Bedeutet dein „Ja“ wirklich ja?
ZWEI ältere Witwen, die in ganz bescheidenen Verhältnissen lebten, luden einmal einige Gäste zum Essen ein. Einer der Gäste war ein Mann, mit dem sie schon lange eine herzliche Freundschaft verband. Er sollte ihr Ehrengast sein. Auf dieses Beisammensein freuten sie sich sehr. Der befreundete Mann hatte zugesagt, und darauf machten die beiden Frauen sich frohen Herzens daran, eine bekömmliche Mahlzeit — besonders im Hinblick auf ihn — zuzubereiten. Aber welche Enttäuschung! Der Mann kam nicht. Diese Frauen tragen ihm zwar nichts nach, aber sie erinnern sich immer noch daran, wie sehr es sie geschmerzt hatte.
Du entsinnst dich jetzt vielleicht eines ähnlichen Erlebnisses. Auch dich hat möglicherweise einmal ein Gast, den du eingeladen hattest, enttäuscht, weil er trotz seiner Zusage nicht kam. Andererseits wirst du dich sicherlich — wie fast jeder von uns — daran erinnern können, daß du einmal durch unvorhergesehene Umstände daran gehindert wurdest, eine Verabredung einzuhalten. Als dir das passierte, hätte man auch mit Recht fragen können, ob dein Ja wirklich ja bedeutet.
Das zugrundeliegende Prinzip
Natürlich gibt es Versprechungen, die weit bedeutsamer sind als die Zusage für einen Besuch. Das zugrundeliegende Prinzip ist aber dasselbe, ganz gleich, ob das, was man versprochen hat, etwas Großes oder etwas Kleines ist. Wie lautet es?
Jesus Christus sagte in seiner Bergpredigt: „Euer Wort Ja bedeute einfach ja, euer Nein nein.“ Jesus wandte sich mit diesen Worten gegen die Unsitte, die unter einigen verbreitet war, leichtfertig und unüberlegt zu schwören (Matth. 5:33-37). Gewiß muß man nicht jede Äußerung mit einem Eid bekräftigen. Man braucht lediglich sein Wort zu halten. Das heißt, unser Ja sollte wirklich ja bedeuten.
Natürlich ist es nicht immer leicht, Wort zu halten. Manchmal mögen uns unvorhergesehene Umstände daran hindern. Allerdings lesen wir in der Bibel über einen Menschen, der gerecht handelt und Jehovas Gunst besitzt: „Er hat zu dem, was für ihn selbst schlecht ist, geschworen, und doch ändert er es nicht“ (Ps. 15:1, 2, 4). Ja, er mag etwas, was sich später als nicht in seinem persönlichen Interesse liegend erweist, feierlich versprochen haben. Aber er hält sein Wort trotzdem.
Jehova Gott ist allen, die seine Gunst erlangen möchten, im Halten des Wortes ein leuchtendes Vorbild. Deshalb konnte der gottesfürchtige Josua schreiben: „Keine Verheißung war dahingefallen von der ganzen guten Verheißung, die Jehova dem Hause Israel gegeben hatte; alles traf ein“ (Josua 21:45).
Welches Prinzip liegt den Worten Jesu, den Worten des Psalmisten und den Worten Josuas zugrunde? Es ist der Grundsatz, daß man sich bemühen sollte, sein Wort zu halten. Unser Ja sollte wirklich ja bedeuten, es sei denn, wir haben unser Versprechen rückgängig gemacht (Spr. 6:1-5).
Zwingende Gründe
Sicherlich ist das erwähnte Prinzip auf schwerwiegende Versprechungen anzuwenden. Doch denke man nochmals an die Annahme einer Einladung zum Essen — eine verhältnismäßig einfache Angelegenheit. Gewöhnlich erfolgt eine solche Einladung aus Freundschaft. Deshalb reut den Gastgeber oder die Gastgeberin das Geld nicht, das sie ausgeben muß, um alles für das Essen Nötige einzukaufen, und wie die eingangs erwähnten armen Witwen wendet sie gern Zeit auf, um das Essen zuzubereiten. Welcher Freund möchte das auf die leichte Schulter nehmen, indem er die Einladung zum Essen annimmt, ihr dann aber wegen einer Lappalie oder sogar grundlos nicht Folge leistet? Sicherlich sollte echte Freundschaft einen veranlassen, die Verabredung einzuhalten. Ein zweiter Grund sollte die Tatsache sein, daß der Gastgeber Zeit und Geld für das Essen aufgewendet hat.
