Kores, der Befreier von Gefangenen
NICHT alle Gefangenen ducken sich hinter Gefängnisriegeln. Nicht alle sind zusammengepfercht in düsteren Zellen. Und nicht alle, die draussen ungefesselt umhergehen, sind frei. Ihre Körper mögen lediglich Kettenglieder in der Maschine der modernen Zivilisation sein, die am laufenden Band einer Fabrik arbeiten oder durch die Notwendigkeit an ein Büropult gefesselt sind, um geistige Fronarbeit zu tun, bis die Schultern einfallen und die Augen ermatten. Nicht nur sind viele in ihrer Tagesarbeit die Gefangenen eines festangelegten Systems der Dinge, sondern sie sind auch versklavt durch Unwissenheit und Vorurteile, bis ihr Sinn wie in einem Kerker der Dunkelheit eingesperrt ist. Sie sind Gefangene Satans des Teufels, und seiner Weltorganisation. Sie brauchen einen mächtigen Freund, der für sie von aussen her ihr Gefängnis erfolgreich durchbricht. Einen solchen Freund haben sie, und sie sollten ihn kennenlernen, wenn sie sich nach Befreiung sehnen.
Eine Erkenntnis und ein Verständnis des wahren Zustandes der Dinge wird sich mehren, wenn wir einen vorbildlichen Fall der Befreiung betrachten, der sich vor Jahrhunderten zutrug. Er fiel in das Jahr 537 v. Chr.; doch wussten einige schon etwa zweihundert Jahre vor jener Zeit davon. Ein Prophet Jehovas Gottes warnte die Nation, die das Opfer werden sollte, etwa hundertfünfzig Jahre, bevor sie in die Gefangenschaft der Weltmacht geriet, doch sagte er auch ihre Befreiung auf siebzig Jahre später voraus, ja prophezeite selbst den Namen dessen, der als Befreier dienen sollte. Der Name des Propheten ist Jesaja, das Opfer war Israel, die Erbeuter-Weltmacht war Babylon und der Befreier war der König Kores von Persien.
In den Tagen Hiskias, des Königs von Juda, sprach der Prophet Jesaja über die Gefangenschaft in Babylon und sagte: „Siehe es kommen Tage, da alles, was in deinem Hause ist, und was deine Väter aufgehäuft haben bis auf diesen Tag, nach Babel weggebracht werden wird; es wird nichts übrigbleiben, spricht Jehova. Und von deinen Söhnen die aus dir hervorkommen werden, die du zeugen wirst, wird man nehmen und sie werden Kämmerer (Eunuchen, engl. B.) sein im Palaste des Königs von Babel.“ (Jes 39:6, 7) Er sprach aber auch vom Fall Babylons, der später folgen sollte, und erwähnte den Befreier der gefangenen Juden in folgenden Worten: „So spricht Jehova zu seinem Gesalbten, zu Kores, dessen Rechte ich ergriffen habe, um Nationen vor ihm niederzuwerfen, und damit ich die Lenden der Könige entgürte, um Pforten (Zweiflügel-Portale, engl. B.) vor ihm aufzutun, und damit Tore nicht verschlossen bleiben. Ich, ich werde vor dir herziehen und werde das Höckerichte eben machen; eherne Pforten werde ich zerbrechen und eiserne Riegel zerschlagen. Der von Kores spricht: Mein Hirt, und der all mein Wohlgefallen vollführt, indem er von Jerusalem sprechen wird: es werde aufgebaut! und vom Tempel: er werde gegründet!“ — Jes. 45:1, 2; 44:28; 61:4, 5; 43:14-19; Kapitel 13, 14.
Im Jahre 607 v. Chr. fielen Jerusalem und Juda Babylon anheim, und die Bewohner wurden gefangen weggeführt. In Erfüllung der Prophezeiung lag das Land öde. Wie lange? Jeremia hatte eine siebzigjährige Zeitspanne der Verwüstung und dann eine Rückkehr für die Gefangenen vorausgesagt. (Jer. 25:11, 12) Fiel denn das mächtige Babylon? wurden die Juden wieder in ihr Land eingesetzt? zur rechten Zeit? durch den König Kores? Da nur noch wenige Jahre von den siebzig verblieben, erschien Babylons Sturz nicht als wahrscheinlich und nicht einmal möglich. In Anbetracht ihrer gewaltigen äussern Mauer von 26 Meter Breite und 105 Meter Höhe und einem Wassergraben, so breit und tief wie die Mauer breit und hoch war, mit einer innern Mauer von gegen 10 Meter Breite und gegen 23 Meter Höhe, kam sich die Stadt Babylon, die sich an beiden Ufern des Euphrats erstreckte, hinter diesen hochragenden Mauern und den massiven Bronzetoren als uneinnehmbar vor. Sie war weit mächtiger als zur Zeit, da Jesaja ihren Sturz vorausgesagt hatte. Damals war sie als Nation eben in Entwicklung begriffen und arbeitete sich hinauf; jetzt aber hatte sie den Gipfel ihrer Macht erreicht. Wer würde, wer könnte sie von ihrem hohen Sitze herabstürzen?
