Das Ende einer Dynastie
„WIE bist du vom Himmel gefallen, du Glanzstern, Sohn der Morgenröte! ... Du sprachst in deinem Herzen: ‚Zum Himmel will ich hinaufsteigen, hoch über die Sterne Gottes meinen Thron erheben, ... mich gleich machen dem Höchsten.‘ — Doch in den Scheol wirst du hinabgestürzt, in die tiefste Grube.“ — Jes. 14:12-15.
Wer offenbarte ein solch ehrgeiziges Streben, und wer sollte in einen derartigen entwürdigten, gedemütigten Zustand hinabgestürzt werden? Warum sollten wir heute wissen wollen, was diese dramatische Darstellung aus der Bibel bedeutet? Wegen der Wichtigkeit dieser spannenden Handlung der Beteiligten, denn der „Glanzstern, Sohn der Morgenröte“, stellt die Königsdynastie Babylons dar, die von König Nebukadnezar ausgeht und mit Belsazar endet; die „Sterne Gottes“ sind die Könige aus der davidischen Linie Judas, die stellvertretend auf dem „Thron Jehovas“ in Jerusalem sitzen; der Höchste und der Sprecher dieser Worte an den „Glanzstern“ ist Jehova Gott, der Allmächtige.
WELCHE DYNASTIE SOLLTE VON BESTAND SEIN?
Wenn wir über die Tatsache nachdenken, daß die königliche Linie Davids jene war, die unter dem mit David geschlossenen Bund für ein Königtum stand und aus der der Messias hervorkommen sollte, erkennen wir außer den weltweiten Folgen dieser Handlung zu jener Zeit die unendlich weiterreichende Auswirkung auf das Weltgeschehen unserer Tage wieder. Der Bund für das Königtum muß weiterbestehen, und es sollte bis zum Kommen des Messias, dessen Thron neben den Thron Jehovas erhoben werden muß, immer Nachkommen der Linie dieser Könige geben. Würde die Dynastie Davids die Oberhand gewinnen? Welche würde bestehenbleiben?
Es gibt auch in unseren Tagen eine Parallele, durch die die Wichtigkeit dieser Prophezeiung unterstrichen wird. Über diesen „Glanzstern“ wird wie von dem „Überwältiger der Nationen“ gesprochen (Jes. 14:12), wie von demjenigen, „der den Erdkreis der Wüste gleich machte“ (14:17), und wie von jenem, durch dessen Sturz die ganze Erdbevölkerung ruht und rastet und alles in Jubel ausbricht (14:7, Br). Betrachte einmal den Bericht über Babylon die Große unserer Tage, das Weltreich der falschen Religion, das unter seinem unsichtbaren Herrscher, Satan, dem Teufel, steht. Die Führer Babylons der Großen haben Gott als eine dreiköpfige Mißgestalt der Dreieinigkeit dargestellt, als einen Unhold, der ewige Qualen bereitet, und haben die Völker der Erde dazu verleitet, andere falsche Götter anzubeten. Sie haben sich durch hochtönende Titel erhöht. Sie haben ihr Vertrauen auf den Materialismus und die Militärstreitkräfte und nicht auf Gott oder sein Wort, die Bibel, gesetzt. Durch Konkordate mit Diktatoren, durch Kriege, die im Namen der Religion, besonders der „christlichen“ Religion, geführt wurden, haben sie die Nationen entkräftet, die Erträge des Landes vernichtet, Männer in blühendem Lebensalter geschlachtet und maßloses Elend und Leid herbeigeführt. Was an Babylon und seiner Herrscherlinie der Könige geschah ist ein Muster, das sicher in Erfüllung gehen wird, indem Babylon die Große zur Erleichterung und Freude der Menschen aller Nationen ausgelöscht wird.
Wie konnte es so weit kommen, daß sich die Herrscherlinie der babylonischen Könige an solchen Träumen, die ehrgeiziges Streben verraten, ergötzen konnte? Nun, der „König von Babel“ erfreute sich hervorragender Erfolge, als er die Völker besiegte. Das ließ ihn wie einen Glanzstern in der Stellung der dritten Weltmacht erscheinen. Gemäß Jesajas Bericht schlug der „König von Babel“ die Völker „im Grimme mit Schlägen ohne Unterlaß“ und unterjochte Nationen „im Zorn mit Verfolgung ohne Einhalt“, weil sie sich nicht freiwillig der Weltherrschaft durch Babylon unterworfen hatten. Keine irdische Macht war in der Lage, ihn von diesem Handeln zurückzuhalten. Er war den Nationen gegenüber wie ein Holzfäller, indem er ihre Könige zu Fall brachte, wie man Bäume fällt. Er machte Nationen kampfunfähig und führte sie nach Babylon in tiefe Sklaverei. Er machte die Erde beben, erschütterte Königreiche und machte den Erdkreis der Wüste gleich, beispielsweise zu der Zeit, als er Jerusalem zerstörte und die Bewohner Judas nach Babylon brachte und das Land ohne Mensch und Haustier zurückließ. Er hatte nicht die geringste Absicht, seine Gefangenen jemals in die Heimat zu entlassen. — Jes. 14:6, 12, 16, 17.