Aufrichtigkeit ist ein weiterer zwingender Grund, sein Wort zu halten, indem man eine angenommene Einladung nicht geringschätzt und so seinen Gastgeber oder seine Gastgeberin enttäuscht. Treffend sagte der Psalmist David von Gott: „Siehe, an Wahrheit [Hamp, Stenzel, Kürzinger: Aufrichtigkeit] im Innersten hast du Gefallen“ (Ps. 51:8, Zürcher Bibel).
Wie sollte man handeln, wenn man von einfachen Leuten zum Essen eingeladen wird, später aber für denselben Abend eine Einladung zu einem Festessen in einem vornehmen Haus erhält? Wenn man zum Festessen geht, und die in einfachen Verhältnissen lebenden Leute, die einen zuerst eingeladen haben, erfahren es, wie werden sie dann empfinden? Zweifellos werden sie sich verletzt fühlen und schmerzlich enttäuscht sein. Der Wunsch, einen anderen Menschen nicht zu verletzen oder zu enttäuschen, sollte somit ein weiterer zwingender Grund sein, zu den Leuten zu gehen, die einen zuerst eingeladen haben, also bei seinem Wort zu bleiben.
Es ist interessant, daß Jesus Christus, als er einige seiner Nachfolger aussandte, um anderen Menschen in geistiger Hinsicht zu helfen, sagte: „Wo immer ihr in ein Haus eintretet, da sagt zuerst: ,Friede sei diesem Hause!‘ Und wenn dort ein Freund des Friedens ist, so wird euer Friede auf ihm ruhen, wenn aber nicht, wird er zu euch zurückkehren. Bleibt also in jenem Hause, eßt und trinkt, was sie bereitstellen, denn der Arbeiter ist seines Lohnes würdig. Zieht nicht von einem Haus in ein anderes um“ (Luk. 10:1, 2, 5-7).
Die Jünger Jesu sollten in ein und demselben Haus bleiben, bis sie ihre Mission in jener Stadt oder jenem Dorf beendet hätten. Seine Nachfolger sollten nicht von einem Haus in ein anderes umziehen, in ein Haus vielleicht, das besser eingerichtet war, wo die Jünger mehr Bequemlichkeiten gehabt hätten und besser bewirtet worden wären als in dem ersten Haus.
Schon die Erinnerung an diese Ratschläge, die Jesus seinen Nachfolgern gab, könnte für jemand wegweisend sein, der die Einladung, in einem bescheidenen Haus zu essen, angenommen hat und später für die gleiche Zeit eine verlockendere Einladung erhält, nämlich zu einem Festessen. Selbstlosigkeit und Ehrlichkeit sollten den Betreffenden zweifellos veranlassen, zu den Leuten zu gehen, die ihn zuerst eingeladen haben.
Wenn er der Einladung dieser einfachen Menschen Folge leistet, wird er es sicherlich nicht bereuen, denn die herzliche, ungezwungene Atmosphäre wird bestimmt erbauender sein als die Atmosphäre bei einem großen Festessen. Wir lesen in der Heiligen Schrift: „Besser ist ein Gericht Gemüse, wo Liebe ist, als ein an der Krippe gemästeter Stier und Haß dabei“ (Spr. 15:17).
Unparteilichkeit und Rücksichtnahme werden eine gutherzige Person dazu bewegen, ihre Versprechungen zu halten. Das ist der Weg der Aufrichtigkeit. Es ist eine Handlungsweise, die man mit Recht von gottesfürchtigen Personen erwartet (Eph. 4:25). Wir sollten unser Wort auch halten, wenn wir von Personen eingeladen werden, mit denen wir eng befreundet sind und denen wir unser Kommen zugesagt haben. Das ist sicherlich eine Möglichkeit, zu beweisen, daß unser Ja wirklich ja bedeutet.