Gerade derjenige, den Jesaja etwa zweihundert Jahre früher erwähnt hatte: Kores! („Kores“ bedeutet „Sonne, Glanz, Thron“.) Im Jahre 539 v. Chr. fielen die Heere der Meder und Perser unter Darius und Kores in Babylon ein. Selbst dann noch fühlte sich die stolze, hochmütige Stadt hinter ihren Bollwerken sicher. Der König Belsazar hatte ein wildes Gelage veranstaltet, doch wurden die trunkenen Schwelger ernüchtert, als unheimliche Finger auf die Wand des Palastes eine Untergangsbotschaft schrieben. Und während sie noch schrieben erfüllte sich ihre Botschaft schon. Die Könige Kores und Darius hatten das Euphratbett durch die Stadt trockenlegen lassen, indem sie den Fluss von seinem Lauf in den künstlichen See von Ardericca ableiteten, den der König Nebukadnezar hatte graben lassen. Dann, als die Stadt in vermeintlichem Frieden und in Sicherheit schwelgte, strömten die Meder und Perser das geleerte Flussbett hinab und unter allen Schranken hindurch, stiegen dann hinauf über die Flusskais und durch die Stadttore, die von sorglosen Hütern offengelassen worden waren. Hatte nicht Jehova Gott zweihundert Jahre zuvor durch Jesaja verheissen, dass er für Kores die ‚Zweiflügel-Portale öffnen und die Tore nicht schliessen‘ lassen würde?
Es wurde aber auch vorausgesagt, dass der König Kores die gefangenen Juden befreien und ihnen gestatten werde am Ende der siebzigjährigen Verödung in ihr Heimatland zurückzukehren. Sagte denn Kores zu Jerusalem: „Es werde aufgebaut!“ und zum Tempel: „Er werde gegründet“? War er das Werkzeug zur Wiederherstellung der wahren Anbetung Jehovas in Jerusalem und zum abermaligen Bewohnen Judas durch die Israeliten? Als Kores nach einer kurzen Regierung seines Onkels Darius der Allein-Herrscher über Babylon wurde als die letzten Sandkörnlein der Zeit bis hinab zum siebzigsten Jahre ausgeronnen waren, erliess er die Verordnung zur Rückkehr der Juden nach Jerusalem, zum Wiederaufbau des Tempels und der wahren Anbetung Jehovas dort.
„Und im ersten Jahre Kores’, des Königs von Persien — damit das Wort Jehovas aus dem Munde Jeremias erfüllt würde — erweckte Jehova den Geist Kores’, des Königs von Persien; und er liess einen Ruf ergehen durch sein ganzes Königreich, und zwar auch schriftlich, indem er sprach: So spricht Kores, der König von Persien: Alle Königreiche der Erde hat Jehova, der Gott des Himmels, mir gegeben; und er hat mich beauftragt, ihm ein Haus zu bauen zu Jerusalem, das in Juda ist. Wer irgend unter euch aus seinem Volke ist; mit dem sei sein Gott, und er ziehe hinauf nach Jerusalem, das in Juda ist, und baue das Haus Jehovas des Gottes Israels (er ist Gott) in Jerusalem. Und jeder, der übrigbleibt an irgend einem Orte, wo er sich aufhält, den sollen die Leute seines Ortes unterstützen mit Silber und mit Gold und mit Habe und mit Vieh, nebst den freiwilligen Gaben für das Haus Gottes in Jerusalem.“ — Esra 1:1-4; 2. Chron. 36:22, 23.
