Die Hochmütigen im Gegensatz zu den Demütigen
1. Welcher wichtige Grundsatz kommt in 2. Samuel 22:28 zum Ausdruck, und wie ist er anzuwenden?
ALS Jehova David von allen seinen Feinden, auch von Saul, gerettet hatte, komponierte David ein wunderbares Danklied. Dabei gebrauchte er folgende Worte: „Das demütige Volk wirst du retten; aber deine Augen sind gegen die Hochmütigen, damit du sie erniedrigst.“ (2. Sam. 22:28, NW) Diese Worte bringen einen Grundsatz zum Ausdruck, der in Gottes Wort durchweg betont wird und bei dem es um zwei gegensätzliche Klassen oder Gruppen von Menschen geht. Die Demütigen werden — wie David — von den Hochmütigen eine Zeitlang als Verfemte behandelt und müssen oft hungern. Dann kommt eine Heimsuchung oder eine Zeit der Besichtigung und des Gerichts von Jehova. Das führt zu einem vollständigen Wechsel des Zustandes dieser beiden Klassen, der aber, wohlgemerkt, nicht einfach durch ein Vertauschen der Rollen vor sich geht.
2. Wie erfüllten sich die Worte nach Maleachi 3:1, 5 beim ersten Kommen Christi?
2 Ein solcher Tag der Besichtigung und des Gerichts begann, als Jesus im Alter von dreißig Jahren seinen Dienst antrat. Jesus kam als Vertreter Jehovas, als der in Maleachis Prophezeiung vorhergesagte „Bote des Bundes“ (NW). Gemäß dieser Prophezeiung sollte Jehova zu seinem Tempel kommen, um Gericht zu halten. Jehova sagte: „Ich werde euch nahen zum Gericht und werde ein schneller Zeuge sein“, nämlich gegen die erwähnten Übeltäter. Bewirkte die Tätigkeit, die Jesus als Jehovas „Bote des Bundes“ durchführte, für die beiden Klassen — die Demütigen und die Hochmütigen — einen Wechsel ihres Zustandes? Jawohl. Diesem Wechsel ging jedoch etwas voraus, was wie ein Vorgeschmack wirkte. Was denn? Jehova sprach außer von dem „Boten des Bundes“ in diesem Zusammenhang noch von einem anderen Boten. Er sagte: „Ich sende meinen Boten, daß er den Weg bereite vor mir her.“ Jesus erklärte ganz deutlich, daß Johannes der Täufer dieser Bote war, der vor ihm her den Weg bereitete oder sein Vorläufer war. — Mal. 3:1-5; Matth. 11:7, 10; Luk. 1:76; 7:24, 27.
3. Wie offenbarten sich durch die Tätigkeit von Johannes dem Täufer zwei Klassen?
3 Johannes der Täufer trat seinen Dienst etwa sechs Monate vor Jesus an, und in dieser Zeit begannen sich zwei Klassen zu offenbaren. Es waren einerseits die Jünger des Johannes, die dieser schließlich Jesus zuführte und die zusammen mit anderen den Kern der einen Klasse bildeten. Es waren demütige, wirklich gottesfürchtige Männer wie Nathanael, von dem Jesus sagte, er sei „ein Israelit, in dem kein Trug ist“. Als Johannes andererseits „viele von den Pharisäern und Sadduzäern erblickte, die zur Taufe kamen, sprach er zu ihnen: ‚Ihr Otternbrut! Wer hat euch gezeigt, wie ihr dem kommenden Zorn entfliehen könnt?‘“ — Joh. 1:47; Matth. 3:7.
