Erdöl — ein Schlüssel zur Weltmacht
Wer hat Erdöl?
ERDÖL ist für alle Industrienationen lebenswichtig. Es ist die Hauptquelle für die Energie, die Kraftfahrzeuge, Flugzeuge und Generatoren antreibt. Es liefert auch die Schmierstoffe für die Maschinen, die in unserem Industriezeitalter eine solch große Rolle spielen. Es wird in einer großen Anzahl von Produkten verwendet.
Wie man gesehen hat, würden die „fortschrittlichen“ Nationen der Welt ohne Erdöl in große Schwierigkeiten geraten. In diesen Nationen könnte dann das Leben nicht länger als ein paar Monate ohne tiefgreifende Veränderungen weitergehen. Diese Veränderungen würden jeden einzelnen betreffen, der in einer solchen Gesellschaftsordnung lebt.
Erdöl ist mehr als nur eine Energiequelle. Es verleiht auch Macht. Wer in der heutigen Welt das Erdöl unter Kontrolle hat, hat einen Schlüssel zu weltweiter strategischer Macht in der Hand. Die Nationen, die das Erdöl besitzen, können die Politik der Nationen, die Öl benötigen, aber nicht genug davon haben, beeinflussen und vielleicht sogar bestimmen.
In den letzten Monaten sind die Menschen durch die Nachrichten auf die Ölkrise aufmerksam gemacht worden, und es wurde viel darüber gesagt, welche Probleme dadurch verursacht werden können und welche Abhilfe möglicherweise geschaffen werden kann. Die Zeitschrift Erwachet! verhält sich in den Angelegenheiten der Nationen streng neutral, aber sie beobachtet die gegenwärtigen Entwicklungen mit großem Interesse.
Nationen, in denen das Öl knapp ist
Welche großen Industrienationen, die Öl benötigen, sind besonders von anderen Quellen abhängig? Die Antwort lautet: Fast alle außer den kommunistischen Ländern!
Japan ist zum Beispiel ein Riese unter den Industrienationen. Aber dieses Land ist fast völlig auf Ölimporte angewiesen. Das heißt, es produziert selbst nur sehr geringe Mengen Erdöl.
Ganz Westeuropa ist von Ölimporten abhängig, da dort nur verhältnismäßig wenig Öl gefördert wird. Zwar werden jetzt Ölfelder in der Nordsee erschlossen, aber sie werden den Bedarf nur zu einem Bruchteil decken können.
Die Vereinigten Staaten sind gegenwärtig der größte einzelne Ölproduzent der Welt. Sie sind allerdings auch bei weitem der größte Ölverbraucher der Welt. Ihre eigene Erdölproduktion reicht nicht annähernd aus, um den Bedarf zu decken. Während des Jahres 1973 verbrauchten die Vereinigten Staaten täglich über 17 000 000 Barrel Öl, aber sie mußten über 6 000 000 Barrel täglich importieren, um den Bedarf decken zu können. Das Öl, das von den Ölfeldern in Alaska zu erwarten ist, wird voraussichtlich nicht einmal das gegenwärtige Defizit decken können.
In all diesen Industrienationen wächst der Bedarf an Öl ständig. Der Bevölkerungszuwachs, der technische Fortschritt und die Forderung von immer mehr Menschen nach einem höheren Lebensstandard treiben den Bedarf an Öl in die Höhe. Was ist die Folge? In der Zeitschrift Time hieß es: „Der Verbrauch an Öl in der Welt wird sich in den 1970er Jahren mehr als verdoppeln. Damit dieser gewaltige Durst gelöscht werden kann, muß die Erdölproduktion ständig erhöht werden.“
Für Westeuropa, Japan und in wachsendem Maße auch für die Vereinigten Staaten haben daher die Bestände an Öl zweifellos einen kritischen Punkt erreicht. Diese Länder benötigen Erdöl, damit sich die Räder ihrer Industriegesellschaft weiter drehen können, und der Bedarf steigt ständig. Aber in diesen Ländern herrscht eine mehr oder weniger große Ölknappheit.