Die früheren Erfolge des „Königs von Babel“ stellten ihn nicht zufrieden. Er konnte nicht eher ruhen, bis er die Könige Judas besiegte, da sie als die irdischen Vertreter der theokratischen Herrschaft Gottes auf dem „Thron Jehovas“ in Jerusalem saßen. Solange der Thron in Jerusalem bestand, könnte der König von Babylon seinen Gott Marduk nicht in die höchste Stellung rücken. Wenn er diese Könige von Juda von ihrem Thron stoßen könnte, sie unter seine Füße bringen könnte, dann würde er bestimmt in die Himmel erhöht, über die Sterne, denn in der biblischen Prophezeiung werden die Könige der königlichen Linie Davids mit Sternen verglichen. Da sie Jehova repräsentierten, hatten sie den Glanz, die Ehre eines Königs. (4. Mose 24:17) Psalm achtundvierzig berichtet über den Tempel, der in der Stadt Zion, auf einem erhöhten Platz in der Nähe des Palastes der Könige von Juda, lag. Jehova befahl ganz Israel, dreimal im Jahr zu diesem Ort hinaufzukommen. So wurde dieser Ort zu einem „Versammlungsberg“. Der Psalmist schreibt: „Groß ist Jehova und sehr zu loben in der Stadt unseres Gottes auf seinem heiligen Berge. Schön ragt empor, eine Freude der ganzen Erde, der Berg Zion, an der Nordseite, die Stadt des großen Königs [Jehova].“ (48:1, 2) Wenn Babylons König nur diese „Sterne“ verdrängen könnte, dann würde er in seinen eigenen Augen und in den Augen der Babylonier in einer Stellung erscheinen, die auf dem „Versammlungsberg im äußersten Norden“ wäre, einer Stellung, die mit Jehovas Stellung, der diese Könige auf Zion einsetzte, vergleichbar wäre.
In den Augen der damaligen heidnischen Welt würde sich der König Babylons dem Höchsten gleichmachen. Das würde bewirken, daß die babylonischen Sterngucker sozusagen einen neuen Stern am Himmel funkeln sähen, der an Glanz andere Sterne überträfe. Er würde die „Sterne Gottes“ überstrahlen. Als der König Babylons Zedekia von seinem Thron stürzte und Jerusalem mit dem Tempel Jehovas zerstörte, empfand er, daß er diesen himmlischen Gipfel erreicht habe. — 2. Kö. 25:1-7.
BABYLONS DYNASTIE ALS „GLANZSTERN“ (LUZIFER)
An dieser Stelle ist es gut, die Bedeutung des hebräischen Wortes heilēl’ zu betrachten, das mit „Glanzstern“ wiedergegeben wird. Es bedeutet auch „Glanz“, und gemäß einigen hebräisch-deutschen Wörterbüchern bedeutet der Ausdruck „Glänzender, Sohn des Morgens“ soviel wie „Morgenstern“, der als der hellste Stern am Himmel galt. Die englische Authorized Version wie auch die englische römisch-katholische Douay Version gebrauchen auch den Namen Luzifer. Beide Bibelübersetzungen halten sich an die lateinische Vulgata, die das Wort lucifer, das heißt „Lichtträger“, gebraucht. Luzifer ist jedoch nicht der Name des „Königs von Babel“. Luzifer ist ein Name, der von frühen nichtinspirierten religiösen Schriftstellern unserer Zeitrechnung auf Satan, den Teufel, angewandt wurde. Beachte, daß die lateinische Vulgata in 2. Petrus 1:19 erneut das Wort lucifer gebraucht; hier bezieht es sich nicht auf Satan, den Teufel, sondern auf den „Tagesstern“ (NW), der im Herzen eines Christen „aufgehen“ sollte. Demnach kann dieser Ausdruck heilēl’ oder lucifer nur in dem Maße auf Satan, den Teufel, angewandt werden, wie der irdische König von Babylon als Sinnbild für dieses verderbte Geistwesen verwendet wird und es nachahmt. Natürlich war Satan, der Teufel, der wirkliche Gott und unsichtbare König Babylons, so, wie er auch in unseren Tagen der Herrscher über Babylon die Große ist.
