Wahrheit breitet sich auch in den Khasibergen im Staat Meghalaya aus. Dort behauptet sich unter den Stämmen immer noch das matriarchalische System, bei dem die Frau als Haupt die Leitung innehat und Söhne und Töchter den Namen der Mutter tragen. Dennoch nahm eine solche Frau die Wahrheit an und erkannte die Notwendigkeit, Änderungen in ihrem Leben vorzunehmen. Wiewohl sie ein Mitglied der presbyterianischen Kirche war, hatte sie zwanzig Jahre mit einem Mann zusammen gelebt und sieben Kindern das Leben geschenkt, ohne verheiratet zu sein, und das mit der Billigung ihres Pastors. Nachdem die Frau die Wahrheit kennengelernt hatte, besprach sie die Angelegenheit mit dem Mann. Er fand es merkwürdig, daß sie nun den Vorschlag machte, ihre Ehe legalisieren zu lassen, und daß er das Haupt der Familie sein sollte. Er lehnte zunächst ab, diese Verantwortung zu übernehmen, doch schließlich erkannte er seine Stellung. Sie ließen sich trauen, und die Frau und ihre Kinder trugen von da an den Namen des Mannes. Bald darauf wurde diese Frau getauft. Es ist begeisternd, ihre Freude zu sehen, wenn sie und ihre Kinder in den Königreichssaal kommen oder in den Khasibergen die Königreichsbotschaft predigen.
ZUSÄTZLICHE VERANTWORTUNG IN BANGLADESCH
Im Dezember 1971 führte Indien Krieg mit dem benachbarten Pakistan. Am 3. Dezember, dem Tag des Ausbruchs dieser Feindseligkeiten, marschierten die indischen Truppen in Ostpakistan ein. Drei Tage später war ein neuer Staat geboren: Bangladesch. Der 13tägige Krieg endete am 16. Dezember 1971, als sich Bangladesch von Pakistan trennte und sich mit Indien verband. Im Jahre 1973 wurde das Bombayer Zweigbüro der Watch Tower Society gebeten, sich des Werkes in Bangladesch anzunehmen. Soweit bekannt war, gab es dort keine aktiven Königreichsverkündiger, obgleich einige Personen in dieser Gegend unsere Zeitschriften abonniert hatten. Man schrieb diese Abonnenten an, doch nur eine Person ließ ein gewisses Interesse an einem Bibelstudium erkennen. Indische Pioniere konnten in Bangladesch zwar keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, doch wurden Bruder P. Singh und Bruder P. Mondol, zwei indische Sonderpioniere, für eine begrenzte Zeit in das Land gesandt.
DER KONGRESS-„GÖTTLICHER SIEG“
Indiens Landeskongreß „Göttlicher Sieg“, der im September 1973 in Madras stattfand, glich einem kleinen internationalen Kongreß. Brüder aus neun verschiedenen Staaten waren erschienen, und das Programm wurde in neun indischen Sprachen und in Englisch dargeboten. Es war der größte Kongreß, der bis dahin in Indien stattgefunden hatte. Beim öffentlichen Vortrag waren 3 225 Personen zugegen. Auf diesem Kongreß ließen sich 175 Personen taufen — die größte Zahl von Taufbewerbern, die es je auf einem Kongreß in Indien gab.