Das ist jedoch nur e i n Problem. Ein noch größeres Problem bildet die Lage der verfügbaren Ölvorräte.
Wer besitzt das Öl?
Die größten bekannten Ölvorkommen befinden sich in Gebieten, die nicht unter der Kontrolle der westlichen Welt und ihrer Verbündeten stehen. Es gibt zwar Ölvorkommen in Ländern wie Venezuela, Indonesien und Nigeria. Aber es gibt nur zwei Gebiete, von denen gegenwärtig bekannt ist, daß dort die gewaltigen Reserven lagern, die die Industrienationen des Westens und Japan benötigen.
Das erste dieser Gebiete hat die größten bekannten Ölfelder der Welt. Es handelt sich dabei um den Nahen Osten und Nordafrika, Gebiete, die von arabischen und moslemischen Nationen kontrolliert werden. Die bedeutenden Produzenten sind Algerien, Abu Dhabi, der Iran, der Irak, Kuwait, Libyen, Katar und Saudi-Arabien. Eine im Jahre 1973 angefertigte Aufstellung der Ölreserven zeigt, daß sich nahezu zwei Drittel aller Erdölvorkommen der Erde in diesen Ländern befinden.
Wo sind die zweitgrößten bekannten Ölvorräte? In der Sowjetunion. Sie besitzt ungefähr 15 Prozent der gesamten Ölvorräte der Erde.
Demnach werden etwa 75 bis 80 Prozent aller Ölvorräte der Erde von diesen Nationen kontrolliert. Und sie haben politische und religiöse Auffassungen, die mit den Auffassungen der Nationen im Widerspruch stehen, die Erdöl benötigen, es aber nicht besitzen — nämlich Westeuropa, Nordamerika und Japan.
Die größten Erdölvorräte
Von allen erdölfördernden Ländern hat Saudi-Arabien die größten Vorräte. Man schätzt, daß dort 150 Milliarden Barrel Erdöl im Boden lagern, viel mehr, als irgendeine andere Nation besitzt. Einige Experten sagen sogar, daß die Erdölvorkommen dieses Landes noch weitaus größer sein können. Daher sehen viele Länder, die Öl benötigen, Saudi-Arabien als die Hauptquelle für die gegenwärtigen und die zukünftigen Erdöllieferungen an.
Während des größten Teils des Jahres 1973 lag die Erdölproduktion Saudi-Arabiens bei über 8 000 000 Barrel pro Tag. Die Verbraucher hofften, daß das Land bis 1980 seine Produktion auf etwa 20 000 000 Barrel pro Tag erhöhen würde. Und sie glauben, daß die Produktion so stark steigen muß, wenn der Bedarf der Industrienationen gedeckt werden soll.
Gegenwärtig scheint kein anderes Land in der Lage zu sein, seine Ölproduktion so stark zu steigern. Man hofft, daß Saudi-Arabien in den nächsten Jahren die benötigten Mengen liefert, da es riesige Vorräte hat, da das Öl dort leicht zu fördern ist und da es die Produktion innerhalb kurzer Zeit stark erhöhen könnte. Gegenwärtig ist nicht bekannt, wo solche großen und leicht zugänglichen Mengen Erdöl sonst vorhanden wären. In der Zeitschrift U.S. News & World Report hieß es dazu:
„Experten, die die Liste der Alternativen zum saudiarabischen Öl durchgehen, sind ohne Hoffnung. Kanada, gegenwärtig Amerikas größter Rohöllieferant, hat seine seit langem bestehende Exportpolitik aufgegeben und geht jetzt nach dem Motto vor: ,Zuerst kommt die Heimat.‘ Nigeria, ein anderer Hauptlieferant, wird, wie es heißt, wenigstens vorübergehend die Produktion drosseln müssen. Genauso ist es mit Indonesien. Für Venezuela ist es zu teuer, neue Ölfelder zu erschließen.