4. Welche Hinweise auf diese zwei Klassen wurden früher schon gegeben?
4 Etwa dreißig Jahre vorher war jedoch auf den Wechsel, der für diese beiden Klassen kommen sollte, hingewiesen worden. Als die Jungfrau Maria nach ihrer durch heiligen Geist bewirkten Empfängnis Elisabeth besuchte, die die Mutter von Johannes dem Täufer werden sollte, sprach sie folgende Worte der Lobpreisung: „Hoch erhebt meine Seele Jehova, ... weithin zerstreut hat er die, die in der Absicht ihres Herzens hochmütig sind ... er hat Hungrige mit guten Dingen völlig gesättigt, und er hat Wohlhabende leer fortgeschickt.“ Über tausend Jahre vorher hatte sich eine andere Frau, die ebenfalls unerwartet einen Sohn erhalten sollte, Hanna, die Mutter Samuels, verblüffend ähnlich geäußert; sie hatte gesagt: „Es frohlockt mein Herz in Jehova ... Die satt waren, haben sich um Brot verdungen, und die hungrig waren, sind es nicht mehr.“ — Luk. 1:46-53; 1. Sam. 2:1, 5
5. Wann und wie kam Jesus zum ersten Mal mit den Hochmütigen in Berührung?
5 Die beiden gegensätzlichen Klassen und der Wechsel, der für sie an einem Tag des Gerichts kommen sollte, waren in den Hebräischen Schriften deutlich beschrieben. Das wußte Jesus genau, und als er seinen Dienst antrat, waren die beiden Klassen bereits unverkennbar vorhanden. Möglicherweise erkannte er dank seiner vollkommenen Denkfähigkeit und seiner raschen Auffassungsgabe die Merkmale, die für die zu dieser Klasse gehörenden Menschen bezeichnend waren, schon mit zwölf Jahren, als er drei Tage mit den religiösen Lehrern zusammen gewesen war. (Luk. 2:42-47) Seinen ersten Zusammenstoß mit diesen hochmütigen, wohlhabenden und gutgenährten religiösen Führern hatte er wahrscheinlich beim ersten Passah, nachdem er seinen Dienst angetreten hatte, als er die Händler und Geldwechsler aus dem Tempel hinaustrieb. Wir können uns vorstellen, wie sehr die Leute, die diese Geschäftemacherei in Jehovas Gebetshaus aus Eigennutz guthießen, dadurch gequält wurden. — Joh. 2:13-17.
6. Welcher Wechsel begann sich zufolge der Tätigkeit des Johannes zu vollziehen?
6 Aber nicht nur die beiden Klassen waren unverkennbar vorhanden, sondern auch der Wechsel sollte nicht ausbleiben, er sollte keinen Augenblick verzögert werden. Johannes hatte von Anfang an seine Jünger, die ihn in seinem Dienst freimütig unterstützten. Sie waren nun nicht mehr in der Gewalt der religiösen Führer und wurden nicht mehr geringschätzig behandelt und verachtet, sondern waren mit einem Dienst betraut, der sie mit einer Freude erfüllte, von der sie sich sättigen konnten, wie sich eine hungrige Seele an nahrhafter Speise sättigt. In krassem Gegensatz dazu versetzte Johannes den Pharisäern und Sadduzäern, wie bereits erwähnt, einen vernichtenden Schlag, sobald er sie erblickte. (Matth. 3:7-12) Warum? Weil er von Gottes Geist erfüllt war, aber auch, weil sie für ihre herrische Art gegenüber dem einfachen Volk, für ihren Stolz und ihre Selbstgerechtigkeit allgemein bekannt waren.