Anfang des Monats hatte in Abbotsbury, wo unser Kongreß durchgeführt werden sollte, eine „Prominentenhochzeit“ stattgefunden. Man hatte zu diesem Zweck provisorische Bauten errichtet. Doch das Gelände befand sich danach in einem fast chaotischen Zustand. Die Aufgabe schien für die wenigen Brüder, die für die Vorkongreßarbeit zur Verfügung standen, zu umfangreich zu sein. Doch Bernard Funk, der Kongreßaufseher, berichtete: „Nur eine Woche vor unserem Kongreß besuchte Frau Indira Gandhi, Indiens Ministerpräsidentin, die Stadt Madras, und es war vorgesehen, daß sie ausgerechnet auf dem Kongreßgelände eine Rede halten sollte. So wurde der ganze Platz gerade rechtzeitig für den Kongreß ,Göttlicher Sieg‘ aufgeräumt und gesäubert.“
„KÖNIGREICHS-NACHRICHTEN“ BEWIRKEN GUTES
Kurze Zeit nach dem Landeskongreß in Madras wurden die Traktate Königreichs-Nachrichten mit großem Eifer verbreitet. Diese Tätigkeit war für Neue, die die Voraussetzungen für den Predigtdienst erfüllten, ein großer Ansporn, den Dienst aufzunehmen. Kein Mensch kann sagen, welche Wirkung durch die Verbreitung der Traktate tatsächlich erzielt wird. Es besteht aber kein Zweifel darüber, daß durch diese Tätigkeit viel erreicht wird.
Zum Beispiel erhielt ein Mann aus Madurai (Südindien) von einem Verkündiger, der von Haus zu Haus ging, ein solches Traktat. Als er seinen Vater, der in einem abgelegenen Dorf wohnte, besuchte, nahm er das Traktat mit. Er dachte, sein Vater, der Prediger am Ort war, sei daran interessiert. Und so war es auch. Mr. Solomon schrieb an das Zweigbüro und bat um weiteren Aufschluß. Man sandte seine Adresse an die Versammlung Madurai in Tamil Nadu.
Bruder Alexander, ein Aufseher, der als Sonderpionier dient, machte sich sogleich auf, Mr. Solomon zu suchen. Er reiste so weit wie möglich mit dem Bus und ging dann 10 Kilometer in der sengenden Sonne zu Fuß, bis er ihn schließlich fand. Sofort wurde ein Bibelstudium begonnen. Einige Monate danach wurde Bruder Solomon getauft, und zwar im Jahre 1975 auf dem Bezirkskongreß „Gottes Souveränität“ in Madurai. Wahrlich ein gutes Ergebnis der Traktataktion!
AUSDEHNUNG IM ZWEIGBÜRO
Im Jahre 1973 erkannte man, daß das Gebäude des Zweigbüros in Indien vergrößert werden mußte, um der zunehmenden Tätigkeit im Lande Rechnung zu tragen und den in Bombay geltenden Vorschriften für Kongresse zu entsprechen. Die neuen Baupläne wurden von einem der bekanntesten Architekten Indiens entworfen. Die Bauarbeiten selbst begannen am 8. Dezember 1973 unter der Aufsicht von Frank Schiller, einem kanadischen Bruder, der in einem Gebiet diente, wo Hilfe dringender benötigt wurde.
Das Gebäude wurde um ein Stockwerk erhöht, so daß die frühere Dachterrasse überdacht wurde, wodurch ein herrlicher Kongreßsaal für Bombay entstand. Das war der erste Saal dieser Art in Indien. Er bietet bequem Platz für 600 Brüder und dient zwei Bombayer Versammlungen als Königreichssaal.
Dieser Erweiterungsbau ermöglichte es der Gesellschaft, den früheren Königreichssaal in passende Büroräume umzubauen und ein zusätzliches Zimmer für Bethelmitarbeiter zu schaffen. Das frühere Büro im Erdgeschoß bot Platz für die Zeitschriften- und Abonnementsabteilung sowie für zusätzlichen Lagerraum.
Die Einweihung war für den 15. Juni 1974 festgesetzt. Das diente als Ansporn, so daß die Bauarbeiten zügig vorangingen. Der Erweiterungsbau wurde planmäßig fertiggestellt, und die Einweihung fand wie vorgesehen statt.
SIKKIM MIT INDIEN VERSCHMOLZEN
Im September 1974 billigte das indische Unterhaus einen Gesetzentwurf, der Sikkim zu einem assoziierten Staat des indischen Bundesstaates machte. Damals gab es in Sikkim 21 Zeugen Jehovas. Angesichts der politischen Verbindung des Landes mit Indien hielt man es für angebracht, die Predigtdienstberichte aus Sikkim in den Bericht für Indien aufzunehmen.