Was den nichtarabischen [aber moslemischen] Iran betrifft, ... so sagen die Sachverständigen, es bestehe ,keine Chance‘, daß er den Bedarf der USA decken könne.“
Westeuropa, Japan und Nordamerika sind daher immer mehr auf das Öl der arabisch-moslemischen Welt des Nahen Ostens und Nordafrikas angewiesen, besonders aber auf Saudi-Arabien. Das ist das einzige bekannte Gebiet, das die gewaltigen Mengen Öl liefern könnte, die in den nächsten Jahren von all diesen Nationen benötigt werden.
Doch die Frage ist: Werden die Nationen, die im Besitz der Erdölvorräte sind, ausreichende Mengen liefern? Und zu welchen Kosten?
Der Stimmungswechsel unter den Ölproduzenten
ES GAB eine Zeit, in der sich die Industrienationen wenig Sorgen um das Erdöl machten. Nach dem Zweiten Weltkrieg produzierten die Vereinigten Staaten mehr Erdöl, als sie benötigten. Die Erdölvorräte im übrigen Teil der Welt reichten für Westeuropa und Japan völlig aus.
Deshalb mußten sich die Industrienationen keine Gedanken über die Stimmung der arabischen Erdölproduzenten machen. Wenn die Araber aus irgendeinem Grund kein Erdöl verkaufen wollten, konnte es anderswoher beschafft werden.
Im Laufe der Jahre stieg der Bedarf an Erdöl jedoch ständig. Während die Bevölkerung „explodierte“ und die größeren Nationen immer mehr industrialisiert wurden, „explodierte“ auch der Bedarf an Erdöl. Mit der Zeit schwanden die überschüssigen Vorräte. Westeuropa und Japan waren immer mehr auf das Öl aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika angewiesen, von woher sie den größten Teil ihrer Importe bezogen.
Dann wurde es offenbar, daß Westeuropa und Japan wegen ihrer Abhängigkeit von den Ölimporten aus der arabischen Welt in ernsthafte Schwierigkeiten kommen könnten, wenn sie sich diese Länder zum Feind machten. Während es eine Zeit gab, in der die westeuropäischen Länder in Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Arabern zum größten Teil für Israel Stellung bezogen, beschlossen fast alle diese Länder während des arabisch-israelischen Krieges im Oktober 1973, ihre „Neutralität“ in dieser Auseinandersetzung zu erklären. So änderte das arabische Öl die Außenpolitik der auf das Öl angewiesenen Nationen.
Der Stimmungswechsel unter den Arabern
In den vergangenen Jahren standen die meisten arabischen Nationen auf der Seite der westlichen Welt, sie waren amerikafreundlich und antikommunistisch. Das traf besonders auf die Regierungen von Kuwait und Saudi-Arabien zu.
Doch seit der Gründung des Staates Israel sind vier Kriege im Nahen Osten ausgefochten worden. Jedesmal haben die Vereinigten Staaten Israel unterstützt. Diese Unterstützung hatte in der arabischen Welt ihre Auswirkungen. Darüber schrieb die Zeitschrift U.S. News & World Report:
„Überall sind die Araber erstaunt und empört über die Art und Weise, wie die Vereinigten Staaten zu den Problemen des Nahen Ostens Stellung nehmen. Warum, so fragen sie, machen sich die Vereinigten Staaten ein Volk zum Gegner, das die Israelis an Zahl im Verhältnis 40 zu 1 übertrifft und das im Besitz der Erdölvorkommen ist, auf die die USA im nächsten Jahrzehnt angewiesen sind?“
So kam es, daß sich arabische Regierungen in den letzten Jahren immer mehr von den Vereinigten Staaten abgewandt haben. Selbst früher so amerikafreundliche arabische Länder wie Kuwait und Saudi-Arabien änderten allmählich ihre Haltung.
In den letzten Jahren kamen wiederholt Warnungen aus dem Lager der arabischen Nationen. Sie sagten, wenn die arabischen Länder, die von Israel besetzt worden seien, nicht wieder zurückgegeben würden, so könne dies Auswirkungen auf einem Gebiet haben, auf dem es am meisten schmerzen werde — nämlich auf dem Gebiet der Öllieferungen.