7. Wie trat dieser Wechsel durch die Tätigkeit Jesu noch deutlicher zutage?
7 Ähnlich verhielt es sich mit Jesus. Sobald er seinen Dienst aufgenommen hatte, begann er seine Jünger zu lehren und zu schulen. Von da an waren sie nicht mehr die Benachteiligten; sie wußten nun, daß das Leben einen bestimmten Zweck hat. In ihrer neuen Stellung erhielten sie unverkennbar den Beweis, daß sie in Gottes Gunst standen, von ihm geliebt wurden und seinen Schutz genossen. Welch beglückender Wechsel für sie! Doch welch unliebsamer Wechsel für jene Führer, deren Stellung und Ansehen bis dahin unangetastet gewesen waren! Wie sehr muß es sie doch jeweils geschmerzt haben, wenn sie hörten, wie Jesus sie in der Öffentlichkeit furchtlos bloßstellte. Als Vertreter seines Vaters bewies Jesus während seiner ganzen Dienstzeit, daß er die Demütigen begünstigte, die Hochmütigen dagegen mißbilligte. Manchmal wies er durch eine unmißverständliche Sprache auf diese beiden Klassen hin, so zum Beispiel in der Bergpredigt; sehr oft sprach er aber bei seiner öffentlichen Lehrtätigkeit in Gleichnissen. Selbst wenn die religiösen Führer nicht alle Einzelheiten verstanden, so wußten sie jeweils doch ganz genau, wenn er von ihnen sprach. Matthäus berichtet: „Als nun die Oberpriester und die Pharisäer seine Gleichnisse gehört hatten, merkten sie, daß er von ihnen redete.“ — Matth. 21:45.
DAS BLATT WENDET SICH
8. Welche Umstände führten zu der in Lukas 16:15 berichteten öffentlichen Bloßstellung der Pharisäer durch Jesus?
8 Man beachte nun die Umstände, die zur Darlegung eines Gleichnisses führten, das wir eingehend betrachten möchten. Bevor Jesus kurz vor dem Ende seiner irdischen Dienstzeit nach Jerusalem hinaufging, murrten, wie Lukas berichtet, die Pharisäer und Schriftgelehrten, weil die Steuereinnehmer und Sünder zu Jesus kamen, um ihn zu hören. Anhand einiger Gleichnisse stellte Jesus deshalb diese beiden Klassen einander gegenüber. Er stellte die Freude über den reumütigen Sünder und den heimgekehrten verlorenen Sohn der Gesinnung derer gegenüber, die denken, sie brauchten nicht zu bereuen. Dann folgte das Gleichnis vom ungerechten Verwalter, das seinen Jüngern helfen sollte, den Wert des wahren, geistigen Reichtums und echter Freunde im Gegensatz zu dem vergänglichen, ungerechten Reichtum zu erkennen. (Luk. 15:1 bis 16:13) Darauf fügt Lukas die interessante Bemerkung hinzu: „Die Pharisäer nun, die geldliebend waren, hörten allen diesen Dingen zu, und sie begannen ihn zu verhöhnen. Er [Jesus] sagte deshalb zu ihnen: ‚Ihr seid es, die sich vor Menschen selbst gerechtsprechen, aber Gott kennt eure Herzen; denn was bei den Menschen hoch ist, ist etwas Abscheuliches in Gottes Augen.‘“ — Luk. 16:14, 15.
9. Welchen wichtigen Faktor erwähnte Jesus dann, und welches Gleichnis leitete er damit ein?
9 Diese unmißverständlichen Worte zeigten, wie Jesus diese Männer beurteilte. Dann wies er auf einen wichtigen Faktor, nämlich auf die Zeit, hin, indem er sagte: „Das Gesetz und die Propheten waren bis zu Johannes. Von da an wird das Königreich Gottes als gute Botschaft verkündet, und Menschen von jeder Art drängen vorwärts, ihm entgegen.“ (Luk. 16:16) Ja, die Zeit war gekommen, da sich das Blatt zugunsten der Klasse wenden sollte, die bis dahin von dieser hochmütigen, selbstgerechten, geldliebenden Klasse ungerecht behandelt worden war. Im Gedanken an dieses Thema setzte Jesus seine Ausführungen mit dem Gleichnis fort, das uns nun interessiert und das als das Gleichnis vom Reichen und von Lazarus bekannt ist. Er wandte die gewohnte Methode der Gegenüberstellung an und wies dann auf einen vollständigen Wechsel der Umstände hin. Damit wir das Bild deutlich vor Augen haben, geben wir den Inhalt dieses Gleichnisses Jesu kurz wieder:
10. Wie kann das in Lukas 16:19-31 aufgezeichnete Gleichnis zusammengefaßt werden?
10 Ein gewisser Reicher erfreute sich täglich seines prunkvollen Lebens. Lazarus, ein Bettler in erbärmlichem Zustand, wurde an das Tor des Reichen gelegt und begehrte, sich mit dem zu sättigen, was vom Tisch des Reichen fiel. Der Bettler starb und wurde von den Engeln an den Busenplatz Abrahams getragen. Der Reiche starb ebenfalls und wurde begraben. In seinen Qualen, die er im Hades durch ein loderndes Feuer litt, bat er Abraham inständig, er möge Lazarus senden, damit dieser seinen Finger ins Wasser tauche um ihm die Zunge zu kühlen. Abraham erklärte jedoch, daß für die beiden Männer ein vollständiger Wechsel eingetreten sei und auch eine große Kluft zwischen ihnen liege, die nicht überbrückt werden könne. Darauf bat der Reiche, Lazarus möge zu seinen fünf Brüdern gesandt werden, damit er sie vor diesem Ort der Qual warne. Abraham erwiderte jedoch: „Sie haben Moses und die Propheten; mögen sie auf diese hören.“ Der Reiche sagte: „Nicht doch ..., sondern wenn einer von den Toten zu ihnen geht, werden sie bereuen.“ Abrahams letztes Wort war: „Wenn sie nicht auf Moses und die Propheten hören, werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht.“ — Luk. 16:19-31.
DIE GESTALTEN IDENTIFIZIERT
11. Wen stellte der Reiche in den Tagen Jesu dar, und welche Ähnlichkeiten lassen dies erkennen?
11 Betrachten wir zunächst die Anwendung des Gleichnisses auf die Tage Jesu. Im Hinblick auf die bereits besprochenen Bibeltexte und die angeführten Einzelheiten ist es nicht schwierig, zu erkennen, wer die beiden Hauptgestalten sind. Von der ersten der beiden sagte Jesus: „Ein gewisser Mensch aber war reich, und er pflegte sich Purpur und Leinwand umzulegen und lebte Tag für Tag fröhlich und in Prunk.“ (Luk. 16:19) Wer war dieser Reiche, der sich so an seinem Reichtum ergötzte? Wen stellte er dar? Nun, Jesus hatte soeben zu den geldliebenden Pharisäern gesprochen. Beachten wir die Ähnlichkeit seiner Ausdrucksweise. Er hatte zu ihnen gesagt: „Ihr seid es, die sich vor Menschen selbst gerechtsprechen.“ Vom Reichen sagte er ebenfalls: „Er pflegte sich Purpur und Leinwand umzulegen.“ (Luk. 16:15, 19) Die Pharisäer warteten nicht, bis jemand anders sie gerechtsprach. Ebensowenig wartete der Reiche, bis ihm jemand anders königliche Kleider umlegte und ihn mit den Insignien eines Herrschers ausstattete und ihm besondere Tugend und Gerechtigkeit zuerkannte, was alles durch den Purpur und die Leinwand veranschaulicht wurde. Weder Gott noch sein Diener Christus Jesus, noch die Propheten, zum Beispiel Jesaja, sprachen die Klasse der religiösen Führer Israels jemals gerecht. Im Gegenteil! Doch die zu dieser Klasse Gehörenden waren stets darauf bedacht, ihre Gerechtigkeit zur Schau zu tragen. Sie zeigten es, wie der Reiche, durch ihre Kleidung und ihr allgemeines Benehmen. Jesus sagte: „Sie machen die Schrifttexte enthaltenden Kapseln breit, die sie zum Schutz tragen, und vergrößern die Fransen ihrer Kleider. Sie haben gern den hervorragendsten Platz bei Abendessen und die vorderen Sitze in den Synagogen ... [und scheinen] von außen schön ... [und] vor Menschen gerecht.“ — Matth. 23:5, 6, 27, 28; 6:1, 2.