Gangtok ist ein Schauplatz eifriger christlicher Tätigkeit. Mit der dortigen Versammlung arbeiten vier Sonderpioniere zusammen. Weitere Versammlungen gibt es in Chungbung und Samdong.
Im Jahre 1976 fuhr Bruder Robert Rai, ein Sikkimer, der in London (England) lebt und Ältester ist, mit seiner Frau im Auto bis nach Sikkim. Er brachte das Geld mit, um in Chungbung einen Königreichssaal zu bauen. Innerhalb von zwei Monaten wurde ein Gebäude errichtet, das sechzig Personen Platz bot. Bruder und Schwester Rai kehrten danach wieder nach London zurück.
1975 — EIN DENKWÜRDIGES JAHR
Das Jahr 1975 war für die Brüder in Indien tatsächlich ein denkwürdiges Jahr. Anfang des Jahres hatten wir den bedeutungsvollen Besuch zweier Glieder der leitenden Körperschaft: N. H. Knorr und F. W. Franz. Von weit her kamen Brüder nach Bombay, um die Vorträge der beiden Besucher zu hören. An zwei geistig erbauenden Tagen füllten 948 Personen jede Ecke in dem kurze Zeit zuvor erweiterten Gebäude des Zweigbüros. Bruder Knorr ermunterte unter anderem die jungen Männer, danach zu streben, in der Versammlung mehr Verantwortung zu übernehmen.
Das nächste begeisternde Ereignis war das Abendmahl des Herrn am 27. März. Zum erstenmal wurden bei diesem Anlaß in Indien mehr als 10 000 Anwesende gezählt. Das ließ erkennen, daß die 4 531 Zeugen hier wirklich eifrig tätig waren, und es spornte sie an, weiterhin hart im Dienst Jehovas zu arbeiten.
DIE BLUTFRAGE
In der Zwischenzeit haben die Brüder in Indien mehr und mehr die Notwendigkeit erkannt, an biblischen Grundsätzen festzuhalten. Dies zeigt der Fall von Schwester Muniyamma, einer Sonderpionierin der Versammlung Paradise Farm in der Nähe von Bangalore. Sie hatte einen Tumor im Unterleib, wodurch sie viel Blut verlor und körperlich sehr schwach wurde. Da sie eine Bluttransfusion ablehnte, verweigerte ein kirchliches Krankenhaus die Aufnahme. Man brachte Schwester Muniyamma in ein anderes Krankenhaus, wo die Ärzte aber ebenfalls nicht ohne Blut operieren wollten. Sie befand sich bereits in einem kritischen Zustand. Bruder Mall aus Bangalore, der mit dem Chefarzt des zuerst erwähnten Krankenhauses verwandt ist, hatte diesen unterdessen dazu bewegen können, Schwester Muniyamma aufzunehmen. Der Arzt operierte ohne Blut, und Schwester Muniyamma ist wieder genesen. Das war ein gewaltiges Zeugnis für die kirchlichen Stellen, unter deren Leitung das Krankenhaus steht, und Jehovas Zeugen sind in der Achtung des gesamten Krankenhauspersonals gestiegen. Nun ist Schwester Muniyamma wieder in ihrer Pionierzuteilung und fährt fort, anderen die Botschaft des Lebens zu verkündigen
AUSDEHNUNG DES ZEUGNISWERKES
In den nordöstlichen Territorien geht das Königreichswerk gut voran. Der Sonderpionier K. V. Joy fand zum Beispiel in Imphal (Manipur) einen Jugendlichen, der dem Stamm der Tangkhul Naga angehörte. Der Junge, ein Baptist, begann zwar sogleich, die Bibel zu studieren, doch aufgrund des Einflusses anderer Baptisten bekam er Zweifel, weshalb er das Studium wieder einstellte. Später fand Grace, so heißt dieser Angehörige der Naga, in einem Schulbuch den Namen Gottes, Jehova, und erfuhr aus diesem Lehrbuch, daß einige der bekannten „christlichen“ Bräuche heidnischen Ursprungs sind. Daraufhin nahm er unter der Anleitung von Bruder Joy das Bibelstudium wieder auf.