Besonders drohend waren die Warnungen, die König Feisal von Saudi-Arabien aussprach, der lange Zeit ein Freund der Vereinigten Staaten war. Im Jahre 1973 warnte er im amerikanischen Fernsehen, daß er sich in kurzer Zeit gezwungen sehen könne, seine Politik zu ändern und nicht mehr all das Öl, das die Vereinigten Staaten, Westeuropa und Japan benötigten, zu verkaufen. Das Öl könnte als eine politische Waffe eingesetzt werden, um andere Nationen unter Druck zu setzen. Und mehr als bei irgendeinem anderen arabischen Land würde es schmerzen, wenn Saudi-Arabien das Öl als politische Waffe einsetzen würde.
Im Guardian, einer in England erscheinenden Tageszeitung, hieß es am 15. September 1973, kurz vor dem Ausbruch des Krieges im Nahen Osten:
„Nur ein arabisches Regime, nämlich das König Feisals, ist erforderlich, um die Ölwaffe wirksam werden zu lassen. Er allein verfügt über die erforderlichen wirtschaftlichen Mittel. Aber bis vor kurzem fehlte ihm als Amerikas bestem Freund in der arabischen Welt der politische Wille. ...
Feisals Meinung zu ändern war eine der wenigen unbestrittenen Leistungen des [ägyptischen] Präsidenten Sadat. ...
Im April dieses Jahres erklärte der saudiarabische Erdölminister den Amerikanern, Saudi-Arabien werde seine Erdölförderung nicht ,wesentlich‘ erhöhen, wenn die Amerikaner nicht ihre israelfreundliche Haltung im Nahen Osten aufgäben.
Seitdem hat Feisal, ein Mann, der seine Freunde gewöhnlich nicht öffentlich kritisiert, weitere Warnungen ausgesprochen.“
Bedeutsam war, daß die arabischen Nationen und besonders Saudi-Arabien nicht die gesamte Erdölproduktion stoppen mußten, um ihre Ölwaffe wirksam werden zu lassen. Warum nicht? Weil der Erdölbedarf der Nationen, die nicht viel Öl besitzen, sehr schnell wächst. Somit würde schon eine gleichbleibende Erdölproduktion der arabischen Länder große Schwierigkeiten für die Nationen, die auf das Öl angewiesen sind, mit sich bringen.
Erdöl als Druckmittel
Nach dem Ausbruch des Krieges Ende 1973 befanden sich die Ölverbraucher in einer ganz anderen Situation als 1967. Während des arabisch-israelischen Krieges im Jahre 1967 stellten mehrere arabische Länder ihre Öllieferungen an die Vereinigten Staaten und an Großbritannien wegen deren Unterstützung Israels ein. Aber das Embargo dauerte nicht lange, weil damals in der Welt ein Überschuß an Öl vorhanden war.
Bis zum Jahre 1973 hatte sich die Lage jedoch wesentlich geändert. Die Überschüsse an Erdöl in den Industrieländern waren zufolge des immer höheren Verbrauchs und begrenzter örtlicher Vorräte geschwunden. Daher hatten die Araber im Jahre 1973 die Zügel in der Hand, was das Erdöl betraf.