12. Wovon ist Purpur ein Sinnbild, und wie ist dies auf die religiösen Führer der Tage Jesu anzuwenden?
12 Purpur war von jeher ein Symbol der Königswürde oder Herrschermacht. Wir erinnern uns, daß Jesus nach seiner Festnahme von Pilatus gefragt wurde: „Bist du der König der Juden?“, und daß dann die Soldaten ihn verspotteten, indem sie ‘eine Krone aus Dornen flochten und sie ihm aufs Haupt setzten und ihm ein purpurnes äußeres Kleid umwarfen und sagten: „Guten Tag, du König der Juden!“’. (Joh. 18:33; 19:2, 3) Wiewohl die religiösen Führer nicht direkt nach Königswürde und Thron strebten, suchten sie doch ihren Einfluß geltend zu machen und übten auch tatsächlich Macht aus. Waren sie nicht die Führer der Nation, der Gott die Verheißung gegeben hatte: „Ihr sollt mir ein Königreich von Priestern und eine heilige Nation sein.“? Erinnerten sie Jesus nicht bei einer Gelegenheit an diese Tatsache, indem sie sagten: „Wir sind Nachkommen Abrahams und sind niemals jemandes Sklaven gewesen.“? — 2. Mose 19:6; Joh. 8:33.
13. Was versinnbildlicht Leinwand, und auf welchen Gegensatz zwischen den Pharisäern und dem Weibe des Lammes weist dies hin?
13 Die Leinwand wird als ein Sinnbild der Gerechtigkeit gebraucht. Beachten wir in diesem Zusammenhang die Beschreibung der Christenversammlung als Braut des Lammes, Jesu Christi, bei ihrer Hochzeit im Himmel. Sie ist „in hellglänzende, reine, feine Leinwand gehüllt ..., denn die feine Leinwand stellt die gerechten Taten der Heiligen dar“. Es wird aber nichts davon gesagt, daß sie sich selbst Purpur und Leinwand umlegt, obwohl sie mit dem „König der Könige“ Hochzeit hat. Nein! Sie spricht sich nicht selbst gerecht wie die Pharisäer, sondern „es ist ihr [passenderweise] gewährt worden, in ... feine Leinwand gehüllt zu werden“. (Offb. 19:7, 8, 16) Der Apostel Paulus, der früher ein eifriger Pharisäer war, hatte den Gegensatz zwischen der wahren und der angeblichen Gerechtigkeit erkannt, denn er schrieb: „... damit ich Christus gewinne und in der Gemeinschaft mit ihm erfunden werde, indem ich nicht meine eigene Gerechtigkeit habe, die aus dem Gesetz kommt, sondern jene, die durch den Glauben an Christus kommt, die Gerechtigkeit, die aufgrund des Glaubens aus Gott stammt.“ — Phil. 3:8, 9; siehe ferner Römer 10:2-4.
14. Welche weiteren Gesichtspunkte helfen uns erkennen, wer die Klasse des „Reichen“ in den Tagen Jesu war?
14 In den Augen der Menschen im allgemeinen und in ihren eigenen Augen hatten jene religiösen Führer alles, auch einen reichgedeckten Tisch wie der Reiche, der „Tag für Tag fröhlich und in Prunk“ lebte. (Luk. 16:19) Wie wir gesehen haben, wird Erkenntnis, vor allem Erkenntnis in Verbindung mit dem Glauben, mit Speise und Trank verglichen. (Jes. 55:1, 2; Joh. 17:3) Die Juden, insonderheit ihre Führer, waren in dieser Hinsicht gut versorgt und konnten sich ständig an nahrhafter Speise sättigen. Paulus warf einmal die Frage auf: „Worin besteht denn die Überlegenheit des Juden ...?“ Er antwortete: „In vielem, in jeder Hinsicht. Vor allem darin, daß ihnen die heiligen Aussprüche Gottes anvertraut wurden.“ Er schrieb ferner, daß den Israeliten „die Herrlichkeit und die Bündnisse und die Gesetzgebung und der heilige Dienst und die Verheißungen“ gehört hätten. Jesus nannte ihre Führer „Gesetzeskundige“ und sagte von ihnen, sie besäßen „den Schlüssel der Erkenntnis“. Wenn wir also die Worte, mit denen Jesus sein Gleichnis einleitete, näher betrachten, erkennen wir, daß der Reiche die Klasse der religiösen Führer darstellte. — Röm. 3:1, 2; 9:4; Luk. 11:52.