In erster Linie bezieht sich Jesaja 14:12-14 auf den menschlichen König Babylons, und zwar deshalb, weil an dieser Stelle gewisse Ausdrücke, wie Scheol, erscheinen. Satan, der Teufel, war selbst nie im Scheol, der Hölle oder dem Grab, und wird auch nie dorthin kommen, denn er ist ein Geist in den unsichtbaren Himmeln, während Scheol, Hölle und Grab das in der Erde befindliche Grab bezeichnen. An diesen Ort bettet man sichtbare, stoffliche, menschliche Totenleiber. Selbst Jesus Christus war, nachdem er gestorben war, für drei Tagesteile im Scheol, der Hölle oder dem Grab, wie es der Apostel Petrus selbst bezeugte. — Apg. 2:27-32; Ps. 16:10.
WIE EIN AAS — KEIN BEGRÄBNIS UND OHNE NACHFOLGER
Daher gelten auch die weiteren Worte aus Jesaja 14:15 dem sich selbst erhöhenden menschlichen „König von Babel“: „Doch in den Scheol [Hölle, Lu] wirst du hinabgestürzt, in die tiefste Grube.“ Diese Aussage läßt erkennen, wie tief der „König von Babel“ aus solch himmelhoher Stellung des Glanzes und der Macht fällt. Es handelte sich um die tiefste Tiefe, in die ein Mensch nur fallen kann. Doch die Prophezeiung zeigt an, daß er nicht im Scheol, dem allgemeinen Grab der Menschheit, zur Ruhe gebettet wird. Der Ausdruck „König von Babel“ bezieht sich nicht auf die Könige von Babylon als einzelne, sondern auf die Herrscherlinie der Könige von Babylon, denn die meisten Könige, wenn nicht gar alle, erhielten ein ehrenvolles Begräbnis, und sie wurden in dem allgemeinen Grab, im Scheol, begraben. Aber die Dynastie der Könige Babylons, die Jehovas Tempel zerstörte, war zuschanden geworden. Im Scheol wurde dieser Dynastie unter den anderen „Königen der Nationen“ kein Platz eingeräumt, sondern sie wurde „hingeworfen“, ohne daß ihr eine achtbare Begräbnisstätte zuteil geworden wäre. Sie war gleich einem „verabscheuten Schößling“, den man abschneidet und wegwirft, weil man ihn nicht an einer Pflanze weiterwachsen lassen möchte. Diese Herrscherlinie war gleich einem Aas, bedeckt mit toten, vom Schwerte durchbohrten Kriegern, gleich einem „zertretenen Aas“. Auf offenem Land daliegend, konnte es von aasfressenden Tieren aufgezehrt werden — ein schimpfliches Ende ohne ehrenhafte Erinnerung, ohne Gedächtnisgruft, ein Name, der Schmach anzeigt und aussterben würde. Die mit Leitböcken vergleichbaren „Mächtigen der Erde“ und die „Könige der Nationen“, die auf wirklichen Thronen sitzend begraben wurden, werden so dargestellt, als ob sie von ihrem Todesschlaf im Scheol wieder erwacht wären, so erstaunlich ist der Sturz des „Königs von Babel“. (Jes. 14:9, 10, Fußnote) Jene, die diesen Fall aufmerksam beobachten, geben ihrer Verwunderung darüber Ausdruck, wie Jehova diesen „Glanzstern“ vernichtete. Dabei denken sie an die abscheulichen Bosheiten, die der „König von Babel“ ausübte, wie sie in Jesaja 14:16-21 beschrieben werden. Überdies sollten die befreiten Israeliten dieses Thema als Spottlied gegen den „König von Babel“ anstimmen. — Jes. 14:3, 4.a
Jehova sagt: „Und [ich] werde von Babel ausrotten Namen und Überrest, und Sohn und Nachkommen.“ (Jes. 14:22) Dennoch gab es später chaldäische Könige, die versuchten, Babylon wieder aufzurichten. Beispielsweise war Nidintu-Bel, der den Königsnamen Nebukadnezar III. annahm und nicht aus der Dynastie Nebukadnezars stammte, unfähig, Babylon zur Macht zurückzubringen. Seine Herrschaft dauerte weniger als ein Jahr lang. Ein gewisser Nebukadnezar IV. zettelte gegen König Darius I. eine Revolte an, wurde jedoch schnell besiegt. So konnten keine „Söhne“ oder Nachfolger des „Königs von Babel“ zur Macht zurückkehren. (Jes. 14:21) Die Dynastie, symbolisiert durch den „König von Babel“, sollte mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden und keine Überlebenden haben. Chaldäer und Babylonier sind heute verschwunden, indem sie, wie Gott es wollte, in den darauffolgenden Jahrhunderten vernichtet wurden. Durch Jehovas Einwirkung brachte jedoch der in Babylon gefangengehaltene Jojakin aus der Linie Davids Nachkommen hervor. Dadurch wurde die Linie Davids aufrechterhalten, und Jesus Christus konnte zum rechtmäßigen Erben des Thrones als „Sohn Davids“ werden. — Matth. 1:6, 12, 16; Luk. 3:23, 27, 31.