Als der jüngste Krieg ausbrach, gab es wenig Zweifel darüber, daß die Araber in irgendeiner Form Vergeltungsmaßnahmen mit Hilfe des Erdöls ergreifen würden. Der Gesandte Kuwaits in den Vereinigten Staaten erklärte: „Wir werden mit Hilfe des Öls Druck auf Länder ausüben, die für Israel Stellung beziehen. Wenn es irgendwelche Anzeichen dafür bei einem Land gibt, werden wir ein Embargo verhängen. Wir werden dann dafür sorgen, daß unser Öl nicht in dieses Land gelangt, und zwar weder als raffiniertes Produkt noch als Rohöl.“
Der Schlag kam mit überraschender Schnelligkeit. Die arabischen erdölfördernden Länder vereinbarten, die Produktion sofort, noch im Oktober, um mindestens 5 Prozent zu drosseln. Sie vereinbarten auch, die Produktion in jedem der nachfolgenden Monate um weitere 5 Prozent zu drosseln. Und wie lange? Im Wall Street Journal hieß es: „Die arabischen Erdölminister sagten, die Produktion werde so lange eingeschränkt, bis die vor dem Jahre 1967 bestehenden arabisch-israelischen Grenzen wiederhergestellt und die Rechte der Palästinenser garantiert würden.“
Ein noch größerer Schock für die Nationen des Westens und für Japan war der Schritt, den das früher prowestliche Saudi-Arabien, der größte aller arabischen Erdölproduzenten, unternahm. Es kündigte an, daß es seine Produktion nicht nur um 5, sondern um 10 Prozent einschränken würde. Mehrere andere Förderländer taten dasselbe.
Wenn diese schrittweise Drosselung Monat für Monat weitergegangen wäre, dann hätte sie natürlich für Westeuropa und Japan innerhalb weniger Monate zu schweren wirtschaftlichen Problemen führen können. Die große Mehrheit ihrer Ölimporte kam aus dem Nahen Osten und aus Nordafrika.
Dann folgten kurz nacheinander weitere unangenehme Überraschungen. Der nächste Schritt war, daß die arabischen erdölfördernden Staaten eine totale Drosselung, ein Embargo, der Öllieferungen für die Vereinigten Staaten ankündigten. Ein Drittel der Erdölimporte der Vereinigten Staaten während des Jahres 1973 kam aus dem Nahen Osten, und der Bedarf wächst jedes Jahr.
Das Erdölembargo gegen die Vereinigten Staaten kam zu der 5prozentigen und der 10prozentigen Drosselung der gesamten Produktion hinzu. Somit wurde ursprünglich, im Oktober, eine wesentliche Drosselung der Erdöllieferungen von der arabischen Welt geplant. Am Ende jenes Monats wurde das Embargo auf die Niederlande erweitert. Die arabischen Nationen behaupteten, die Niederlande hätten Israel unterstützt, und sagten, sie würden kein Erdöl mehr erhalten. Dadurch wurden die für den Westen und für Japan verfügbaren Ölvorräte weiter reduziert, da die Niederlande ein bedeutender Umschlagplatz für Erdöl sind.
Anfang November jedoch beschlossen die arabischen Länder, ihre Erdölproduktion sofort um 25 Prozent zu drosseln und dann monatlich um weitere 5 Prozent. Ferner wurden Portugal, Rhodesien und Südafrika auf die Liste der boykottierten Länder gesetzt. In späteren Monaten wurde die Ölproduktion je nach den bestehenden Verhältnissen geändert.
Zu diesen schweren Schlägen sollte noch ein weiterer kommen. Das Erdöl sollte in Zukunft zu weit höheren Preisen verkauft werden.
Die Folgen der erhöhten Erdölpreise
Während Erdöl in vergangenen Jahren verhältnismäßig billig war, erhöhten die arabischen erdölfördernden Länder im Oktober des Jahres 1973 erneut ihre Preise. Laut einem Bericht der Zeitschrift Time handelte es sich dabei um eine Erhöhung von „erschütternden 70 %“. In späteren Monaten folgten weitere beträchtliche Preiserhöhungen. Die Kosten, die den Verbrauchernationen dadurch entstehen, sind schwindelerregend und wirken sich nachteilig auf ihre Zahlungsbilanz aus.
Das hat verschiedene Folgen. Zum einen bleiben dadurch die Einnahmen der arabischen Staaten hoch, ganz gleich, wieviel Öl sie produzieren und verkaufen. Auch sehen sich die Firmen, die für ihre Produktion Öl benötigen, gezwungen, höhere Preise für ihre Produkte zu verlangen. Europäische, amerikanische und japanische Bürger müssen mehr Geld für Benzin, Heizöl und andere Erdölprodukte ausgeben.