15. Wie beschrieb Jesus den Bettler, und wen stellte dieser dar?
15 Wen stellte aber der Bettler dar? Den Reichen erwähnte Jesus ohne Namen; dem Bettler aber gab er den jüdischen Namen Lazarus, was „Gott ist Helfer“ bedeutet. Lazarus „wurde jeweils an sein [des Reichen] Tor gelegt und begehrte, sich mit dem zu sättigen, was vom Tisch des Reichen fiel. Ja auch die Hunde kamen und beleckten seine Geschwüre.“ (Luk. 16:20, 21) Wie beim Reichen, so brauchen wir auch bei Lazarus nicht lange zu suchen, um herauszufinden, welche Klasse er darstellte. Jesus hatte kurz vorher von dieser Klasse gesprochen. Die Pharisäer selbst hatten Jesus veranlaßt, über diese andere Klasse zu sprechen, als sie sich darüber beschwerten, daß er die Steuereinnehmer und Sünder willkommen heiße. (Luk. 15:1, 2) Man beachte ferner, daß Jesus unmittelbar vorher zu einem Vorsteher der Pharisäer gesagt hatte: „Wenn du ein Gastmahl veranstaltest, so lade Arme, Krüppel, Lahme, Blinde ein.“ Ja, der Bettler stellte vor allem die Armen und die in geistiger Hinsicht Vernachlässigten unter den Juden dar. Sie wurden von den Angehörigen der führenden Klasse, „die auf sich selbst vertrauten [und glaubten], daß sie gerecht seien, und die übrigen für nichts hielten“, verachtet wie Lazarus, der mit der Gesellschaft der Hunde vorliebnehmen mußte. In ihrer Empörung über die Leute, die Jesus angenommen hatten, sagten die Oberpriester und Pharisäer: „Diese Volksmenge aber, die das Gesetz nicht kennt, verfluchte Leute sind sie.“ Diese Führer handelten wie der Reiche: Sie sorgten nicht dafür, daß die Armen, „die sich ihrer geistigen Bedürfnisse bewußt“ waren und begierig nach den Brocken, die vom verschwenderisch gedeckten Tisch des Reichen fielen, Ausschau hielten, geistig gesättigt wurden. — Luk. 14:13; 18:9; Joh. 7:49; Matth. 5:3.
16. Wieso waren die religiösen Führer für den „kranken“ Zustand der „Lazarus“-Klasse verantwortlich?
16 Darüber hinaus ersetzten diese Führer die „heiligen Aussprüche Gottes“ durch die von ihrer Klasse im Laufe der Jahre aufgestellten Überlieferungen. Jesus sagte deshalb zu ihnen, sie hätten „das Wort Gottes ... ungültig gemacht“ und würden „als Lehren Menschengebote lehren“. Diese „Krümel“ dürften also herzlich wenig Nährwert gehabt haben. Die Führer banden auch schwere Lasten zusammen und legten sie auf die Schultern der Menschen, waren aber selbst nicht bereit, ‘sie mit ihrem Finger fortzubewegen’. (Matth. 15:6-9; 23:4) Kein Wunder, daß Jesus Lazarus als einen Mann darstellte, der „voller Geschwüre“ war. In seinem unterernährten Zustand hatte Lazarus bestimmt eine schwere Last zu tragen, und er konnte nicht die geringste Hoffnung haben, daß ihm der Reiche helfen oder ihm Linderung verschaffen würde.