Die vollständige Vernichtung Babylons wird in Jesaja 14:23 beschrieben, wo es dazu verurteilt wird, „mit dem Besen der Vertilgung“ spurlos ausgefegt zu werden, ja, die Gegend sollte für Menschen als Wohnplatz untauglich werden. Für Jehova war es nicht zuviel, den Sturz einer Weltmacht herbeizuführen. Durch Jesaja sagt er hier den Sturz der zweiten Weltmacht, Assyriens, voraus. Nach diesem Fall käme genauso sicher der Sturz Babylons. (Jes. 14:24, 25) Die Geschichte berichtet nun darüber, wie Jehova 185 000 Mann des Königs Sanherib von Assyrien in einer Nacht ausrottete und wie er zuließ, daß Assyrien überwältigt und in die Gefangenschaft der Babylonier geführt wurde. (Jes. 36:1 bis 37:38) Die Geschichte berichtet ebenfalls von dem Sturz und der endgültigen Verödung Babylons.
ERFREULICHE ERGEBNISSE DES STURZES DES „KÖNIGS VON BABEL“
Auf diese Weise brachte Gottes Gericht an Babylon all den Nationen Freude, die jetzt unter die rücksichtsvollere Herrschaft der arischen Weltmacht der Perser unter Kores zu stehen kamen. Was die Israeliten betrifft, so durften sie in ihr Land zurückkehren, und die Prophezeiung erfüllte sich: „Jehova ... wird sie in ihr Land einsetzen. Und der Fremdling wird sich ihnen anschließen ... Und die Völker werden sie nehmen und sie an ihren Ort bringen; und das Haus Israel wird sich dieselben zu Knechten und zu Mägden zueignen ... Und sie werden gefangen wegführen, die sie gefangen wegführten, und werden herrschen über ihre Bedrücker.“ (Jes. 14:1, 2) Kores, der Perser, ein Außenstehender, befreite also die Söhne Israels. Es gab Tausende von Nichtisraeliten, die mit ihnen nach Palästina zurückkehrten, um unter der Leitung der Israeliten im Tempel zu dienen. Der betagte Daniel wurde unter Darius ebenso zu einem der drei hohen Vorsteher gemacht, dem hundertundzwanzig Satrapen des Medo-Persischen Reiches Rechenschaft gaben. (Dan. 6:1-3, 28) Ungefähr sechzig Jahre später wurde die Israelitin Esther die Frau des persischen Königs Ahasveros, und ihr älterer Vetter Mordokai wurde zum Erstminister des Reiches ernannt, das damals die vierte Weltmacht war. (Esth. 2:5-18; 8:1-15; 10:2, 3) So waren die Babylonier nicht mehr in der Lage, die Israeliten gefangenzuhalten, sondern sie selbst, die die Israeliten zur Arbeit angetrieben hatten, mußten sich ihren ehemaligen Sklavenarbeitern unterwerfen.
Im Hinblick auf dieses prophetische Bild sollte Babylon die Große, die als Herrin über die Weltreiche geherrscht hat, indem sie geistigen Ehebruch durch das Vermischen von Religion mit Politik und militärischen Eroberungen beging, die Worte Jehovas in Jesaja 14:26, 27 besonders beachten: „Das ist der Ratschluß, der beschlossen ist über die ganze Erde; und das ist die Hand, die ausgestreckt ist über alle Nationen. Denn Jehova der Heerscharen hat es beschlossen, und wer wird es vereiteln? und seine ausgestreckte Hand — wer könnte sie abwenden?“ Obwohl das Babylon der ehemaligen Zeit verschwunden ist, versichert uns diese Prophezeiung in der Offenbarung, dem letzten Buch der Bibel, daß Babylon die Große bald das gleiche Geschick dadurch ereilen wird, daß sie ohne Namen oder Nachkommen abgeschnitten, vollständig erniedrigt wird und stürzt, um nie wieder emporzukommen.
[Fußnote]
a Um weitere Einzelheiten über den Scheol und Jesaja, Kapitel 14, zu erfahren, siehe das Buch „Babylon die Große ist gefallen!“ Gottes Königreich herrscht!, veröffentlicht von der Watch Tower Bible and Tract Society, Brooklyn, New York, USA.