Durch die drastische Erhöhung der Ölpreise entstehen den arabischen Ländern selbst bei reduzierter Produktion keine Einnahmeverluste. Für sie besteht daher kein Grund zur Sorge. Die New York Times beschreibt die Situation wie folgt:
„Einige der großen Förderländer, besonders diejenigen mit spärlich bevölkerten Wüstengebieten wie Saudi-Arabien, Kuwait und Libyen, sind heute mehr auf die Erhaltung ihrer Energiereserven bedacht.
Diese Länder verdienen bei dem gegenwärtigen Stand ihrer Ölproduktion bereits soviel, wie sie vernünftigerweise ausgeben können. Infolgedessen ziehen sie es vor, das Öl im Boden zu lassen, wo es gewiß an Wert gewinnen wird, statt riesige Überschüsse an nicht ausgegebenen Dollars aufzuhäufen, die den Auswirkungen der Geldentwertung und der Inflation ausgesetzt wären.
Hier also, in dem Zögern der Produzenten, soviel zu produzieren, wie die Märkte wünschen, es sei denn zu einem hohen politischen und wirtschaftlichen Preis, liegt der kritische Punkt der voraussichtlichen Welt-Energiekrise.“
Wegen der Bedeutung des Erdöls für die Industrienationen haben die auf das Öl angewiesenen Länder das Empfinden, daß durch die Lage im Nahen Osten gewissermaßen ihre Drosselader bloßgelegt worden ist und daß die Fortdauer des bisherigen Lebensstils gefährdet ist. Sie befürchten, daß, selbst wenn sie das nötige Öl erhalten, die gewaltigen Ausgaben für das Öl sie immer mehr mit etwas belasten, womit sie jetzt schon kämpfen müssen — nämlich mit der Inflation, das heißt mit den steigenden Preisen. Einige Sachverständige befürchten, eine zu große Geldentwertung könne zu einem wirtschaftlichen „Zusammenbruch“ führen.
Wie wird der Ausgang sein?
Wie wird das Problem gelöst werden?
EINE der Lösungen, die zur Sicherung der Erdöllieferungen vorgeschlagen wurden, gab zu erhitzten Kommentaren Anlaß. US-Senator J. W. Fulbright gehörte zu denen, die davor warnten, daß infolge der Ölkrise „diejenigen, die gegenwärtig unsere Politik machen, und die, die sie beeinflussen, zu dem Schluß kommen könnten, ein militärischer Eingriff sei erforderlich, um die Ölvorkommen des Nahen Ostens sicherzustellen, um unsere bloßgelegte Drosselader zu schützen“.
Die meisten Politiker wiesen jedoch solche Ansichten weit von sich.
Zu einer früheren Zeit mag eine Annexion der Ölländer verhältnismäßig leicht erschienen oder sogar tatsächlich leicht gewesen sein. Nur wenig kleine Länder hatten in der Vergangenheit die Mittel oder Freunde, mit deren Hilfe sie sich vor einer solchen Annexion schützen konnten. Daher gelang es den europäischen Nationen in den vergangenen Jahrhunderten, den größten Teil Afrikas, Asiens und Südamerikas an sich zu reißen.
Aber die Lage hat sich geändert. Heute kann eine Nation nicht einfach ein anderes Land erobern, das sie haben möchte. Zum Beispiel nehmen die erdölfördernden Länder ein sehr großes Gebiet Nordafrikas und des Nahen Ostens ein. Große Armeen und gewaltige Geldmittel wären erforderlich, um all diese Länder zu erobern und zu besetzen. Über diese Aussicht schrieb die Zeitung The Guardian:
„Wenn Kuwait [oder irgendein anderes erdölförderndes Land] besetzt würde, würde dies eine solche Empörung hervorrufen, daß schließlich jedes Ölfeld in der arabischen Welt besetzt und jede Pipeline, jeder Vorratstank und jedes Tankerterminal vom Persischen Golf bis Algier geschützt werden müßte.