17. Wie zeigte Jesus, daß für diese beiden Klassen ein Wechsel eintreten sollte?
17 Dieser bedauerliche Zustand war völlig ungerechtfertigt und durfte nicht auf unabsehbare Zeit geduldet werden. Jesus sagte einmal zu den sich beschwerenden Pharisäern: „Gesunde benötigen keinen Arzt, wohl aber die Leidenden. Geht denn hin und lernt, was dies bedeutet: ‚Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer.‘ Denn ich bin nicht gekommen, Gerechte zu rufen, sondern Sünder.“ Zur gleichen Klasse sagte er auch warnend: „Wehe euch, ihr Gesetzeskundigen, denn ihr habt den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen; ihr selbst seid nicht hineingegangen, und die Hineingehenden habt ihr daran gehindert!“ Ja, die Zeit für einen Wechsel, für eine Wendung, war gekommen. Wie veranschaulichte Jesus diesen Wechsel in seinem Gleichnis? — Matth. 9:12, 13; Luk. 11:52.
DER KRASSE WECHSEL
18. Was geschah schließlich in dem Gleichnis, und zu welchem krassen Wechsel führte dies?
18 Den krassesten Wechsel oder die krasseste Wendung im Leben eines Menschen führt der Tod herbei. Jesus berücksichtigte dies in seinem Gleichnis. Nach der einleitenden Beschreibung der beiden Gestalten, die wir eben besprochen haben, sagte Jesus weiter: „Nun starb im Laufe der Zeit der Bettler ... Auch der Reiche starb.“ Ja, die Zeit war ein wichtiger, ausschlaggebender Faktor. In lebendigen Worten appellierte Jesus nun an die Vorstellungskraft seiner Zuhörer, denn er wußte, daß die Vorstellungskraft eine ebenso gewaltige Hilfe zum Verständnis ist wie die Gegenüberstellung. Ließ er diese beiden Männer in ihrem Grab friedlich schlafen? Nein! „Der Bettler ... wurde von den Engeln [sogleich] an den Busenplatz Abrahams getragen.“ „Der Reiche ... wurde begraben. Und im Hades ... [war] er in Qualen“, in einem lodernden Feuer. — Luk. 16:22, 23.
19. (a) Als Stütze welcher Lehre wird Lukas 16:23 oft angeführt? (b) Warum ist eine solche Schlußfolgerung unvernünftig und schriftwidrig?
19 Wie viele unserer Leser wissen werden, legen manche Bibelerklärer und Wortführer der Christenheit diesen Text buchstäblich aus, um ihre traditionelle Lehre von der ewigen Qual, die unsterbliche Seelen in der Hölle angeblich leiden, zu stützen. Faßten aber Jesu Zuhörer, die Pharisäer oder seine Jünger, dies so auf? Dachten sie, Jesus habe, wie oft gesagt wird, den Schleier einen Augenblick gelüftet, um ihnen zu zeigen, welches Geschick die Bösen, ja alle, die die himmlische Seligkeit nicht erlangen, zu erwarten hätten? Kaum. Alle, die Jesus zuhörten, wußten, daß es sich um ein Gleichnis handelte, durch das gewisse Dinge veranschaulicht werden sollten und das deshalb nicht buchstäblich aufzufassen war. Wie schon in einer früheren Wachtturm-Ausgabe gezeigt wurde, wäre es nicht nur völlig absurd, dieses Gleichnis buchstäblich erklären zu wollen, sondern man müßte auch die unmißverständlichen Bibeltexte vergewaltigen, die beweisen, daß der Hades (hebräisch: Scheol) das allgemeine Grab ist, in dem „die Toten ... gar nichts [wissen]“, da es „weder Tun noch Überlegung noch Kenntnis noch Weisheit [gibt] im Scheol, wohin du gehst“. (Pred. 9:5, 10) Wäre es vernünftig anzunehmen, daß die im Höllenfeuer Gequälten nur so weit von denen entfernt sind, die sich im Himmel befinden, daß sie bequem mit ihnen sprechen könnten? Ist die Entfernung so gering, daß sie die, die im Himmel sind, sehen und beobachten könnten, was diese tun? Sind sie in der Lage, mit jemandem, der eine maßgebende Stellung im Himmel einnimmt, ein Gespräch zu führen, ja mit ihm sogar über einen bestimmten Punkt zu argumentieren? — Siehe Der Wachtturm vom 1. April 1965, Seite 203, 204, Absätze 11 bis 16.