Der Druck von seiten der Baptistengemeinde nahm nun ernste Formen an. Der Jugendliche berichtet: „Die Dorfvorsteher meines Stammes stellten mich drohend vor folgende Alternative: Entweder sollte ich meinen neuen Glauben aufgeben und in die Baptistenkirche zurückkehren oder eine Strafe von 250 Rupien zahlen, oder ich würde nach dem Stammesbrauch getötet werden. Ich schenkte diesen Drohungen keine Beachtung. Schließlich traten Angam, mein älterer Bruder, sowie mein Cousin Narising und ich aus der Kirche aus. Im Jahre 1975 ließ ich mich zum Zeichen meiner Hingabe an Jehova taufen. Bald darauf ließen sich auch Angam und Narising taufen. Sie blieben in meinem Heimatdorf, um unter den Angehörigen meines Stammes, die bis vor wenigen Jahren noch Kopfjäger waren, die Wahrheit bekanntzumachen. Noch heute sieht man in meinem Heimatdorf an einigen Häusern Menschenschädel hängen — eine Erinnerung an die grausame Vergangenheit.“
Auch in gedruckter Form breitet sich Gottes Wahrheit in den Stammesgebieten im Nordosten aus. Von 1973 bis 1975 gaben dort siebzehn Sonderpioniere 4 769 Bücher und ungefähr doppelt soviel Zeitschriften ab. Die meisten dieser Sonderpioniere stammen aus dem Staat Kerala, wo es im Verhältnis die meisten Zeugen Jehovas in Indien gibt. Diese Pioniere aus Südindien waren bereit, ihre Heimat zu verlassen und in fremden Gebieten, fast 2 000 Kilometer entfernt, zu dienen. Für sie war es wie eine Auslandszuteilung, denn sie mußten neue Sprachen lernen und unter völlig andersartigen Menschen arbeiten. Innerhalb weniger Jahre breitete sich die Wahrheit aus, und so konnten in diesen Stammesgebieten 50 Einheimische getauft werden. Einige waren in der Lage, Literatur in ihre Dialekte zu übersetzen.
Als mehr Mitarbeiter zur Verfügung standen, erschloß die Gesellschaft größere Städte, die bis dahin, soweit es das Predigen des Königreiches betraf, „unterentwickelt“ waren. In Patna (Bihar) wurde zum Beispiel ein Missionarheim eröffnet. Dort diente die Familie Alford. Barbara Alford und ihre vier Kinder hatten die indische Staatsbürgerschaft und waren nach Kanada ausgewandert, wo sie die Wahrheit kennenlernten. Josephine Alford besuchte die Gileadschule und wurde Indien zugeteilt. Daher kehrten Barbara Alford, die Mutter, und alle ihre Kinder freiwillig wieder nach Indien zurück, um im Missionarheim in Patna zu dienen.
DIE HERAUSGABE VON SCHRIFTEN IN VERSCHIEDENEN SPRACHEN
Die meisten Staaten Indiens haben ihre eigene Sprache. Wenn ein Buch in einer bestimmten Sprache herausgegeben werden soll, muß es dort gedruckt werden, wo diese Sprache gesprochen wird. Wir mußten also herausfinden, wo es eine gute Druckpresse gab und wo Sonderpioniere zur Verfügung standen, die die Druckarbeiten beaufsichtigen konnten. Die meisten Pioniere mußten geschult werden, um zu wissen, wie gute Bücher hergestellt werden. Das geschah vom Zweigbüro aus auf brieflichem Wege. Zu diesem Zweck wurden unzählige Briefe geschrieben. Außerdem mußten einige Pioniere die Kenntnisse ihrer eigenen Sprache verbessern, um den zu druckenden Text auf seine Genauigkeit überprüfen zu können. So werden die Druckarbeiten an elf verschiedenen Stellen vom Zweigbüro in Bombay sozusagen ferngesteuert.