Das würde — wie Elmer F. Bennett, stellvertretender Direktor des U.S. Office of Emergency Preparedness, sagte — Folgen haben, ,die Vietnam wie ein Picknick erscheinen ließen‘.“
Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Riese, der gleich nördlich dieser Länder sitzt — die Sowjetunion. Darüber schrieb das Wall Street Journal: „Da Rußland in dieser Situation, in der der Einsatz so hoch ist, so viel zu gewinnen hat, hat es guten Grund, seine arabischen Verbündeten zu unterstützen. Es kann sich um den Schlüssel zur Kontrolle über das Öl des Nahen Ostens handeln, das Öl, das die Vereinigten Staaten in den nächsten Jahren wahrscheinlich dringend benötigen.“
Würde die Sowjetunion untätig zusehen, wenn die Ölfelder in ihrer Nähe besetzt würden? Viele Politiker glauben, daß die Sowjetunion ihre eigenen Interessen auf dem Spiel stehen sähe. Außerdem hat sie große Armeen nur ein paar Stunden von dieser Gegend entfernt stationiert. Zum erstenmal haben somit die verhältnismäßig schwachen arabischen Länder die Unterstützung eines Landes, das die stärksten Nationen herausfordern kann.
Dadurch, daß die Sowjets die Araber unterstützen, ist ihr Einfluß und ihr Prestige in diesen Ländern gewachsen, während der Einfluß und das Prestige der Vereinigten Staaten gesunken ist. Das ist sehr bedeutsam. Es bedeutet, daß die Kontrolle über die kritischen Ölvorräte des Nahen Ostens und Nordafrikas in den Händen derer ist, die mit wachsendem Mißfallen die Politik der Vereinigten Staaten und Israels verfolgt haben.
Daher arbeiteten die Sowjetunion und die Araber während der Krisenzeit des letzten Nahostkrieges zusammen. Die Sowjets unterstützten ihre Verbündeten mit Waffen und auf diplomatischem Wege und sogar mit einer angedeuteten Drohung, Truppen zu entsenden. Mit dieser Unterstützung fühlten sich die arabischen Länder in der Lage, ihre Hauptwaffe, das Erdöl, einzusetzen. Über diese Entwicklung schrieb die Zeitschrift U.S. News World Report:
„Europa hat bereits eine Frage gestellt, die für diesen Kontinent sehr wichtig ist: War dieser Nahostkonflikt in Wirklichkeit Rußlands Ölkrieg, der schon so lange in Westeuropa befürchtet wurde?
Diejenigen, die wahrscheinlich am meisten zu leiden hätten, wenn die Araber, von Rußland ermutigt, die Erdöllieferungen ins Ausland weiterhin drosseln würden, wären die USA, Japan und Westeuropa — alles nichtkommunistische Länder. ...
Die meisten Europäer sahen in der Kontrolle der Araber über die verfügbaren Ölvorräte und in der Einflußnahme der Sowjets auf die Araber, die auf Rußlands Waffen angewiesen sind, Gegebenheiten, die wahrscheinlich nicht ohne die Einsetzung einer militärischen Übermacht zu ändern wären.“
Doch wie oben erwähnt, ist der Einsatz einer solchen „militärischen Übermacht“ sehr riskant geworden. Nur wenige Nationen würden es mit der wachsenden militärischen Macht der Sowjetunion und der wachsenden wirtschaftlichen Macht des arabischen Öls aufnehmen wollen.
Teil einer größeren Entwicklung
Die Ereignisse im Nahen Osten finden weltweit Widerhall und lassen die große Bedeutung des Erdöls für unsere technisierte Welt erkennen. Aber die gegenwärtige Lage ist nur ein Teil einer viel größeren Entwicklung von Ereignissen, einer Entwicklung, die schon vor langer Zeit in der biblischen Prophetie vorhergesehen wurde.
