Fragen von Lesern
● In Psalm 110:1 ist von Christus die Rede, wie er zur Rechten Jehovas sitzt, aber in Vers 5 wird auf Jehova hingewiesen, wie er zur Rechten Christi sitzt, da unter „Herr“ hier Jehova zu verstehen ist gemäß der Anmerkung im Buche Was hat die Religion der Menschheit gebracht? auf Seite 107. Wenn Christus zur Rechten Jehovas sitzt, würde dies nicht bedeuten, daß Jehova zur Linken Christi ist? — R. C., Australien.
In Psalm 110 wird Jehova gezeigt, wie er zu Christus spricht. Von Jehova wird in der dritten Person gesprochen und von Christus in der zweiten Person. Vers 1 lautet: „Jehova sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten.“ In Vers 5 heißt es: „Der Herr zu deiner Rechten zerschmettert Könige am Tage seines Zornes.“ „Dich“ und „deiner“ beziehen sich auf Christus, das Wort „Herr“ in Vers 5 bezieht sich auf den Herrn Jehova. Folglich wird im Psalm zuerst von Christus als zu Jehovas rechter Hand seiend gesprochen und dann später von Jehova als zur Rechten Christi seiend.
Zur Rechten zu sein bedeutet jedoch nicht notwendigerweise eine buchstäbliche Stellung, ebensowenig als Jesu bildliche Redeweise von Schafen und Böcken bedeutete, daß die Schafe nun buchstäblich immer zu seiner Rechten und die Böcke buchstäblich zur Linken seien. Dies ist ebensowenig buchstäblich zu nehmen als die sitzende Stellung, die in Psalm 110:1 erwähnt wird. Jesus saß nicht buchstäblich von der Zeit seiner Auferstehung und der Himmelfahrt an bis zum Jahre 1914, als er in seiner Eigenschaft als inthronisierter König aufstand. Die sitzende Stellung bedeutet lediglich, daß er in bezug auf die königlichen Pflichten noch nicht aktiv war. Auch ist die Stellung zur Rechten nicht notwendigerweise als buchstäblich, sondern als symbolisch aufzufassen. Die rechte Seite weist auf den Platz der Vortrefflichkeit, Vorzüglichkeit, der Gunst und Billigung hin. Die Stellung zur Linken, wie im Bilde von den Schafen und Böcken, ist die Seite der Mißbilligung und Ungnade. In Prediger 10:2 wird der Sinn zum Ausdruck gebracht, wenn es dort heißt: „Des Weisen Herz ist nach seiner Rechten, und des Toren Herz nach seiner Linken gerichtet.“ Oder: „Der Sinn des Weisen gereicht zu seinem Erfolg; der Sinn des Toren gereicht zu seinem Versagen.“ (AÜ) Hier stellt die Rechte Erfolg, die Linke Versagen dar. Es wäre ungereimt, diesen Text auf die buchstäbliche Herzensstellung anwenden zu wollen, denn das Herz befindet sich zur Linken, ob die Person nun weise oder töricht sei. Dieser Regel der Vorzüglichkeit der rechten Hand gemäß legte der betagte Jakob seine Rechte auf Ephraim, den jüngeren Sohn Josephs, und gab ihm den höheren Abschiedssegen, während er seine Linke auf den älteren Sohn Manasse legte und ihm einen geringeren Segen verlieh. (1. Mose 48:14-20) In Übereinstimmung mit diesem wird Christus Jesus selbst prophetisch dargestellt, wie er zu seinem himmlischen Vater sagt: „Fülle von Freuden ist vor deinem Angesicht, Lieblichkeiten in deiner Rechten immerdar.“ — Ps. 16:11.
Wenn wir also nicht versuchen, den Gesichtspunkt der Buchstäblichkeit einzunehmen, so ergibt sich keine Schwierigkeit in der Darlegung, daß Jehova und Christus jeder zur Rechten des anderen ist, wie dies in Psalm 110:1, 5 gezeigt wird. Jeder hat vom andern aus gesehen die Stellung der Vorzüglichkeit und Vortrefflichkeit inne.
● In Römer 7:9 spricht Paulus, als ob er schon gelebt hätte, bevor der Gesetzesbund existierte, und daß er lebte, als dieser begann. Wie sind die Worte des Paulus zu verstehen, da dies doch Jahrhunderte vor seinen Lebzeiten war? — D. S., Vereinigte Staaten.
Paulus argumentiert, daß das Gesetz, indem es die Sünde bekanntmachte, die Sündhaftigkeit der Menschen offenbarte. Es überführt sie als Sünder, und Sünde verdiente den Tod. So brachte das Gesetz die Sünde zum Leben und bewirkte, daß jene, die unter dem Gesetz standen, den Tod verdienten. Ein unvollkommener Mensch, der unfähig war, das Gesetz vollkommen zu halten, wurde der Sünde überführt und war somit des Todes schuldig. In diesem Rahmen schrieb Paulus in Römer 7:9 (NW): „Ich war einst lebendig ohne Gesetz; doch als das Gebot kam, kam die Sünde wieder zum Leben, ich aber starb.“ Ehe das Gesetz gegeben worden war, spricht er von sich als am Leben seiend, doch als das Gesetz in Kraft trat, brachte es die Sünde zum Leben und sprach ihn des Todes schuldig.
Doch wie konnte dies im Falle des Apostels Paulus zutreffen? Der Gesetzesbund trat fünfzehnhundert Jahre, ehe Paulus geboren wurde, in Kraft. Paulus lebte noch nicht, als das Gesetz kam, war also nicht „lebendig ohne Gesetz“. Indes war Paulus ein Nachkomme Abrahams nach dem Fleische, und zu Abraham hatte Gott gesagt: „In deinem Samen werden gesegnet werden alle Nationen der Erde.“ (1. Mose 22:18, Fußn.) Abraham war Gottes Freund. Er war gerecht in Gottes Augen wegen seines Glaubens. Während Paulus noch ungeboren in den Lenden Abrahams war, hatte er eine Hoffnung auf Leben durch Glauben. Aber 330 Jahre nach dem Tode Abrahams wurde der Gesetzesbund der an Abraham ergangenen göttlichen Verheißung hinzugefügt. Dieser Gesetzesbund ließ deutlich hervortreten, daß Abrahams fleischliche Nachkommen, die zwölf Stämme Israels, Sünder und Übertreter waren. Paulus wurde unter diesem Gesetzesbund geboren, und er konnte sich nicht durch die Werke des Gesetzesbundes selbst zum Leben rechtfertigen, seine Hoffnung auf Leben durch diesen Bund „starb“.
So lebte er denn, ehe das Gesetz kam, ohne Gesetz, nur in bildlichem Sinne, indem er in den Lenden seines Vorfahren Abraham war. Dies ist gleich, wie wenn die Bibel von Levi spricht, er habe Melchisedek Zehnten gezahlt, obwohl Levi erst lange nach der Zeit Melchisedeks lebte. Aber Levis Vorfahre Abraham zahlte bei einer Gelegenheit Zehnten an Melchisedek, und daher schrieb Paulus: „Und sozusagen hat auch Levi, der Zehnten empfängt, durch Abraham Zehnten bezahlt, denn er war noch in den Lenden seines Vorfahren, als Melchisedek ihn traf [und Zehnten von Abraham empfing].“ (Heb. 7:9, 10, NW) So gibt die Bibel selbst den Sinn an, in welchem Paulus, ‚ohne Gesetz‘ oder ‚vor dem Kommen des Gesetzes‘ lebte. — Siehe den Wachtturm vom 1. Januar 1946, S. 13.