Bei diesem System wurde es auch in vielen Fällen nötig, kommerziellen Druckereien zu zeigen, wie der von der Gesellschaft geforderte hohe Standard für Bücher erreicht werden kann. An einigen Orten gaben die Drucker zu, daß die bessere Druckqualität hauptsächlich auf die Schulung zurückzuführen war, die sie aufgrund der sorgfältigen Beaufsichtigung durch die Pioniere erhielten, die sich um das Drucken der Veröffentlichungen der Gesellschaft kümmerten.
Schon lange sind Jehovas Diener daran interessiert gewesen, die biblische Wahrheit in den vielen Sprachen Indiens zu veröffentlichen. Bereits im Jahre 1912 hatte C. T. Russell, der erste Präsident der Watch Tower Society, dafür gesorgt, daß unsere Broschüren in die sechs Hauptsprachen Indiens übersetzt wurden — Hindustani, Gudscharati, Malayalam, Telugu, Marathi und Tamil. Seit Anfang 1976 liefert das Zweigbüro in Indien für das eigene Gebiet Literatur in zwanzig verschiedenen Sprachen. In den letzten fünf Jahren wurden in diesem Land 636 677 unserer Bücher gedruckt − über 500 Prozent mehr als in den vorausgegangenen fünf Jahren! Der Wachtturm erscheint in sieben Sprachen, zu denen bald zwei weitere kommen werden. Die Zeitschrift Erwachet! wird in zwei indischen Sprachen herausgegeben. Das Zweigbüro versendet Zeitschriften in 73 Länder. Um all die Arbeiten in Verbindung mit der Herausgabe von Schriften zu bewältigen, sind außerhalb des Zweigbüros über 50 Brüder mit Übersetzungs-, Druck- und Versandarbeiten beschäftigt.
Aufgrund der neuerlichen Politik der indischen Regierung wurde die Einfuhr von Literatur erheblich eingeschränkt. Wir beantragten regelmäßig eine Einfuhrgenehmigung für Schriften im Werte von 40 000 Rupien (5 000 $). Doch jedes Jahr wurde nur ein Wert von 10 000 Rupien genehmigt. Im Jahre 1975 beantragten wir eine Importlizenz für Bücher im Werte von 50 000 Rupien. Man stelle sich die Freude vor, als die Lizenz eintraf, mit der die Genehmigung für die Einfuhr von Büchern aus Brooklyn im Werte von 50 000 Rupien erteilt wurde! Durch den Segen Jehovas erhielten wir einen großen Vorrat an geistiger Speise für Indien.
BEZIRKSKONGRESSE LASSEN STETIGES WACHSTUM ERKENNEN
Im Laufe der Jahre fanden regelmäßig Bezirkskongresse statt, und viele Städte in Indien erhielten ein gründliches Zeugnis. Die Kongresse zeigten, daß sich immer mehr Menschen für die Vorsätze Jehovas interessierten. Auf den 15 Kongressen „Gottes Souveränität“, die im Jahre 1975 hier stattfanden, wurden 243 Personen getauft, und die Gesamtzahl der Anwesenden beim öffentlichen Vortrag betrug 6 061. Damals gab es in Indien 4 300 Königreichsverkündiger.
Die Herstellung der Tonbandaufnahmen für die biblischen Dramen die auf den Kongressen aufgeführt werden, ist eine zusätzliche Arbeit für das Zweigbüro. Man stelle sich vor, was es bedeutet, in einem kleinen Zweigbüro oder unter dessen Aufsicht Aufnahmen in zehn Sprachen anzufertigen! Zunächst müssen die Texte übersetzt werden. Dann müssen die Sprecher für die dargestellten Personen ihre Rolle für die Aufnahme üben. Das nächste größere Problem ist die Aufnahme selbst. Im Zweigbüro werden nur Tonbänder in vier Sprachen vorbereitet. Die restlichen werden von Brüdern im Land aufgenommen. In den meisten Fällen steht ihnen nur eine bescheidene Ausrüstung zur Verfügung, und es ist schwierig, genügend passende Brüder und Schwestern für die verschiedenen Stimmen zu finden.