Die biblischen Prophezeiungen Daniels vermitteln eine bemerkenswerte Übersicht über den Aufmarsch der Weltmächte, beginnend mit dem babylonischen Weltreich über die Weltmächte Medo-Persien, Griechenland und Rom bis zu den rivalisierenden Mächten, die in der „Zeit des Endes“, der heutigen Zeit, auf der Weltbühne in Erscheinung treten sollten. In diesen inspirierten Prophezeiungen wird ein ständiger Zweikampf um die Weltherrschaft vorausgesagt, der von zwei Supermächten ausgetragen würde, die einfach als „der König des Nordens“ und „der König des Südens“ bezeichnet werden.
Wie es in dem Buch „Dein Wille geschehe auf Erden“, das von Jehovas Zeugen in Englisch im Jahre 1958 (in Deutsch 1960) veröffentlicht wurde, gezeigt wird, findet die biblische Beschreibung des „Königs des Nordens“ ein deutliches Gegenstück in dem Block der totalitären Nationen, die in der heutigen Zeit von den kommunistischen Nationen angeführt werden, während die Beschreibung des „Königs des Südens“ auf den Block der demokratischen Nationen paßt, die von den Vereinigten Staaten und Großbritannien (manchmal die anglo-amerikanische Doppelweltmacht genannt) angeführt werden.
Über den Kampf, der zwischen diesen miteinander wetteifernden Weltmächten tobt, sagt die Prophezeiung: „Und in der Zeit des Endes wird sich der König des Südens mit ihm auf einen Zusammenstoß einlassen, und gegen ihn wird der König des Nordens mit Wagen und mit Reitern und mit vielen Schiffen anstürmen; und er wird gewißlich in die Länder einziehen und sie überfluten und hindurchziehen. ... Und er wird tatsächlich über die verborgenen Schätze ... herrschen“ (Dan. 11:40-43). Es besteht kein Zweifel, daß der kommunistische „König des Nordens“ in viele Länder der Erde eingedrungen ist, da er nun über ungefähr ein Drittel der Weltbevölkerung herrscht. Während dieser Machtblock stärker wurde, hat er auch die Kontrolle über einen beträchtlichen Teil der Reichtümer der Erde an sich gerissen und dadurch in vielen Teilen der Erde kritische Zustände verursacht, wobei einige demokratische Nationen besonders den Druck spüren. Die Ölkrise ist eines der vielen Beispiele für die Folgen dieses erbitterten Kampfes um die Weltherrschaft.
Aber die biblischen Prophezeiungen Daniels weisen nicht darauf hin, daß dem symbolischen „König des Nordens“ durch eine Weltdiktatur des Kommunismus eine völlige Annexion der Welt gelingen wird. Andere, ergänzende biblische Prophezeiungen zeigen, daß die kommunistischen und die demokratischen Mächte bestehenbleiben werden, bis eine andere Macht beiden ein Ende bereiten wird (Dan. 2:44; 11:44, 45; 8:19, 25). Bei dieser siegreichen Macht handelt es sich um Gottes eigene, durch seinen Sohn ausgeübte Regierung. Wie vorausgesagt, wird Christus Jesus bald ‘alle Nationen mit eisernem Stabe hüten’ und dabei ihre auf selbstsüchtige Weise ausgeübte Macht über die Erde zerschmettern (Offb. 19:11-16). So wird er diejenigen, die wirklich Gerechtigkeit lieben, von all den Mühsalen und Leiden befreien, die der habgierige Konkurrenzkampf der Weltmächte auf politischem, militärischem und wirtschaftlichem Gebiet über sie gebracht hat. Dann werden die Reichtümer der ganzen Erde der gehorsamen Menschheit zur Verfügung stehen, die sie dann zum Nutzen aller und zum Ruhme des Gebers aller guten Dinge, Jehovas Gottes, gebrauchen wird.
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Die Araber drosselten die Ölproduktion zunächst um 25 % und änderten sie dann je nach den Verhältnissen.
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In den letzten Monaten sind die Ölpreise in die Höhe geschossen.