20. Auf welche ähnliche Weise veranschaulichte Jesaja eine ebenso dramatische Wendung?
20 Du magst dich nun aber fragen: „War Jesus denn berechtigt, ein solches Bild zu gebrauchen? Konnte er sich auf einen früheren Fall stützen, in dem Tote als Lebende und Sprechende dargestellt wurden, um etwas besonders dramatisch zu veranschaulichen?“ Jawohl! Es handelt sich dabei um eine weitere interessante Parallele zwischen der Ausdrucksweise Jesu und der des Propheten Jesaja. Jesaja sagte unter Inspiration den dramatischen Sturz und die Vernichtung der babylonischen Königsdynastie voraus. Dieses Ereignis bedeutete eine solch gewaltige Wendung, daß von den Königen der anderen Nationen, von denen jeder in der großen Grube des Scheols sozusagen in seiner Gruft aufgebahrt lag, gesagt wird, sie seien bei der Ankunft des Königs von Babel oder Babylon aufgewacht und hätten vor Erstaunen ihre Hälse gereckt und gesagt: „Auch du bist schwach geworden wie wir, uns bist du gleich geworden? Deine Pracht ... ist auch zum Scheol gefahren; Maden werden dein Lager und Würmer deine Decke sein!“ Auch wurde dieser König nicht wie die anderen Könige in einer besonderen Gruft beigesetzt, sondern ‘hingeworfen, fern von seinem Grabmal, wie ein zertretenes Aas’. (Jes. 14:4, 10, 11, 19, SB) In verschiedenen englischen Übersetzungen wird dem „König von Babylon“ in Jesaja 14:12 der Name „Luzifer“ gegeben, der sich nach allgemeiner Auffassung auf Satan, den Teufel, beziehen soll. Demnach wäre Satan also nicht der Herrscher über die Hölle und würde dort nicht das Feuer schüren, sondern wäre als Verworfener in sein eigenes Herrschaftsgebiet verstoßen worden. Kein Wunder, daß die Bibelausleger der Christenheit sich nicht besonders auf diese Prophezeiung stützen, um ihre Lehre von der ewigen Qual zu beweisen.
21. Sollten Jesu Gleichnisse buchstäblich aufgefaßt werden? Wenn nicht, welchem Zweck dienen sie dann?
21 Nein, nichts — weder der Standpunkt der Bibel noch die Vernunft — berechtigt zu der Annahme, Jesus habe nun plötzlich etwas berichtet, was buchstäblich vor sich gegangen sei. Ein Gleichnis ist eine sinnbildliche Erzählung, eine bildhafte Darstellung gewisser Wahrheiten oder Ereignisse. Wie bei seinen anderen Gleichnissen, so gebrauchte Jesus auch in diesem Fall ein lebendiges Wortbild oder eine Geschichte, um etwas zu veranschaulichen, was zwei Klassen von Menschen bereits im Begriff waren zu erleben. Was die in diesem Gleichnis veranschaulichten Dinge in Wirklichkeit zu Jesu Zeiten bedeuteten und was sie in unseren Tagen bedeuten, wird in einer der nächsten Wachtturm-Ausgaben behandelt.