Kores befahl ferner, dass man die Tempelgefässe, die Nebukadnezar von Jerusalem gebracht und in seine religiösen Tempel nach Babylon versetzt hatte, hervorhole und mit den Juden nach Jerusalem zurücksende, damit sie ihre richtige Verwendung im neuerbauten Tempel fänden. (Esra 1:7-11) Ferner hatten die Juden für ihr Wiederaufbauwerk ein Auslagenkonto beim Schatzamt des Königs, was aus dem Erlass des Kores hervorgeht, den ein späterer König Darius einige Jahre darauf nachschlagen liess, als er dem Aufbauwerk Einhalt gebieten wollte. Man beachte, was jener König Darius in den Archiven fand:
„Im ersten Jahre des Königs Kores gab der König Kores Befehl: Das Haus Gottes in Jerusalem anlangend: Dieses Haus soll wieder aufgebaut werden als eine Stätte, wo man Schlachtopfer opfert. Und seine Grundlagen sollen aufgerichtet werden: seine Höhe sechzig Ellen, seine Breite sechzig Ellen; drei Lagen von Quadersteinen und eine Lage von neuen Balken. Und die Kosten sollen aus dem Hause des Königs bestritten werden. Und auch die goldenen und silbernen Geräte des Hauses Gottes, welche Nebukadnezar aus dem Tempel, der zu Jerusalem war, herausgenommen und nach Babel gebracht hat, soll man zurückgeben, dass ein jedes wieder in den Tempel zu Jerusalem komme, an seinen Ort: und du sollst sie in dem Hause Gottes niederlegen.“ (Esra 6:1-5; 3:7; 4:1-5; 5:12-17) Schliesslich wurde der Erlass des Kores durchgeführt. — Esra 6:14.
Was hat denn diese ganze alte Geschichte mit unserm zwanzigsten Jahrhundert zu tun? Sie ist prophetisch. Im 18. Kapitel der Offenbarung wird von einem grösseren Babylon gesprochen, das zum Sturz in diesen „letzten Tagen“ verurteilt ist und über das Satan der Teufel jetzt herrscht. Die gegenwärtige böse Weltorganisation nimmt viele gefangen, und dem fleischlichen Auge des Menschen erscheint ihr Fall innerhalb unserer Generation als sehr unwahrscheinlich. Aber geradeso wie das alte Babylon vor Darius und Kores fiel, so wird die neuzeitliche babylonische Organisation Satans vor den gegenbildlichen „Königen von Sonnenaufgang“, Jehova Gott und Christus Jesus, dem grösseren Darius und dem grösseren Kores, krachend in Trümmer stürzen. Dann werden die Menschen guten Willens die durch die teuflischen Systeme gefangen gewesen waren, ihre vollständige Befreiung erfahren.
Schon jetzt haben viele Tausende früherer Gefangener eine Befreiung aus geistiger Finsternis und Knechtschaft erfahren. Der grössere Kores, Christus Jesus, bezog die Worte aus Jesaja, Kapitel 61, Vers 1, auf sich selbst: „Er [Jehova Gott] hat mich gesandt um zu verbinden, die zerbrochenen Herzens sind, Freiheit auszurufen den Gefangenen, und Öffnung des Kerkers den Gebundenen.“ (Lukas 4:17-21) Jesus sagte: „Die Wahrheit wird euch frei machen.“ (Joh. 8:32) Tausende haben die Wahrheiten des Königreichs-Evangeliums gehört, haben der Untergangsbotschaft wider das neuzeitliche Babylon und seine sichtbaren und unsichtbaren Herrscher gelauscht, haben ihr Ohr der Kunde von den verheissenen Segnungen des jetzt aufgerichteten Himmelreiches Christi ihr Ohr geliehen und sind dem beherrschenden Einfluss dieser babylonischen Welt Satans entronnen. Viele weitere Tausende werden vor Harmagedon durch die Königreichswahrheit frei gemacht, und in jener Schlacht Gottes des Allmächtigen wird vollständige Befreiung allen Gefangenen zuteil werden, die guten Willen und Gehorsam gegen Jehova und Christus bekunden. Alle diese Aufrichtiggesinnten, die jetzt noch als Gefangene im neuzeitlichen Babylon festgehalten werden, haben Freunde ausserhalb Babylons, die ihnen helfen werden, aus dem Gefängnis auszubrechen. Jehovas Zeugen verkündigen ihnen nun freimachende Wahrheiten, und der grössere Kores wird das satanische Gefängnis zur vollständigen Befreiung in Harmagedon zerschmettern.