Das „Aufnahmestudio“ mag eine einfache Wohnung sein. Oftmals beginnen die Brüder mit den Aufnahmearbeiten erst um 1 Uhr nachts, da zu dieser Zeit die Geräusche in ihrer Umgebung am geringsten sind. Einmal mußten zwei Brüder Steine in nahe gelegene Teiche werfen, um quakende Frösche zur Ruhe zu bringen. Das Programm für einen Bezirkskongreß vorzubereiten erfordert sechs Monate harte Arbeit. Doch die Dankbarkeit derer, die einen Kongreß in ihrer Muttersprache besuchen, zeigt, daß sich jede Minute lohnt.
NEUE ZWEIGADMINISTRATION
Wie in anderen Ländern ging auch in Indien Anfang 1976 die Aufsicht über das Königreichspredigtwerk auf ein Zweigkomitee über, dessen Vorsitzender turnusgemäß wechselt und das einen ständigen Koordinator hat. Das wurde als Fortschritt angesehen, besonders im Hinblick auf die zunehmende Arbeit und auf Probleme, die auftreten können. Durch diese Vorkehrung wurden die mit der Aufsicht verbundenen Aufgaben in größerem Umfang einheimischen Brüdern übertragen, und da ein Glied des Zweigkomitees engeren Kontakt mit der Predigttätigkeit hat, ist es auch möglich, die in Verbindung damit auftretenden Probleme besser zu verstehen.
GRUNDLAGE FÜR KÜNFTIGE ZUSAMMENARBEIT MIT GOTT
Jehovas Zeugen in Indien, Nepal und Bangladesch erwarten gespannt die wunderbaren Ereignisse, die in unserer Generation stattfinden sollen, und bereiten sich auf die vor uns liegenden Prüfungen vor, indem sie sich eng an Jehovas sichtbare Organisation halten. Die neueste Verkündiger-Höchstzahl in Indien ist 4 687. Zur Feier des Gedächtnisses an den Tod Christi waren am 14. April 1970 11 204 Personen anwesend. Nur 11 wahre Christen in Indien bekannten, gesalbte Nachfolger Jesu zu sein.
Trotz des großen Gebiets und der gewaltigen Bevölkerung erhält Indien ein Zeugnis über Jehovas aufgerichtetes Königreich. Besonders vom Jahre 1912 an ist die biblische Wahrheit unter den vielen Millionen Indern gepredigt worden. Man bemühte sich tatkräftig, die Botschaft zu den Menschen zu tragen — durch die Verteilung von Tausenden und aber Tausenden von Bibeln und anderen christlichen Veröffentlichungen, durch Vortragsfeldzüge mit Lautsprecherwagen, durch die Tätigkeit mit dem Grammophon, durch den Haus-zu-Haus-Dienst, durch Rückbesuche und Bibelstudien. Trotz äußerst schwieriger klimatischer Bedingungen, trotz der für die Gesundheit bestehenden Gefahren und vieler Mühsale wurde Millionen Menschen die Gelegenheit gegeben, die biblische Botschaft der Rettung zu hören. Es ist erfreulich, daß sie bei einigen tausend einen günstigen Widerhall fand.
Aus wenigen in verschiedenen Sprachgebieten verstreuten Verkündigergruppen hat sich die theokratische Organisation in Indien zu einer Gruppe eng verbundener, geeinter christlicher Evangelisten entwickelt, und das trotz der Gleichgültigkeit von Anhängern der falschen Religion, vereinzelter Ausbrüche des Fanatismus und der Verbote während zweier Weltkriege sowie politischer Schwierigkeiten und anderer Probleme. In all diesen Situationen ist Jehova mit uns gewesen, und wir sind als seine Zeugen sehr dankbar dafür, daß wir ‘mit ihm zusammenarbeiten’ dürfen (2. Kor. 6:1).
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Ein Wohnauto mit Grammophon und Lautsprecheranlage, das in den 1930er Jahren zur Verkündigung der guten Botschaft diente
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Das Zweigbüro in Bombay